Der Mythos vom sparsamen Landesvater
Geheime Schatullrechnungen belegen den Hang Friedrichs des Großen zum Luxus und zu edlen Speisen





Die mit der Hand geschriebenen Schatullrechnungen Friedrichs des Großen - oben sein Porträt auf einer Landkarte - waren ein großes Staatsgeheimnis. Die über 900 Blätter Seite für Seite zu inspizieren, ist nicht mehr nötig, denn können weltweit im Internet unter der Adresse www.perspectivia.net gelesen werden.



In den Schatullrechnungen werden unzählige von diesen und weiteren preußischen Talern verbucht.





Im Potsdamer Neuen Palais kann man edle Möbel und kostbare Raumausstattungen aus der Zeit Friedrichs des Großen bewundern.







Diese Exponate waren in der Ausstellung "Friederisico" von 2012 im Potsdamer Neuen Palais zu sehen: goldenes und silbernes Tafelgeschirr sowie eine goldene Tabatière mit dem Bildnis des Königs von Preußen.



Gegenüber der Königlichen Bibliothek in Berlin erwies sich Friedrich der Große als recht spendabel, denn er ließ ihr jährlich 8000 Taler zukommen. (Fotos/Repros: Caspar)

Dass Preußens König Friedrich II., genannt der Große, ein sparsamer Mann war, der mit dem Geld seiner Untertanen sorgsam umging, ist eine langlebige Legende. Aufschluss darüber, wie locker er mit Geld umging, geben die Schatullrechnungen, die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz an der Archivstraße in Berlin-Dahlem liegen und in den vergangenen Jahren von Archivaren und Historikern aufgearbeitet und ausgewertet wurden. Die privaten Ausgaben Friedrichs II. werden auf 900 Seiten über 41 Jahre hinweg dokumentiert. Sie liegen zwischen knapp 200.000 Reichstalern im Jahr 1750 und knapp 31.000 im Jahr 1786. Ganz im Geheimen angefertigt, kratzen sie an der Behauptung, Friedrich sei ein Asket gewesen, statt dessen weisen sie nach, dass er erhebliche Summen für seine höfische Lebenshaltung ausgegeben hat. Die in der Online-Edition erfassten Quittungen helfen, den Mythos von der Enthaltsamkeit des Königs zu entzaubern, und sie belegen anschaulich seine privaten Vorlieben und Interessen. Zur Ehre des Königs von Preußen muss aber gesagt werden, dass der von ihm betriebene Luxus noch begrenzt war. Denn in anderen Ländern wurde das vom Volk sauer erarbeitete und ihm durch Steuern abgepresste Geld weitaus mehr von den dort regierenden Kaisern, Königen und Fürsten mit vollen Händen aus dem Fenster geworfen.

Die königlichen Kontoauszüge vermitteln tiefe Einsichten in das finanzielle Gebaren des Herrschers, und sie dokumentieren seinen Hang zum Luxus, zu kostbaren Möbeln und Seidenstoffen, zu Gemälden und antiken Figuren, aber auch seine Liebe für teure Speisen und Weine, exotisches Obst und edles Tafelgeschirr. Außerdem zeigen sie, dass sich der königliche Flötenspieler und Komponist die Beschäftigung ausgewählter Musiker und Tänzer viele tausend Taler kosten ließ, während er auf der anderen Seite Bittgesuche von armen Witwen und Kriegsinvaliden um ein paar Taler Unterstützung rüde abwies und behauptete, er sei arm wie eine Kirchenmaus.

König lebt angeblich wie ein Privatmann

Sich in seinen Schriften unermüdlich um seine "Landeskinder" besorgt gebende Monarch schrieb 1763 mit Blick auf die Aufrüstung in Preußen und die Aufstellung einer starken Armee im Abschnitt "Die Wiederherstellung des Staates" seiner "Geschichte des Siebenjährigen Kriegs" über sich in der dritten Person folgendermaßen: "Der König machte diesen Aufwand keineswegs, wie es bei großen Höfen gewöhnlich geschieht, um Aufsehen zu erregen. Er lebte wie ein Privatmann, um nicht seine vornehmsten Pflichten zu verabsäumen. Mittels einer strengen Haushaltung ward der große und kleine Schatz angefüllt, jener um die Kosten eines Kriegs herzugeben, und dieser, um Pferde und alles, was nötig ist, eine Armee in Bewegung zu setzen, anschaffen zu können." Und an anderer Stelle heißt es: "In einem armen Lande findet der Regent keine Hilfsquellen in der Kasse seiner Untertanen; ihm liegt daher ob, durch seine Klugheit und gute Wirtschaft für die außerordentlichen Ausgaben, die nicht vermieden werden können, zu sorgen. Die Ameisen sammeln im Sommer ein, was sie im Winter verzehren, und ein Fürst muss während des Friedens die Summen zusammensparen, welche er im Kriege aufzuwenden hat. Dieser leider so wichtige Punkt war auch nicht vergessen worden, und Preußen war in der Verfassung, einige Feldzüge mit eigenem Gelde zu tun; kurz, es war bereit, beim ersten Zeichen auf dem Kampfplatz zu erscheinen und sich mit seinen Feinden zu messen." Wenn Friedrich der Große solche Ratschläge erteilte, dann tat er dies auch mit Blick auf seinen Nachfolger Friedrich Wilhelm II., von dessen staatsmännischen und charakterlichen Qualitäten er wenig hielt.

