Im Vorhof der Hölle
Großer Andrang im ehemaligen Polizeigefängnis an der Keibelstraße im früheren Ostberlin und Fragen an die Bildungsverwaltung



Von außen sieht man dem Polizeigebäude an der Keibelstraße nicht an, dass es im Inneren ein Untersuchungsgefängnis der Volkspolizei gegeben hat.



Harry Santos, der sonst Führungen im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen macht, kennt sich auch in der Keibelstraße aus leidvoller Erfahrung gut aus.



Gänge, Treppen und Zellen und all die anderen Räume im Knast Keibelstraße haben sich seit 1996 nur unwesentlich verändert, allerdings ist der graue Anstrich nicht authentisch.



Bevor das Gefängnis eines Tages für viele Besuchergruppen geöffnet wird, müssen noch manche technische Veränderungen vorgenommen werden. Allerdings ist alles zu vermneiden, was den Charakter dieses "Vorhofs zur Hölle" verändern könnte.



Durch diese vergitterte Luke konnten nach dem Ruf "Sprecher" Untersuchungsgefangene mit Angehörigen und weiteren Personen für ein paar Minuten reden. Berührungen waren verboten, Pakete und Geschenke mussten bei den Wächtern abgegeben wurden. (Fotos: Caspar)

Z Zahlreiche Besucher haben am 13. August 2018, dem 57. Jahrestag des Mauerbaus, an Führungen der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen durch das ehemalige Ost-Berliner Polizeigefängnis an der Keibelstraße in der Nähe des Alexanderplatzes teilgenommen. Das Gefängnis diente in der DDR als Ort für Zuführungen und Inhaftierungen. Von hier aus wurden die zu Haftstrafen verurteilten Männer und Frauen in andere Gefängnisse weitergeleitet. Bemerkenswert ist, dass in dem Gebäude vom damaligen SED-Politbüromitglied Erich Honecker der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 vorbereitet wurde, was von den Teilnehmern der Führungen mit Erstaunen zur Kenntnis genommen wurde.

Von ehemaligen Häftlingen durch die düsteren Treppenhäuser, Gänge und Zellen sachkundig geleitet, sahen sich junge und ältere Besucherinnen und Besucher in dem aus der Nachkriegszeit an der Stelle eines zerbombten Kaufhauses erbauten Gefängnis um und erfuhren viel über die Willkürjustiz in der DDR sowie den Strafvollzug hier und in anderen Anstalten dieser Art. Harry Santos berichtete aus eigener leidvoller Erfahrung, wie er in die für ihn bis dahin völlig unbekannte Keibelstraße gebracht wurde und was er dort, am 9. November 1982 wegen versuchter Republikflucht verhaftet, erlebte, bevor er seine Gefängnisstrafe in Neustrelitz absitzen musste. Das von außen nicht als Gefängnis erkennbare Gebäude war für ihn und die anderen Gefangenen so etwas wie der Vorhof der Hölle. Eigentlich seien die Zellen auf sechs Etagen für 218 Untersuchungsgefangene bestimmt gewesen, aber hier hätten immer mehr in Einzel- und Zweierzellen und solchen mit zwölf Insassen auf ihre Gerichtsverhandlung gewartet. "Auch heute habe ich die ständigen Geräusche im Ohr, das Klappen der schweren Türen, das Hin- und Herschieben der Riegel, das Auf- und Herunterziehen der Luken, durch die unser Essen geschoben wurde", sagt Santos.

Hungerstreik brachte nichts

Im Vergleich zu der alten, aus der Kaiserzeit stammenden U-Haftanstalt mit der Bezeichnung 1/II draußen in Rummelsburg sei die in der Keibelstraße mit der Nummer 1/I geradezu komfortabel eingerichtet gewesen, denn es gab fließend warmes und kaltes Wasser und eine Toilette mit Wasserspülung. Nicht nur der ständige Krach seien sehr belastend gewesen, auch die Luft in den Zellen sei unerträglich gewesen, sagt Santos. "Da war es schon eine gewisse Erlösung, wenn wir nicht im Hof, den es nicht gab, sondern auf dem Dach ihre Runden für eine Stunde drehen konnten. Einmal habe ich einen Hungerstreik begonnen, aber nach fünf Tagen und massiver Androhung von Zwangsernährung gab ich auf, meine Gesundheit war mir wichtiger", erinnert er sich. Irgendwann wurde er mit dem Ruf "Sprecher" aus seiner Zelle geholt in eine Doppelzelle, in der die Gefangenen Besuch empfangen konnten. Er sah seine Muter durch eine vergitterte Luke, aber das Gespräch mit dem damals 27jährigen Sohn war für beide Seiten schwierig und hoch emotional. Dass sie der Gerichtsverhandlung fern blieb, hat er als Erleichterung empfunden. Weitere Einzelheiten über den Gefängnisalltag will er demnächst in einem Buch veröffentlichen.

