Der Mann mit der Aktentasche
Neues Denkmal in der JVA Tegel ehrt den unerschrockenen Gefängnispfarrer Harald Poelchau







Ein Mann geht im Bereich der Justizvollzugsanstalt Tegel durch die Wand, auf dem Spiegel ist Harald Poelchaus Lebensmotto "Was braucht es, einem anderen zu helfen?" zu lesen. Oben der Besuchereingang, rechts davon ist die Ossietzky-Tafel in die Wand eingelassen.



Harald Poelchaus Arbeitsplatz war das damalige Strafgefängnis Tegel, wo er vielen zum Tod verurteilten Widerstandskämpfer aufopfernd beistand.



Die kleine, dem mutigen Pfarrer Poelchau gewidmete Schrifttafel ist vor einer Gefängnismauer der JVA Tegel in den Boden eingelassen.





In dem zur Gedenkstätte umgewandelten Gebäude im Bereich der JVA Plötzensee fanden während der NS-Diktatur unzählige Hinrichtungen durch den Strang oder den Fallbeil statt.





Die Tafeln erinnern am Eingang zur JVA Tegel an zwei zu Opfer des Naziregimes, die in Tegel einsaßen - Carl von Ossietzky und auf dem Bernhard-Lichtenberg-Platz unweit des U-Bahnhofs Holzhauserstraße an den katholischen Geistlichen Bernhard Lichtenberg.



Der von den Nazis ermordete und von Papst Johannes Paul II. selig gesprochene Dompropst Bernhard Lichtenberg blickt beim Festival of Ligths von der Fassade der Hedwigskathedrale auf das bunte Treiben auf dem Bebelplatz. Diese Art der Ehrung des unerschrockenen Mannes in Deutschlands dunkelster Zeit ist ungewöhnlich. Die wenigsten Leute dürften allerdings wissen, wer für sie da betet. (Fotos/Repro: Caspar)

Anlässlich des 115. Geburtstag des früheren Gefängnispfarrers und antifaschistischen Widerstandskämpfers Harald Poelchau (1903 -1972) wurde am 5. Oktober 2018 vor und in der Justizvollzugsanstalt an der Seidelstraße 39 im Berliner Ortsteil Tegel eine Skulptur der Künstlerin Katrin Hattenhauer feierlich eingeweiht. Die 1,75 große Skulptur aus braun patiniertem Edelstahl im Innenhof des Gefängnisses zeigt die Silhouette eines Mannes, der mit einer Aktentasche durch eine Mauer schreitet. Er blickt in einen Spiegel mit der Aufschrift "Was braucht es, einem anderen zu helfen?", der in eine Mauer eingelassen ist. Vor der JVA ist gleich beim Besuchereingang ein weiterer Spiegel dieser Art an der Ziegelmauer angebracht. Die Künstlerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin hatte das Denkmal gemeinsam mit Inhaftierten erarbeitet, denn trotz Poelchaus langjährigem Engagement im Gefängnis Tegel unter lebensbedrohlichen Bedingungen gab es bisher dort keinen Hinweis auf sein Wirken. Die Veranstaltung zur Erinnerung an den mutigen Gefängnispfarrer Harald Poelchau, zu der auch ein Gottesdienst in der Anstaltskirche gehörte, wurde vom Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Dirk Behrendt, und der Generalsuperintendentin für den Sprengel Berlin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Ulrike Trautwein, eröffnet.