Er habe nichts zu verschenken, beschied Friedrich, maßlos untertreibend, seine Untertanen, wenn sie um ein wenig Geld baten, etwa wenn Söhne studieren sollten oder wenn es um einen Kredit für die Gründung einer Manufaktur ging. Auf der anderen Seite öffnete Friedrich II. seine Taschen, um adligen Gutsbesitzern mit hohen Schulden zu helfen und wenn Handwerker und Bauern aus fremden Ländern nach Preußen zu holen. Für die Urbarmachung sumpfiger Landstriche an der Oder stellte der König viele tausend Taler aus der Staatskasse und aus privaten Mitteln zur Verfügung, wofür man ihm vor Ort bis heute dankbar ist. Stolz konnte er vermelden, er habe auf diese Weise "im Frieden" eine Provinz erobert. Wenn Not am Mann war, zahlte er erhebliche Summen, um den Hunger seiner Untertanen zu stillen oder die Folgen von Bränden und Überschwemmungen zu lindern.

Rechnungen im Geheimen Staatsarchiv

Der König bezahlte und verschenkte Geld oft nach Gunst und Laune. Selbst Vertraute konnten sich nicht sicher sein, dass Rechnungen bezahlt und Wünsche erfüllt werden. "Sie schreiben mir von Wachslichtern und hier spricht man von Heringen. In der Tat, darum verlohnte es sich, Krieg zu führen, dass ich auf meine alten Tage zum Krämer werden soll. Ich gehe auf das große Ganze, mein Lieber, ich ordne den Münzfuß und andere Dinge von größerer Bedeutung für den Staat; Brot und Fleisch gehören zu dieser Kategorie, aber Heringe, Stiefel und Wachslichter werden von selbst in Ordnung kommen, wenn die Hauptsache geregelt ist" ließ er seinen um Hilfe bemühten Kammerherrn Marquis Jean Babtiste d'Argens nach Abschluss des Siebenjährigen Kriegs am 14. April 1763 wissen. Von seinen Beamten und Untergebenen hatte der König generell eine schlechte Meinung, und er sah nicht ein, sie anständig zu bezahlen, um ihren Arbeitseifer anzustacheln. "Sie sind alle Spitzbuben, besonders wenn es auf meine Kosten sein kann. Aber ich kenne sie durch und durch und sage Ihnen, sie würden mich vor dem Altar bestehlen", glaubte der Monarch zu wissen.

Die Auswertung der Schatullrechnungen erfolgte erst vor einigen Jahren von Spezialisten des Geheimen Staatsarchivs und solchen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Aufgelistet sind bis auf den letzten Groschen die immensen Kosten für die königlichen Gemälde-, Skulpturen- und Münzsammlung und ihre angemessene Unterbringung, mit denen der in kostspielige Kriege verwickelte Monarch während seiner ungewöhnlich langen Regierungszeit von 1740 bis 1786 den Ruf von Berlin und Potsdam als Pflegestätten von Kunst, Kultur und Gelehrsamkeit begründete. Bei den Rechnungen für Kutschen, Tafelsilber und Porzellane, für edle Speisen und Leckereien sowie für Geschenke aller Art werden zum Teil exorbitante Summen genannt, für die einfache Leute und selbst Beamte viele Jahre arbeiten mussten. Die Palette reicht von kostbar mit Gold- und Silberfäden bestickter Kleidung bis zu Gnadengeschenken, von Salben und Puder über Schnupftabak, Obst, Wein, Champagner und Kaffee bis zu den seinerzeit sehr hohen Kosten für Reisen und die Illumination der Oper und der königlichen Schlösser. Erfasst sind auch Zulagen und Pensionen an bestimmte Personen, die dem König durch besonderen Eifer und Fleiß aufgefallen waren oder die er, wie im Fall der Tänzerin Barberina, an seinem Hof zu halten wünschte.

