Nikolaiviertel endlich unter Denkmalschutz
Mischung zwischen Alt- und Neubau rund um die Nikolaikirche ist ein beliebter Treffpunk der Berliner und von Gästen aus aller Welt





Gegen Veränderungswünsche und insbesondere die Verkleidung der Arkaden regte sich Widerstand. Da das gesamte Nikolaiviertel als Flächendenkmal anerkannt ist, können Veränderungen kaum noch vorgenommen werden.



Viele Bauten im Nikolaiviertel sind gerade einmal 30 Jahre alt, doch wissen die wenigsten Besucher, dass sie 1987 im Zusammenhang mit der Siebenhundertjahrfeier der Stadt errichtet wurden.



Die Zeiten gut hat das als Museum und Weinrestaurant genutzte Knoblauchhaus gleich bei der Nikolaikirche überstanden.



Im Nussbaumhaus neben der Nikolaikirche wird das Andenken an Heinrich Zille, den genialen Zeichner des Berliner "Milljöhs", gepflegt. Wenige Schritte weiter lädt in der Propststraße das Zillemuseum zum Besuch ein.



Auch die Gerichtslaube ist eine Kopie, im 19. Jahrhundert stand sie in der Nähe des Roten Rathauses. Ein Nachbau mit den originalen Steinen steht im Babelsberger Schlosspark.



Im Nikolaiviertel hat 1987 der Heilige Georg, der in einem der Höfe des Stadtschlosses den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, einen neuen Platz bekommen. Die Bronzeskulptur des Drachentöters ist ein Werk des Bildhauers August Kiss und wurde 1865 von dessen Witwe dem damaligen König Wilhelm I. geschenkt. (Fotos: Caspar)

Das Berliner Nikolaiviertel gilt als ältestes Wohngebiet Berlins. Das stimmt, und das stimmt auch nicht, weil die meisten Bauten nur etwas mehr als ein Vierteljahrhundert alt sind. Rund um die mittelalterliche Nikolaikirche wurden sie im Vorfeld der 750-Jahrfeier Berlins 1987 im Stil hanseatischer Giebelhäuser von Dach bis Keller aus vorgefertigten Betonteilen errichtet. Jetzt hat das Landesdenkmalamt das Nikolaiviertel in die Berliner Denkmalliste aufgenommen. Das Wohn- und Geschäftsviertel war 1983 bis 1987 unter Einbeziehung vorhandener Bauten nach Plänen der Architekten Günter Stahn, Rolf Ricken, Heinz Mehlan und anderen gebaut. So stand auf historischem Stadtgrundriss eine "Traditionsinsel" aus Alt und Neu. Unter den Nachbauten sind das von der Stiftung Stadtmuseum genutzte Ephraimpalais, die Gaststätte "Zum Nussbaum", das Lessinghaus und die Gerichtslaube. In den Außenbereichen passt sich das Viertel sowohl in der Bauhöhe wie auch in der Gestaltung den umliegenden Stadtvierteln an. Ein Großteil der etwa 800 Wohnungen wurde in Bauten mit Fassaden aus vorgefertigten Betonplatten untergebracht, die durch historisch wirkende Gestaltungselemente oder Giebelabschlüsse an die Traditionsbauten angepasst wurden. Dass das Nikolaiviertel jetzt endlich als Zeugnis für das Umdenken in der Stadt- und Architekturentwicklung während der letzten Jahren der DDR unter Schutz gestellt wurde, lässt sich mit den Anlagen der Internationalen Bauausstellung in Westberlin vergleichen, die bereits seit 2015 unter Schutz stehen.

Das Nikolaiviertel ist das wohl prominenteste Beispiel für ein Umdenken in der Baupolitik der DDR während der 1980er Jahren. Damals gab es in der SED- und Staatsführung so etwas wie Rückbesinnung auf die urbanen Qualitäten gewachsener Stadtteile. Galt bis dahin der Grundsatz "Wir bauen am Stadtrand Platte, Platte, Platte", so wurden jetzt die Qualitäten innerstädtischen Wohnens erkannt und anerkannt. Beim Nikolaiviertel muss man davon ausgehen, dass "normale" DDR-Bürger hier nicht einziehen konnten, sondern ein handverlesenes Publikum und jede Menge Stasi-Leute. Wenn man mit Anwohnern spricht, so wird mehr oder weniger deutlich, dass viel Prominenz hier ein Zuhause hatte und rund um die Uhr von den "maskierten Organen" beobachtet wurde.