Harald Poelchau war von 1933 bis 1945 und von 1949 bis 1951 evangelischer Gefängnisseelsorger im Strafgefängnis Berlin-Tegel. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 und bis 1945 begleitete er etwa eintausend Menschen auf ihrem schweren Weg zur Hinrichtung und betreute etliche ihrer Angehörigen. Er schmuggelte Briefe und Nachrichten für die aus politischen Gründen Inhaftierten heimlich aus dem Gefängnis und dort hinein und half so Dietrich Bonhoeffer, Helmut James Graf von Moltke und anderen zum Tod verurteilte Widerstandskämpfern. Als im Oktober 1941 die systematische Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Konzentrationslager begann, vermittelten Poelchau und seine Ehefrau Dorothee Ziegele illegale Unterkünfte im gemeinsamen großen Bekanntenkreis. Trotz seines langjährigen Engagements im Gefängnis Tegel gab es dort bislang keinen Hinweis auf sein Wirken. Harald und Dorothee Poelchau wurden 1972 von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als Gerechte unter den Völkern geehrt. An sie erinnern die Poelchaustraße im Berliner Bezirk Hellersdorf-Marzahn und eine Stele, die über das Leben des Ehepaars informiert.

Das Leben riskiert, um andere zu retten

Zurück nach Tegel. Im Rahmen des Kunstprojekts hatte sich um Katrin Hattenhauer eine Gruppe gebildet, die aus zehn JVA-Insassen, zwei evangelischen Seelsorgern, der Pfarrerin Christina Ostrick und dem Pfarrer Erhard Wurst besteht. Einbezogen sind auch die Beauftragte für Erinnerungskultur der EKBO Pfarrerin Marion Gardei sowie weitere Mitarbeiter der JVA Tegel. Das Denkmal zu Ehren von Harald Poelchau wird als Soziale Skulptur bezeichnet. Mit ihr wird ein mutiger Mann geehrt, der sein Leben riskiert hat, um das Leben anderer zu retten, und der so viele andere Menschen in einer guten Weise beeinflusst hat. Zu sehen ist die Silhouette des Mannes mit der Aktentasche als Symbol für Mut und Courage, die in der heutigen Zeit erforderlicher denn je sind, wie der Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) bei der Denkmalweihe sagte. "Wenn rechtspopulistische Thesen plötzlich wieder salonfähig werden, dann braucht es mutige und couragierte Menschen, die dem deutlich widersprechen", betonte Behrendt. Poelchau könne hier als Vorbild dienen, sein Denkmal soll ein Anstoß sein, "vorgegebene Denkmuster aufzubrechen und andere Wege zu beschreiten". Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein betonte, das Bildwerk sei aus der "Betroffenenperspektive" entstanden. Die Inhaftierten könnten wohl am besten "nachempfinden, was es bedeutet, nur sehr begrenzt über das eigene Leben verfügen zu können und inhaftiert zu sein, aus welchen Gründen auch immer." Harald Poelchau stehe auch für einen menschlichen Strafvollzug.

Über "Doktor Tegel", so sein Deckname, schrieb die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, Schriftstellerin und Journalistin Ruth Andreas-Friedrich am 20. Oktober 1944 in ihr Tagebuch, er sehe ernst und angegriffen aus. "Fast jeden Tag einen Menschen, den man schätzt oder liebt, zum Schafott begleiten zu müssen, ist mehr, als ein einzelner ertragen kann. Dass er es trägt, dass er darüber nicht den Verstand verliert, sondern jeden freie Minute benutzt, um die Frauen der Verurteilten zu betreuen, den Verbindungsdienst zwischen ihnen und ihren gefangenen Männern herzustellen, Untergetauchten zu helfen, Verfolgte unter seinen Schutz zu nehmen, das ist das, was uns zu diesem Mann fast wie zu einem Heiligen aufblicken lässt." Sie wusste aus eigenem Erleben, was es heißt, Verfolgten des Naziregimes zu helfen, war sie doch mit anderen im Rahmen der illegalen Gruppe "Onkel Emil" aktiv im Widerstand tätig.

