Wo die gelben Judensterne hergestellt wurden
Gedenktafel schildert, warum die Textilfabrik Wallstraße 16 ihren Besitzern geraubt und was dort produziert wurde





Dass die Judensterne in Berlin hergestellt wurden, dürfte nicht allgemein bekannt sein. Die Tafel an der ehemaligen Textilfabrik Wallstraße 16 klärt auf Im Bild mit den halbrunden Fenstern). Angehörige der einander verwandten Familien Berglas und Intrator wurden von den Nationalsozialisten ermordet.



An Jacob und Rachel Intrator erinnern Stolpersteine vor deren Wohnhaus Kurfürstendamm 185.



Juden mussten im Deutschen Reich und in den von der Wehrmacht besetzen Ländern Europas den gelben Stern tragen und waren so schon von weitem als vogelfrei und zur Ermordung in den Vernichtungslagern bestimmt zu erkennen. Dieses Foto wurde im Herbst 1942 in Lodz aufgenommen.



Die Ausstellung "Geraubte Mitte" im Berliner Ephraimpalais lud zu einem Gang durch Berlin ein, schilderte das Schicksal verfolgter und ermordeter Juden und zeigte, was aus ihrem Besitz wurde.





Das Spiegeldenkmal sowie Inschriften auf den Stufen des U-Bahnhofs Hausvogteiplatz erinnern daran, dass hier Berlins Textilindustrie blühte. Die Nazis haben die jüdischen Betriebe rücksichtslos und oft mit tödlichen Folgen "arisiert".



Die Tafel berichtet, was mit der jüdischen Familie Fabisch und ihrem Kaufhaus am Rosenthaler Platz in Berlins Mitte von den Nationalsozialisten angetan wurde. (Fotos/Repro: Caspar)

Eine Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum Berlin im Ephraimpalais dokumentierte vor einigen Jahren unter dem Titel "Geraubte Mitte - Die ,Arisierung' des jüdischen Grundeigentums im Berliner Stadtkern 1933-1945" die Verfolgung, Enterechtung, Enteignung und Ermordung Berliner Juden während der Zeit des Nationalsozialismus und blickte auch ins Mittelalter zurück. Als Hitler 1933 an die Macht kam, brachen für die im Deutschen Reich lebenden Juden schlimme, bald auch tödliche Zeiten heran. Wer noch konnte, floh unter Zurücklassung seines Eigentums ins Ausland. Viele von massiver Hetze und Ausgrenzung betroffene Menschen aber warteten ab in der Hoffnung, dass alles doch nicht so "schlimm" wird, schließlich lebe man in einem zivilisierten Land. Die Ausstellung im Ephraimpalais schilderte, dass alles noch viel schlimmer kam am Schicksal von jüdischen Familien und einzelnen Personen, deren Eigentum, Geschäfte, Häuser und weiterer Besitz und vielfach auch Freiheit und Leben mit Hilfe rassistischer Gesetzen und Verordnungen Zug um Zug geraubt wurde.

Wer durch die Ausstellung ging, glaubte, wie in den 1930-er Jahren durch die Berliner Altstadt zu laufen. In den Räumen standen weiß gestrichne Schreibtische mit Büroutensilien darauf. Sie symbolisierten das verhängnisvolle Wirken von regimehörigen, skrupellosen Schreibtischtätern, die nach dem Ende des NS-Staates behaupteten, bei ihren Raubzügen nur nach Recht und Gesetz gehandelt zu haben. Den wenigsten ist je etwas geschehen, hingegen kämpfen die Überlebenden des Holocaust und ihre Nachkommen bis heute um ihr Eigentum. Die Dokumentation im Ephraimpalais rief ins Gedächtnis, dass Berliner Juden seit dem Mittelalter an Leib und Leben bedroht waren und in regelmäßigen Abständen ausgewiesen wurden.

Sie zeigte, wie dicht die Innenstadt im 19. und frühen 20. Jahrhundert bebaut war und welche Kaufhäuser, Textilfabriken und andere Betriebe es im Stadtzentrum gegeben hat. Was die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überstand, ging durch "geschichtsvergessenen Wiederaufbau" in der Nachkriegszeit verloren, stellten die Ausstellungsgestalter Benedikt Goebel und Lutz Mauersberger fest. Da weder Gedenktafeln noch Stolpersteine an das Schicksal der Eigentümer erinnern, bringe die Ausstellung ein Stück wenig bekannter Geschichte in Erinnerung und gebe den Opfern Gesicht und Namen. Seither wird da und dort durch Gedenktafeln und Stolpersteine an das Schicksal der Verfolgten und Ermordeten erinnert.

