Die da oben, wir hier unten
In der hierarchisch strukturierten Gesellschaft Preußens ließen sich Standesschranken nur schwer überwinden



Die vom so genannten Petrarca-Meister im 16. Jahrhundert gestaltete Ständepyramide zeigt, dass an der Spitze Kaiser, Könige und Kirchenfürsten sitzen und ganz unten im Dunkeln das Volk jene Werte schafft, die andere verbrauchen und verprassen.



Das Grabmal für Carl Constantin von Schnitter und seine Ehefrau aus der Barockzeit gehört zu den prächtigsten Kunstwerken dieser Art in der Berliner Nikolaikirche.





Preußens König Friedrich II. umgab sich grundsätzlich nur mit adligen Offizieren und anderen Standespersonen (Grafik oben von Adolph Menzel). Doch wenn er die Leistungen von Bürgerlichen benötigte, dann zeigte er sich aufgeschlossen und dankbar, ohne sie aber in den Adelsstand zu befördern. Im 19. Jahrhundert waren die Hohenzollern in dieser Hinsicht weniger dogmatisch.





Der beste Adel ist der, für den man nichts tun muss, gibt der feine Herr den Damen und Herren zu verstehen. Derweil fordert der Schutzmann den in Ehrfurcht erstorbenen Untertanen auf wegzugehen, weil der Prinz und seine Braut längst vorübergezogen sind, was man an den Reinigungsleuten erkennt, die dampfende Pferdeäpfel fortkehren.



Was der Herr Papa mal werden möchte, will der "Kronensohn" gern wissen. Dabei ist Langeweile und Nichtstun doch Arbeit genug, schildert die Karikatur aus der Kaiserzeit.



Dass Seine Majestät der Kaiser beim Hofball den General huldreich mit "oller Schafskopp" begrüßt hat, versetzt den alten Herrn geradezu in Entzücken. (Foto/Repros: Caspar)

Preußen war ein Ständestaat, wie er im Buche steht. Hier hatte jeder seinen Platz, Standesschranken konnten nur mit großer Anstrengung und vielen Opfern überwunden werden, wenn überhaupt. An erster Stelle in der Gesellschaftspyramide stand der Adel. Er war die Stütze der Monarchie, wurde gehätschelt und getätschelt, hatte viele Privilegien und musste kaum Steuern zahlen. Angehörigen adliger Familien bekamen die lukrativsten Stellen am kurfürstlichen beziehungsweise seit 1701 königlichen Hof, in der Armee und der Verwaltung. Ihnen vertrauten die Hohenzollern noch am ehesten, weil auch sie Angehörige der Kaste mit langem, vornehmem Stammbaum waren. Zu Misstrauen hatten die Kurfürsten und Könige aus der Familie, die seit 1415 die Mark Brandenburg und die anderen zum Kurstaat und Königreich gehörenden Gebiete beherrschten, immer Anlass. Sie konnten sie sich ihrer Position nie sicher sein, denn es gab Kräfte, die ihnen die Macht streitig machten. Deshalb wurde, wer der Dynastie dem Herrscherhaus gefährlich werden konnten, an goldene Ketten gelegt und mit Vorrechten ausgestattet, die kein anderer Bürger hatte.

Erbkrankheiten und besondere Begabungen

Dabei war auch der Adel manchen Zwängen unterworfen. Geheiratet wurde meist nur innerhalb dieses Zirkels. Wer als Adliger "unterm Stand" ehelichen wollte, brauchte dazu eine Genehmigung durch den König. Friedrich II., den man auch den Großen nannte, verweigerte solchen "gemischten" Ehen in der Regel seine Zustimmung, weil er nicht wollte, dass die Adelsgesellschaft aufgeweicht wird. Welche Konflikte sich zwischen Adligen und Bürgerlichen abspielen und welche Mauern zwischen ihnen aufgerichtet waren, hat Friedrich Schiller in seinem Drama "Kabale und Liebe" hervorragend dargestellt, und auch Theodor Fontane hat in seinen Romanen das Fortleben dieser zählebigen Standes- und Klassenschranken thematisiert. Wie man weiß, tat die Inzucht den adligen Familien, wo es ein schier unüberwindbares Geflecht von Verwandtschaftsgraden gab und auch schon mal Cousins und Cousinen heiraten durften, nicht gut. Erbkrankheiten kamen hier vermehrt vor, aber auch die Dominanz bestimmter äußerer Merkmale und besonderer Begabungen. Bestes Beispiel ist die im Hause Hohenzollern über viele Generationen verbreitete Musikalität.

