Einheit von Lehre und Forschung
Wie es vor über 200 Jahren zur Gründung der Humboldt-Universität zu Berlin kam



Das Palais des Prinzen Heinrich von Preußen wurde 1810 Sitz der Berliner Universität. Die farbige Grafik zeigt die Straße Unter den Linden im frühen 19. Jahrhundert, rechts steht Schinkels 1816 eröffnete Neue Wache.







1810 als Friedrich-Wilhelms-Universität gegründet, erhielt sie 1949 den Namen der Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt. Ihre 1883 enthüllten Marmordenkmäler stehen vor dem Hauptgebäude, auf dem Foto rechts Alexander von Humboldt, in der Mitte Hermann von Helmholtz.



Beide deutsche Staaten widmeten berühmten Angehörigen der Berliner Universität (Brüder Humboldt, Hegel, Fichte und Planck) sowie im Fall von Karl Marx auch einem ihrer berühmten Studenten diese Gedenkmünzen.



Das Denkmal im Hof der Humboldt-Universität ehrt mutige Männer und Frauen, die im Kampf gegen das Naziregime Freiheit und Leben verloren haben.



Die Bronzetafel an einem Institutsgebäude an der Hessischen Straße in Berlin-Mitte erinnert an Professor Dr. Robert Havemann, der sich mit seinen Forderungen nach Einigkeit und Recht und Freiheit und einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz mit dem SED-Regime anlegte und von diesem mit Lehr- und Hausverbot belegt wurde. (Fotos/Repro: Caspar)

Lange vor ihrer offiziellen Stiftung im Sommer 1809 und der Eröffnung des Lehrbetriebs im Herbst 1810 wurde über den Nutzen einer Universität in Berlin diskutiert. Es gab manche Widerstände, weil man befürchtete, das angeblich lockere Klima der preußischen Metropole täte den Studenten nicht gut, und sie könnten moralisch auf die "schiefe Bahn" kommen. Doch dann zwangen die politischen Verhältnisse Friedrich Wilhelm III. zu schnellem und entschlossenem Handeln. Nach dem verlorenen Krieg von 1806/7 gegen Frankreich hatte der siegreiche Kaiser Napoleon I. in Tilsit dem siegreichen Kaiser Napoleon I. einen Friedensvertrag mit katastrophalen Folgen aufgezwungen. Friedrich Wilhelm III. verlor die Hälfte seines Herrschaftsgebietes und seiner Untertanen, sein Land musste eine riesige Kriegsentschädigung zahlen und war mehrere Jahre von Franzosen besetzt. Halle an der Saale und seine Universität fielen an das neue, von einem Bruder des französischen Kaisers regierte Königreich Westphalen, und die ebenfalls preußische Universität in Duisburg stand auch nicht mehr zur Verfügung. Blieb noch die altehrwürdige Universität in Frankfurt an der Oder, deren Kapazitäten jedoch den aktuellen Ansprüchen nicht mehr gerecht wurde. Also musste eine neue Alma mater her, weshalb das Berliner Universitätsprojekt, von dem ab 1790 immer mal wieder die Rede war, auf die Tagesordnung gesetzt und von namhaften Reformpolitikern sowie Gelehrten voran getrieben wurde.

Das Berliner Universitätsprojekt wurde von namhaften Wissenschaftlern wie Fichte, Hufeland und Schleiermacher unterstützt. Wichtigster Kopf dieser Gruppe war Wilhelm von Humboldt, der sich als Direktor für Cultus und Unterricht im preußischen Innenministerium intensiv für die Verbesserung des Bildungswesens in der Hohenzollernmonarchie und insbesondere für die Einrichtung humanistischer Gymnasien einsetzte. Der Sprachforscher, Politiker und Diplomat setzte sich gegen Bedenkenträger durch, die gegen den angeblich sittenverderblichen Einfluss von Großstädten auf die studierende Jugend wetterten. Als sich Hallenser Professoren hilfesuchend an den König wandten, er möge ihre Universität "über die Elbe nehmen, wo kein Ort dafür schicklicher scheine als Berlin", antwortete dieser positiv. "Das ist recht, das ist brav! Der Staat muss durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat", schrieb der sonst stets zögerliche Herrscher und gab grünes Licht für die Gründung der Alma mater berolinensis.

