Ehrung für Werner Seelenbinder
Eine neue Tafel am Köpenicker Amtsgericht erinnert an bedeutenden Sportler und Antifaschisten, der von den Nazis ermordet wurde





Bei der Enthüllung der Werner Seelenbinder gewidmeten Tafel am Köpenicker Amtsgericht wurden Blumen niedergelegt und mahnende Worte gesprochen. Der Mandrellaplatz, an dem das Gebäude steht, ist nach dem Juristen und Gegner der NS-Diktatur Rudolf Mandrella benannt. Wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung wurde er zum Tode verurteilt und im Zuchthaus Brandenburg-Görden am 3. September 1943 hingerichtet.





Das Köpenicker Amtsgericht stammt aus der Kaiserzeit. Ihm schließt sich ein viergeschossiger Gefängnistrakt an, der heute als Gedenkstätte verwendet wird. Das Gefängnis war im Juni 1933 Schauplatz der Köpenicker Blutwoche, als die SA das Gefängnis beschlagnahmte und Hunderte Köpenicker Bürger jüdischen Glaubens und solche, die als politisch missliebig eingestuft wurden, dort zusammentrieb, folterte und 23 von ihnen ermordete.





Die Gedenkstätte im ehemaligen Gefängnistrakt an die Köpenicker Blutwoche ist donnerstags oder nach besonderer Anmeldung geöffnet.



Die von dem Bildhauer Walter Sutkowski gestaltete Skulptur zur Erinnerung an die Opfer einer von den Nazis inszenierten Terroraktion im Juni 1933, die als "Köpenicker Blutwoche" in die Geschichte einging, wurde 1970 enthüllt. (Fotos: Caspar)

Der bekannte Ringer, Kommunist und Antifaschist Werner Seelenbinder wurde am 24. Oktober 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Als talentierter Sportler beteiligte er sich erfolgreich an Wettkämpfen in Deutschland und im Ausland. Nach 1933 in die Widerstandsarbeit der KPD eingebunden, nutzte er seine Auslandsreisen, um Dokumente über den NS-Terror in andere Länder zu bringen und Vertrauten von den Naziverbrechen zu berichten. Der deutsche Meister nahm an der XI. Olympiade 1936 in Berlin teil und errang in seiner Klasse den 4. Platz. Wenn er einem höheren Rang erreicht hätte, wollte er, auf dem Siegerpodest stehend, der Welt die Wahrheit über den Hitlerterror zurufen. Ein paar Jahre noch sonnten sich die Nazis an den sportlichen Erfolgen des unter Beobachtung der Gestapo stehenden Ringers.

Stolz und stark in der letzten Stunde

Hitlers Geheimpolizei nahm ihn 1942 im Zusammenhang mit der Zerschlagung der Gruppe um den Kommunisten und Widerstandskämpfer Robert Uhrig fest. Nach quälender Haft und Folter sprach der Volksgerichtshof das Todesurteil über den sechsfachen deutschen Meister aus, das im Zuchthaus Brandenburg-Görden vollstreckt wurde, wenige Wochen nach der Ermordung von Uhrig und seinen Mitstreitern an der gleichen Stelle. In seinem Abschiedsbrief schrieb Seelenbinder: "Ich habe in der Zeit meiner Haft wohl alles durchgemacht, was ein Mensch so durchmachen kann. Krankheit und körperliche und seelische Qualen, nichts ist mir erspart geblieben. Ich hätte gerne gemeinsam mit Euch, mit meinen Freunden und Sportkameraden, die Köstlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens, die ich jetzt doppelt zu schätzen weiß, nach dem Krieg mit Euch erlebt. Es waren schöne Stunden, die ich mit Euch verlebt habe, und ich habe in meiner Haftzeit davon gezehrt und mir diese herrliche Zeit zurück gewünscht. Das Schicksal hat es nun leider nach langer Leidenszeit anders bestimmt. Ich weiß aber, dass ich in den Herzen von Euch und auch bei vielen Sportanhängern einen Platz gefunden habe, den ich immer darin behaupten werde. Dieses Bewusstsein macht mich stolz und stark und wird mich in letzter Stunde nicht schwach sehen."

In der DDR war Werner Seelenbinder eine bekannte, hoch verehrte Persönlichkeit. Straßen und Plätze sowie Betriebe und Sporteinrichtungen wurden nach ihm benannt. Ihm zu Ehren erhielt die Köpenicker Kirdorfstraße seinen Namen. Eine damals von Jungen Pionieren der 9. Schule gestiftete Tafel am alten Amtsgericht auf dem Mandrellaplatz 6 erinnerte an ihn. Diese Tafel wurde 2003 bei Bauarbeiten gestohlen und tauchte nie wieder auf. Indem rechts neben dem Eingang des Gerichtsgebäudes am 24. März 2018 eine neue Gedenktafel mit Seelenbinders Porträt und daneben eine Glastafel mit erklärendem Text angebracht wurden, demonstrierten Bewohner von Köpenick nach eigenen Worten aktiven Antifaschismus. Die Ehrung erfolgte mit Unterstützung der Bezirksverordnetenversammlung Treptow-Köpenick und wurde von ihr inhaltlich mitgetragen.

