"Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm"
Die berühmte Flaniermeile im Berliner Westen erhielt erst in der Gründerzeit nach 1871 ihre repräsentative Gestalt



Die Berlin-Karte aus der Zeit um 1900 zeigt den Verlauf des Kurfürstendamms von unten links nach oben rechts bis zum Zoologischen Garten.



Der Kurfürstendamm hat an vielen Stellen seine Prachtbauten doch nicht seinen Charme eingebüßt. Auf der alten Postkarte geht der Blick hinüber zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.





Historisches und Modernes stehen zu beiden Seiten des Kurfürstendamms einträchtig nebeneinander. Das preußische Wappen über einem Hauseingang erinnert an Königstreue der Bewohner und an glanzvolle Zeiten.



Kurfürst Friedrich II., auf der Zeichnung um 1900 rechts hoch zu Ross, bekam den Beinamen Eisenzahn. Er legte 1443 den Grundstein für das Schloss in Cölln an der Spree und zog den Zorn der Berliner auf sich, der 1444 sich im Berliner Unwillen entlud.



Das von Peter und Hans Vischer geschaffene Grabmal des Kurfürsten Johann Cicero steht im Berliner Dom, im Hintergrund steht das Grabmal des Kaisers Friedrich III. aus Marmor, ein Werk von Reinhold Begas.



Ein schönes Schaustück aus edler Bronze ist der 1987 aufgestellte Obelisk auf dem Henriettenplatz im Ortsteil Halensee, von dem aus es zum Kurfürstendamm geht. (Fotos/Repro: Caspar)

Angelegt in nachmittelalterlicher Zeit als einfacher Weg zwischen Berlin-Cölln, dem Tiergarten und dem Jagdschloss Grunewald, entwickelte sich der Kurfürstendamm oder, wie die Berliner sagen, der Kudamm im 19. Jahrhundert zu einer exzellenten Wohn- und Geschäftsadresse. Die repräsentative Bebauung der berühmten Bummel- und Flaniermeile stammt aus der Gründerzeit nach 1871, als der Berliner Westen zum bevorzugten Wohn- und Einkaufsgebiet besser verdienender, ja reicher Bürger wurde, kenntlich an üppig dekorierten Hausfassaden, kostbar ausgestatteten Eingängen und riesigen Wohnungen mit Hinteraufgängen für Dienstboten und Lieferanten. Zuvor war der Churfürsten-Damm, so der Straßenname im frühen 19. Jahrhundert, sandig und ohne bedeutende Randbebauung. Berühmt wurde die Straße durch das von Hildegard Knef gesungene Lied "Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm, ich hab so Sehnsucht nach meinem Berlin" und die beiden Klatschtanten vom Kabarett "Die Insulaner", die sich im RIAS zur allgemeinen Gaudi "mitten auf dem Kurfürstendamm" trafen, um über Politiker, Stars und Sternchen herzuziehen. In dem Lied besang die Knef, was Berlin von anderen Städten unterscheidet mit diesen Worten: "Und seh ich auch in Frankfurt, München, Hamburg oder Wien / Die Leute sich bemühn, Berlin bleibt doch Berlin [...]. Hätt ich auch wo 'ne Wohnung, und wär sie noch so neu, / Ich bleib Berlin, meiner alten Liebe treu".

Was hier gelobt wurde, war nur noch ein Abglanz dessen, was Kurfürstendamm einmal war - edle Wohnadresse und teure Einkaufsmeile, besetzt durch Theater und Cafés, Kabaretts und Kinos, Hotels und Amüsieretablissements für zahlungskräftige Besucher. Nach dem Zweiten Weltkrieg büßte die elegante Flaniermeile an Glanz und Attraktion ein, war aber im "alten" Westberlin eine angesagte Adresse, weil es nichts anderes gab. Das änderte sich nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung, als Besucher aus aller Herren Länder den langsam aufblühenden, zudem mit wichtigen historischen Bauten besetzten Ostteil der Stadt entdeckten und eroberten. Viele zieht es sie heute mehr in den Prenzlauer Berg und in den Friedrichshain, ins Nikolaiviertel und ins Scheunenviertel sowie in andere "In"-Viertel als zum Kurfürstendamm. Dessen Anrainer versuchen mit allen Mitteln und Erfolg, das Image der Straße aufzupolieren und bemühen dazu auch jenes aus der Nachkriegszeit stammende Lied der Hildegard Knef. Dem steht entgegen, dass der Bahnhof Zoologischer Garten vor ein paar Jahren seinen Status als wichtiger Fernbahnhof eingebüßt hat und ihn erst jetzt langsam zurück erobert. Seit einigen Jahren bestimmen und bereichern einige Wolkenkratzer die Skyline des Kudamm und des Berliner Westen. Sie sind teure Adressen, Leute, die auf der Schattenseite leben, sieht man höchstens davor mit Hut und offenen Händen um ein paar Cent und Euro bettelnd.

