Um Kopf und Kragen
Warum der fahnenflüchtige Kronprinz Friedrich 1730 am Leben blieb und zur Bewährung in die brandenburgische Provinz geschickt wurde









Wenn sich der Soldatenkönig nahte, wurde sein gerade beim Flötenunterricht befindlicher Sohn von einem Diener gewarnt, und wenn es sein musste, hat der Kronprinz seine französischen Kleider und Bücher verbrannt, um dem Vater keine Handhabe zu geben, gegen ihn einzuschreiten. So schildern es Bilder, die Adolph Menzel für das Buch von Franz Kugler "Geschichte Friedrichs des Großen" von 1840 geschaffen hat. Im driten Bild wird gezeigt, wie die dilettantisch vorbereitete von Friedrich und Katte vereitelt wird.





Um die Vorgänge im Köpenicker Kriegsgericht und die Hinrichtung von Hans Hermann Katte in Küstrin ranken sich viele Legenden, so auch um die Szene, bei der die zu Militärrichtern gemachten Offiziere dem Soldatenkönig bedeuten, dass sie über das Schicksal des fahnenflüchtigen Kronprinzen nicht urteilen können, weil das eine Angelegenheit innerhalb der hohenzollernschen Familie sei. Der aufs Höchste erboste Monarch ließ im Falle seines Sohns Gnade vor Recht walten, ließ aber in Küstrin das Todesurteil an Katte volstrecken. Sein Freund Friedrich musste zusehen, so schildert es die kolorierte Grafik aus dem 18. Jahrhundert.



Auf zwei Etagen im Schloss Köpenick wurden 2012 die Ursachen, der Verlauf und die Ergebnisses des spektakulären Kriegsgerichtsverfahrens von 1730 dokumentiert. An einem solchen Tisch im Wappensaal tagten die Richter, die ihrem königlichen Oberbefehlshaber hinsichtlich der Verurteilung seines Sohns tapfer widerstanden.



Die Grafik aus dem 19. Jahrhundert idealisiert eine Begegnung zwischen dem Soldatenkönig und seinem Sohn Friedrich, der 1740 als Friedrich II. den preußischen Thron bestieg.



Im Rheinsberger Schloss hielt Kronprinz Friedrich fröhlichen Hof. Bald nach seiner Thronbesteigung 1740 überließ er den Besitz am Grienericksee seinem Bruder Heinrich, der ihn als Musenhof erweiterte und hier 1802 hochbetagt starb. (Fotos/Repros: Caspar)

Preußens König Friedrich II., der Große, hatte eine wenig schöne Jugend. Sein Vater Friedrich Wilhelm I., war ein frommer Mann, für den das Glück seiner Untertanen nach eigenem Bekunden oberstes Gebot war. Gespart wurde unter der Herrschaft des Soldatenkönigs überall, nur nicht beim Militär und der Beschaffung der "Langen Kerls", die oft mit kriminellen Methoden ins Land des schwarzen Adlers verschleppt wurden. Für seine Potsdamer Riesengarde war dem sonst knauserigen Herrscher nichts zuviel. Seine Zweimetersoldaten ließ er sich viele tausend Taler kosten. Kronprinz Friedrich, der nur widerwillig Offiziersuniform trug und lieber auf der Flöte blies und französische Bücher las, fand die Marotte seines Vaters nicht lustig. Nach seiner Thronbesteigung im Jahr 1740 als Friedrich II. gliederte er die Garde in die reguläre Armee ein. Viele von den "blauen Kindern" seines Vaters starben in den Schlesischen Kriegen.

Preußen verdankte die relativ ruhige Zeit unter Friedrich Wilhelm I. von 1713 bis 1740 einer gewissen Friedfertigkeit seines Monarchen, der von sich wenig Staat machte und eine relativ bescheidene Hofhaltung führte. Niemand war aber vor den Zornesausbrüchen des Herrschers sicher, nicht einmal die eigene Familie. Menschliche Nähe, gar den sensiblen Kronprinzen Friedrich in den Arm nehmen, ihn die Flöte spielen und französische Bücher lesen zu lassen, kam für ihn nicht infrage. "Mein Vater hielt mich zunächst für eine menschliche Knetmasse, aus der man formen könnte, was einem beliebte. Aber wie sehr täuschte er sich darin! [...] Er wollte durchaus nicht, dass ich lese, und ich habe viel mehr gelesen als alle Benediktiner zusammen. Er wünschte nicht, dass ich tanzte, und ich habe es dennoch getan, ja ich habe den Tanz sogar geliebt. [...] Mein Vater wollte, dass ich sollte Soldat werden, aber er hat es sich nicht träumen lassen, dass ich es eines Tages in dem Maße sein würde wie jetzt", beschrieb später Friedrich II. die brachialen, damals aber üblichen Erziehungsmaßnahmen seines despotischen Vaters.

