Im Park an der Gertraudkirche ehrt die alte Universitätsstadt Frankfurt an der Oder ihren großen Sohn, den Dichter Heinrich von Kleist. Der feierlichen Enthüllung am 25. Juni 1910 waren jahrelange Auseinandersetzungen über Sinn und Aussehen des durch Sammlungen unter Freunden des Dichters finanzierten Monuments vorangegangen, das der Bildhauer Gottlieb Elster geschaffen hat. 1906 hatte ein Komitee einen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für Heinrich von Kleist in seiner Geburtsstadt veröffentlicht und um Spenden gebeten, das damals übliche Verfahren, um solche Projekte neben dem großen Bereich der Staatsdenkmäler finanzieren zu können. Als Motto stand über dem Appell ein Gedicht von Friedrich Hebbel aus dem Jahre 1840: "Er war ein Dichter und ein Mann wie Einer, / Er brauchte selbst dem Höchsten nicht zu weichen, / An Kraft sind Wenige ihm zu vergleichen, / An unerhörtem Unglück, glaub' ich, Keiner".
Der aus einer altadligen preußischen Offiziersfamilie stammende Heinrich von Kleist ist dieser schöne Jüngling wahrlich nicht, der da auf dem Sockel sitzend, ganz ins Land der Poesie entrückt zu sein scheint. Es ist der Genius des Dichters. Ein Lorbeerkranz schmückt den Kopf der überlebensgroßen Figur, die Leier in der rechten Hand weist auf ihre künstlerische Profession. In einem zeitgenössischen Kommentar wurde hervorgehoben, dass sich das Denkmal "in seiner schlichten Eigenart auf das Glücklichste von den ausgetretenen Bahnen unserer Monumentalplastik" entfernt. Doch gab es auch kritische Stimmen wie diese: "Ein undifferenzierter Genius mit Lorbeerkranz und Harfe, ohne jede Charakteristik, ohne Kraft und Feuer. Der Traum von einem Kleist-Nationaldenkmal ist ausgeträumt. Im Park wird sich ein Gedenkstein erheben, an dem der Name besagt, wem er gehört und bei dem jedermann sich denken kann, was er will".
Museum in der ehemaligen Garnisonschule
Das ist richtig beobachtet, denn die Figur hätte auch das Grab eines x-beliebigen Großbürgers der oder ein Kriegerdenkmal schmücken können oder sich auch in einem Park als Gartenplastik gut gemacht, so allgemein und überzeitlich ist die Darstellung aufgefasst. Zum Glück fügte der Bildhauer erklärendes Beiwerk in den Sockel ein. Dass es sich bei dem "idealen Jüngling" um ein Dichterdenkmal handelt, geht aus der Inschrift DEM ANDENKEN HEINRICHS VON KLEIST hervor. Darüber befindet sich das einer Miniatur von Peter Friedel aus dem Jahre 1801 nachempfundene Bildnismedaillon des Dichters. Zusätzliche Informationengeben die Bronzereliefs an den drei übrigen Flächen des Steinsockels mit Szenen aus berühmten Kleist-Werken - Käthchen von Heilbronn, Der Zerbrochene Krug und Prinz Friedrich von Homburg. Letzterer zitiert den berühmten Schlusssatz "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs" aus dem gleichnamigen Drama.
An verschiedenen Stellen in der Oderstadt ist Heinrich von Kleist präsent. Da das Geburtshaus des Dichters in der Großen Oderstraße im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, hat man an einem Nachfolgebau eine Erinnerungstafel angebracht. Sammelstätte von allem, was mit Heinrich von Kleist zu tun hat, ist das Kleist-Museum, das 1968 in der ehemaligen Garnisonschule an der Faberstraße, nur wenige Meter von der Oder entfernt, als Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte eingerichtet wurde. Auch die heutige Konzerthalle "Carl Philipp Emanuel Bach" hat etwas mit dem Dichter zu tun, der hier, in der ehemaligen Franziskanerkirche, getauft und konfirmiert wurde. Im Kleist-Museum erfährt man, dass der berühmte Sohn der Stadt schon sehr jung in die preußische Armee trat. Als er sah, dass der Dienst in der von alten Generalen noch aus der Zeit Friedrichs des Großen kommandierten Armee ihm keine Luft zum Atmen lässt, verließ er diese und eignete er sich als einfacher Student an der Viadrina, der Universität zu Frankfurt an der Oder, das notwendige Wissen für eine bürgerliche Laufbahn als Gelehrter oder Beamter an - und erlitt dabei Schiffbruch.
