Haus der schweren Türen
Ein Buch aus dem Jahr 1895 beschreibt Zustände in Berliner Gefängnissen und wie Polizisten verdeckt arbeiteten





Vom Zellengefängnis an der Lehrter Straße - oben ein Schema aus der Kaiserzeit - blieben nur einige Beamtenhäuser und die hohe Ziegelsteinmauer erhalten. Darauf ein Zitat aus den Moabiter Motetten von Albrecht Haushofer.



Satirische Ratschläge aus der Mitte des 19. Jahrhunderts an die Obrigkeit, was zu tun wäre, um einen Umsturz und "drohende constitutionelle Witze" zu vermeiden, womit das Verlangen nach einer Verfassung gemeint war.



Im Untersuchungsgefängnis vertreibt sich der Mann in seiner schmalen Zelle mit Lesen die Zeit. Beobachtet wird er durch ein "Judas" genanntes winziges, trichterförmiges Loch in der Tür. Die Pritsche ist tagsüber hochgeschlossen.



In der Gefängniskirche sitzen die Häftlinge nebeneinander, sind aber durch Sichtblenden voneinander getrennt.



Eine Stele in der Nähe des Alexanderplatzes erinnert an antifaschistische Widerstandskämpfer, die im alten Polizeipräsidium gelitten haben, gefoltert wurden und qualvoll starben.



Bevor die Frau die "Grüne Minna" besteigt, warnt sie den Polizisten vor "Injurchen", also beleidigenden Worten. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Gegend um den Berliner Hauptbahnhof, früher bekannt als Lehrter Bahnhof, ist ein städtebauliches Entwicklungsgebiet. Hier wachsen Hotels sowie Wohn- und Geschäftshäuser aus dem Boden. Reisenden, die das Areal noch von früher kennen, reiben sich verwundert die Augen über das, was sich an der Lehrter Straße und Invalidenstraße, am Humboldthafen und rund um den Hamburger Bahnhof tut. Wer sich ein wenig Zeit nimmt, findet nur wenige hundert Meter vom quirligen Hauptbahnhof entfernt einen Berliner Geschichtsort der besonderen Art - die Reste des Zellengefängnisses Moabit an der Lehrter Straße. Hinter der ehemaligen Gefängnismauer und auf Bild-Text-Tafeln wird daran erinnert, dass hier Mitte der 1840-er Jahre unter König Friedrich Wilhelm IV. am Rand der Haupt- und Residenzstadt auf dem 62 000 Quadratmeter großen Grundstück nach Plänen des Architekten Carl Ferdinand Busse ein nach damaligen Verhältnissen hochmodernes Gefängnis errichtet wurde. Nach Londoner Vorbild gebaut, besaß die Anlage mehrere Innenhöfe auf einem sternenförmigen Grundriss. Die vier dreigeschossigen Flügel hatten je 500 Einzelzellen und wurden von einem Zentralbau überwacht.

Dass die Gefangenen in Einzelzellen saßen und nicht mehr wie früher in Gemeinschaftszellen, galt damals als besonders modern und der "Korrektur und Züchtigung" der Gefangenen angemessen. Das Gefängnis verfügte über eine Kirche, Häuser für Beamte und einen eigenen Friedhof. Noch vor der Fertigstellung der Anlage wurde 1847 in der zum Gerichtsraum umgewandelten Kirche ein Prozess gegen 256 polnische Separatisten geführt. Die gegen sie ausgesprochenen Todes- und Freiheitsstrafen wurden nicht vollstreckt, und schon nach zwei Monaten kamen die ersten Häftlinge frei. 1940 wurde das Zellengefängnis von der Wehrmacht und der Polizei sowie nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 von der Gestapo als Untersuchungshaftanstalt genutzt. Der Leiter des Amts IV des Reichssicherheitshauptamts Heinrich Müller, genannt Gestapo-Müller, richtete hier die Sonderkommission 20. Juli ein. Die Geheime Staatspolizei verschärfte die Haftbedingungen für Mitwisser und Sympathisanten des Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg und überwachte die Verlegung der Gefangenen zwischen anderen Gefängnissen und Konzentrationslagern sowie zu den mit Folter verbundenen Verhören im "Hausgefängnis" der Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße 8, wo heute die Topographie des Terrors über die Nazidiktatur informiert.