Kriegsgericht im Schloss Köpenick

Zwar förderte die Mutter Sophie Dorothea die musischen und intellektuellen Neigungen ihres Sohns, die er nur im Verborgenen ausleben konnte, stets auf der Hut vor dem Vater, der das für Firlefanz und Geldverschwendung hielt. Dass der Kronprinz auf vergleichsweise großem Fuß lebte und riesige Schulden anhäufte, war für den sparsamen Soldatenkönig ein großes Ärgernis, mehr aber noch dessen Widerstand gegen die väterlichen Befehle. Um aus dem goldenen Käfig auszubrechen und sich der Bevormundung und Drangsalierung durch den Vater zu entziehen, unternahm der erst 18 Jahre alte Kronprinz im Sommer 1730 mit seinem Freund, dem Leutnant Hans Hermann von Katte, während einer Reise in die Provinz einen Fluchtversuch, der ihn nach England führen sollte. Schlecht vorbereitet, scheiterte dieser Ausbruch, den Friedrich Wilhelm I. sogleich als Verrat und als Majestätsverbrechen wertete.

Außer sich vor Wut und Enttäuschung, berief er ein Kriegsgericht ins Schloss Köpenick bei Berlin und forderte von ihm härteste Bestrafung für den Prinzen und seinen Freund. Die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz aufbewahrten Gerichtsakten und Briefe zu diesem in der preußischen Geschichte einmaligen Verfahren zeigen, dass Kronprinz Friedrich nicht nur ein sensibler Musensohn war, sondern auch ein selbstbewusster junger Mann, der seine Interessen eiskalt durchzusetzen suchte und der jeden Rock ergriff, der in seiner Nähe flatterte, wie Archivdirektor Jürgen Kloosterhuis anhand des Aktenstudiums für eine Ausstellung im heute als Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2012 anlässlich des 200. Geburtstag Friedrichs des Großen nachweisen konnte. Der König habe allen Grund gehabt, hart gegen die "Komplotteure" vorzugehen, denn es rumorte nicht nur in der eigenen Familie, sondern auch im Reich der Hohenzollern, und es bildete sich eine Fronde gegen den autoritär regierenden Landesherrn. "Das Kriegsgericht, welches jetzt zusammentritt, wird mich für einen Ketzer erklären: wenn man nicht in allen Punkten der Meinung des Herren [Friedrich Wilhelm I., H. C.] ist, so ist man eben ein Erzketzer. Sie können sich die niedliche Behandlung, die mir bevorsteht, leicht denken. Ich selber kümmere mich herzlich wenig um die Flüche, die gegen mich geschleudert werden sollen, wenn ich nur weiß, dass meine liebenswürdige Schwester auf meiner Seite steht", schrieb der in Lebensgefahr schwebende Kronprinz am 1. November 1730 an Prinzessin Wilhelmine, die spätere Markgräfin von Bayreuth.

Fakten gegen bunte Ausmalung

Die Ausstellung "Anno 1730. Kronprinz - Katte- Kriegsgericht" schilderte, wie es zur Flucht kam und warum der erboste König in Küstrin das Todesurteil an Katte, nicht aber an seinem Sohn vollziehen ließ. Gezeigt wurden die im Geheimen Staatsarchiv Berlin-Dahlem befindlichen Akten, aber auch historische Porträts der an dem Fluchtversuch und dem Kriegsgerichtsverfahren beteiligten Personen sowie Beweisstücke wie das Schwert, durch das Hans Hermann von Katte hingerichtet wurde. Die Dokumentation ging auf die Nachwirkungen des Prozesses im 19. und 20. Jahrhunderts ein und schilderte, was von den vielen Anekdoten und den Historienbildern aus dieser Zeit zu halten ist. "Die Dokumente geben solchen Ausmalungen ein deutliches Stopp, und es zeigt sich einmal mehr wie wichtig es ist, in die historischen Quellen zu schauen, um die Wahrheit zu ergründen", sagte der Archivdirektor, der mit seinem Kollegen Lothar Lambacher vom Berliner Kunstgewerbemuseum die Ausstellung wissenschaftlich vorbereitet hatte.

Die Prozessakten und zahlreiche Briefe, die Vater und Sohn wechselten, sowie weitere Dokumente unterstreichen, dass der König in dem Fluchtversuch einen Angriff auf sich selbst und seine Autorität als Landesherr sah. In seiner ersten Wut mag Friedrich Wilhelm I. daran gedacht haben, Friedrich wie jeden anderen Fahnenflüchtigen hinrichten zu lassen. Dann aber dachte er darüber nach, ihn von der Erbfolge auszuschließen und seinen jüngeren Bruder August Wilhelm zum Thronfolger zu machen. Am Ende akzeptierte der Soldatenkönig die tapfere Auffassung des Kriegsgerichts, dass es zur Verurteilung des Kronprinzen nicht befugt sei, weil es sich um eine hohenzollernsche Familienangelegenheit handle.