Warnungen besorgter Sittenwächter

Als im Herbst 1810 in Berlin der Lehrbetrieb aufgenommen wurde, warnten besorgte Sittenwächter die Studenten davor, sich mit Huren am Rande des Akademie- und Universitätsviertels einzulassen und in Kneipen kostbare Zeit zu vertrödeln. Selbstverständlich konnte man solche Freizeitbeschäftigungen nicht verhindern, doch insgesamt scheinen sich die Berliner Studenten an die strengen Regeln des Universitätsbetriebs gehalten zu haben. Wie es dort im frühen 19. Jahrhundert zuging und was sich Unter den Linden abspielte und welche amourösen Abenteuer man in Berlin erleben kann, hat Heinrich Heine in launiger Weise aus eigenem Erleben in seinen "Briefen aus Berlin" überliefert, und auch von einem anderen Berliner Studenten der frühen Jahre, dem vor 200 Jahren in Trier geborenen Karl Marx, sind bemerkenswerte Beobachtungen über das geistige Klima an der Friedrich-Wilhelm-Universität erhalten, die ab 1949 mit ihrem neuen Namen an die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt erinnert. Diesen hat man bereits 1883 zwei Marmordenkmäler am Eingang gewidmet. Mit diesen Denkmälern stattete die Universität jenen Männern Dank ab, die wesentlich zu ihrer Gründung beigetragen und ihren Geist geprägt haben.

Wilhelm von Humboldt schwebte eine "Universitas litterarum" vor, welche die Einheit von Lehre und Forschung verwirklicht und eine allseitige humanistische Bildung der Studierenden ermöglicht. Dieses Konzept erwies sich als erfolgreich, verbreitete sich weltweit und führte zur Gründung ähnlich ausgerichteter Universitäten. So wurde die Berliner Alma mater die "Mutter aller Universitäten". Humboldt trug seine Vorstellungen dem König am 24. Juli 1809 in einer Denkschrift vor und bat ihn, die Errichtung einer Universität in Berlin und die Verbindung der dort schon existierenden wissenschaftlichen Institute und Sammlungen mit derselben förmlich beschließen zu wollen. Die neue Universität sollte so viele Domänen als nötig und ein sicheres Einkommen von 150 000 Reichstalern erhalten und Unter den Linden ihren Sitz im Palais des 1802 verstorbenen Prinzen Heinrich von Preußen, eines jüngeren Bruders König Friedrichs II., des Großen, nehmen. Der König wurde gebeten, diese Güter und Gebäude "auf ewige Zeiten hinaus" in das Eigentum der Universität zu geben, und so steht es denn auch in der Stiftungsurkunde. Wenn 2019 das Humboldt Forum im Nachbau des Berliner Schlosses eröffnet wird, ist die Berliner Alma mater mit einer Ausstellung dabei, die auf die Licht- und Schattenseite ihrer Entwicklung eingeht und Schätze aus den wissenschaftlichen Sammlungen präsentiert.

Der Ganzheit, Allheit, Einheit

In seiner Antwort auf die erwähnte Denkschrift verfügte der Monarch "die Einrichtung einer solchen allgemeinen Lehranstalt mit dem alten hergebrachten Namen einer Universität, und mit dem Rechte zur Erteilung akademischer Würden." Die Universität, die Akademien der Wissenschaften und der Künste sowie sämtliche wissenschaftlichen Institute und Sammlungen sollten zwar ihre Selbstständigkeit behalten. Ihnen wurde aber aufgetragen, gemeinschaftlich zum allgemeinen Zweck zusammenwirken. Der neuen Universität wurden das frühere Palais des Prinzen Heinrich, das in der Regierungszeit Friedrichs des Großen errichtet worden war, sowie Teile des benachbarten Akademiegebäudes übereignet. Clemens Brentano schrieb den Text für eine Kantate zur Eröffnung der Alma mater berolinensis. Darin werden die Aufgaben der neuen Bildungs- und Forschungsstätte so beschrieben: "Der Ganzheit, Allheit, Einheit, / der Allgemeinheit / gelehrter Weisheit / des Wissens Freiheit / gehört dies Königliche Haus! So lege ich Euch die goldenen Worte aus: Universitati Litterariae".

