Einheitswaage auf schwabbeligem Grund
Berliner Landesdenkmalamt warnt vor unkalkulierbaren Risiken und Zerstörung historischer Substanz / Gestalter sehen sich im Recht



Die Computergrafiken zeigen das geplante Denkmal "Bürger in Bewegung" von der Seite und von oben. Die Bauakademie im Hintergrund ist ein Phantom. Ihr Wiederaufbau ist seit 20 Jahren im Gespräch, getan wurde bisher nichts.





Auf diesem Sockel soll irgendwann das Einheits- und Freiheitsdenkmal gebaut werden, wenn denn alle Bedenken ausgeräumt sein sollten. Seine Lage gegenüber dem Schloss, das gerade als Humboldt Forum seine Wiedergeburt erlebt, ist gut an der Karte aus den 1920-er Jahren zu erkennen.



Die Computergrafik zeigt einen Schnitt durch die Räume des Humboldt Forums, vorn sind die alten Schlosskeller angedeutet, die das Landesdenkmalamt gemeinsam mit dem alten Denkmalsockel und seinen Mosaiken erhalten wissen will. (Fotos/Repros: Milla & Partner, Caspar)

Um die Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals auf der Schlossfreiheit vor dem Humboldt Forum gibt es weiterhin Streit. Während die Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Parole "Einheitsdenkmal jetzt oder nie" ausgibt und mit ihren Streitern auf die schnelle Realisierung der Pläne des Stuttgarter Architekturbüros Mila & Partner für die Anlage "Bürger in Bewegung" dringt, warnt das Landesdenkmalamt in einem Gutachten vor unkalkulierbaren Risiken. Wie aus einem Beitrag von Maritta Tklaec in der Berliner Zeitung vom 8./9. September 2018 hervor geht, äußert das Landesdenkmalamt in einem Gutachten vom 3. August 2018 "aus der fachlichen Sicht der Denkmalpflege erhebliche grundsätzliche Bedenken". Die 2015 erteilte Baugenehmigung, die am 9. Oktober 2018 ausläuft, wird als baurechtlich "schwebend unwirksam" bezeichnet, weil nicht alle Voraussetzungen für die Ausführung vorliegen.

Die für besonderen Mut gegenüber vorgesetzten Behörden nicht unbedingt bekannten Denkmalschützer betonen, der Verzicht auf die Rückführung der geborgenen, gut erhaltenen, wertvollen bauzeitlichen Mosaiken des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals, auf dessen Sockel die "Einheitswippe" errichtet werden soll, würde einen schweren Verlust für den historischen Ort nach sich ziehen. Das sei umso unverständlicher, als der Sockel des 1897 im Beisein von Kaiser Wilhelm II. enthüllten Reiterdenkmals seines Großvaters Wilhelm I. neben den Resten des Schlosskellers das einzige noch in seiner originalen Substanz erhaltene Gebäudefragment des ehemaligen Schlosskomplexes auf der Spreeinsel ist.

Die Sache kann noch dauern

Die von Milla & Partner geplante Gründung des Bauwerkes im schwierigen Baugrund am Spreeufer sieht vor, dass sieben, 1,50 Meter starke Betonpfeiler in den Boden getrieben werden sollen, um der Waage, Schale oder Wippe, wie immer man die Konstruktion nennen möchte, die erforderliche Standsicherheit zu verschaffen. Dafür, dass das gelingt, hegt das Landesdenkmalamt erhebliche Zweifel, die Risiken und Nebenwirkungen seien erheblich. Wie die geologischen Schichten unter der Schlossfreiheit beschaffen sind, gehe aus alten Karten hervor. Wie tief die Betonpfeiler durch die instabilen eiszeitlichen Schichten getrieben werden müssen, ergäben neue Bohrungen, die aber noch ausstehen. Hinzu komme, dass niemand abschätzen kann, wie sich das Gewicht von tausenden Besuchern auf die Standfestigkeit der "wackelige Schale auf schwabbeligen Grund" auswirken wird. Denn die Pfahlgründungen müssten nicht nur die vertikalen Kräfte des von einer neobarocken, mit allerhand Getier aus gegossener Bronze geschmückten Steinkolonnade umgebenen Kaiser-Denkmals aushalten, sondern auch die horizontalen Schwankungen. Der "Tisch" für die Gelenke der Wippe müsste freistehen, damit die Bewegungen die darunter liegenden Gewölbe nicht beschädigen.