Schwert statt Galgen

Was die vom Gericht geforderte lebenslange Kerkerhaft für Katte betraf, ging Friedrich Wilhelm I. weiter, als er Kraft seines königlichen Amtes den Richterspruch verschärfte und aus Gründen der Staatsräson seinen Tod verlangte. Der Leutnant habe es verdient, "mit glühenden Zangen gerissen und aufgehänget zu werden. Er dennoch nur in Consideration seiner Familie mit dem Schwerdt vom Leben zum Tode befördert werden soll. Wann das Kriegsgericht den Katten die Sentenz publicirt, soll Ihm gesagt werden, dass Sr. Königl. Majt. es leydt thäte, es wäre aber besser, dass er stürbe, als dass die Justiz aus der Welt käme". So geschah es denn auch. Als Kattes Kopf in den Sand fiel, soll sein zum Zuschauen gezwungener Freund ohnmächtig geworden sein. Nach seiner Thronbesteigung verschaffte Friedrich II. der Katteschen Familie so etwas wie Genugtuung, indem er Hans Hermanns Vater zum Generalfeldmarschall ernannte und in den Grafenstand erhob.

"Ich erkenne mit aller Submission die Gnade, so Sie mir erwiesen, und mir öfters erlauben, an Sie zu schreiben und meinen untertänigsten Respect und Treue zu versichern, und versichere hierbei alleruntertänigst, dass Sie aus meiner ganzen Conduite ersehen werden, dass ich aus Submission und Gehorsam Alles tun werde, Dero Befehl Genüge zu tun. […] Ich erkenne die Gnade, die mir mein Allergnädigster Vater gethan, mir wieder zum Offizier zu machen, wie ich soll und muss. Finden Sie eine falsche Ader in mir, die Ihnen nicht gänzlich ergeben, so thun Sie mir in der Welt, was Sie wollen", schrieb der Kronprinz am 28. November 1730 und am 8. Dezember 1731. In Rheinsberg schuf er sich einen kleinen Musenhof, an der er relativ unabhängig von seinem misstrauischen Vater war. Das Geld für das nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff erbaute Rheinsberger Schloss und die Hofhaltung stammte vom Vater und aus Friedrichs Einkünften als Regimentskommandeur, doch musste es sich welches auch bei Freunden borgen. Nach seiner Thronbesteigung zeigte sich der nunmehrige Friedrich II. diesen als erkenntlich. Im Übrigen ließ er in seinen Erinnerungen auf seinen Vater nichts kommen.

Der Soldatenkönig erbarmte sich seines mit bewegten Worten um Gnade und väterliche Liebe bittenden Sohnes und schickte ihn zur "Bewährung" in die Provinz nach Küstrin, Neuruppin und Rheinsberg. Dort diente Friedrich als Verwaltungsbeamter und Offizier, und das hat ihm, wie er später bekannte, durchaus genutzt. Bald schon kam es zur Aussöhnung zwischen Vater und Sohn. Dazu trugen die in einem zerknirschten Ton abgefassten Briefe des Kronprinzen an den König, von denen einige in der Ausstellung ausgelegt sind. "Ich erkenne mit aller Submission die Gnade, so Sie mir erwiesen, und mir öfters erlauben, an Sie zu schreiben und meinen untertänigsten Respect und Treue zu versichern, und versichere hierbei alleruntertänigst, dass Sie aus meiner ganzen Conduite ersehen werden, dass ich aus Submission und Gehorsam Alles tun werde, Dero Befehl Genüge zu tun", heißt es in einem Brief an den Vater. Dieser schluckte nicht zuletzt wegen der so wichtigen Thronfolgeregelung seinen Groll herunter und bestimmte: "Französische Bücher, auch deutsche weltliche Bücher und Musik bleiben scharf verboten, wie es jemals gewesen."

Für die Aufnahme seines Sohnes "in Gnaden" mag wichtig gewesen sein, dass der russische Zar Peter der Große seinen eigenen angeblich wegen Verschwörung gegen seinen Vater angeklagten Sohn Alexej hat umbringen lassen, was in Europa großes Aufsehen erregte und dem despotisch regierenden Herrscher viel Sympathie gekostet hat. Selbstverständlich nutzte der Kronprinz außerhalb von Berlin und Potsdam alle Möglichkeiten, die Verbote seines Vaters zu umgehen, und solange die Form gewahrt wurde, hat diese seinem Sohn das Leben nicht weiter schwer gemacht. Er ließ ihn aber scharf beobachten und ermahnte ihn immer wieder zu Fleiß und Mäßigung, Gottesfürchtigkeit und Sparsamkeit.

10. September 2018

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