Exklusiver Wahlmännerklub

Fragt man Flaneure auf dem Kurfürstendamm und nicht nur dort, was denn Kurfürsten seien, so fallen die Antworten nicht selten dürftig aus. Sieben deutsche Reichsfürsten, und zwar vier geistliche und drei weltliche, erhielten vor über 650 Jahren das Recht, den römisch-deutschen Kaiser zu küren, also zu wählen. Der Markgraf von Brandenburg, seines Zeichens Erzkämmerer und Kurfürst des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, gehörte zu diesem exklusiven Wahlmännerklub. Als die brandenburgischen Kurfürsten den preußischen Königstitel trugen, wählten sie weiterhin den römisch-deutschen Kaiser. Erst als Franz II. 1806 die Reichskrone niederlegte und sich als Kaiser von Österreich Franz I. nannte, erlosch auch das kurfürstliche Amt.

Auf den Kurfürstendamm laufen nach brandenburgischen Herrschern benannte Straßen zu, von denen wir einige erwähnen wollen. Um die Kurfürsten unterscheiden, aber auch ein wenig charakterisieren zu können, erhielten sie zum Teil recht merkwürdige Beinamen. So nannte man den zweiten Vertreter des Hauses Hohenzollern auf dem brandenburgischen Thron, Kurfürst Friedrich II., den Eisernen oder Eisenzahn. Nach ihm ist seit 1892 die Eisenzahnstraße benannt, die direkt auf den Kurfürstendamm führt. Seinen Beinamen erhielt Friedrich II. Eisenzahn, der Kurbrandenburg von 1440 bis 1470 regierte, aufgrund seiner harten, man möchte sagen eisernen Politik gegenüber dem aufsässigen Adel in der Provinz sowie der Berliner Bürgerschaft. Kurfürst Eisenzahn, wie man ihn kurz nannte, wollte partout in seiner Hauptstadt Berlin-Cölln ein Schloss, besser gesagt eine Zwingburg, quasi als Keil zwischen beiden Teilstädten errichten. Sie sollte landesherrliche Macht demonstrieren und den Bürgern zeigen, wer in Kurbrandenburg und in Berlin das Sagen hat. Dagegen regte sich 1448 im Berliner Unwillen Widerstand, der mit Waffengewalt niedergeschlagen wurde. Die Berliner wurden zu Gehorsam gebracht, und bis zur Revolution von 1848, die zufällig genau 400 Jahre später ausbrach, hat keiner mehr gewagt, seine Hand gegen die mächtigen Hohenzollern zu erheben.

Der Kurfürst suchte indes den Ausgleich mit den Berlinern, die sich gegen ihn erhoben hatten und sich langsam damit abfanden, gegen das ihnen vor die Nase gesetzte Schloss nicht angehen zu können. Alt, krank und wohl auch depressiv geworden, legte Eisenzahn 1470 das Zepter aus der Hand und dankte ab, um sich mit einer stattlichen Rente auf die fränkische Plassenburg zurückzuziehen, wo er schon ein Jahr später starb. Die Regierungsgewalt übernahm sein Bruder Albrecht genannt Achilles. Die nach ihm benannte Albrecht-Achilles-Straße in Wilmersdorf erinnern an den dritten Kurfürsten aus dem Haus Hohenzollern. Albrecht III. Achilles regierte das Land von 1470 bis 1486 und ist nach einem Helden der griechischen Sage benannt.

Märkische Streusandbüchse

Der Kurfürst verdankt den Beinamen seiner glänzenden Erscheinung und seiner Erfolge als Militärbefehlshaber und ritterlicher Streiter, wohl aber auch seiner Redegewandtheit, Schlagfertigkeit und politischen Weitsicht. Er war einer der sieben bedeutendsten Fürsten im römisch-deutschen Reich, zumindest was seine Funktion bei der Wahl eines neuen Reichsoberhaupts betraf. Ansonsten herrschte er über ein Land, das man als "märkische Streusandbüchse" verspottete, denn hier gab es nur kleine Städte, eine geringe Landwirtschaft, keine Bodenschätze, dafür aber viel Sand und Sümpfe. Historische Bedeutung erhielt die 1473 von Albrecht Achilles erlassene "Dispositio Achillea", ein Dokument, das die Erbfolge in der Hohenzollerndynastie regelte. Es bestimmte, dass das Land beim Tod des jeweiligen Markgrafen und Kurfürsten unter dessen Söhnen nicht aufgeteilt, verkauft oder verpfändet werden darf. Kurbrandenburg sollte stets an den Erstgeborenen im Hause Hohenzollern fallen. In den folgenden Jahrhunderten wurde Versuche, das Land unter nachgeborenen Prinzen aufzuteilen, mit Hinweis auf dieses Hausgesetz erfolgreich abgewehrt.