Harry Santos war ein "213-er", ein Politischer, der wegen des Fluchtparagraphen 213 des DDR-Strafgesetzbuches bestraft wurde. Dieser legte fest: "Wer widerrechtlich die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik passiert oder Bestimmungen des zeitweiligen Aufenthalts in der Deutschen Demokratischen Republik sowie des Transits durch die Deutsche Demokratische Republik verletzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe oder mit Geldstrafe bestraft." Sein Vergehen war, dass er mit Freunden eine Flucht in den Westen vorbereitet hatte. Er hatte das Pech, dass eine so genannte Freundin ihn verraten hatte. Da der DDR-Justiz aber verborgen blieb, dass er der Kopf einer Ostberliner Fluchthelfergruppe ist, kam er mit einer vergleichsweise kurzen Strafe davon. Für ihn ist das alles Vergangenheit, er empfindet keinen Groll. "Es hätte schlimmer kommen können, wir hätten bei dem Fluchtversuch auch unser Leben und unsere Gesundheit verlieren können", kommentiert Santos seine Erlebnisse von damals.

Übrigens habe jeder im Knast gewusst, wen er bei Verhören vor sich hat. "Die von der Stasi waren viel gebildeter, aber auch glashart im Vergleich zu denjenigen, die in der Keibelstraße Dienst taten. Man merkte, dass die Stasileute besser ausgebildet, ich möchte sagen gedrillt waren als die normalen Volkspolizisten." Unter den Wächtern seien manche fiese Hunde und widerliche Typen gewesen, aber einer von ihnen habe sich menschlich verhalten und den Häftlingsalltag erträglicher gemacht. "In den Zellen saßen Kriminelle und Politische beieinander, und manche waren wirklich nette Kerle." Ausgebremste Stasi-Gedenkstätte

Das berüchtigte DDR-Gefängnis Keibelstraße steht seit 1996 ungenutzt leer, ab und zu hat man hier fürs Kino gedreht. Da die Filmemacher zu wissen glaubten, dass ein DDR-Knast innen grau und schwarz aussehen muss, wurden die Wände so gestrichen. Unter dieser unhistorischen Schicht kann man da und dort noch die beige-grüne Originalfarbe erkennen. Bemühungen der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, im ehemaligen Polizeiknast regelmäßige Führungen mit Zeitzeugen anzubieten, scheiterten bislang am Widerstand der Berliner Bildungsverwaltung, deren Sitz sich im Nachbargebäude befindet. "Seit Jahren setzen wir uns dafür ein, das Gefängnis für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Viele ehemalige Häftlinge, die im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen saßen, waren zuerst in der Keibelstraße inhaftiert und können von dort sehr anschaulich und authentisch berichten", sagt der von der Senatsverwaltung ausgebremste Gedenkstättendirektor Hubertus Knabe und wertet den Besucherandrang am 13. August als Beleg für das große Interesse an diesem sehr speziellen Ort der DDR-Geschichte. Besonders spannend wäre es, dass die Besucher von Zeitzeugen aus erster Hand erfahren, was sich hier ereignet hat. "Leider werden die Zeitzeugen aber bisher von allen Überlegungen zur Zukunft dieses Hauses ausgeschlossen." Stattdessen soll eine ominöse Agentur für Bildung - Geschichte, Politik und Medien, die kaum einer kennt, diese verantwortungsvolle Arbeit übernehmen.

Bislang hat die von Sandra Scheeres (SPD) geleitete Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie der Gedenkstätte nur wenige Male gestattet, Zeitzeugenführungen im Gefängnis Keibelstraße durchzuführen. Seit 2010 wird an der Schaffung eines Lernorts im ehemaligen DDR-Knast Keibelstraße gearbeitet. Doch wurde die Eröffnung jetzt erneut um vier Monate verschoben. In Zukunft sollen maximal 300 Schülergruppen pro Jahr das Haus erkunden dürfen, hingegen wird das Gefängnis für die breite Öffentlichkeit auch in den nächsten Jahren weiter geschlossen bleiben. Ehemalige Gefangene haben aus diesem Grund gegen die Pläne der Bildungsverwaltung protestiert, die der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln sind. Eine plausible Begründung der Senatorin steht bisher aus.

13. August 2018

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