Brauner Terror in der Roten Tintenburg
Tafeln rund um den Wilmersdorfer Ludwig-Barnay-Platz erinnern an Künstlerschicksale in Deutschlands dunkelster Zeit







Dass es sich bei dem unter Denkmalschutz stehenden Ludwig-Barnay-Platz um ein Prominentenviertel der besonderen Art handelt, erzählen Gedenktafeln, die an verschiedenen Gebäuden rings um den Platz und in Seitenstraßen angebracht sind. Der Findling rechts ehrt die Opfer der Nazidiktatur.





Die in der Königlichen Porzellanmanufaktur hergestellten Berliner Gedenktafeln ehren am Haus Ludwig-Barnay-Platz den Dichter Walter Hasenclever sowie in der Laubenheimer Straße 10 die Medizinerin Charlotte Wolff, die aus Nazideutschland flüchtete, weil ihr als Jüdin jede Arbeits- und Lebensgrundlage entzogen wurde.





Die Widerstandskämpferin Helene Jacobs erhielt eine Gedenktafel an ihrem Wohnhaus Bonner Straße 2. Sie versteckte Juden bei sich und verhalf weiteren zur Flucht. An die Schauspielerin Steffie Spira erinnert die Tafel mit dem Motto "So wie es ist, bleibt es nicht!" an der Bonner Straße 9. (Fotos: Caspar)

Zwischen 1927 und 1930 errichteten die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und der Schriftsteller-Schutzverband rund um den Laubenheimer Platz in der Nähe des Berliner Südwestkorsos eine Siedlung für notleidende Künstler und Journalisten. Anlässlich der 80. Wiederkehr der Gründung des Deutschen Theaters erhielt 1963 die Grünfläche an der Laubenheimer Straße den Namen von Ludwig Barnay, der zu den Gründervätern dieser renommierten Spielstätte gehörte. Der aus Budapest stammende Schauspieler und zeitweilige Direktor des Königlichen Schauspielhauses in Berlin war Gründer und Ehrenpräsident der Bühnengenossenschaft, die die aus vier- bis fünfgeschossigen Häusern um großzügig angelegte Höfe bestehende Siedlung bauen ließ. Nach Plänen von Ernst und Günther Paulus, Franz Hebold, Jean Krämer und anderer Architekten errichtet, ist das Ensemble mit seinen geputzten sowie aus Klinkern bestehenden Fassaden, aufwändig gestalteten Eingängen und kleinen Vorgärten bis heute fast unverändert erhalten.

Die Liste derer, die hier gelebt, gearbeitet sowie für Kunst und Freiheit, für eine gerechte Welt ohne Faschismus und Krieg gekämpft haben, ist lang. Wer rund um den Platz und in die Seitenstraßen geht, ungewöhnlich viele Gedenktafeln. Sie erinnern an den Philosophen Ernst Bloch und den Interpreten proletarischer Lieder Ernst Busch, genannt Barrikaden-Tauber. Geehrt werden Axel Eggebrecht, Walter Hasenclever, Peter Huchel, Helene Jacobs, Alfred Kantorowicz, Erich Weinert und Charlotte Wolff. Man könnte den durch Tafeln besonders hervorgehobenen Persönlichkeiten noch weitere hinzufügen, denen diese Ehrung aus welchen Gründen auch immer nicht zuteil wurde.

Hilfe für verfolgte Juden

Nicht alle waren als Dichter tätig. So half Helene Jacobs als Sekretärin eines jüdischen Patentanwaltes und Mitglied der Bekennenden Kirche, dass jüdische Verfolgte untertauchen und das Land verlassen konnten. Aus christlich-sozialer Motivation heraus versteckte sie weitere Menschen in ihrer Wohnung, bis sie 1943 denunziert und anschließend zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde. Über sich sagte sie: "Mit Illegalität hatte ich nichts zu tun. Meine Welt ging kaputt, die wollte ich verteidigen. Ich hatte am 30. Januar 1933, als Hitler Reichskanzler wurde, mein Vaterland verloren. Besonders die antisemitischen Nürnberger Gesetze (1935), die einen Teil der Bevölkerung willkürlich aus der Gemeinschaft ausschlossen, gingen mir unter die Haut. Diesen verfolgten Menschen wollte ich helfen." Nach dem Ende der Naziherrschaft arbeitete sie im Westberliner Entschädigungsamt, doch weil sie sich zu sehr für die um ihre Rechte kämpfenden Antragsteller eingesetzt hatte, hat man sie 1963 strafversetzt. Helene Jacobs war seit der Gründung 1949 Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Berlin. Sie wurde von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt. Sie verstarb 1993 und wurde auf dem Waldfriedhof Dahlem beigesetzt. Ihr Grab ist seit 2004 als Ehrengrab der Stadt Berlin.

Ebenfalls mit einer Gedenktafel wird die Schauspielerin Steffie Spira geehrt, die am 4. November 1989 in die Geschichte einging, als sie fünf Tage vor dem Fall der Mauer auf dem Berliner Alexanderplatz den 500 000 Menschen zurief und begeisterten Applaus erhielt: "1933 ging ich allein in ein fremdes Land. Ich nahm nichts mit, aber im Kopf hatte ich einige Zeilen eines Gedichts von Bertolt Brecht: Lob der Dialektik. So wie es ist, bleibt es nicht. Wer lebt, sage nie Niemals. Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein. Und aus Niemals wird Heute noch! Ich wünsche für meine Urenkel, dass sie aufwachsen ohne Fahnenappell, ohne Staatsbürgerkunde und dass keine Blauhemden mit Fackeln an den hohen Leuten vorübergehen. Ich habe noch einen Vorschlag: Aus Wandlitz machen wir ein Altersheim! Die über 60- und 65jährigen können jetzt schon dort wohnen bleiben, wenn sie das tun, was ich jetzt tue - Abtreten!" In dem Gedicht heißt es weiter: "Wer noch lebt, sage nicht: niemals! / Das Sichere ist nicht sicher. / So, wie es ist, bleibt es nicht. / Wenn die Herrschenden gesprochen haben, / Werden die Beherrschten sprechen."