Spiegeldenkmal am Hausvogteiplatz

Im Unterschied zu anderen Berliner Bezirken eigneten sich in Berlins Mitte vor allem der NS-Staat und der Magistrat die meisten Grundstücke an. Viele Häuser wurden abgerissen, um auf den leer geräumten Flächen neu bauen zu können. So gelangten Staat und Stadt auf billige Weise an Grundstücke, um die Visionen von Hitler und seines Stararchitekten Spee für die Umgestaltung Berlins in die "Welthauptstadt Germania" verwirklichen zu können. Von 1500 Grundstücken wurden 225 in jüdischem Besitz befindliche Liegenschaften enteignet oder unter Wert und mit Zwang aufgekauft. Wo sie einst standen, war in der Ausstellung auf Fotos und Lageplänen markiert. Eines dieser Gebäude war die Textilfabrik der jüdischen Familie Intrator mit der Adresse Wallstraße 16, nicht weit von den U-Bahn-Stationen Märkisches Museum und Spittelmarkt entfernt. Eine Tafel am Eingang weist darauf hin, dass die Textilfabrik den Besitzern durch Arisierung geraubt wurde und diese nach der Zwangsversteigerung keinen Pfennig bekam.

Seit 1938 war hier eine Stoffdruckfirma tätig, die ab 1941 eine Million "Judensterne" herstellte. Mit dem Ziel, Berlin sowie andere Städte und Regionen "judenrein" zu machen, durchkämmte die Gestapo Wohnhäuser, Läden, Arztpraxen und Betriebe. Ein aus Spiegeln bestehendes Denkmal sowie Namen von Betrieben in Treppenstufen erinnern am U-Bahnhof Hausvogteiplatz daran, dass hier die Berliner Mode- und Textilindustrie zuhause war. Die jüdischen Eigentümer der Betriebe wurden gnadenlos enteignet, verfolgt und ermordet. Wer Glück hatte, floh ins Ausland, wo sich nicht immer sicher waren. Wer von der Gestapo verhaftet wurde, kam in die Konzentrations- und Vernichtungslager, wo sich ihre Spur verliert. Auf der anderen Seite aber ist Juden geholfen worden unterzutauchen und mit Lebensnotwendigem versehen. Inmitten des Grauens waren Solidarität und Humanität nicht ganz verloren gegangen.

Klemperer erlebte Hass und Mitgefühl

Eines der Kapitel seines Buches "Lingua tertii imperii" (LTI, Die Sprache des Dritten Reichs) hat der Dresdner Philologe und Holocaust-Überlebende Victor Klemperer dem Judenstern gewidmet, den er und seine jüdischen Leidensgenossen 1941 anlegen mussten. Bereits im Mittelalter waren Juden gezwungen worden, bestimmte Kennzeichen zu tragen, um sofort als solche erkannt zu werden. Am 23. Juni 1938 wurde im Deutschen Reich die Kennkarte mit dem diskriminierenden Aufdruck J für Juden eingeführt, vergleichbar mit dem Z für Zigeuner, also Sinti und Roma. Ab 1. September 1941 hatten Juden einen gelben Stern gut sichtbar auf der Kleidung zu tragen. In Polen galt diese Vorschrift bereits seit dem Überfall am 1. September 1939. In LTI schrieb Klemperer über den 19. September 1941, als es den Juden zur Pflicht gemacht wurde, den Judenstern zu tragen, der "Lappen in der gelben Farbe, die heute noch Pest und Quarantäne bedeutet und die im Mittelalter die Kennfarbe der Juden war, die Farbe des Neides und der ins Blut getretenen Galle, die Farbe des zu meidenden Bösen; der gelbe Lappen mit dem schwarzen Aufdruck ,Jude', das Wort umrahmt von Linien der ineinandergeschobenen beiden Dreiecke, das Wort in dicken Blockbuchstaben gebildet, die in ihrer Isoliertheit und in der breiten Überbetontheit ihrer Horizontalen hebräische Schriftzeichen vortäuschen."

Der mit dem Judenstern gezeichnete Gelehrte hatte auf der Straße mit so genannten Ariern schlimme Begegnungen. Man hat ihn angepöbelt, wünschte ihm den Tod an den Hals, wechselte die Straßenseite. Doch dann habe es auch welche, die ihn erkannten und leise mit "Herr Professor" ansprachen und ihn ermunterten, den Kopf nicht hängen zu lassen. "Nächstens haben sie doch abgewirtschaftet, die verfluchten Brüder", zitiert Klemperer einen mutigen Zeitgenossen, der mit solchen Worten sein Leben riskierte.

16. November 2018

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