Das Gutachten des Landesdenkmalamtes weist darauf hin, dass der denkmalgeschützte Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals einschließlich der historischen Gewölbe erst vor einiger Zeit mit etwa fünf Millionen öffentlicher Mittel saniert und restauriert wurde. Dieses Geld wäre futsch, wenn die Stabilisierung in Angriff genommen wird. Daher stehen laut Dankmalpflege die Eingriffe und der damit verbundene Verlust an Denkmalsubstanz und Denkmalqualität stehen einer "denkmalschutzrechtlichen Genehmigung entgegen.

Das alles scheint die Befürworter der Einheitswippe nicht zu interessieren. Unter Berufung auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr wischen sie die Einwände im Interesse eines "übergeordneten öffentlichen Interesses" vom Tisch, fordern aber die Überarbeitung der Pläne für die Pfahlgründung, die Bewahrung der Mosaiken und ein neues statisches Konzept. Die für die Verlängerung der Baugenehmigung zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nimmt zum Gutachten des Landesdenkmalamtes derzeit nicht Stellung. Die Oberste Bauaufsicht prüfe, und über Zwischenstände gebe man keine Auskunft. Die Sache kann also dauern, aber erst durch die Stellungnahme des Landesdenkmalamtes wird deutlich, dass der Bau der Einheitswaage doch nicht so einfach zu bewerkstelligen ist, wie manche ihrer Befürworter es darstellen.

Dass Computersimulationen nicht alles sind und die Öffentlichkeit über die wahren Verhältnisse und Sichtweisen täuschen können, zeigt die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel. Vergleicht man Modelle und Simulationen mit dem wirklichen Bau, der demnächst eröffnet wird, so erkennt man, dass die neue Eingangshalle der Staatlichen Museen das dahinter liegende Neue Museum nahezu verdeckt. Seine klassizistische Fassade zur Spree hin kann man noch einigermaßen ungestört nur von einer ganz bestimmten Stelle auf der Eisernen Brücke betrachten. Auf die Problematik wurde vor Jahren schon hingewiesen, die Einwände haben nichts genutzt. Und wenn die James-Simon-Galerie eröffnet wird, ist es zu spät

Milla & Partner verteidigen ihr Projekt

Der Fairness halber sei aus einer im Internet verbreitete Stellungnahme von Milla & Partner vom August 2018 zu diversen Irrtümern und Kolportagen im Zusammenhang mit dem Entwurf zitiert.

"1. Falsch ist: Beim Freiheits- und Einheitsdenkmal handelt es sich um eine ,Wippe'. Richtig ist, dass es sich um eine Waage handelt, wenn man unbedingt einen saloppen und kurzen Begriff verwenden will. Eine ,Waage' bewegt sich langsam, hat einen sanften Umkehrpunkt und berührt dabei nicht den Boden. Bewegung wird durch Verständigung, Einigung und gemeinsames Agieren der Besucher erzeugt. Das Einheitsdenkmal wird für die Amplitude von 3,20m etwa eine Minute benötigen und wird durch unsichtbare Hydraulikstempel abgebremst. Eine Wippe hingegen bewegt sich schnell, stößt immer wieder auf den Boden und hat eine abrupte Umkehrbewegung. Wir nehmen durchaus zur Kenntnis, dass Gegner oder Skeptiker des Denkmals ,Wippe' als diffamierend einsetzen und heitere Wortspiele wie ,kippen' und ,wippen' nahe liegen. ,Waage' würden wir als wertungsfreien und physikalisch korrekten Begriff bevorzugen.