Geheimes Geld aus dem Roten Kasten

Hochgeheim waren neben dem vom Geheimen Kämmerer Michael Gabriel Fredersdorf, auch Kammerliebling des Königs genannt, sowie weiteren Vertrauten geführten Schatullrechnungen auch des Königs "Rote Schatulle" oder, wie er selber schrieb, der "rohte Casten", in dem Bargeld aufbewahrt wurde. Das war ein Fonds, der dem König zur unmittelbaren Verfügung stand, etwa wenn er die brillantbesetzten und mit Porträts geschmückten Tabatièren kaufte und damit eines seiner teuren Hobbys pflegte. Der König hatte mehrere dieser etliche tausend Taler teuren Dosen aus purem Gold bei sich und verschenkte sie, oft randvoll mit Münzen gefüllt, an Familienangehörige, fremde Potentaten und verdienstvolle Staatsdiener. Die in dem besonders geheimen Dokument vermerkten Summen liegen noch höher als diejenigen, die in den gewöhnlichen Schatullrechnungen dokumentiert sind.

Hier wie dort belegen die Listen enormen Ausgaben für den Kauf und den Unterhalt der königlichen Hunde, für medizinische Behandlungen wie Aderlässe und Klistierspritzen, für den Kauf exotischer Pflanzen für seine Orangerie oder teure Staatsroben sowie seidene Strümpfe aus Krefeld, die der König zu besonderen Anlässen trug. Im Winter bedeckten die inwendig mit wärmendem Futter ausgekleidete so genannte Pelzstrümpfe zu 141 Reichstaler seine Füße, was einem Gegenwert von etwa 1700 kg Brot entsprochen haben soll. Wie sich dies mit Berichten von Zeitgenossen verträgt, wonach der König tagelang nicht aus seinen abgeschabten Reiterstiefeln kam und sich mit diesen sogar schlafen legte, müsste noch geklärt werden.

Edle Speisen und bekleckertes Tafeltuch

Legendär sind die Freuden an der königlichen Tafel. Gutes Essen, Champagner, süße ungarische Weine, Käse aus der Schweiz und Frankreich, Pasteten aus Paris und Trüffeln aus dem Périgord standen dem königlichen Feinschmecker und seinen Gästen zu Gebote. Da er auch im Winter auf Kirschen und Melonen nicht verzichten wollte, ließ er sie sehr aufwändig in Gewächshäusern anbauen und ernten. Eine einzige Winterkirsche soll drei Taler gekostet haben, das war mehr als der Wochenlohn eines Dieners. Laut Schatullrechnung vom Januar 1742 wurde einem Gärtner "vor gelieferte Kirschen" die ungeheure Summe von 396 Reichstalern gezahlt. Zu den edlen Tafelfreuden möchten zeitgenössische Nachrichten nicht passen, wonach der "Alte Fritz" das Tafeltuch und sich mit Soßen und Fleischstücke bekleckerte, so dass man immer wusste, wo er gesessen hat. In seinem Buch "Charakter Friedrichs des Zweyten, Königs von Preußen" von 1788 beschrieb der Theologe und Rektor des Gymnasiums zum Grauen Kloster in Berlin, Anton Friedrich Büsching, anstatt sich der Gabel zu bedienen, habe er mit den Fingern gegessen, "und Suppen und Brühen flossen auf seine Kleidung, die also sehr fleckig wurde".

Besonders teuer kam den König nach eigenen Angaben der Aufenthalt von Voltaire im Jahr 1740 an seinem Hof. "Kein Narr eines großen Herrn hat je eine solche Gage bezogen. Sein sechstägiges Erscheinen kostete mich 550 Taler am Tag", gestand Friedrich einem Vertrauten. Angeblich wandte Friedrich II. für sein Potsdamer Gartenreich Sanssouci zwei Millionen Taler auf. Hätte er noch eine weitere Million investiert, dann wäre dieses Refugium perfekt gewesen, soll er gesagt haben. Zum Vergleich sei erwähnt, dass er der Königlichen Bibliothek zu Berlin jährlich 8000 Taler für den Ankauf von neuen Büchern zukommen ließ. Die eigenen, auf sechs Schlösser verteilten und luxuriös ausgestatteten Buchbestände wurden ähnlich großzügig finanziert. Alle diese Summen waren nichts im Vergleich zu dem, was der Monarch gelegentlich seinen Geschwistern zukommen ließ, wenn sich diese wieder einmal in Geldnöten befanden. Dann flossen anstandslos fünf- oder sechsstellige Talerbeträge gemäß der Auffassung des Königs, dass es notwendig ist, seine Verwandtschaft finanziell gut auszustatten und gleichzeitig zu verhindern, dass sich preußische Prinzen in die Politik einmischen.

22. Juni 2018

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