Nazi-Schlägertrupps suchten die Siedlung heim

Beginnend mit dem Wahlkampf für die Reichstagswahl 1930 wurden die Bewohner der Künstlerkolonie Ziel nationalsozialistischer Provokationen und Übergriffe. Es wurde zu dieser Zeit gefährlich, abends alleine den Heimweg vom nahe gelegenen U-Bahnhof Breitenbachplatz anzutreten. Die Bewohner der Künstlerkolonie gründeten deshalb einen Selbstschutz, der als bewaffneter Geleittrupp im Konvoi-System von bestimmten späten U-Bahn-Zügen die Bewohner abholte und nach Hause begleitete. Etwa vierhundert der rund tausend Bewohner der Künstlerkolonie beteiligten sich am organisierten Selbstschutz.

Vor der Errichtung der NS-Diktatur war das Viertel, das wegen der dort wohnenden linken Intellektuellen "Rote Tintenburg" genannt wurde, Ziel von Schlägertrupps der Nationalsozialisten. In der Nazizeit wurde die aus dunkelroten Backsteingebäuden rund um den Platz bestehende Siedlung von der Geheimen Staatspolizei, der Gestapo, beobachtet. In der "Roten Tintenburg" lebte es sich gefährlich. Vor 1933 und verstärkt danach waren die Bewohner immer wieder Attacken und Überfällen durch braune Schläger ausgesetzt. mit berühmten Namen. Ende der 1950er Jahre hat man den von vier- bis fünfgeschossigen Häusern mit dunkelroten Klinkerfassaden flankierten Platz neu gestaltet und ihm Rasenflächen, Blumenrabatten und Kinderspielecken geschenkt. Auf dem Platz steht gegenüber der Einmündung zur Bonner Straße ein Findling, der 1988 enthüllt wurde. Die kleine Bronzetafel erinnert an die "politisch Verfolgten der Künstler-Kolonie" und meint damit vor allem linksorientierte Bewohner des Viertels, die nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 von den Nazis mit Arbeitsverbot belegt, ins Exil gedrängt, in die Konzentrationslager geworfen und ermordet wurden.

Nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 durchlitten die Bewohner der Künstlerkolonie schwere Zeiten. Bereits Februar 1933 führte die SA, die als "Hilfspolizei" oder "Schutzpolizei" von jeder Strafverfolgung ausgenommen wurde, Überfälle, Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch. Der Reichstagsbrand war für die Terrortruppe ein willkommener Anlass für Repressalien. Die Künstlerkolonie wurde abgeriegelt, zahlreiche Wohnungen wurden durchsucht. Wenn der Polizei nicht geöffnet wurde, drang sie gewaltsam in die Wohnungen ein. Vierzehn Personen, unter ihnen Theodor Balk, Peter Martin Lampel, Günther Ruschin, Manès Sperber, Curt Trepte und Walter Zadek, wurden festgenommen. Eine unbekannte Anzahl ausländischer Staatsangehöriger, die sich nicht ausweisen konnten, wurden zur Personenfeststellung auf das Polizeipräsidium gebracht. Mehrere Lastwagen voller Akten wurden beschlagnahmt, ebenso wie zahlreiche Waffen. Literatur, die die Nationalsozialisten für kommunistisch oder marxistisch hielten, wurde auf den Laubenheimer Platz geschafft und verbrannt, womit das Autodafé vom 10. Mai 1933 auf dem Berliner Bebelplatz und an anderen Orten vorweg genommen wurde.

Widerstand unter Todesgefahr

Zahlreiche Bewohner der Künstlerkolonie wie Ernst Bloch, Ernst Busch, Walter Hasenclever, Alfred Kantorowicz, Arthur Koestler, Susanne und Wolfgang Leonhard, Gustav Regler, Günter Ruschin, Manès Sperber, Steffie Spira, Walter Zadek und Hedda Zinner verließen noch 1933 Deutschland. Andere organisierten trotz aller Gefahren und das eigene Leben riskierend den politischen Widerstand. So gründete Alexander Graf Stenbock-Fermor, genannt "der rote Graf", in seiner Wohnung im Herbst 1940 zusammen mit Beppo Römer und Willy Sachse die Widerstandsgruppe Revolutionäre Arbeiter und Soldaten (RAS). Weitere Mitglieder der RAS wurden Irene und Hans Meyer-Hanno, Fritz Riedel und Alja Blomberg. Stenbock-Fermor vermerkte zur Arbeit der RAS in seinen Erinnerungen: "Wir trafen uns abwechselnd bei mir, in der Wohnung von Alja Blomberg am Südwestkorso und oft bei Meyer-Hannos am Laubenheimer Platz 2. Hans Meyer-Hanno und seine Frau Irene wurden die eifrigsten Mitarbeiter". Helene Jacobs und andere versteckten politisch Verfolgte in ihren Wohnungen. Ein vor dem Haus Laubenheimer Platz 2 ausgelegter Stolperstein ist dem Schauspieler und Widerstandskämpfer Hans Meyer-Hanno gewidmet, der von den Nationalsozialisten unmittelbar vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs ermordet wurde.

24. April 2018

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