2. Falsch ist: Es gab erhebliche Sicherheitsprobleme zu lösen, die das Denkmal teurer machen und seinen Bau verzögerten. Richtig ist, dass bereits bei der Wettbewerbseinreichung alle Sicherheitsfragen bedacht und beantwortet waren. Schon bei der Entwurfsplanung war der TÜV Süd einbezogen und hat die Konstruktion positiv bewertet. Eine Verteuerung oder Verzögerung aufgrund Sicherheitsfragen liegt nicht vor. Im Oktober 2015 wurde - auch unter Berücksichtigung von Sicherheitsfragen - ohne weitere Sicherheitsauflagen dem Freiheits- und Einheitsdenkmal die Baugenehmigung erteilt. Spätestens seitdem sind alle Gerüchte um Unsicherheit amtlich widerlegt." Die Stellungnahme betont, an der Zustiegsstelle könne man nicht den Fuß einklemmen, das sei nirgendwo der Fall. Alles sei gesichert, ein TÜV-Gutachten liege seit der Wettbewerbsabgabe vor. Falsch sei auch, dass bei Vereisung Rutschgefahr besteht, denn es sei eine Bodenheizung eingeplant und einkalkuliert. Dass man von dem Denkmal hinunterfallen oder gar von diesem zerquetscht werden könnte, weil Geländer fehlen, ist laut Milla & Partner ebenfalls eine Falschmeldung. "Schon immer, mit der Wettbewerbseinreichung, sind Geländer eingeplant, sowie unten am Gelenk ein zusätzliches Netz. Zudem wird die Abwärtsbewegung der Schale 80 cm über dem Erdboden automatisch gestoppt".

3. Zur angeblichen Kostenexplosion von den ursprünglich geplanten 10 Mio € hin zu heute 17 Mio € schreiben die Architekten, diese habe es nicht gegeben. "Die Baukosten stiegen von 9.6 Mio € (2011) auf 15 Mio €, weil der Bauherr BBR zusätzliche Anforderungen an die Planer stellte, hinzu kommen allgemeine Baukostensteigerungen in 7 Jahren. Bei den verbleibenden 2 Mio € handelt es sich z.B. um bauherrenseitige Nebenkosten wie Wettbewerbskosten, Öffentlichkeitsarbeit des BKM, Fledermausgebühr, Ausgleichszahlungen an BVG und HUF wegen angrenzender Baustellenlogistik, Gutachterkosten, Baugrundrisikenrücklage, Grundstückserwerb.

4. Falsch ist: Es gab Behördenprobleme mit Barrierefreiheit. Richtig ist, dass der Entwurf bereits bei der Wettbewerbseinreichung alle Fragen der Barrierefreiheit gelöst hatte und den gesetzlichen Anforderungen von Anfang an entsprach. Im Laufe der Weiterentwicklung hat Milla & Partner der Baubehörde des Landes Berlin einen Vorschlag über eine Rampe gemacht, den diese zunächst ablehnte. Daraufhin wurde dieser Vorschlag einfach überarbeitet, so dass die Behörde zugestimmt hat.

5. Falsch ist: Wegen des Freiheits- und Einheitsdenkmals mussten geschützte Fledermäuse umgesiedelt werden. Richtig ist, dass das historische Gewölbe unterhalb des zukünftigen Denkmals nach 100 Jahren feucht, rissig und marode war, weswegen es ohnehin dringend saniert werden musste. Diese Arbeiten wurden, vollkommen unabhängig von der Planung des Denkmals, vom BBR durchgeführt und sind seit 2016 abgeschlossen. Dabei sind die besagten Fledermäuse wegen des Baumlärms und Lichtes eigenständig in den Plänterwald ausgewichen. Sie werden immer wieder mit dem Bau des Denkmals in Verbindung gebracht, haben jedoch ursächlich nichts mit diesem zu tun, sondern mit der Sockelsanierung.