Suche nach der alten Gedenktafel

Verbunden wird die Ehrung mit einer Frage an die Anwohner, ob sie sich an die Original-Gedenktafel erinnern und vielleicht sogar an die Vorgängertafel erinnern können, die Pioniere jener 9. Schule als Stifter erwähnt. Weitere Fragen lauten: "Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Bewohnern der Seelenbinderstraße, die Informationen zu der Tafel geben können, und haben Sie noch Fotos von der alten Tafel am Amtsgerichtsgebäude? All das kann uns helfen, die geplante Ausstellung zu Werner Seelenbinder zu gestalten. Jede Information kann die dazu vorgesehen Veröffentlichung unterstützen." Unterzeichnet ist der Aufruf von der Bürgerinitiative Gedenktafel für Werner Seelenbinder, Puchanstraße 9, 12555 Berlin, Mobil 0157/2063878, e-Mail: bvak-ev@email.de.

Werner Seelenbinders Urne wurde am 29. Juli 1945 in einem Ehrengrab auf dem Gelände des Berliner Sportparks Neukölln beigesetzt. Das Stadion erhielt den Namen "Werner-Seelenbinder-Kampfbahn". Allerdings wurde sie im Zeichen des Kalten Kriegs und weil Seelenbinder Kommunist war ab etwa 1948/49 nur noch Stadion Neukölln genannt. In der 1950 eingeweihten Werner-Seelenbinder-Halle im Osten der Stadt fanden zahlreiche große Sportveranstaltungen, Rockkonzerte und bis zum Bau des Palasts der Republik Parteitage der SED statt. Nach dem Abriss der Halle an der an der Paul-Heyse-Straße im Bezirk Prenzlauer Berg entstanden auf dem Gelände das Velodrom und eine Schwimm- und Sprunghalle. Wer in der DDR als "Meister des Sports" und "Verdienter Meister des Sports" ausgezeichnet wurde, bekam eine Medaille mit Seelenbinders Porträt. Verschiedene Sportanlagen, Straßen und Schulen tragen oder trugen den Namen von Werner Seelenbinder, der 2008 in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen wurde. Vorschläge für diese besondere Auszeichnungen werden von der Stiftung Deutsche Sporthilfe, dem Deutsche Olympische Sportbund und dem Verband Deutscher Sportjournalisten eingereicht.

Köpenick litt unter Orgie der Gewalt

Eine Orgie der Gewalt überzog im Juni 1933 den Berliner Bezirk Köpenick, der seit 1920 Teil von Groß-Berlin war. Schlagartig wurden Männer und Frauen aus ihren Wohnungen geholt und ins örtliche Gefängnis, aber auch in die Sturmlokale der SA verschleppt. Zu Staatsfeinden erklärt, wurden sie gefoltert, um Namen von weiteren Oppositionellen preiszugeben, aber auch um Angst und Schrecken zu verbreiten. Namen und Zahl der Opfer der vom SA-Sturmbann 15 angezettelten Köpenicker Blutwoche stehen nicht genau fest, es wird von mindestens 24 Ermordeten und weiteren Vermissten gesprochen. Einige Leichen wurden noch Wochen später, in Säcke eingenäht, aus den Gewässern rund um Köpenick geborgen. Nach dem Ende der NS-Diktatur hat man den Mördern, so weit man ihrer habhaft wurde, in Ostberlin den Prozess gemacht. Sechs von ihnen wurden 1951 in Frankfurt an der Oder hingerichtet, die anderen erhielten hohe Zuchthausstrafen.

Eine Ausstellung in dem zum Köpenicker Amtsgericht gehörenden früheren Zellengefängnis an der Puchanstraße dokumentiert den Verlauf und die Folgen des von den Nazis als Maßnahme zum Schutz von Volk und Reich deklarierten Massenmords an Köpenicker Antifaschisten und zeigt zugleich, dass sich mutige Männer und Frauen gegen die Gleichschaltung, SA- und Gestapoterror und den Rassenwahn der Nationalsozialisten zur Wehr setzten und dies vielfach mit ihrem Leben bezahlen mussten. Die in ehemaligen Gefängniszellen und einer kleinen Kapelle eingerichtete Ausstellung zeigt Bilder von den Mordopfern und Dokumente über die Terroraktion, die als "Köpenicker Blutwoche" in die Geschichte einging. Interesse verdienen Informationen darüber, wie in der frühen DDR die Erinnerung an die Köpenicker Blutwoche missbraucht wurde, um im Zeichen des Kalten Kriegs Front gegen den, wie es hieß, westdeutschen Imperialismus als angeblichen Nachfolger des NS-Regimes zu machen. Die Gedenkstätte in der Köpenicker Puchanstraße 12 ist nur donnerstags 10 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet.

Eine riesige Betonfaust erhebt sich auf dem Platz des 23. April in Köpenick, darunter stürzende beziehungsweise sich aufrichtende Gestalten als Sinnbilder für den Sieg der Geschichte über die Mächte der Finsternis und Gewalt. Auf der Rückseite der Stele liest man ein Zitat von Karl Liebknecht, dem Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands Ende 1918: "Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird - leben wird unser Programm. Es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!"

27. März 2018

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