Orte der Erinnerung und Aufarbeitung
Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam feiert zehnjähriges Jubiläum / Besuch in der Lindenstraße 54





Ein moderner Anbau ergänzt die ehemalige Villa, in der der sowjetische Geheimdienst seine Gefangene verhörte und von hier in den Tod oder in lange Lagerhaft schickte.



Dass es mitten in Potsdam einen NS-Erbgerichtshof und nach 1945 ein berüchtigtes Stasi-Gefängnis gab, in dem Menschen inhaftiert waren, die für Freiheit, Demokratie und nationale Einheit eintraten, bei so genannter Republikflucht gefasst wurden oder sich wegen ihrer Forderung nach "demokratischem Sozialismus" verdächtig machten, war über Jahrzehnte in der Stadt an der Havel kaum bekannt.



Aus der Kaiserzeit stammt das Innere des Gefängnisses in der Potsdamer Lindenstraße. Wer die heutige Gedenkstätte betritt, fühlt sich in eine andere, grausame Zeit zurück versetzt.



Die 1995 im Hof vor einem Freigangbereich aufgestellte Bronzeskulptur (im Bild links) ist ein Werk von Wieland Förster und ehrt die Opfer von Unrecht und Gewalt in beiden deutschen Diktaturen.







Was in dem aus der Kaiserzeit stammenden Gefängnis Lindenstraße 54 vorging, war in der Potsdamer Bevölkerung weitgehend unbekannt. Gedenktafeln klären die Besucher auf. (Fotos: Caspar)

Brandenburgs Kulturministerin Martina Münch würdigt die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der gleichnamigen Stiftung als wichtigen Ort der Erinnerung und Aufarbeitung. "Es gibt wenige Haftanstalten, die in so beklemmender Authentizität erhalten geblieben sind, wie das ehemalige Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Potsdamer Leistikowstraße 1. Noch heute zeugen erhaltene Haftzellen mit originalen Holzpritschen, ferner zugemauerte Durchgänge und Fenster, massive Vergitterungen und Sichtblenden sowie Reste der Sperranlagen und Fundamente der Freigangzellen von der einstigen Nutzung. An den Zellenwänden sind zahlreiche Inschriften erhalten, die die Entrechtung und Isolation der Häftlinge erkennen lassen. Die Geschichte des Gebäudes und der damit verbundenen Häftlingsschicksale stehen im Mittelpunkt der ständigen Ausstellung. Wie viele Menschen der Geheimdienst am Ort gefangen hielt, ist nicht bekannt. Ein elektronisches Haftbuch dokumentiert hunderte Namen. Mit ihren Angeboten trägt die Gedenk- und Begegnungsstätte maßgeblich dazu bei, Besucherinnen und Besuchern die Geschichte dieses Ortes nahezubringen und das Gedenken an die Opfer zu bewahren."

Im Jahr 2008 wurde die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße gegründet, die von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten treuhänderisch verwaltet wird. Stifter ist der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH) als Eigentümer des Gebäudes, in dem das Untersuchungsgefängnis untergebracht war. Seit April 2012 informiert eine Dauerausstellung über die Geschichte des Gefängnisses und das Schicksal der Häftlinge. Das Land Brandenburg und der Bund förderten die Stiftung 2018 mit je 150.000 Euro. Unter der Überschrift "Objekte erzählen Gefängnisgeschichte" werden kostenlose Führungen zu besonders beeindruckenden Exponaten geben. Zusätzlich zur Ausstellung informiert ein 2,5 Kilometer langer Geschichtspfad an 14 Punkten über Spuren und Relikte der ehemaligen, umliegenden Geheimdienststadt. Ein Bronzemodell im Innenhof der Gedenkstätte verdeutlicht Lage und Aufbau dieser "verbotenen Stadt" und bildet einen guten Ausgangspunkt für eine Erkundung dieses historischen Gebiets mit dem Namen Militärstädtchen Nr. 7.

Unbekannter Stadtteil in der Nauener Vorstadt

Vom August 1945 bis zur Auflösung des Geheimdienstes KGB 1991 befand sich in der Leistikowstraße das zentrale Untersuchungsgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr. Der Gedenkort liegt in der Nauener Vorstadt nicht weit vom Neuen Garten mit dem Marmorpalais und dem Schloss Cecilienhof darin, das im Sommer Schauplatz des Potsdamer Abkommens war. In dem vornehmen Villenviertel wohnten Widerstandskämpfer, die am Attentatsversuch gegen Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt waren und dies mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die Erinnerung an diese Seite des deutschen Widerstand war über ein halbes Jahrhundert verschüttet, denn das von der Roten Armee besetzte Viertel unterhalb des klassizistischen Belvederes auf dem Pfingstberg war hermetisch von der Außenwelt abgeschottet und auch in Potsdam nahezu unbekannt.

Nach der Vertreibung und Enteignung der ursprünglichen Bewohner errichtete die sowjetische Besatzungsmacht hier das "Militärstädtchen Nr. 7". Von den etwa 15 000 in Potsdam stationierten sowjetischen Soldaten wohnten in dem von einer Mauer und Wachtürmen geschützten Areal nur die höchsten Offiziere. Die Hochsicherheitszone bestand aus dem Hauptquartier des KGB, dem Untersuchungsgefängnis und weiteren Dienststellen. Hier wurden bis 1955 Menschen unterschiedlicher Nationalitäten festgehalten, ohne Rechtsbeistand verhört, misshandelt und zu hohen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. Grundlage der quasi im Minutentakt verhängten Urteile bildeten durch Folter und Einschüchterung erpresste Geständnisse. Ab 1955 hielt der mit der DDR-Staatssicherheit befreundete sowjetische Geheimdienst nur noch Angehörige der Roten Armee oder Zivilangestellte der sowjetischen Besatzungsmacht in dem hermetisch von der Außenwelt abgeschirmten Gefängnis fest.