6. Falsch ist: Ständige Probleme mit Behörden von Bund und Land haben zu Verzögerungen geführt. Richtig ist, dass nach über neun Monaten Prüfung die Baugenehmigung seit Oktober 2015 vorliegt. Ohne Beanstandungen gegenüber der Planung. Nur mit drei Auflagen: Einer zusätzlichen denkmalschützerischen Auflage im Bereich der Gewölbe, der Anforderung, eine Rampe seitlich mit einer blickdichten Verkleidung zu schließen, sowie der Maßgabe, acht Fahrradständer neben dem Denkmal zu errichten. Diese Auflagen zu erfüllen, wäre kein Problem gewesen - allerdings wurde dieser Arbeits- und Abstimmungsvorgang durch den Beschluss des Haushaltsausschusses auf Veranlassung des BBR nicht mehr abgeschlossen.

7. Falsch ist: Wegen des Entwurfs des Freiheits- und Einheitsdenkmals mussten oder werden die historischen Mosaiken entfernt werden. Richtig ist, dass Milla & Partner 2013 eine alternative Entwurfsvariante vorgelegt hat, die den Erhalt der Mosaiken vorsah. Dieser kostete allerdings 1,2 Mio. € mehr als der jetzt vorgesehene Entwurf. Das MBUB lehnte diesen Entwurf aus Kostengründen ab. Es war dann der Wunsch der Kulturstaatsministerin Grütters, die Mosaiken zu entfernen. Die Mosaiken wurden vom BBR entfernt und eingelagert. Die Einlagerung der Mosaiken kostete mindestens 1,3 Mio. €. Die tatsächlichen Kosten und der Ort einer Wiedererrichtung sind bisher nicht bekannt.

8. Falsch ist: Das Denkmal bedarf komplizierter Mechanik und Elektronik und verursacht hohe Folgekosten. Richtig ist: Das Denkmal ist extrem einfach und wartungsarm konstruiert worden. Es enthält keinerlei Elektronik (außer der Bodenheizung), keinerlei Sensorik oder Steuerungstechnik - es wird ausschließlich durch Gravitation, also das Gewicht der Besucher*innen bewegt. Sanft gebremst wird es durch robuste Technik - vier hydraulische Stempel. Eine bewährte Technik des 19. Jahrhunderts.

9. Falsch ist: Der denkmalgeschützte Sockel wird durch das Denkmal zerstört. Richtig ist: Der Sockel wird nicht zerstört: Sieben schlanke Pfeiler werden durch das Gewölbe gesteckt. Im Rahmen der Baugenehmigung hat das Denkmalamt diesem Verfahren zugestimmt."

10. - 12. Zu Mehrkosten und Zeitverzögerungen schreiben die Architekten, die Pfeilergründung durch Bestandsbauten seien ein gängiges Verfahren, Mehrkosten und Zeitverzögerungen seien hierdurch nicht entstanden. Die Tragekonstruktion sei schon immer Bestandteil von Planung und Kalkulation gewesen. Der alte Sockel werde das Denkmal nicht tragen, das würden die sieben Pfeiler tun, auf denen eine Platte aufliegt, wie bei einem Tisch. "Es gibt keinerlei Gründe unter den Aspekten Technik, Sicherheit, Kosten, Barrierefreiheit, Behördeneinwände, die gegen das Denkmal sprechen." Lassen wir das so stehen und warten wir ab, wie sich die Dinge entwickeln. Dass ein anderer Alternativstandort vor dem Brandenburger Tor oder auf dem Alexanderplatz gewählt wird, ist kaum zu erwarten. Monika Grütters, Milla & Partner und ihre Freunde werden ans Ziel kommen, ob man das will oder nicht! Dass das Versprechen eingelöst wird, den Grundstein am 9. November 2019, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls zu legen, ist aber kaum zu erwarten. Am oder rund um diesen Gedenktag sollte es eigentlich eingeweiht werden.

11. September 2018

Zurück zur Themenübersicht "Berlin, Potsdam, Land Brandenburg"