Das Räuberrad ist wieder zurück
Eisernes Wahrzeichen vor der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz wurde für 25 000 Euro restauriert



Nach einjähriger Abwesenheit steht das restaurierte Räuberrad als Wahrzeichen der Volksbühne wieder am alten Platz. Edel sind die Innenräume des Theaters gestaltet.





Bildtafeln im U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz erzählen von der Geschichte des Scheunenviertels und zeigen unter anderem oben das frühere Victoriatheater und einen Blick auf den damaligen Bülowplatz mit einem Blick auf die Ende 1914 eröffnete Volksbühne noch ohne die Anbauten aus der Nachkriegszeit.



In der Nazizeit hieß der Bülowplatz nach einem Helden der NS-Bewegung Horst-Wessel-Platz, so wie man den ganzen Bezirk Friedrichshain nach diesem zum Märtyrer stilisierten SA-Mann nannte.





Das Kino Babylon und weitere Häuser im Umfeld der Volksbühne sind herausragende Zeugnisse für den Siegeszug der Moderne im Berliner Städtebau vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gedenktafel ehrt am Kino Babylon dessen Architekten Hans Poelzig.





Im Straßenpflaster rund um die Volksbühne kann man tiefsinnige, aber auch amüsante Zitate aus Briefen und Büchern von Rosa Luxemburg lesen.



Am Eingang zur Redaktion und Verlag der Zeitung "Junge Welt" erwartet Rosa Luxemburg, nach einem Modell von Rolf Biebl in Bronze gegossen, die Besucher. Das Denkmal ist eine Wiederholung der Figur vor dem Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz. (Fotos: Caspar)

Das Räuberrad ist an seinen alten Platz vor der Volksbühne auf dem Rosa-Luxemburg-Platz im Herzen Berlins zurück gekehrt. Über ein halbes Jahr wurde das vom Schweizer Bildhauer Rainer Haußmann nach Plänen des Bühnenbildners Bert Neumann geschaffene Wahrzeichen von der Firma Haber & Brandner im Ortsteil Oberschöneweide gereinigt und restauriert. An der Optik blieb unverändert, verändert, wohl aber wurden die Statik stabilisiert und die Füße erneuert. Die Kosten in Höhe von rund 25.000 Euro trägt die Kulturverwaltung. Mit der Rückkehr der Stahlskulptur endete ein lächerlicher Streit, denn nach dem Ende seiner Volksbühnen-Intendanz im Jahr 2017 wollte Frank Castorf das Rad seinem Nachfolger Chris Dercon nicht überlassen. Doch auch die Witwe von Neumann beanspruchte das ungewöhnliche Bildwerk. Nach einer Vereinbarung zwischen Castorf, den Neumann-Erben und der Berliner Senatskulturverwaltung nahm Castorf das Räuberrad mit zwei Beinen zu einem Theaterfestival nach Avignon mit.

Das Speichenrad war in der Ära von Frank Castorf als bekanntes und beliebtes Logo der Volksbühne auf Programmheften und Streichholzschachteln zu sehen. Es erinnert an "Gaunerzinken", mit denen sich Räuber in alten Zeiten untereinander in einer gezeichneten Geheimsprache verständigten. Für die Volksbühne stand das Rad über Jahrzehnte auch für das Rebellische und Aufrührerische der Theatermacher. Kultursenator Klaus Lederer erklärte: "Ich bin froh, dass wir eine dem Geiste der künstlerischen Zusammenarbeit von Neumann und Castorf gerecht werdende Einigung erzielen konnten und bedanke mich insbesondere bei den Erben von Bert Neumann für ihre konstruktive Haltung."