Als ein adliger Leutnant ein bürgerliches Mädchen heiraten wollte, gab der standesbewusste König ihm auf seine recht ruppige Weise zu verstehen: "Ich gebe aber nicht zu, dass Officiers sich mit Kaufmanns Töchtern heirathen und also wird von Eurer intendirten Heirath um so weniger was werden, als denen Subalternen solches ohnedem nicht gebühret." Als Bürgersleute Rittergüter oder einen Adelstitel erwerben wollten, machte der König seiner Verachtung für diese Art "Pöbel und Canaillen", also für Leute außerhalb des Ersten Standes im Staat, Luft: "Bürger können handelsleute sein da thun sie besser, wenn sie ihr Geld ins Commerce stechen, da verstehen sie mehr als wenn sie Güther haben. Güther ist nur Sache der Edelleute die müssen Güther haben. [...] Er Sol sein geldt in Seiner fabrique Stechen, das ist ein würckliches guht vohr ihm. [...] Man adelt nur diejenigen Leute, die Verdienste haben und sich vorzüglich meritiert gemacht. Aber nicht Kerls, die bloß reich werden."

Wer an der Spitze der Pyramide stand und wer nicht

Der Adel bildete die Spitze der Pyramide. Das war in Preußen so und in anderen feudal geprägten Staaten. Frankreich war vor der Revolution von 1789 bestimmt durch drei Klassen - Adel, Geistlichkeit, Bürgertum. In Preußen war die Untergliederung differenzierter mit fließenden Übergängen. Vom Adel ging es über die Gruppe der Geistlichkeit und der Gelehrten zu den Kaufleuten und Handwerkern hinab zu den Bauern, Tagelöhnern und den anderen Gruppen. Frauen spielten in dieser von Männern bestimmten Hierarchie eine untergeordnete Rolle. Sie waren bis ins 20. Jahrhundert hinein vor dem Gesetz nur ein "Anhängsel" ihrer Ehemänner und Väter, hatten nichts zu melden und durften bis zum Ende der Monarchie 1918 nicht einmal wählen. Und wenn sich Frauen zu Wort meldeten und für ihre Rechte stritten, dann wurde das zumeist als ungehörig und anmaßend abgelehnt.

Nur selten gelang es Leuten bürgerlichen Standes, die sich herausragende Verdienste um Thron und Armee gemacht hatten, durch Nobilitierung in diesen exklusiven Zirkel zu gelangen. Das "von" vor dem Namen war schon mancher Anstrengung wert. Wer sehr viel Geld berappen konnte und bei Hofe angesehen war, kam in den Genuss dieses Titels. Die Bleichröder, Borsig, Krupp, Siemens und wie sie alle heißen, wurden auf diese Weise geehrt, doch auch der Maler Adolph Menzel wurde mit dem Adelstitel bedacht, als Kaiser Wilhelm II. ihn in den Schwarzen Adlerorden, Preußens höchste Auszeichnung, aufnahm, verbunden mit dem Prädikat "Exzellenz". Die größte Chance, in der Ständegesellschaft aufzusteigen, bot sich beim Militär. Vom französischen Kaiser Napoleon I. ist der Ausspruch überliefert, jeder Soldat trage den Marschallstab im Tornister. Damit war gemeint, dass sich Anstrengungen und Tapferkeit vor dem Feind lohnen. Und so kamen vor über 200 Jahren während der Befreiungskriege erstmals in größerer Zahl auch Bürgerliche auf preußische Offiziersstellen. Der König sah sich zu diesem der Tradition widersprechenden Schritt genötigt, weil das Reservoir in den eigenen Kreisen für solche Positionen nicht ausreichte.

Blaues Blut und vornehme Blässe

Die altpreußische Ständegesellschaft wurde offiziell nach dem Sturz der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 abgeschafft. Laut Verfassung war jeder vor dem Gesetz gleich. Aufgehoben wurde auch das Dreiklassenwahlrecht, das die Wähler nach ihrem Einkommen und gesellschaftlichen Stand unterteilte und damit auch diskriminierte, abgeschafft. De facto aber blieben die Standesgrenzen bestehen und sind, seien wir mal ehrlich, auch heute bei uns spürbar. Denn Grafen und Barone oder Leute, die ein von im Namen haben, kommen, wenn sie nicht ganz blöd sind, schneller voran als ganz normale Leute ohne langen Stammbaum und blaues Blut. Natürlich rollt schon immer bei Leuten von Adel rotes Blut in den Adern. Die Redewendung kommt von einem uralten Schönheitsideal, wonach Hellhäutigkeit und vornehme Blässe Leuten eigen ist, die keiner Arbeit unter freiem Himmel etwa als Bauern oder Handwerker nachgehen müssen. Wer alte Porträts betrachtet, sieht, wie der angestrebten Hellhäutigkeit mit Puder und roter Schminke nachgeholfen wurde. Wer nicht mit Bauern und Arbeitern in Verbindung gebracht werden wolle, trug große Hüte und einen Sonnenschirm und verbrachte die meiste Zeit in geschlossenen, gern auch abgedunkelten Räumen. Für Adelige in südeuropäischen Ländern war es schwer, sich eine helle Haut zu bewahren. Durch Heiraten mit nordeuropäischen Adelshäusern kamen sie diesem heutigen Schönheitsvorstellungen ganz und gar fremden Ideal näher.

8. November 2018

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"