"Verwegener Menschenschlag mit Witz und Ironie"
Johann Wolfgang von Goethe kam 1778 bei einer Reise nach Berlin und Potsdam dem Alten Fritzen nahe, sah ihn aber nicht



Lange stand nach dem Zweiten Weltkrieg am Rand des Berliner Tiergartens eine hässliche Kopie des Goethe-Denkmals, vor einigen Jahren hat man diese durch das gereinigte und restaurierte Original ersetzt. Die Sockelfiguren symbolisieren die wichtigsten Tätigkeiten des Weimarer Klassikers.



Prinz Heinrich von Preußen lästerte 1778 im Beisein von Goethe und weiterer Gäste aus Weimar über seinen gerade im Bayerischen Erbfolgekrieg befindlichen königlichen Bruder.





Der aus einer hugenottischen Familie stammende Grafiker Daniel Chodowiecki hat mit diesen Bildern eingewanderten Menschen und seiner eigenen Familie ein schönes Denkmal gesetzt.



Vornehme Familien erholten sich "In den Zelten", einem mit Skulpturen geschmückten Bereich des Berliner Tiergartens. In ihnen und anderen Bewohnern der preußischen Haupt- und Residenzstadt glaubte er einen verwegenen Menschenschlag zu erkennen. (Foto/Repros: Caspar)

Als in Berlin bekannt wurde, dass auf dem Gendarmenmarkt ein Schillerdenkmal aufgestellt werden soll, forderten Verehrer von Johann Wolfgang von Goethe, dort ebenfalls dieses Dichters mit einem Monument zu gedenken. Diese Aussicht ließ Freunde von Gotthold Ephraim Lessing nicht ruhen. Sie forderten, auch ihm am gleichen Ort ein Denkmal zu errichten. Es kam anders, und so steht seit 1880 im Tiergarten nicht weit vom Brandenburger Tor das von Fritz Schaper geschaffenes Goethe-Denkmal und ein paar Steinwürfe entfernt der marmorne Lessing, der von Otto Lessing, einem Großneffen des Dichters, geschaffen wurde. Angetan mit einer Hoftracht des ausgehenden 18. Jahrhunderts und geschützt durch einen langen Mantel, schaut der auf hohem Sockel stehende und in der Blüte seines Lebens porträtierte Goethe hinüber zum Holocaust-Denkmal und die Bauten in den ehemaligen Ministergärten, in der rechten Hand eine Schriftenrolle haltend. "Das edle, geistvolle Antlitz mit der freien, mächtigen Stirn, auf welcher Hoheit des Geistes thront, stolz und freimütig erhoben - so bringt das Standbild die machtvolle Persönlichkeit des Dichters zu vollendeter Darstellung", beschreibt ein Buch von 1905 über Berliner Denkmäler Schapers im Jahre 1880 enthülltes Werk. Der Sockel des Goethe-Denkmals ist nicht eckig, wie üblich, sondern rund. Auf den Stufen haben die weiblichen Personifikationen der lyrischen und dramatischen Dichtkunst sowie der Wissenschaft Platz genommen, womit die wichtigsten Tätigkeiten des Weimarer Ministers und Dichters symbolisiert werden.

Johann Wolfgang von Goethe hatte von den Berlinern keine sonderlich große Meinung, er hielt sie für ungehobelte Menschen. Nur einmal in seinem langen Leben hatte er die preußische Hauptstadt und ihre Umgebung zu Gesicht bekommen. Das war im Mai 1778, als der junge Legationsrat mit seinem herzoglichen Arbeitgeber in diplomatischer Mission unterwegs war. Die vornehme Herrenrunde wollte nicht erkannt werden, weshalb gab sie sich andere Namen gab. Dennoch machte schnell die Runde, wer da in den Mauern der preußischen Haupt- und Residenzstadt weilt. Der Begleiter des Weimarer Herzogs Karl August führte Tagebuch und schrieb Briefe an die Lieben in der Heimat. Deshalb sind wir ziemlich gut darüber unterrichtet, was die Delegation in den preußischen Residenzstädten sah und erlebte.

Deutsche Literatur? Jargon ohne Anmut!

