Räucherkerzen gegen den Schwarzen Tod
Ratschläge von Leonhart Thurneisser zum Schutz vor der Pest in einem Berliner Druck aus dem Jahr 1576



Bei Ausgrabungen im Umfeld der Heiliggeistkapelle an der Spandauerstraße haben Berliner Archäologen Reste eines Armenfriedhofs gefunden. Untersuchungen an den Gebeinen ergaben Erkenntnisse über das Leben und Sterben der Insassen eines Hospitals, zu dem die gotische Kapelle, eines der ältesten Bauwerke der Hauptstadt, gehört.



Die Miniatur schildert die Beerdigung eines in weißes Tuch gehüllten Toten mit dem Segen der Kirche.



Kunsthistoriker deuten den "Totentanz" in der Berliner Marienkirche, ein 22 Meter langes und etwa zwei Meter hohes Wandgemälde aus dem späten 15. Jahrhundert, als Antwort auf das Grassieren von Epidemien gedeutet. Nur noch in Umrissen erhalten, gilt der um 1484, als wieder einmal Berlin von einer Epidemie heimgesucht wurde, gemalte Fries zu den bedeutendsten Kunst- und Sprachdenkmälern der Mark Brandenburg.



Der Tod auf dem um 1525 geschaffenen Holzschnitt von Hans Holbein dem Jüngeren sucht die Armen und die Reichen heim und macht sie alle gleich.



Leonhard Thurneisser war nicht nur Mediziner, sondern hatte auch einen gewissen Ruf als Alchemist und Goldmacher. Sein Wappen symbolisiert die Vielseitigkeit des Gelehrten und Unternehmers.



Thurneisser verließ 1579 Berlin und ging in seine Heimatstadt Basel zurück. Nachdem er sein Vermögen verloren hatte und durch die Länder geirrt war, starb er 1596 verarmt in Köln.



In nur einem Exemplar ist Thurneissers Druck von 1576 mit Anwesungen erhalten, wie man sich vor Krankheit, Seuchen und andere göttliche Strafen schützen kann. (Repros: Caspar)

Hunger und Mangelerscheinungen, schmerzhafte Erkrankungen an Zähnen, Gelenken und Wirbeln lassen sich an Gebeinen von etwa 500 Individuen nachweisen, die vor einigen Jahren auf dem ehemaligen Friedhof des im Jahre 1272 erstmals erwähnten Heiliggeisthospitals an der Spandauer Straße im Bezirk Mitte geborgen wurden. Die Ausgrabungen des Berliner Landesdenkmalamtes waren nötig, weil auf dem Gelände ein Geschäfts- und Bürohaus errichtet werden sollte. Nach dem Verursacherprinzip musste der Bauherr für die Kosten der Grabungen aufkommen. Einen Teil des Gottesackers nimmt die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaute Handelshochschule ein, auf einem anderen Teil stand die Börse, eines der schönsten Berliner Gebäude des 19. Jahrhunderts. Deren Ruine wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen. Ausgegrabene Sandsteinfragmente künden von der Pracht dieses Treffpunkts des Berliner Geldadels.

Das Heiliggeisthospital nahm vornehmlich Alte, Kranke und Fremde auf. Doch auch wohlhabende Leute durften hier ihren Lebensabend gegen eine Gebühr verbringen, was wohl auch zu Spannungen mit den völlig mittellosen Insassen führte. Dass es soziale Differenzierungen im Armenhof gegeben hat, zeigen Grabbeigaben wie kleine Silbermünzen im Mund von zwei Toten oder der Fund von 27 säulenförmig aufgeschichteten Silbermünzen aus dem frühen 13. Jahrhundert. Nach der ursprünglich heidnischen, dann aber christianisierten Sitte gab man Verstorbenen Totenpfennige als Zehr-, Reise- oder Eintrittsgeld in das Himmelreich mit. Nach einer anderen Deutung wollte man damit die Wiederkehr der Seelen verhindern. Ins Hospital, das ja nicht nur Krankenhaus war, sondern auch sozialfürsorgerische Aufgaben wahrnahm, kamen vornehmlich betreuungsbedürftige und mittellose Menschen, denen anderswo nicht geholfen werden konnte. Die Archäologen haben etwa 200 Tote in der ursprünglichen Bestattungssituation ausgemacht, gebettet nach christlichem Ritus in ost-westlicher Richtung. Die meisten Bestattungen waren Einzelgräber, doch wurden auch Doppel- und Massenbestattungen festgestellt.