Albrecht Achilles, der sich wenig in Kurbrandenburg und in Berlin aufhielt, sondern wie die Vorgänger seine Zeit mehr in der fränkischen Heimat der Hohenzollern verbrachte, regierte Brandenburg mit Hilfe von Statthaltern und schaffte es, die verworrenen Verhältnisse dort in Ordnung zu bringen. Er war ein typischer Renaissance-Herrscher - vielseitig gebildet, prachtliebend und in der Wahl seiner Mittel ohne Skrupel. Mit List und Gewalt verstand er es, seine Stimme in der deutschen Reichsfürstenriege zur Gehör zu bringen.

Mit seinem Sohn Johann Cicero lag Albrecht Achilles im Streit. Er warf seinem Statthalter in Brandenburg Verschwendungssucht vor und forderte ihn auf, er möge Mehrer und nicht Minderer des Reiches sein. Wie die Albrecht-Achilles-Straße, so erinnert auch die Johann-Cicero-Straße an einen brandenburgischen Kurfürsten der frühen Neuzeit. Der Name des berühmten römischen Staatsmanns, Redners und Schriftstellers wurde dem Kurfürsten Johann angehängt, der Brandenburg von 1486 bis 1499 regierte. Dieser Johann Cicero wird von den Historikern als ein Mann geschildert, dessen ganzes Trachten auf die innere Festigung seines von Rebellionen erschütterten Landes gerichtet war. Zwar gelang es ihm, die Unabhängigkeit vieler Bauern zu brechen und eine Biersteuer durchzusetzen. Die von ihm seit 1493 vorbereitete Gründung der Universität in Frankfurt an der Oder aber konnte er nicht vollenden. Erst unter seinem Sohn Joachim I. Nestor, nach dem die Nestorstraße benannt ist, gelang das ehrgeizige Vorhaben. Die 1506 gegründete Oder-Universität wurde erst 1810 im Zusammenhang mit der Schaffung der beiden neuen preußischen Universitäten in Berlin und Breslau aufgelöst und erst 1992 unter dem alten lateinischen Namen Alma mater Viadrina (etwa: Oder-Universität) zu neuem Leben erweckt.

Berühmtes Grabmal im Dom am Lustgarten

Johann Cicero, dessen Straße vom Hohenzollerndamm zum Lehniner Platz führt, wird als Friedensfürst geschildert, als ein Monarch, dem an äußerem Glanz wenig gelegen war. Da er von großer Statur war, nannten ihn Zeitgenossen auch Johannes Magnus, Johann den Großen. Doch suggeriert dieser Ehrentitel, dass es sich um eine bedeutende, weit in die eigene und in spätere Zeiten strahlende Persönlichkeit war. Der auf den römischen Redner Cicero bezogene Beiname entstammt einem gelehrten Irrtum, dem Philipp Melanchthon, einem der engsten Vertrauten des Reformators Martin Luther, unterlief. Dass Johann Cicero, der sich im Unterschied zu seinen Vorgängern oft und gern in Kurbrandenburg aufhielt, ein großer Redner war, wird von Historikern angezweifelt. Nach seinem Tod anno 1499 mit erst 43 Jahren, wurde der Kurfürst im Kloster Lehnin bestattet. Sein von dem berühmten Nürnberger Bildgießer Peter Vischer geschaffenes Grabmal gehört zu den kostbarsten Bildwerken des Doms am Berliner Lustgarten. Auf der bronzenen Deckplatte ist der Herrscher in seiner Amtstracht und dem aus Hermelinfell bestehenden Kurfürstenhut dargestellt. Dass er Kämmerer des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation war, deutet das Zepter in seiner rechten Hand an.