Dass man in der preußischen Haupt- und Residenzstadt gut studieren kann und ein akademischer Abschluss großes Ansehen genießt, sprach sich im frühen 19. Jahrhundert schnell herum. Zum guten Ruf trugen Professoren wie Georg Friedrich Wilhelm Hegel (Philosophie), Karl Friedrich von Savigny (Jura), August Boeckh (Klassische Philologie), Christoph Wilhelm Hufeland (Medizin) und Albrecht Daniel Thaer (Landwirtschaft) bei. Das erste Studienjahr begann mit 256 Studenten und 52 Professoren und Studenten, doch schon bald schwollen diese Zahlen an. In einem Berlin-Lexikon von 1834 wurden schon 88 akademische Lehrer und über 2000 Studenten erwähnt, nach damaligem Brauch alles Männer, denn Frauen war der Zugang zur Universität versperrt. Hinzu kamen knapp 500 Personen, die als Hörer an Vorlesungen teilnahmen.

Gegliedert war die neue Universität in die vier klassischen Fakultäten Jura, Medizin, Philosophie und Theologie. Doch schon bald wurde das Ausbildungsprofil den Bedürfnissen der Zeit entsprechend erweitert. So wurde die Universität zum Wegbereiter neuer Natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen. Diese Entwicklung ist neben den Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt auch dem an der Universität lehrenden Chemiker August Wilhelm von Hofmann, dem Physiker Hermann von Helmholtz, dessen Denkmal im Ehrenhof der Universität steht, sowie den Mathematikern Ernst Kummer, Leopold Kronecker, Karl Theodor Weierstraß sowie den Medizinern Johannes Müller und Rudolf Virchow zu verdanken. Das günstige Klima an der Alma mater brachte nicht weniger als 29 Nobelpreisträger hervor, unter ihnen befinden sich Albert Einstein, Emil Fischer, Fritz Haber, Theodor Mommsen und Max Planck. An Theodor Mommsen, Max Planck und neuerdings an die Physikerin Lise Meitner erinnern im Ehrenhof der Universität aufgestellte Standbilder, weitere befinden sich im Umkreis des Hauptgebäudes und im Bereich der Charité.

Licht- und Schattenseiten

Bei aller Bewunderung, die man angesichts des kometenhaften Aufstiegs der Bildungs- und Forschungsstätte empfinden mag, wird man nicht übersehen können, dass es auch böse Entwicklungen und Rückschritte gegeben hat. Wer im Geschichtsbuch der Berliner Alma mater blättert, wird wenig ruhmvolle Seiten finden. Sie betreffen die Unterdrückung des freien Geistes nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 und in späteren Perioden. Erinnert sei an nationalistische und antisemitische Ausfälle nach der deutschen Reichsgründung von 1871, an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 unter Beteiligung johlender Studenten und Dozenten in braunen SA-Uniformen und an die Ausgrenzung und Verfolgung von jüdischen Professoren und Studierenden während der Zeit des Nationalsozialismus. Wer nicht in das rassistische und völkische Weltbild der Nazis passte, verlor seine Arbeit, seine Freiheit und oft genug sein Leben.

Die gespenstische Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz am 10. Mai 1933 markiert in besonders drastischer Weise den Beginn der "Gleichschaltung" der deutschen Hochschulen und Universitäten und des Geisteslebens wenige Wochen nach der Errichtung der NS-Diktatur. Sehr schnell entledigte sich auch die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität unter dem Druck der Regierung und im mehr oder weniger willigen Vollzug neuer, diskriminierender Gesetze ihrer jüdischen Professoren und Studenten sowie aller Personen, die als politisch nicht zuverlässig galten. Für die Lehre, Forschung und Ausbildung wurden nur noch Personen mit "arischer" Abstammung zugelassen und sich, zumindest nach außen, gegenüber den neuen Machthabern loyal verhielten. Von nun an stand die "deutsche Wissenschaft" auf dem Programm. Die Naziführung konnte sich auf die hauptstädtische Alma mater verlassen und wurde gefördert, soweit es ihr in den Kram passte. In der Charité fanden grausige Versuche an Menschen angeblich im Dienst der Forschung statt. An verschiedenen Instituten wurden Gutachten und Pläne zur Besiedlung und Germanisierung von osteuropäischen Ländern ausgearbeitet, die von der deutschen Wehrmacht unterworfen wurden.