Schwere, schmerzhafte Krankheiten

Aus den Skeletten und Knochen lassen sich Informationen ableiten, die in keiner mittelalterlichen Urkunde zu finden sind. Es war üblich, Knochen bei der Anlage neuer Gräber oder dem Bau von Häusern aufzusammeln und erneut zu bestatten. An vielen Gebeinen konnten massive pathologische Veränderungen festgestellt werden, die sich auf Mangelerscheinungen infolge von Hunger und einseitiger Ernährung ergeben. Doch auch das Wüten der immer mal wieder in Berlin auftretenden Pest ist an ihnen abzulesen. Nach der Untersuchung von Schädeln, Becken und anderen Überresten lebten mit 27 Prozent überdurchschnittlich viel alte Menschen in dem Hospital, unter dem Durchschnitt waren Kinder und Jugendliche mit 19 Prozent vertreten. Sie alle waren ein kleiner Menschenschlag, Frauen erreichten 150 und 160, Männer zwischen 160 und 170 Zentimeter.

Durch die osteologische Anthropologie, die "Arbeit am Skelett", lässt sich vieles rekonstruieren, worüber mittelalterliche Schriftstücke schweigen - Lebensweise der Berliner Bevölkerung, soziale Verhältnisse, Altersstruktur, Mangelerscheinungen und Krankheiten. Der schlechte Gesundheitszustand und die Spuren schmerzhafter Knochenerkrankungen bei den Hospitaliten überraschen die Archäologen und Anthropologen nicht. Die zahnlosen, gehbehinderten, krumm gewachsenen, ständig hungernden Menschen müssen furchtbar gelitten haben. Eine fachgerechte ärztliche Betreuung kannten sie nicht. So wurde bei den Skeletten ein mehrfacher Unterschenkelhalsbruch festgestellt, den sich ein Insasse vielleicht bei einem Unfall zugezogen hat. Da eine Schienung nicht vorgenommen wurde, wuchsen Teile des Schienbeins falsch zusammen. Wahrscheinlich starb der Patient an den Folgen schwerer Entzündungen. Eine Besonderheit dieses Friedhofs an der Spandauerstraße waren die Massengräber, in die die Toten "in pietätloser Weise" hineingeworfen wurden. In Zeiten von Hungersnöten, Seuchen und anderen Bedrohungen hat man auf ein christliches Begräbnis verzichtet, das auf anderen Friedhöfen durch sorgsame Anlage der Bestattungen sowie Beigaben dokumentiert ist.

Ratten als Verbreiter der Pestilenz

Dem Schwarzen Tod fielen unzählige Männer, Frauen und Kinder im Mittelalter und lange Zeit danach zum Opfer, und die Mittel, ihr beizukommen, waren bis zur fast gleichzeitigen Erklärung durch den Japaner Shibasaburo Kitasato, einem Schüler von Robert Koch, und Alexandre Emile Jean Yersin, einem Schüler von Louis Pasteur, im Jahr 1894 sowie Forschungen weiterer Gelehrter wenig effektiv. Für den Ausbruch der Epidemie wurden bis dahin unterschiedliche Ursachen verantwortlich gemacht. Man sah man in der immer wiederkehrenden "Beulenpest" eine göttliche Strafe für sündhafte Lebensweise, verdächtigte aber auch den ungünstigen Stand der Gestirne sowie das unheilvolle Wirken von Zauberinnen und Zauberern. Darüber hinaus hat man die Schuld an dem "Großen Sterben" auf jüdische Mitbürger abgewälzt, was zu Pogromen mit Feuer und Schwert Luft führte. Dass die Seuche von so genannten Pestflöhen im Fell von Ratten in den eng bebauten Städten verbreitet wird, spielte bei den Verdächtigungen keine Rolle. Man wusste es nicht besser. Historiker haben errechnet, dass allein einer besonders großen Seuchenwelle zwischen 1347 und 1352 in mehreren europäischen Ländern nicht weniger als 25 Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, ein Drittel der Bevölkerung auf dem Kontinent.