Wer das kleine Nussbaumhaus im Schatten der Nikolaikirche besucht, mag sich an Heinrich Zille erinnern. "Im Nussbaum links vom Molkenmarcht, / Da hab' ick manche Nacht verschnarcht, / Da malt der Vater Zille! / Die Jäste, die sind knille!", sang die Kabarettistin und Chansonsängerin Claire Waldorff. Das Altberliner Wirtshaus auf der Fischerinsel, das kein Geringerer als Heinrich Zille gezeichnet hatte, musste DDR-Hochhäusern entlang der Leipziger Straße weichen. Es hat im Nikolaiviertel eine originalgetreue Zweitauflage erhalten. Widerstand gegen die brutale Art der Stadterneuerung auf Kosten von historischen Bauwerken war damals nicht gestattet. Wer seine Stimme erhob und forderte, das kulturelle und bauliche Erbe der DDR-Verfassung gemäß zu achten und zu pflegen, bekam es mit der Stasi zu tun. Dass das Nikolaiviertel, die anheimelnde Mischung von Alt und Neu und Ziel unzähliger Touristen, nicht schon längt als Flächendenkmal unter Schutz gestellt ist, was es vor willkürlicher Veränderung bewahrt, ist verwunderlich. Zeitgleich mit anderen Städten der DDR hat man in den 1980-er Jahren in kriegszerstörten und sträflich vernachlässigten Innenstadtquartieren nach und nach Lücken durch kleinteilige, den Umgebungen angepasste Bauten geschlossen. Doch in keiner anderen Stadt des zweiten deutschen Staats erreichte diese Stadtreparatur die Vollständigkeit und Einheitlichkeit des Berliner Nikolaiviertels. Mit ihrer Umkehr stand die DDR nicht allein, denn auch im deutschen Westen traten Stadterneuerung und Stadtreparatur an die Stelle von Flächenabrissen und großmaßstäblicher Neubebauung. Wer durch die Bezirke Kreuzberg, Steglitz, Charlottenburg und Spandau geht, kann sehen, was auf diesem Gebiet erreicht wurde. Diese Umkehr kam nicht von ungefähr, denn es schlossen sich Anwohner zusammen, die keine Flächenabrisse mehr dulden wollten und den Erhalt und die Reparatur ihres Kietzes verlangten.

Dass sich unzufriedene Bürger um 2016 für die Unterschutzstellung des Nikolaiviertels einsetzten, hat unter anderem mit abenteuerlichen Plänen der zuständigen Wohnungsbaugesellschaft Mitte zu tun, die aus den 1980-er Jahren stammenden Arkaden zuzubauen und damit Fläche für Ladenbesitzer und Gaststättenbetreiber dahinter zu gewinnen. Dazu sagt der Architekt Günter Stahn, der seinerzeit den städtebaulichen Wettbewerb zum Wiederaufbau des Areals rings um die 1230 errichtete und danach immer wieder umgebaute und erweiterte Nikolaikirche gewonnen hatte, die Arkaden sollten unverändert als ein Werk der modernen Architektur erhalten bleiben. Er weigere sich, jeglichem Umbau der Arkaden entlang der Rathaus-, Post- und Propststraße zu Innenräumen mit großen Fenstern zuzustimmen. Das Bezirksparlament Mitte beschloss, das Nikolaiviertel von der Oberen Denkmalschutzbehörde als Flächendenkmal eintragen zu lassen. Der Verein Nikolaiviertel und weitere Personen sammelten Unterschriften für den Erhalt der Arkaden - und hatten jetzt mit der offiziellen Unterschutzstellung des beliebten Wohn- und Geschäftsviertels Erfolg.

18. Januar 2018

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