Stadt in der Stadt
Auf dem Gelände des früheren Berliner Schlacht- und Viehhofs hat es gebrannt / Nutzung nach 1945 als sowjetisches Kunstdepot



Die Gedenktafel an der Landsberger Allee vermittelt eine ungefähre Sicht auf die Lage und die vielen Bauten des Berliner Schlacht- und Viehhofes.





In der Halle auf dem oberen Foto hat es am 14. April 2018 gebrannt. Wie es mit ihr und den anderen Gebäuden unweit des Berliner S-Bahnhofs Landsberger Allee weiter geht, wird sich zeigen.



In einer der ehemaligen Auktionshallen verkauft das Zweirad-Center Stadler Fahrräder jeder Größe sowie Bekleidung und alles andere, was Biker zu allen Jahreszeiten benötigen.



Von der kaiserzeitlichen Pracht des Schlacht- und Viehhofes ist nicht viel übrig geblieben. Die alten Fotos zeigen die Monumentalität der Anlage, die auch für Schaulustige geöffnet war.



Nach anstrengender Arbeit in der Auktionshalle konnte man sich im vornehm gestalteten Restaurant des Börsengebäudes bei Bier und Wein erholen. Auf dem Gelände und seiner Umgebung gab es aber auch billige Kneipen.



Wie Tiere getötet wurden und wie solche auf dem Freigelände am Bahnhof gehalten wurden, zeigen diese bald 100 Jahre alten Bilder. Das Gebäude im Hintergrund war Kommandozentrale der Bahn und ist heute Teil eines Einkaufszentrums. (Fotos/Repros: Caspar)

Eine Halle des ehemaligen Schlachthofs an der Landsberger Allee hat am 14. April 2018 mehr als 24 Stunden lang gebrannt. Es wird Brandstiftung vermutet, weil das Feuer zeitgleich an mehreren Stellen ausbrach. Die Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr konnten das Gebäude mit einer Dachfläche von 1.200 Quadratmetern wegen der Einsturzgefahr nicht betreten, sondern mussten von außen löschen. Über die angrenzenden Viertel zogen dichte schwarze Rauchwolken, die von überall zu sehen war. Die seit vielen Jahren leer stehenden Hallen stehen zwar unter Denkmalschutz, waren und sind aber Anschlägen von Vandalen und jetzt wohl auch von Brandstiftern ausgesetzt. Ein Investor wollte die Backsteinbauten aus der Kaiserzeit von Dach bis Keller sanieren und restaurieren und sie in Kongress- und Einkaufszentrum umbauen. Dagegen richtete sich eine Bürgerinitiative, die viel lieber eine Kiez-Begegnungsstätte haben wollte.

Der Bau des Schlacht- und Viehhofs hat Vorbilder in anderen Metropolen, etwa in Gestalt des "Quartier des Halles" Paris, die auch als Bauch von Paris bekannt sind. Das 39 Hektar große Gelände auf der damals noch unbebauten Lichtenberger Feldmark wurde 1876 von der Stadt Berlin für 657 210 Mark gekauft. Indem das Schlachten und die Weiterverarbeitung von Tieren angesichts immer wiederkehrender Seuchen streng reglementiert wurde und unter die Kontrolle von Veterinärärzten gestellt wurden, versuchte der Magistrat, in diesem für die Versorgung der von Jahr zu Jahr wachsenden Reichshauptstadt so wichtigen Wirtschaftszweig Ordnung, Übersicht und Sicherheit vor Krankheiten zu bringen. Außerdem galt es, strenge Hygienevorschriften wie die Trichinenschau durchzusetzen.

Grün angestrichenes Eisengerippe

Günstig erwies sich, dass der nach der Grundsteinlegung 1877 gebaute Schlacht- und Viehhof einen Anschluss an die Berliner Ringbahn erhielt. So avancierten der Schlacht- und Viehhof und seine Hallen und Restaurants eine weithin bekannte und beliebte Adresse. In dieser Stadt in der Stadt herrschte stets ein großes Gewimmel. Schaulustige Erwachsene waren herzlich zum kostenlosen Besuch eingeladen, mussten sich aber bei der Inspektion anmelden. Auf alten Fotos kann man sehen, wie sich Kauf- und Schaulustige um die Boxen mit den zum Schlachten bestimmten Tieren drängeln, wie sie diese begutachten und an Auktionen teilnehmen. Eine dieser Hallen hat alle Stürme der Zeit überlebt und ist heute Domizil des großen Fahrradhauses Stadler. Lange Zeit leer stehend, wurde sie vollkommen entkernt und neu ausgebaut. Eine weitere Halle nebenan ist nur noch als Gerippe von Säulen und Streben aus grün gestrichenem Gusseisen zu erkennen, auf denen vor langer, langer Zeit ein Dach lag. Erhalten und neu genutzt sind weitere Verwaltungsbauten aus gelbem und rotem Backstein. Sie erzählen, wie hier nicht nur lebendes Vieh, sondern auch geschlachtete Rinder, Schweine, Schafe sowie Geflügel aller Art verkauft, sondern in den über das Gelände verteilten Kneipen Bier, Schnaps und Wein ausgeschenkt sowie preiswerte Speisen verabreicht wurden.