Verlegung von Moabit nach Tegel

Von der riesigen Anlage an der Lehrter Straße wenig erhalten. Im Zusammenhang mit Hitlers Plänen für die "Welthauptstadt Germania" war bereits um 1938 beabsichtigt, das in die Jahre gekommene Zellengefängnis abzureißen und hier einen Monumentalbau für das Oberkommando der Marine zu bauen. Doch machte der Krieg diesen und weiteren Abriss- und Neubauplänen einen Strich durch die Rechnung. Nach 1945 wurde das teilweise zerstörte Gefängnis, in dem zahlreiche antifaschistische Widerstandskämpfer noch kurz vor der Befreiung ihr Leben lassen mussten, instand gesetzt, so weit das möglich war, und so konnten schon im Oktober 1945 die ersten Gefangenen eingeliefert werden. Bis Mai 1949 wurden im Zellengefängnis noch zwölf Hinrichtungen vollstreckt. Nach dem Verbot der Todesstrafe durch das bundesdeutsche Grundgesetz wurden keine Exekutionen mehr durchgeführt. Die letzten Gefangenen wurden 1955 in die Haftanstalt Tegel verlegt. In den späten fünfziger Jahren hat man die meisten Bauten des Zellengefängnisses an der Lehrter Straße abgerissen, um Platz zum Rangieren von Eisenbahnzügen und für eine Stadtautobahn zu gewinnen, außerdem wurde das Gelände des Anstaltsfriedhofs bis auf ein verwildertes Stück mit ein paar Grabsteinen an Kleingärtner vergeben. Da das geschichtsträchtige Gelände viel zu wichtig ist, um nur als Schrott- und Parkplatz zu dienen oder von Autohändlern und Imbissbuden besetzt zu werden, fielen nach manchen Diskussionen Pläne zur Errichtung eines Gesichtsparks im Senat und der Bezirksverwaltung Mitte-Tiergarten auf fruchtbaren Boden.

Mit der "Grünen Minna" auf die Wache

Die neue Nutzung hatte auch zur Folge, dass der Tiergartentunnel verlegt wurde, der ursprünglich über das Gefängnisgelände verlaufen sollte. Eine lange Inschrift auf der Innenseite der fünf Meter hohen Gefängnismauer zitiert aus den "Moabiter Sonetten", die der Geopolitiker, Dichter und Gegner des Hitlerregimes Albrecht Haushofer während seiner Haft in dem Zellengefängnis verfasst hatte. Die Zeilen "Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, / ist unter Mauerwerk und Eisengittern / ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern / das andrer Seelen tiefe Not enthüllt" stammen aus dem Gedicht "In tiefer Not". Haushofer wurde als einer der letzten Mitwisser des gescheiterten Attentats auf Hitler vom 20. Juli 1944 kurz vor Kriegsende, am 23. April 1945, mit weiteren Gefangenen ermordet. Als sein Bruder Hans wenig später seine Leiche fand, lagen die in der Zelle geschriebenen Gedichte noch in der erstarrten Hand. Eine Büste an der "Straße der Erinnerung" unweit der S-Bahnhofs Bellevue erinnert an Haushofer und seine Hoffnung auf ein besseres Deutschland.

Wurden im kaiserzeitlichen Berlin Diebe, Betrüger, Mörder und andere Verbrecher gefasst, hat die Polizei sie in einem "Grüne Minna" genannten Wagen auf die Wache zur Aufnahme der Personalien und ersten Verhören gebracht. Die Polizei war lange Zeit im Palais Schwerin am Molkenmarkt untergebracht. Nach der Eröffnung des 1886 bis 1890 nach Plänen von Hermann Blankenstein erbauten Polizeipräsidiums am Alexanderplatz kamen die Verhafteten dorthin. Dem von Paul Lindenberg, Autor des bis heute wichtigen Buches "Berlin in Wort und Bild", als Polizeipalast beschriebenen Präsidium war ein Gefängnis mit sechs Etagen angeschlossen. Nach dem Berliner Schloss war die auch Schutz- und Trutzburg oder Rote Burg genannte Dienststelle das größte Gebäude der Reichshauptstadt. Als Computersimulation war es 2018 in der Ferne bei "Babylon Berlin" zu sehen, während alle Nahaufnahmen für die Fernsehserie am und im Roten Rathaus gedreht wurden. 1933 wurde der Komplex Sitz der Berliner Gestapo. Bei Luftangriffen 1944 und 1945 und der Schlacht um Berlin am Ende des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt, wurde das Gebäude nicht wieder aufgebaut. Die letzten Trümmerreste verschwanden 1957. Das Gelände hat man danach in einen Parkplatz umgewandelt. Seit einigen Jahren zieht das Einkaufszentrum Alexa unzählige Kunden an.