Finanziert durch Arbeitergroschen

Die Volksbühne Berlin entstand 1890 während einer Gründungsversammlung des Vereins Freie Volksbühne. Von ihr spaltete sich zwei Jahre später vorübergehend die Neue Freie Volksbühne ab, die sich unter dem Motto "Die Kunst dem Volke" eigenes Haus zulegte. Das heutige Theater entstand unweit des 1891 abgerissenen Victoria-Theaters, das man sich mit anderen historischen Bildern aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert auf Wandtafeln im U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz anschauen kann. Nach Plänen von Oskar Kaufmann kurz vor dem Ersten Weltkrieg im damaligen Scheunenviertel am Bülowplatz errichtet, bot die durch so genannte Arbeitergroschen finanzierte Volksbühne rund 2000 Besuchern Platz. In den 1960er Jahren wurde ihre Zahl auf die heutigen 800 verringert. Die Volksbühne gehört mit dem ebenfalls von Kaufmann geschaffenen Hebbeltheater zum Modernsten, was in der Endphase der Kaiserzeit auf diesem Gebiet in Berlin entstanden ist. Die Erfolgsgeschichte der Volksbühne, die über ein modernes Bühnenhaus mit Drehbühne verfügte, endete mit der Errichtung der Nazidiktatur 1933. Ab 1947 stand das Haus als Volksbühne unter der Oberregie des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB. Nach dem Mauerfall 1989 übernahm Frank Castorf die Leitung, die er bis 2017 innehatte. Sein Nachfolger Chris Dercon hielt sich wegen starker Proteste der Belegschaft und bei den Zuschauern nur bis April 2018.

Am 30. Dezember 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs eröffnet, durchlebte die Volksbühne Zeiten des Glanzes und des Niedergangs. Der zweite Intendant der Volksbühne am Bülowplatz, wie der heutige Rosa-Luxemburg-Platz ursprünglich hieß, war von 1915 bis 1918 Max Reinhardt. Sein Nach-Nachfolger Fritz Holl engagierte den Theaterreformer Erwin Piscator, der mit seinen Arbeiten als Oberspielleiter der Volksbühne von 1924 bis 1927 zum Begründer des politischen Theaters wurde. Er setzte Satireabende, Sprechchorwerke und politische Revuen im Auftrag der KPD in Szene, in denen er erstmals den Einsatz filmischer Mittel erprobte. In der NS-Zeit wurden das Theater am Horst-Wessel-Platz, wie der Bülowplatz jetzt hieß, und das Theater in der Saarlandstraße unter dem Namen Volksbühne zusammengefasst. Nach schweren Kriegszerstörungen und einer Zwischennutzung der Fläche vor dem Gebäude für die Berliner Trümmerbahn begann der Wiederaufbau des Hauses.

Beim Wiederaufbau von 1952 bis 1954 nach einem Entwurf von Hans Richter wurde unter weitgehender Nutzung der alten Substanz ein neues Theater gebaut. Die Wiederherstellung der Umfassungsmauern mit der monumental geschwungenen Hauptfront mit sechs Muschelkalksäulen musste ohne den bildkünstlerischen Schmuck von Franz Metzner auskommen, behielt aber die äußere Form bei. Anstelle der Kupferhaube und des Dachtambours wurden Flachdächer errichtet, womit das Bühnenhaus einen geraden Abschluss. Durch die Begradigung der elegant schwingenden Linien der Dachlandschaft erhielt der Baukörper eine wuchtigere stadträumliche Wirkung. Von 1974 bis 1977 prägte Benno Besson als künstlerischer Oberleiter und Intendant das Erscheinungsbild der Volksbühne. Im Herbst 1989 beteiligten sich Schauspieler und Studenten der Volksbühne aktiv an den Massen-Protesten in der DDR, wie an der Berliner Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz, die zur friedlichen Revolution und zum Fall der Mauer fünf Tage später führten.

Kinoorgel untermalt Stummfilme

Wenige Schritte von der Volksbühne zieht das Kino Babylon mit seiner runden Ecke und auffälliger Leuchtreklame neugierige Blicke als Teil einer von Hans Poelzig 1928/9 erbauten Anlage mit 180 Wohnungen und etwa 80 Läden auf sich. Gezeigt werden historische und aktuelle Filme, und es finden hier auch Konzerte und Lesungen statt. Eine besondere Attraktion ist die Kinoorgel, von der 1929 gesagt wurde, sie dürfte berufen sein, "die ausländische Konkurrenz endlich aus dem Felde zu schlagen." Der im Kinosaal vorn auf der linken Seite stehende Orgelspieltisch hat zwei Manuale, ein Pedal sowie einhundert Register und vieles mehr. Die eigentliche Orgelanlage, welche auf dreiviertel Höhe hinter einer Holzverkleidung steht, besitzt 66 Pfeifenregister aus 913 Orgelpfeifen, davon 280 Zungenstimmen, sowie 137 Klangteile und 34 Effekten. Die größte Orgelpfeife misst 3,10 Meter, die kleinste nur zehn Millimeter.