Untergebracht war in der ehemaligen Villa des "Evangelisch-Kirchlichen Hülfsvereins" die sowjetische Spionageabwehr. Dieses und weitere Gebäude dienten als Gefängnis und Verhörräume, hier mussten ab Frühjahr 1947 zum Tode verurteilte Menschen auf die Vollstreckung der Urteile warten. Wie im ehemaligen KGB-Gefängnis zu erfahren ist, verfolgte die sowjetische Spionageabwehr massenhaft als politisch verdächtig eingestufte Bewohner der Sowjetischen Besatzungszone, wobei es egal war, ob sie gegen Gesetze verstoßen hatten oder nicht. Dies belegen die Dokumente über Verfahren anlässlich der in den 1990-er Jahren erfolgten Rehabilitation seinerzeit hingerichteter Personen sowie Zeitzeugenberichte, die in der Leistikowstraße 1 ausgestellt sind. In ihnen ist von Erschießungen auf dem Gelände die Rede. Nach und nach kommt nach Abzug der Besatzer 1994 ans Tageslicht, welche Dramen sich dort in DDR-Zeiten abgespielt hat.

Barockes Stadtpalais mit Vergangenheit

Eine weitere Gedenkstätte in der Potsdamer Lindenstraße 54 ist den "Opfern politischer Gewalt im 20. Jahrhunderts" gewidmet, womit das Leiden und das Sterben von Menschen in den beiden deutschen Diktaturen, der Nazi-Herrschaft und der SED-Herrschaft, gemeint ist. Die bedrückende Kontinuität von Willkür, Unterdrückung, Freiheitsberaubung und Mord an diesem Ort und die persönlichen Schicksale der Betroffenen ist Thema von Führungen und Veranstaltungen. Das 1737 als Stadtpalais erbaute Haus mit der roten Backsteinfassade repräsentiert im Guten wie im Bösen wichtige Etappen deutscher, preußischer und Potsdamer Geschichte. 1809 war das Gebäude Tagungsort der ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung und diente ab 1820 als Stadtgericht und Gefängnis. Während der NS-Diktatur waren hier Widerstandskämpfer inhaftiert, der Potsdamer Volksgerichtshof verurteilte den bekannten Sportler Werner Seelenbinder und andere Oppositionelle zum Tode. Am Eingang zur Gedenkstätte erinnert eine Tafel daran, dass hier vom März 1934 bis November 1944 das so genannte Erbgesundheitsgericht Potsdam zusammen trat und mehr als 4000 Menschen zur Zwangssterilisation verurteilte.

Vom Bombenangriff am 14. April 1945 verschont, war das Haus von 1945 bis 1952 Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes. Ein hier tagendes Militärtribunal verurteilte wirkliche oder nur vermeintliche Naziverbrecher sowie politisch verdächtige, als Spione und Saboteure bezeichnete Personen zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode. Insofern gibt es einen Bezug zur Gedenkstätte in der Leistikowstraße unweit des Neuen Gartens. Von 1952 bis 1989 wurden politische Häftlinge des DDR-Staatssicherheitsdienstes in der Lindestraße 54 inhaftiert. Das ehemalige Palais ist Mahnmal und Gedenkstätte gegen politische Gewalt zugleich.

Sammlung von Dokumenten und Erinnerungen

Im Auftrag der Stadt sammelt und sichert das Potsdam-Museum historische Dokumente und Spuren und veranstaltet Besichtigungen. Unterstützt wird die Arbeit von der "Fördergemeinschaft Lindenstraße 54", die sich im Februar 1995 als politischer, parteiunabhängiger Verein gegründet hat, um am Beispiel der Geschichte des Hauses Lindenstraße 54 an die Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu erinnern. Die Fördergemeinschaft bietet Opfern ein Forum, die unter politischer Verfolgung litten, und informiert in Vorträgen und Gesprächsrunden über die Opfer und die Täter. Seit Februar 2007 berichtet in dem ehemaligen Gefängnis eine Ausstellung über die Geschichte dieses Ortes.

Informationen über das ehemalige Potsdamer Stadtgefängnis und seine neuere Geschichte sowie über ähnliche Haftanstalten quer durch das Land enthält die Dokumentation "Orte des Erinnerns - Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und DDR". Das von Anette Kaminsky herausgegebene Buch listet, nach Bundesländern gegliedert, Erinnerungsstätten an die deutsche Teilung sowie Einrichtungen des sowjetischen und des DDR-Geheimdienstes auf und schildert die Leidensgeschichte derer, die nach 1945 in ehemaligen Konzentrationslagern, aber auch in Gefängnissen, Zuchthäusern und an anderen Orten inhaftiert waren und zu Tode kamen. Erst nach der Wiedervereinigung war es möglich, dieses in der DDR zum Tabu erklärte Geschichtskapitel aufzuarbeiten und auch an markanten Orten des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 oder an Stellen Gedenksteine aufzurichten, wo Flüchtlinge unter dem Kugelhagel von DDR-Grenzern ums Leben kamen.

10. Dezember 2018

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