Ehrungen für Carl von Ossietzky und Bernhard Lichtenberg

Am Eingang erinnert eine Tafel an den Journalisten und Schriftsteller Carl von Ossietzky, der 1931 im so genannten Weltbühne-Prozess 1931 wegen angeblicher Spionage verurteilt wurde und hier in Haft saß, weil er in seiner Zeitschrift die durch den Versailler Vertrag verbotene Aufrüstung der Reichswehr enthüllt hatte. 1936 wurde der streitbare Pazifist rückwirkend für das Jahr 1935 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ossietzky wurde am 28. Februar 1933, als das Reichstagsgebäude in Berlin brannte, mit weiteren Oppositionellen von den Nationalsozialisten erneut verhaftet und ins Gefängnis an der Wilhelmstraße in Berlin-Spandau gebracht, das nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrechergefängnis traurige Berühmtheit erlangte. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz wurde explizit auch gegen Ossietzky und seinen Schriftstellerkollegen Kurz Tucholsky mit dem Ruf "Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!" gehetzt. Von Spandau aus wurde Ossietzky am 6. April 1933 in das neu errichtete Konzentrationslager Sonnenburg bei Küstrin verschleppt. Dort wurde er ebenso wie die anderen Häftlinge schwer misshandelt. Carl von Ossietzky starb am 4. Mai 1938 starb im Berliner Krankenhaus Nordend an Tuberkulose und den Folgen der Misshandlungen. Seine Frau Maud und die Tochter Rosalinda konnten über England nach Schweden emigrieren. Sein Grab und das seiner Frau Maud befindet sich auf dem Friedhof Pankow IV am Herthaplatz in Berlin-Niederschönhausen und wird als Ehrengrab durch die Stadt Berlin erhalten. An Carl von Ossietzky erinnern in Pankow unweit des Schlosses Niederschönhausen sowie in einer Schule an der Kreuzberger Blücherstraße zwei von Klaus Simon beziehungsweise Ludmila Seefried-Mateiková geschaffene Skulpturen aus Bronze.

Vom U-Bahnhof Holzhauserstraße kommend, sieht man auf dem Weg zur JVA Tegel an der Kreuzung Holzhauserstraße/Seidelstraße einen Gedenkstein zur Erinnerung von den Nazis ermordeten katholischen Dompropst Bernhard Lichtenberg, der wegen seiner Widerstandstätigkeit 1942 wegen angeblichen Kanzelmissbrauchs und Vergehen gegen das Heimtückegesetz zu einer zweijährigen Haftstrafe unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt wurde. Diese Strafe verbüßte er zuerst im Gefängnis Tegel und im Durchgangslager Berlin-Wuhlheide. Allerdings wurde der Geistliche im Spätherbst 1943 nicht entlassen, sondern unmittelbar in "Schutzhaft" genommen und in ein Konzentrationslager eingewiesen. Auf dem Transport in nach Dachau machte der Zug am 3. November 1943 in Hof Halt. 200 Gefangene, darunter Bernhard Lichtenberg, wurden mit Lastwagen in ein Gefängnis gebracht. Dessen Leiter sorgte dafür, dass der schwerkranke Lichtenberg in das städtische Krankenhaus überwiesen. Dort starb er am 4. November 1943 starb Lichtenberg gegen 18 Uhr. Die Hofer Polizei gab den Leichnam frei, bevor die Gestapo eingreifen konnte. Die sterblichen Überreste wurden am 11. November nach Berlin gebracht und am 16. November, von der Kirche St. Sebastian ausgehend, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem alten Domfriedhof der St.-Hedwigs-Gemeinde in der Liesenstraße zu Grabe getragen. In der 1963 geweihten Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin-Charlottenburg Nord sollte in der Krypta ein Sarkophag die Gebeine von Bernhard Lichtenberg aufnehmen. Allerdings verweigerten die DDR-Behörden die Überführung nach Westberlin. So wurden die Gebeine 1965 in der Unterkirche der im Ostteil der Stadt gelegenen St.-Hedwigs-Kathedrale beigesetzt. Auch der 1996 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochene Bernhard Lichtenberg wurde von der Gedenkstätte Yad Vashem wegen seines Einsatzes für verfolgte Juden als Gerechter unter den Völkern geehrt.

8. Oktober 2018

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"