Alle von der Kinoorgel erzeugten Töne und Geräusche wurden zur akustischen Untermalung von Stummfilmen und als Mittel eingesetzt, die Effekte der Szenen und Dialoge noch zu steigern. Dazu gehörte auch, dass man mit der Orgel Schüsse, Gewitter, Regen, Donnergrollen und ähnliche Geräusche nachgeahmt hat. Nachdem sich der Tonfilm in den dreißiger Jahren durchgesetzt hatte, wurde die Kinoorgel im Babylon außer Betrieb gesetzt, blieb aber glücklicherweise erhalten. Zwischen 1993 und 1998 wurde sie von Dagobert Liers aus Berlin-Lichtenberg auf sehr aufwändige Weise erneuert und restauriert. Außerdem wurde der desolate Spieltisch 1994 von der Kunsttischlerei Hans Joachim Eichberg in Berlin Pankow generalüberholt. Der Orgelbauer Hans Joachim Eichberg hat das eindrucksvolle Instrument zwischen 2005 und 2008 repariert, gereinigt und gestimmt, so dass sie zur Freude des Publikum als akustische Begleitung von Stummfilmen und zu anderen Gelegenheiten angestimmt werden kann.

Luxemburg-Zitate im Straßenpflaster

Rund um die Volksbühne sind in den Straßenboden auf langen Schriftbändern aus Metall 60 Zitate aus Schriften und Briefen von Rosa Luxemburg ausgelegt. Dieses im September 2006 der Öffentlichkeit übergebene "Denkzeichen für Rosa Luxemburg" wurde von Hans Haacke entworfen, dem wir unter anderem die Inschrift "Der Bevölkerung" in einem der Höfe des Reichstagsgebäudes verdanken. Die Boden-Installation beherrscht den Platz nicht wie ein Monument auf hohem Sockel. Es erschließt sich erst beim Umhergehen, so dass man sich dazu verleitet fühlt, die Gedanken von Rosa Luxemburg in ihre Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit in sich aufzunehmen. Bei den Zitaten handelt es sich nicht um einen geschlossenen Text. Vielmehr geben sie eine Ahnung davon, was Rosa Luxemburg von der Sozialdemokratie und von orthodoxen Kommunisten hielt und wie sie sich selber als politische Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft und Partei sah. Die Installation setzt sich von Gewohntem ab. Die Palette der Luxemburg-Worte, die der Künstler Hans Haacke mit Unterstützung von Historikern und anderen Kennern ausgewählt hat, ist breit und charakteristisch für die streitbare Journalistin und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei Deutschlands, die Anfang 1919 zusammen mit Karl Liebknecht von Rechtsextremisten ermordet wurde.

Die Zitate stammen aus Briefen, Polemiken, politischen Schriften der Luxemburg. Man findet in den Boden eingelassen hellsichtige Forderungen an die damaligen Politiker wie die nach einer erträglichen Rente für Arbeiter und Arbeiterinnen ab 60 Jahre oder das Verlangen nach Teilhabe des Volkes an parlamentarischen Entscheidungen, aber auch private Äußerungen. Nimmt man sich Zeit, dann findet man Banales neben Hellsichtigem, und es wird klar, warum Rosa Luxemburg von vielen gehasst und von vielen geliebt wurde. "Die Kohlmeisen assistieren mir treu vor den Fenstern, sie kennen schon genau meine Stimme und haben's scheints gerne, wenn ich singe", notierte sie 1917. Vier Jahre zuvor schrieb sie ihren Genossen von der SPD ins Stammbuch "Unser herrschender ,Marxismus' fürchtet leider jeden Gedankengang wie ein alter Gichtonkel". Und 1918 stellte sie fest "Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie hasst und verabscheut den Massenmord". Nach der Novemberrevolution 1918, in der der Kaiser und die deutschen Bundesfürsten ihre Kronen verloren und das Deutsche Reich Republik wurde, stellte Rosa Luxemburg fest: "Der Sieg der Ebert-Regierung wird - wie alle Siege der Gegenrevolution - ein Pyrrhussieg bleiben".

26. September 2018

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