Da König Friedrich II., der Große, wieder einmal einen Krieg führte, kam es zu keiner persönlichen Begegnung zwischen ihm und den Besuchern aus Thüringen. Sie wäre für den aufstrebenden Schriftsteller und Theaterdirektor vermutlich wenig erfreulich ausgefallen, denn der perfekt französisch sprechende Preußenkönig konnte mit deutscher Literatur nichts anfangen und hielt sie im Unterschied zu der von ihm favorisierten französischen Dichtkunst für unbedeutend. In seinem Essay von 1780 "Über die deutsche Literatur" empfahl Friedrich II. deutschen Dichtern und Rednern, sich an Homer und Vergil, Demosthenes und Cicero zu orientieren, bevor sie ein einziges Wort zu Papier bringen und den Mund aufmachen. Der König konnte sich für die Werke von Shakespeare sowie für Goethes 1773 publiziertes Schauspiel "Götz von Berlichingen" und weitere Dichtungen der Aufklärungszeit wenig begeistern und schrieb: "Werfen wir nun wieder einen Blick auf unser Vaterland, und wir finden einen Jargon ohne Anmut, mit dem ein jeder nach Willkür umgeht; Redensarten ohne Wahl gebraucht, die bedeutendsten und passendsten Worte vernachlässigt, und den Sinn in einem Meere von Zwischensätzen ersäuft. Ich gebe mir Mühe, bei uns einen Homer, einen Virgil, einen Anakreon, einen Horaz, einen Demosthenes, einen Cicero, einen Thukidides, einen Livius zu suchen, doch meine Mühe ist vergebens, ich finde keinen. [...] Vom deutschen Theater möchte ich erst lieber garnichts sagen. Melpomene [die Göttin der tragischen Dichtung, H. C.] hat bei uns gar possierliche Geschöpfe zu Verehrern, die teils auf hohen Stelzen traben, teils im tiefen Kote herumkriechen, die insgesamt ihre Gesetze weder zu interessieren noch zu rühren wissen, und daher von den Altären der Göttin vertrieben worden sind. [...] Shakespeare kann man diese wunderlichen Seitensprünge und Ausschweifungen verzeihen, weil Künste, wenn sie entstehen, nie zu ihrer Reife gediehen. Aber erst vor einigen Jahren ist ein ,Götz von Berlichingen' erschienen, eine abscheuliche Nachahmung jener schlechten englischen Stücke, und man bringt ihn aufs Theater, und das Parterre klatscht ihm Beifall und verlangt mit Enthusiasmus die Wiederholung der ekelhaften Plattitüden. [...] Wir werden unsere klassischen Schriftsteller haben; jeder wird sie lesen, um davon Nutzen zu haben; unsere Nachbarn werden deutsch lernen; die Höfe werden es mit Vergnügen sprechen; und es kann kommen, dass unsere fein und vollendet gewordene Sprache sich aus Vorliebe für unsere guten Schriftsteller von einem Ende Europas bis zum anderen verbreitet. Diese schönen Tage unsrer Literatur sind noch nicht gekommen, aber sie nahen sich. Ich kündige sie an, sie sind im Begriffe zu erscheinen; ich werde sie nicht sehen; mein Alter verbietet mir die Hoffnung. Ich bin wie Moses: ich sehe das gelobte Land von ferne, aber ich werde es nicht betreten."

Gold, Silber, Marmor und Affen

In der kurzen Besuchswoche im Mai 1778 kam eine Visite bei Prinz Heinrich, dem Bruder des Königs, zustande. Schnell bekamen die Gäste mit, dass der Prinz, der im Siebenjährigen Krieg ein gefeierter Militär war und ansonsten in Rheinsberg zu residieren pflegte, zu seinem älteren Bruder, Vorgesetzten und Landesherrn ein distanziertes Verhältnis hatte. Heinrich ärgerte, dass er von Friedrich II. nur als Werkzeug für diplomatische Missionen benutzt wird, von politischer Gestaltung aber ausgeschlossen ist. Dem "alten Fritzen" sei er dennoch recht nah gekommen, schrieb Goethe im Rückblick. "Da hab ich sein Wesen gesehn, sein Gold, Silber, Marmor, Affen, Papageien und zerrissene Vorhänge, und hab über den großen Menschen seine eigenen Lumpenhunde räsonnieren hören". Damit waren Prinz Heinrich und seine Umgebung gemeint, die ihre abfälligen Bemerkungen über den Großen Friedrich wohl auch in Gegenwart ihrer erlauchten Gäste nicht zu unterdrücken vermochten.

Als die Reisegruppe Potsdam besuchte, muss es zu einem unangenehmen Auftritt mit dem Schlosskastellan gekommen sein, dem Goethe flegelhaftes Verhalten bescheinigte. Dies wohl deshalb, weil sich der Aufseher weigerte, den inkognito reisenden Besuchern das Allerheiligste der königlichen Wohnräume zu zeigen. Mit "Menschen", also den Berlinern, habe er sonst gar nichts zu verkehren gehabt, heißt es in den Aufzeichnungen des Dichters. Da er sich auf einer diplomatischen Mission befand, habe er sich in Zurückhaltung geübt "...und hab in preußischen Staaten kein laut Wort hervorgebracht, das sie nicht könnten drucken lassen. Dafür ich gelegentlich als stolz etc. ausgeschrieen (worden) bin".

Wenn Goethe an die Berliner dachte, beschlichen ihn zwiespältige Gefühle. "Es lebt aber dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten. Das Völkchen besitzt viel Selbstvertrauen, ist mit Witz und Ironie gesegnet und nicht sparsam mit diesen Gaben." Die Eindrücke, die der Reisende 1778 in Berlin gewonnen hat, hielten ihn später neben weiteren Gründen davon ab, trotz freundlicher Einladungen die Stadt an der Spree noch einmal zu besuchen. Das hat der Liebe der Berliner zu ihm und seinen Werken keinen Abbruch getan. In Berlin wurden sie mit großem Erfolg aufgeführt und gelesen.

24. Juli 2018

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