Unter Schmerzen gemalt
Im brandenburgischen Schloss Kossenblatt schwang Preußens gichtkranker Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. den Pinsel





Für 125 000 Taler kaufte Friedrich Wilhelm I. Schloss und Gut Kossenblatt. Sein Denkmal steht in Berlin-Mitte unweit der Volksbühne.





Das Monogramm AW am Balkon erinnert an den Preußenprinzen August Wilhelm. Der jüngere Bruder Friedrichs II. und dessen designierter Nachfolger bevorzugte das damals luxuriös ausgestatteten Schloss Oranienburg. Im Giebel weist die Jahreszahl 1712 auf die Erbauungszeit. .



Vierzig Bilder soll Friedrich Wilhelm I. in Schloss Kossenblatt gemalt haben, die meisten kamen wie dieses Selbstporträt in das Jagdschloss Königs Wusterhausen.



Die Grafik aus dem 19. Jahrhundert schildert eine Begegnung des schwerkranken, in einem Rollstuhl gefahrenen Soldatenkönigs mit dem Kronprinzen, der 1740 als Friedrich II. die Nachfolge antrat. Das Verhältnis von Vater und Sohn war zeitweilig spannungsgeladen und von gegenseitiger Abneigung geprägt.





Die Treppe mit reichem Schnitzwerk ist ohne Zweifel der schönste Schmuck des königlichen Jagdschlosses, das die Hohenzollern nach dem Tod des Soldatenkönigs verschmähten

Wenn sich der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er sich um keinen Preis von seinem Ziel abhalten. Im Falle des Barockschlosses und Gutes Kossenblatt bei Beeskow im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree wandte der Herrscher geradezu erpresserische Methoden an, um es seinen Besitzern, der Familie des Feldmarschalls Johann Albrecht hat von Barfus, abzukaufen und seiner Nebenresidenz Königs Wusterhausen zuzuschlagen. Der Reichsgraf nannte eine absichtlich überteuerte Kaufsumme von 180 000 Talern in der Hoffnung, der knausrige Monarch werde von seinem Plan ablassen. Weit gefehlt, denn Friedrich Wilhelm I. ließ den Besitz schätzen und handelte den Preis auf 125 000 Talern herunter. 1736, vier Jahre vor seinem Tod, überwies er die Neuerwerbung seinem Sohn August Wilhelm, der den Besitz allerdings verschmähte und nach Oranienburg ging. Dafür aber zog sich der König nach Kossenblatt zurück, um seiner Jagdlust zu frönen und wenn ihn Gichtanfälle plagten. Um sie zu bestehen, verlegte er sich als Therapie aufs Malen. In der Abgeschiedenheit von Kossenblatt schuf der Monarch über 40 Porträts sowie Kopien nach Bildern aus den königlichen Sammlungen in Berlin und Potsdam. Ein großer Teil dieser "Hüftstücke" kamen lange nach dem Tod des Monarchen ins Schloss Königs Wusterhausen und können dort mit weiteren Erinnerungsstücken an ihn betrachtet werden.