Das Grauen im Polizeigewahrsam

Der Berliner Polizeipräsident war in Preußen mit der praktischen Führung sämtlicher polizeilichen Maßnahmen und der angegliederten Verwaltungsaufgaben beauftragt. Im Gebäude am Alexanderplatz waren nicht nur kommunale Polizeidienststellen tätig, sondern auch Spezialabteilungen wie die preußische Zensurbehörde. In dem Buch von Paul Lindenberg schildern Holzstiche, wie die Polizei ihren Dienst versieht und was mit Gefangenen geschieht. Sobald ein Gefangener "Krawall" machte, schritten die Wächter ein und sperrten ihn in einer Isolierzelle ohne Licht, Stuhl und Liege ein, so dass er auf dem nackten Betonboden kampieren muss. Unter den Gefangenen befanden sich laut Lindenberg Vagabunden, Trunkenbolde, Bettler und Herumstreicher, auch solche weiblichen Geschlechts, die sich ruhig verhalten und froh sind, ein Obdach und eine Lagerstätte zu haben. Angesichts des "Grauens im Polizeigewahrsam" spricht Lindenberg die Hoffnung aus, "dass sich der eine oder andere durch die Kraft seines Willens oder unterstützt durch einen glücklichen Zufall zu einem menschenwürdigen Dasein wieder emporschwingt."

Was die in Inspektionen gegliederte Berliner Kriminalpolizei zu bewältigen hatte, mögen diese von Lindenberg mitgeteilte Zahlen zeigen. Danach waren 1893 nicht weniger als 262 032 "Sachen" zu erledigen. "Eine furchtbare Zahl, welche die trübe Kehrseite der sonst so glänzenden und vielbewunderten Kaiserstadt in niederdrückender Weise veranschaulicht!" Zur Anzeige kamen unter anderem 11 700 Diebstähle, 1443 Fälle von Betrug, 1755 Unterschlagungen, 1488 Körperverletzungen, 60 mal Raub, 90 Erpressungen, 6466 Unglücksfälle, 128 aufgefundene unbekannte Leichen, 145 versuchter Selbstmord, 655 vermisste Personen und 430 Misshandlungen. Ins Gewahrsam am Alexanderplatz wurden im selben Jahr 37 573 Personen eingeliefert, darunter 13 678 Frauen und 437 Kinder. Außerdem wurden 19 663 Personen wegen Bettelei und weitere 10 900 wegen Obdachlosigkeit aufgegriffen. Ein Heer von 6000 Polizeibeamten wachten im damaligen Berlin über Ruhe und Ordnung und das, was der Obrigkeitsstaat darunter verstand, die Kosten dafür wurden mit beachtlichen acht Millionen Mark beziffert.

Verräterisch gut geputzte Schuhe

Der Polizei stand ein Heer von Spitzeln und Zuträgern zur Verfügung, denn sie konnte nicht überall ihre Augen haben und nicht immer dabei sein, wenn irgendwo etwas passierte. Um aber ganz dicht am Puls der Zeit sein zu können, mischten sich Polizeibeamte als ganz gewöhnliche Menschen, als Dienstmänner, als Lastenträger, Bademeister oder auch vornehm gekleidete Fremde unter die Menschenmassen, um Taschendiebe und Bauernfänger anzulocken und dingfest zu machen. Sie wurden angehalten, sich ordentlich zu kleiden und als Repräsentanten des Staates stets eine stramme Haltung an den Tag zu legen. zunächst auf die Schuhe der betreffenden Person zu sehen." Für solche Anweisungen gab es offenbar gute Gründe. Denn die Polizisten waren nicht gut gelitten, und es gab Beschwerden über flegelhaftes Verhalten sowie verdreckte Uniformen. Die Polizeiführung regelte genau, wie sich Kriminalpolizisten in Zivil bei der Observierung von Rechtsbrechern kleiden sollen. Um Dieben, Betrügern, Faschspielern, Kinderschändern und anderen Personen auf die Schliche zu kommen, müssten sie sich als Droschkenkutscher, Gepäckträger, Bademeister, Kellner oder Hotelpförtner, aber auch getarnt als Stiefelputzer, Chaffeure oder als "feine Damen" ausgeben und sich entsprechend kostümieren.

Wie aus einer in der Polizeihistorischen Sammlung am Berliner Platz der Luftbrücke ausliegenden Anweisung hervor geht, haben sie "bei der Verkleidung, um sich nicht zu verraten, darauf zu achten, dass sie gegebenenfalls auch ihre Schuhe wechseln, und dass diese zur Kleidung passen; denn geriebene Verbrecher, pflegen, wenn sie merken, dass sie beobachtet werden, und wenn sie vermuten, dass der Betreffende verkleidet sei, zunächst auf die Schuhe der betreffenden Person zu sehen". Erinnert sei, dass in DDR-Zeiten Stasileute bei ihren Einsätzen gern leger mit Jeans und Parka gekleidet waren, aber immer hatten sie geputzte schwarze Schuhe an und kleinen Ledertaschen, die so genannten Stasitäschchen an der Hand, und waren damit untereinander und von ganz normalen Leuten unschwer als Vertreter von "Horch und Guck" zu erkennen.

19. Dezember 2018

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