Die Joachim-Friedrich-Straße verbindet die Westfälische Straße und die Gervinusstraße, wobei sie den Kurfürstendamm überquert. Ihr Name weist auf einen brandenburgischen Kurfürsten, der 1607 das berühmte Joachimsthalsche Gymnasium im uckermärkischen Joachimsthal gestiftet hat. Der wegen seines friedfertigen Charakters, Klugheit und Weitsicht gerühmte Joachim Friedrich regierte Kurbrandenburg von 1598 bis 1608. Gleich nach seiner Thronbesteigung setzte er eine Bestimmung im Testament seines Vaters Johann Georg außer Kraft, wonach das Land unter den Söhnen aufgeteilt werden soll. Solche Landesteilungen waren nach der "Goldenen Bulle", dem berühmten Reichsgesetz Kaiser Karls IV. von 1365, für alle weltlichen Kurfürsten nicht erlaubt, weil dies deren Macht und Stellung als kaiserliche Wahlmänner geschwächt hätte. Joachim Friedrich konnte sich in seiner ablehnenden Haltung auf die brandenburgischen Stände stützen, die die Einheit des Staates unterstützten und allen Partikularinteressen eine Absage erteilten. Die Brüder des Kurfürsten gingen nicht leer aus und wurden mit den fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth abgefunden.

Joachim Friedrichs Initiative ist es zu verdanken, dass eine Art Regierung, der so genannte Geheime Rat, als wichtige Vorstufe moderner Staatsverwaltung gebildet wurde. Allerdings prallten in dem Gremium die Interessen hart aufeinander, was seine praktische Arbeit behinderte. Und außerdem waren die Räte nicht immer da, wenn sie gebraucht wurden. Dies gab dem Kanzler als Vorsitzenden des Geheimen Rats die Gelegenheit, mit dem Kurfürsten ohne Einengung und Kontrolle die Regierungsgeschäfte zu erledigen. Ganz unvermutet erkrankte der Namensgeber der Joachim-Friedrich-Straße am 28. Juli 1608 während einer Besichtigungstour, die ihn zu Kanalarbeiten in der Gegend um das heutige Finowfurt führte. Er starb auf dem Weg nach Berlin und wurde feierlich im Dom seiner Haupt- und Residenzstadt bestattet.

Hommage an fromme Landesmutter

Der Henriettenplatz im Ortsteil Halensee ist eine Hommage an eine fromme Landesmutter, die sich um die Kultivierung ihrer neuen Heimat sorgte und aus Oranienburg eine Art "Holland im Kleinen" machte. Der Henriettenplatz, stadtauswärts an der Spitze des Kurfürstendamms gelegen, erhielt 1892 seinen an die brandenburgische Kurfürstin Luise Henriette von Brandenburg erinnernden Namen. 1627 als Prinzessin von Oranien geboren, heiratete sie 1646 den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Dieser schenkte ihr bald darauf die Herrschaft Bötzow nördlich von Berlin, die 1650 in Oranienburg umbenannt wurde und ein prächtiges, heute als Museum genutztes Schloss erhielt. Das davor stehende Denkmal aus dem Jahr 1850 trägt die Inschrift "Der hohen Wiederbegründerin dieser Stadt: LUISE HENRIETTE Churfürstin von Brandenburg geb. Prinzessin v. Oranien zum dauernden Gedächtnis die dankbare Bürgerschaft Oranienburgs 1858."

Unter Luise Henriettes Einfluss siedelte der Kurfürst nach dem Dreißigjährigen Krieg auf dem platten Land zahlreiche niederländische Bauern und Handwerker an und stattete sie mit vielfältigen Privilegien aus. Gutsbesitzer wurden ermuntert, den Neuankömmlingen attraktive Entwicklungsmöglichkeiten zu geben und ihnen Land zu übereignen. Niederländische Kanalbauer legten Feuchtgebiete trocken, und noch heute kann man in der Nähe von Oranienburg schnurgerade Wasserstraßen aus jener Zeit bestaunen. Das von einem Graben umgebene Schloss, der erste Prunkbau dieser Art in der Mark Brandenburg nach dem bis dahin schlimmsten aller Kriege, wurde von Blumen und Bäumen eingefasst, und auch der Gemüse-, Hopfen- und Obstanbau erlebte in Oranienburg, aber auch in Berlin und Potsdam einen bis dahin ungekannten Aufschwung. Prächtig wurde der barocke Schlossgarten mit auch Figuren, Brunnen, Grotten und Bögen ausgestattet. Luise Henriette sammelte asiatisches Porzellan, und noch heute kann man im Oranienburger Schloss das Porzellankabinett bestaunen, allerdings nicht mehr mit jenem blau bemalten Kostbarkeiten aus dem 17. Jahrhundert, sondern mit anderer Chinaware. Mit nur 40 Jahren starb Luise Henriette im Jahr 1667 viel zu früh. Ihr Sohn folgte als Friedrich III. 1688 seinem Vater Friedrich Wilhelm, und bestieg 1701 er als Friedrich I. den preußischen Königsthron.

5. Januar 2017

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"