Leben ohne Prunk und Luxus

In seinen "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" hat sich Theodor Fontane recht eingehend auch mit dem Schloss und Gut Kossenblatt beschäftigt. Danach war der König 1735 während der Jagd, von Königs-Wusterhausen kommend, in die Gegend rund um Kossenblatt gekommen und habe das Schloss gesehen. Er habe den Besitzer aufgefordert, die Dreiflügelanlage zu verkaufen. Als das nach einigem Hin und Her gelungen war, ohne dass die Nachkommen und Erben des Grafen befragt wurden, wie Fontane schreibt, ließ der König das Schloss reparieren und mit dem nötigen Mobiliar ausstatten. Dass er sich überhaupt für Schlösser interessierte, war für ihn nicht typisch. Friedrich Wilhelm I. hat nur eines, das kleine Jagdschloss Stern bei Potsdam, für sich bauen lassen und sorgte bei anderen Schlössern wie dem Berliner Stadtschloss, dem Schloss Charlottenburg als Lieblingssitz seiner 1705 verstorbenen Mutter Sophie Charlotte, und Oranienburg lediglich dafür, dass sie unterhalten werden und nicht verfallen. In Kossenblatt ließ der König beiderseits eines Reitstalls zwei Pavillons errichten, schenkte der Kirche eine neue Kanzel und sorgte auch sonst in Kossenblatt für sein Wohlsein. Es ging hier, ungewöhnlich für einen Herrscher der Barockzeit, spartanisch zu, denn der Soldatenkönig war allem Luxus und Prunk abhold. Sein einziges Steckenpferd waren hochgewachsene Soldaten, die Langen Kerls, die er aus allen Teilen Europas mit viel Geld manchmal auch erpresserischen Methoden nach Potsdam in seine Garde steckte. An die ursprünglichen Eigentümer des Schlosses erinnern auch heute das Barfus'sche Wappen über dem Portal, die verschlungenen Initialen AW am Balkon im Ehrenhof weisen auf den Prinzen August Wilhelm hin. Die Jahreszahl 1712 im Giebel nennt den Zeitpunkt der Fertigstellung der Dreiflügelanlage. Friedrich Wilhelm I. hielt sich 1736, 1737 und 1738 stets für mehrere Wochen in Kossenblatt und 1739 noch einmal für zwei Tage auf. Der Schriftsteller Jochen Klepper hat 1938 in dem Buch "In tormentis pinxit. Briefe und Bilder des Soldatenkönigs" dem Soldatenkönig ein Denkmal gesetzt, sein Roman "Der Vater" aus dem Jahr 1937 wird bis heute gedruckt und gelesen. Weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht trennen wollte, nahmen sich der bekannte Autor mit dieser und der Tochter in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 das Leben. Die letzte Eintragung in seinem Tagebuch lautet: "Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun - ach, auch das steht bei Gott - Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben."

Zu lange Flügel, zu schmaler Hof

Seinen Mühen als Hobbymaler stand Friedrich Wilhelm I. durchaus selbstkritisch-humorvoll gegenüber. Einer adligen Dame übersandte er eines seiner stets mit weißer Schrift signierten Bilder mit den Worten: "Hier hat sich auch ein gewisser Kleck Mahler gefunden, von dessen Arbeit ich Euer Liebden eine Probe schicke." Überliefert ist, dass der König Helfer hatte, und zwar solche, die ihm die Farben anrührten, und solche, die ihm ein wenig zur Hand gingen. So zeichneten Künstler Umrisse, die Friedrich Wilhelm I. kolorierte. Dem hochtalentierten Hofmaler Antoine Pesne wurde nachgesagt, diesem in kurzer Zeit zu Fortschritten verholfen zu haben. Lange Kerls aus seiner Riesengarde malte der Monarch "sehr ähnlich" nach dem Gedächtnis, hat ein Zeitgenosse beobachtet, und gelegentlich hat er sich malend über Untergebene lustig gemacht, etwa als er den zum Hofnarren herabgewürdigten Akademiepräsidenten Jacob von Gundling mit "Ohren eines vierfüßigen Tieres" schmückte, wobei ein Hase als Symbol für sprichwörtliche Angst und Hasenfüßigkeit gemeint war.

Auf Fontane wirkte das Schloss nicht gerade einladend, und diesen Eindruck macht es auch heute. "Es wirkt im Näherkommen nicht ungünstig und erst die Rückseite des Baues zeigt uns seine Schwächen: zu lange Flügel und einen zu schmalen Schlosshof. Eben diese Rückseite hat auch den Blick auf die Spree und eine kümmerliche dahintergelegene Bauanlage, die den Namen ,Lustgarten' führt. In diesem wurde der König in seinem Rollstuhl auf und ab gefahren und die zugeschrägte Doppelrampe, die sich bis diesen Tag in Hufeisenform an den Schlossflügel legt, zeigt am deutlichsten, mit welcher Sorglichkeit all und jedes eingerichtet war, um die schlechte Laune des von Gicht und Wassersucht geplagten Königs nicht noch schlechter zu machen."

Zu Fontanes Zeiten erinnerte noch einiges an den malfreudigen Hausherren. Der Romancier sah einen Eichentisch und schwere Stühle und befand, sich an die Ausstattung anderer märkischer Schlösser, "alles solid und primitiv". Inschriften an grau gestrichenen Türen bezeichneten "in Analogie zu Kasernenstuben" die königlichen Wohnräume und die von Familienangehörigen und Bediensteten. Der Besucher registrierte blau bemalte Wandfliesen aus Holland, verblichene Herrscherbilder, hohe Fenster und hohe Kamine. Mit Widerwillen bemerkte der Romancier überall tote Vögel die durch die Schlote gefallen waren. Weil sie nicht mehr ins Freie fanden, waren sie in den Zimmern verendet. Das alles deutete zu Fontanes Zeiten, dass Kossenblatt ein Geisterschloss war, unbehaust, ungepflegt und ungemütlich. Beim Eintritt in das Schloss habe sich dem Besucher der Eindruck des Stattlichen, aber zugleich der höchsten Trübseligkeit geboten, so Fontanes Urteil. "Es ist ein imposantes Nichts, eine würdevolle Leere, - die Dimensionen eines Schlosses und die Nüchternheit einer Kaserne."