Doch hinter der Fassade der Berliner Universität brodelte es. Es kam zu regimefeindlichen Aktionen, deren Initiatoren, so weit sie bekannt wurden, von der Gestapo und der Justiz erbarmungslos verfolgt wurden. In internen Zirkeln wurde insbesondere nach Kriegsbeginn und dem Ausbleiben von Siegen im Osten die sich dramatisch zuspitzende Lage diskutiert, und manche Leute, die bisher noch Illusionen hatten, verloren sie angesichts zunehmenden Staatsterrorismus und Rassenwahns. An die Blutzeugen des Widerstandskampfes erinnert im Universitätshof seit 1976 ein Denkmal mit der Widmung "Den im Kampf gegen den Hitlerfaschismus Gefallenen - Ihr Tod ist uns Verpflichtung" das von Johanna Jura geschaffen wurde und sich in seiner unaufdringlichen Form sehr gut der Gartengestaltung einfügt. Es besteht es aus einer Steinwand, vor der sich, etwas aus der Mitte gerückt, eine Stele mit Namen von Frauen und Männern, die von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden. Ein Bronzerelief zeigt geballte Fäuste, die sich durch zerborstene Gitterstäbe und Stacheldraht der fernen Freiheit entgegen strecken. Zwölf Studenten und Professoren werden, stellvertretend für weitere Opfer des Nationalsozialismus, genannt. Unter ihnen sind die bereits 1938 hingerichtete Studentin Lilo Hermann, der Jurist Arvid Harnack und seine Frau, die Literaturwissenschaftlerin Mildred Harnack-Fish, der Theologe Dietrich Bonhoeffer und der Mediziner und Privatdozent Georg Groscurth.

Dialektik ohne Dogma?

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg waren Lehre und Forschung an der von SED-Ideologen und Stalinisten dominierten Humboldt-Universität nicht frei, weshalb sich Professoren und Studenten der Knebelung durch das SED-Regime entzogen und 1948 die Freie Universität im Westteil der Viermächtestadt Berlin gründeten. Einer der prominenten Köpfe der Opposition in der DDR war Professor Dr. Robert Havemann, Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Humboldt-Universität und Ordinarius für Physikalische Chemie ernannt. Havemann war in der Nazizeit wegen Widerstandstätigkeit zum Tod verurteilt worden, blieb aber am Leben, weil er für "kriegswichtige Forschung" gebraucht wurde. Einer seiner Mithäftlinge im Zuchthaus Brandenburg war Erich Honecker, der spätere SED- und Staatschef. Er sorgte aus alter Anhänglichkeit dafür, dass der in Ungnade gefallene, rund um die Uhr von der Staatssicherheit observierte und in Grünheide bei Berlin in einer Art Hausarrest gehaltene Wissenschaftler nicht ins Gefängnis geworfen oder gar liquidiert wurde, wie es anderen Dissidenten geschehen ist.

Havemann trat 1951 der SED bei, entwickelte sich der Abgeordnete der Volkskammer und Träger des Nationalpreises hoch geachtete Wissenschaftler vom glühenden Kommunisten und Zuträger für das Ministerium für Staatssicherheit und den sowjetischen Geheimdienst zu einem der schärfsten Kritiker des SED-Regimes, zu einem unbeugsamen Verfechter von Einigkeit und Recht und Freiheit. Im Wintersemester 1963/64 hielt Havemann an der Humboldt-Universität eine Vorlesungsreihe mit dem Thema "Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme", die in der Bundesrepublik unter dem Titel "Dialektik ohne Dogma?". Die SED rächte sich mit dem Ausschluss des Professors aus ihren Reihen. Ulbricht, Honecker und Genossen beschuldigten ihn der Abweichung von der Parteilinie "unter der Flagge des Kampfes gegen den Dogmatismus" und bezichtigten ihn des "Verrats an der Sache der Arbeiter- und Bauernmacht". Havemann verlor seinen Lehrauftrag und bekam Hausverbot mit der Begründung, er habe in Interviews mit westlichen Pressevertretern die Arbeiter- und Bauernmacht verleumdet und damit die gegen die DDR gerichteten Pläne der Militaristen und Revanchisten zu unterstützt. Er ließ sich nicht einschüchtern und nutzte, obwohl in Grünheide rund um die Uhr von der Stasi bewacht und von der Außenwelt isoliert, jede Gelegenheit, über westliche Medien seine Kritik am System vorzubringen, wobei ihm der Liedermacher Wolf Biermann hilfreich und wortstark zur Seite stand.

26. Februar 2018

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