Die meisten Bauten auf dem nach Plänen von Stadtbaurat Hermann Blankenstein ab 1877 errichteten Zentralvieh- und Schlachthof existieren nicht mehr. Zahlreiche Hallen und Verwaltungsbauten wurden im Zweiten Weltkrieg bei Luftangriffen zerstört und/oder danach abgerissen. Längst aufgegeben ist auf dem Gelände an der Landsberger Allee und Hausburgstraße das Schlachten von Rindern und Schweinen, verhallt sind auch die damit verbundenen Geräusche der sterbenden Tiere, und auch die Anwohner müssen die Ausdünstungen der Fleischfabrik nicht mehr ertragen. Einige Hallen und Ställe wurden in den vergangenen Jahren saniert und für Wohnzwecke und als Gewerberäume hergerichtet. Das lange Zeit verwilderte Areal hat sich zu einer begehrten Adresse gemausert, und das tut der ganzen Gegend an der Landsberger Allee sowie Hausburg- und Thaerstraße gut.

Neue Aufgaben nach Kriegsende

Nach der Besetzung der weitläufigen Anlage nach dem 8. Mai 1945 von der Roten Armee besetzt, wurde der Schlacht- und Viehhof zu einem sowjetischen Kunstdepot umgewandelt. Man spricht von mindestens neun Bahntransporten mit hunderten Waggons und einigen tausend Kisten mit requirierten Gemälden, Grafiken, Figuren, Möbeln, kunsthandwerklichen Objekten, archäologischen Fundstücken, Büchern und weiteren Beutestücken. Wichtigste Ziele waren Moskau und Leningrad, das heutige Sankt Petersburg. In einem Buch von 1996 über den Zentralen Schlacht- und Viehhof aus dem Aufbau-Verlag Berlin wird lediglich davon gesprochen, dass die weiträumige Anlage von der Roten Armee nach Kriegsende besetzt wurde. Hinter der Aktion stand der sowjetische Diktator Josef Stalin, der nicht nur die von den Deutschen angerichteten Schäden kompensieren, sondern auch die Sowjetunion als Vaterland der Werktätigen mit Beutestücken kulturell aufwerten wollte. Seit 1943 wurden von sowjetischen Museologen detaillierte Pläne darüber ausgearbeitet, welche Museen, Bibliotheken und Archive der ehemaligen Feindmächte systematisch ausgeräumt werden sollen.

Einer der vom Berliner Zentralviehhof abgeschickten Transporte enthielt die Marmorreliefs vom Pergamonaltar sowie altägyptische und griechische Skulpturen, ferner Gemälde und kunsthandwerkliche Gegenstände. Während diese Museumsstücke in den fünfziger Jahren an die DDR zurückgegeben wurden, befinden sich Bestände des Museums für Ostasiatische Kunst, Kostbarkeiten aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, Meisterwerke der europäischen Bildhauerkunst, die Bibliothek des Berliner und des Dresdner Münzkabinetts und andere Sammlungen bis heute in russischem Gewahrsam. Nicht zurückgeführt wurden die von Heinrich Schliemann entdeckten Goldschätze, die mit weiteren archäologischen Fundstücken per Flugzeug nach Moskau transportiert wurden. Auch die mit der Bahn abtransportierten Gemälde aus den Berliner und Potsdamer Schlössern kamen nur zum Teil zurück.

Die Bestände werden in Katalogen der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg aufgelistet und können auch im Internet betrachtet werden. Bis heute reklamiert die Bundesrepublik Deutschland eine Million Kulturgüter, davon 200 000 von besonderer museale Bedeutung, zwei Millionen Bücher und drei "Regalkilometer" Archivalien. Die russische Regierung zeigt bisher geringe Bereitschaft, frühere Abmachungen für die Rückführung zu verwirklichen und damit auch dem Völkerrecht Genüge zu tun.

17. April 2018

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