Hohenzollern hatten kein Interesse

Nach dem Tod von Friedrich Wilhelm I. am 31. Mai 1740 war das Schloss Witwensitz einer preußischen Prinzessin und ging danach in den Besitz adliger und bürgerlicher Privatpersonen. König Friedrich II., den man später den Großen nannte, hatte kein Interesse an dem düsteren Kasten in der Provinz. Er schuf in Potsdam sein Garten- und Schlösserparadies mit dem Weinbergschloss Sanssouci und dem Neuen Palais als Mittel- und Höhepunkte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die letzten Besitzer von Schloss Kossenblatt im Rahmen der Bodenreform enteignet. Die ehemalige Nebenresidenz des Soldatenkönigs wurde als Unterkunft von Umsiedlern sowie Kindergarten und Reparaturstützpunkt einer Maschinen-Ausleihstation (MAS) genutzt. Zum Glück konnte verhindert werden, dass das reparaturbedürftige Gebäude gesprengt und als Steinbruch verwendet wurde und damit das Schicksal anderer Landschlösser und Gutshäuser erleidet, auf die die damals in der Sowjetischen Besatzungszone und ab 1949 der DDR aus ideologischen Gründen glaubten verzichten zu können. 1956 unter Denkmalschutz gestellt, hat man das Schloss in den 1960er Jahren instandgesetzt, um hier die Zentralstelle für Reprographie der DDR der Staatlichen Archivverwaltung einzurichten. Das 1991 gegründete Mikrofilm-Center Kossenblatt knüpfte an die Aufgaben dieses streng im Geheimen arbeitenden Betriebs an und versorgte in den folgenden Jahren Archive, Bibliotheken, Kirchgemeinden, Behörden und Privatpersonen mit Ablichtungen sowie Mikrofiches von historischen Dokumenten und Bildern.

Geschnitzte Eichentreppe aus der Barockzeit

Die Nutzung als Verfilmungsstelle erklärt den vergleichsweise guten Zustand des Schlosses. Dächer, Fenster und Türen wurden abgedichtet, Mauern stabilisiert, Zwischendecken eingezogen, ein neuer Außenputz aufgetragen. Die unansehnlich graue Farbe wird als authentisch bezeichnet. Der Pachtvertrag für das privatwirtschaftlich betriebene Dokumentationszentrum lief bis in das Jahr 2005. Am 23. Juni 2009 beschloss die Gemeinde Tauche, zu der der Ortsteil Kossenblatt gehört, das Schloss mit Nebengebäuden und einer Grundstücksfläche von insgesamt fast 28 000 Quadratmetern zu verkaufen, und so befindet es sich bis heute im Privatbesitz.

Kostbarstes Ausstattungsstück aus der Barockzeit ist ohne Zweifel die mit reichen Schnitzereien geschmückte Eichenholztreppe. Mit ihrem aus Fahnen, Waffen und Köpfen besiegter Feinde bestehenden Bildschmuck ist sie der Rest einer ehemals stattlichen Ausstattung, von der Theodor Fontane nur noch einen Abglanz sah. Über die Treppe äußerte er sich nicht, wohl aber über den Bilderschatz im Schloss, und das hatte Folgen. Am Berliner Hof hatte man längst vergessen, dass in Kossenblatt noch eigenhändige Gemälde Friedrich Wilhelms I. hängen. Offenbar wurde man erst durch Fontane aufmerksam, der seine Beobachtungen als Vorabdruck der "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" veröffentlichte. König und ab 1871 Kaiser Wilhelm I. ließ die Bilder seines Ahnen und weitere Werke alter Meister nach Königs Wusterhausen schaffen, das gerade als Jagdschloss revitalisiert und neue, späte Glanzzeiten erlebte.

22. Juli 2018

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