Als 1576 die Pest wieder einmal die kurfürstliche Haupt- und Residenzstadt Berlin heimsuchte, zählte ein Chronist an die 4000 Todesopfer, "und do vonn Burgern nicht so eine grosse anzal ausgezogenn und vorgewichen gewesen, wurden ihrer Zweiffels ohn vielmehr auff dem plan blieben sein", was bedeutete, dass noch mehr Menschen durch die "pestilenzische seuche" hingerafft wurden. Die Obrigkeiten und das medizinische Personal mussten tatenlos zusehen, wie einzelne Menschen und ganze Familien, ob sie denn arm oder reich waren, binnen weniger Tage an der Pest starben. Ihnen ein christliches Begräbnis zu gewähren, war in vielen Fällen nicht möglich. Daher warf man die in Tücher gehüllten Toten in Gruben und bedeckte sie mit Erde. Dass 1710 vorsorglich außerhalb von Berlin ein Pesthaus eingerichtet wurde, aus dem später die Charité hervor ging, geht auf die Furcht von König Friedrich I. vor dem Übergreifen der Pest aus Ostpreußen zurück. Da sie die Hauptstadt nicht erreichte, konnte das erste öffentliche Krankenhaus schon bald zur Versorgung "normaler" Patienten verwendet werden.

Die seit der Erfindung der Buchdruckerkunst Mitte des 15. Jahrhunderts überall in Umlauf gebrachte Pestliteratur riet, sich vor Totengräbern, Leichenwäschern, Abdeckern, Henkern, Krüppeln, Zigeunern, Hexen und Juden fernzuhalten und alles Saufen, Ehebrechen und andere Todsünden zu unterlassen. Als bestes Mittel, der nach Hunger und Krieg zu den großen Plagen der Menschheit zählenden Pest zu entkommen, wurden Gottesfurcht, Reinlichkeit und Enthaltsamkeit sowie Flucht in entlegene Gebiete gepriesen, was im Ernstfall zur Folge hatte, dass die Seuche dorthin übertragen wurde. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts schwante besonders hellsichtigen Medizinern, dass nicht giftige Winde und sündiges Leben Auslöser der Pest sind, sondern durch gewisse "Körperchen" von Mensch zu Mensch übertragen werden. Deshalb wurde zur Abwehr geraten wurde, die Wohnungen auszuräuchern sowie Gewürze im Mund kauen und heilsame Kräuter in der Kleidung mit sich zu führen.

Überall Unrat und Gefahr

Ein anlässlich der 1576 in Berlin grassierenden Pest publiziertes Plakat aus der Werkstatt des Verlegers, Druckers, Arztes und Alchemisten Leonhart Thurneisser zum Thurn charakterisiert die Pest als giftige Rute göttlichen Zorn, die in größeren Abständen zur Züchtigung der Menschen ausgeschickt wird, und rät den in Angst und Schrecken versetzten Menschen, das Weite zu suchen. Wer das nicht konnte oder wollte, dem wurde die Einnahme von Arzneien empfohlen, die Thurneisser in seiner Apotheke herstellte und die ihn, neben anderen Tätigkeiten, zu einem reichen Mann machten.