Redakteur der Berliner Abendblätter
Heinrich von Kleist studierte an der Frankfurter Universität Viadrina die Fächer Physik, Mathematik, Kulturgeschichte und Naturrecht und erteilte nebenbei den Töchtern des Frankfurter Kompaniechefs August Hermann von Zenge Privatunterricht. Die Beziehung zu dessen Tochter Wilhelmine von Zenge führte im Frühjahr 1800 zur Verlobung. Im Sommer desselben Jahres brach Kleist nach nur drei Semestern sein Studium ab und ging auf Reisen. Sie führten ihn 1801 mit seiner Stiefschwester Ulrike über Dresden nach Paris, später ohne sie in die Schweiz. An seinem Plan, am Thuner See als Landwirt das Rousseausche Ideal "Zurück zur Natur" zu verwirklichen, scheiterte 1802 seine Verlobung mit Wilhelmine von Zenge. 1802 ging Kleist nach Weimar und lebte Anfang 1803 bei Christoph Martin Wieland und lernte bei ihm auch Goethe und Schiller kennen. Erst 1804 gelang dem Siebenundzwanzigjährigen der Eintritt in den preußischen Staatsdienst. Im Oktober 1806 erlitt Preußen bei Jena und Auerstedt im Krieg gegen Frankreich eine vernichtende Niederlage. Der als unbesiegbar geltende Hohenzollernstaat wurde vom Siegers, Napoleon I., okkupiert. Frankreichs Kaiser ritt im Triumph durchs Brandenburger Tor und bezog das Berliner Schloss. König Friedrich Wilhelm III. flüchtete mit seiner Familie nach Memel in Ostpreußen, worauf die Berliner spotteten "Unser Dämel ist in Memel".
1809 wurde Heinrich von Kleist in Berlin als vermeintlicher preußischer Spion von den französischen Besatzern festgenommen und erst nach siebenmonatiger Haft entlassen. 1807 bis 1809 weilte der Dichter in Dresden, wo er mit Adam Müller die Zeitschrift "Phöbus" herausgab. 1810 veröffentlichte er die erste Berliner Tageszeitung "Berliner Abendblätter". Kleist unterhielt gute Beziehungen zur Polizei, und so berichtete er als eine Art Polizeireporter über Verbrecher und Verbrechen, die auf großes Interesse stießen. Dennoch war dem erstmals am 1. Oktober 1810 publizierten Journal kein langes Leben beschieden. Bereits im Frühjahr 1811 musste der Verleger Julius Eduard Hitzig das Erscheinen des Journals einstellen, nicht zuletzt weil die Zensurbestimmungen die Berichterstattung erschwerten.
Literarisch mit seinen Dramen und Erzählungen überaus produktiv aber ohne den gewünschten Erfolg, an menschlichen Bindungen zweifelnd und über die politische Lage in seinem von Frankreich abhängigen Heimatland entsetzt, nahm sich Heinrich von Kleist gemeinsam mit der unheilbar kranken Henriette Vogel am Kleinen Wannsee bei Berlin das Leben. "Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein", steht als ein Zitat aus dem "Prinzen von Homburg" auf dem Grabstein in der Nähe. Auf die lange vernachlässigte, erst vor wenigen Jahren wieder hergerichtete Gedenkstätte weisen an der Straße ein Bronzerelief und eine Holztafel hin, diese mit der Aufschrift "Frieden hier suchte des Dichters ruhelose Seele / Schone darum die Natur, die ihn hier liebend umfängt". Eine kleine Steintafel am Grab erinnert auch an Henriette Vogel, Kleists Gefährtin im Leben und im Tode. Außerdem informiert eine Bild-Texttafel über das Leben und Sterben des Dichters.
1977 wurde im Hof des Frankfurter Kleist-Museums eine von Wieland Förster anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters geschaffene Kleist-Skulptur aufgestellt. Die expressive Bildhauerarbeit unterscheidet sich fundamental von der idealen Jünglingsfigur im Gertraudpark. Der nackte Mann hat kein Gesicht, er wächst aus dem Stein heraus, der Nacken des nach oben gerichteten Kopfes wird vom rechten Arm gestützt, die linke Hand ist wie schützend über den Körper gelegt. Die Sandsteinskulptur, mit der Wieland Förster Größe und Tragik Heinrich von Kleists ausdrückte, erhielt 1980 an der Südostecke der Frankfurter Marienkirche einen neuen, besseren Aufstellungsort.
3. Juni 2018
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