Der nur noch Medizinhistorikern bekannte Arzt legte seinen Mitbürgern ans Herz, für eine gute Ordnung überall in der Stadt zu sorgen und ihre Umgebung sowie ihre Häuser und Gemächer von "stinkenden materi und unraht" zu befreien. Der unbekümmert auf die Straßen gekippte Mist solle von dort entfernt werden, und bei Vollmond möge man Sand und Kieselsteine in die Brunnen werfen "dodurch // sich das schleimige wasser purgiere (säubert, H. C.)". Auch möge man kein Wasser von gewaschenem Fleisch oder Fischen sowie Harn, Seifenwasser und anderen Unrat auf die Gassen schütten "sundern solches sol in die Sprew getragen / und darein gegossen werden". Thurneisser rät darüber hinaus, Haustiere wie Hunde, Schafe und Schweine zweimal in der Woche in fließendem Wasser zu baden und seine Gemächer "mit frischem wasser begießen / und offt sauber kehren". Arme Leute mögen ihre Zimmer mit Eichenlaub oder Wacholderholz ausräuchern, wer aber mehr Geld hat, der soll sich mit Weihrauch, Schwefel, Fliederessig und sogar Resten von Störchen schützen. Hilfreich sei die Desinfektion, wie wir heute sagen würden, mit Essigwasser und Thymian. Ganz und gar rät der Gelehrte vor dem Verzehr abgestandener Fische und von umgekommenem Fleisch ab, was wohl vorgekommen ist, sonst wäre diese Warnung nicht nötig gewesen. Verstopfungen möge man mit "linden" Klistieren begegnen, und Wunden sollen mit speziellen Pflastern behandelt werden, für deren Herstellung der Verfasser des Plakats genaue Anweisungen erteilte.

Giftige Ruten göttlichen Zorns

Der Kölner Thurneisser-Spezialist Diethelm Eikermann und Gabriele Kaiser, eine Mitarbeiterin der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, schildern in ihrem Buch "Die Pest in Berlin 1576 - Eine wiederentdeckte Pestschrift von Leonhart Thurneisser zum Thurn (1531-1596)", unter welchen Bedingungen es damals, unter der Herrschaft des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, zum Ausbruch der Pest an der Spree kam und wer der Verfasser und Drucker des in nur einem Exemplar in der Baseler Universitätsbibliothek erhalten gebliebenen Plakats in frühneuhochdeutscher Sprache mit dem Titel "Regiment - Kurtzer und einfeltiger Bericht / wie sich in eigefallener Göttlicher straff / welche // von wegen unserer sünde und unbußffertigen lebens / auß dem Ewigen und Gerechten Urtheil Gottes / durch ietztwirckende // gifftige Ruten seines Zorns / der Pestilentz / so uns zur züchtigung geschickt wird / zuhalten sey" war (Verlag Basilisken-Presse, 160 Seiten, zahlr. Abb., 19,90 Euro, ISBN 978-3-941365-09-4).

Dem kurfürstlichen Leibarzt Thurneisser waren die unhaltbaren hygienischen Zustände in der brandenburgischen Haupt- und Residenzstadt ein Dorn im Auge. Sein in dem erwähnten Buch abgedruckten und als Faksimile beigefügten Plakat ist ein einzigartiges Zeugnis der Berliner Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, und es werden die damals verwendeten Begriffe für die zu Medikamenten verarbeiteten Materialien erläutert und interpretiert. Wohl seinerzeit in einhundert Exemplaren in dem in ein Gymnasium, eine Druckerei und Apothekeverwandelten Grauen Kloster hergestellt und an Kirchen- und Rathaustüren sowie an anderen Orten angeschlagen, unterstreicht der Text, dass nicht nur traditionelle pflanzliche, animalische und mineralische Naturstoffe eingesetzt wurden, sondern im Sinne der "Nova Medicina" des berühmten Arztes Paracelsus auch chemische oder chemiatrische Mittel gegen die Pest und andere Krankheiten. Damit war Thurneisser einer der Wegbereiter chemischer Medikamente, unterstreichen die Verfasser des Buches. Schwer zu sagen, ob Thurneissers Warnungen und Rezepte etwas bewirkt haben. Fest steht nur, dass sich etwa 160 Jahre später Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. genötigt sah, gegen Dreck und Unrat auf Berliner Straßen vorzugehen.

18. August 2018

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