Flucht mit dem Ballon
Neuer Spielfilm schildert, wie zwei Familien 1979 der Stasi entkamen und sicher im Westen landeten



Nach ihrer erfolgreichen Flucht waren die Familien aus Pösneck mit ihrem aus bunten Stoffbahnen zusammengenähten Ballon unterwegs und führten neugierigen Zuschauern vor, wie er mit heißer Luft gefüllt wurde, rechts im damaligen Westberlin vor dem noch nicht umgebauten Reichstagsgebäude.



Das Buch erschien 1999 im Berliner Quadriga Verlag. Der neue Spielfilm in der Regie von Michael Herbig schildert auf spannende Weise die Sicht von heute auf die dramatischen Ereignisse von damals.



Auf ungewöhnliche Weise wie hier in Heck eines Autos versuchten DDR-Bewohner, das angeblich so gelobte Land zu verlassen. Die wenigsten kamen durch, viele landeten im Zuchthaus oder starben beim Fluchtversuch unter den Kugeln der DDR-Grenzer, die anschließend noch belobigt wurde.



Nur wer Genehmigungen oder Sonderausweise vorzeigen konnte, gelangte durch die Katakomben des Bahnhofs Friedrichstraße in den Westen. Ihr Sehnsuchtsziel versuchten viele Menschen auf andere Weise zu erreichen.





Im Tränenpalast am Berliner S-Bahnhof Friedrichstraße sind nach dem Ende der DDR sichergestellte Relikte aus Mauerzeiten zu sehen, hier Hinweisschilder für Leute, die den Schritt in andere Welten taten. (Fotos/Repros: Caspar

Mit Todesschüssen an der innerdeutschen Grenze beginnt der zur Zeit überall in Deutschland laufende Spielfilm "Ballon" in der Regie von Michael Herbig. Das Fluchtdrama mit gutem Ausgang beruht auf einer wahren Begebenheit im Jahr 1979, als die DDR und ihre führende Partei, die SED, prunkvoll ihren 30. Jahrestag feierte. Die im thüringischen Pösneck lebenden Familien Strelzyk und Wetzel wollen mit einem selbstgebauten Heißluftballon in den Westen fliehen. Der erste Versuch des Ehepaars Strelzyk mit ihren beiden Kindern scheitert auf DDR-Seite kurz vor der Grenze, ein zweiter mit einem größeren Ballon, der beide Familien trägt, gelingt nach 28 Minuten und einer dramatischer Verfolgungsjagd durch Stasi und Grenztruppen. Während die Stasi die Familien verhaften will, sind diese, von günstigen Winden geleitet, bereits in Richtung Westen unterwegs. Als der Ballon irgendwo im Wald aufschlägt, fragt Peter Strelzyk einen Uniformierten, ob hier Westen ist. "Nein, Oberfranken" lautet die Antwort, und der Jubel ist riesig.

Jahre permanenter Anspannung und Angst sind vorbei, jetzt können die Geflüchteten nach vorn blicken. Einer von ihnen trauert seiner Jugendliebe im Haus gegenüber nach, doch sie, die Tochter eines Stasimannes, hält dicht. Wie es den zurückgebliebenen Verwandten und Freunden ergeht, spielt in diesem so lang ersehnten Moment der Befreiung keine Rolle. Sauer sind die Männer mit Klappkarte, also die Stasileute. Sie kamen zu spät, um die mit dem Kauf von bunten Stoffen quer durch die DDR, der Anfertigung des Ballons sowie dem Bau der Gondel und Installation der Heißlufttechnik beschäftigten Familien zu verhaften.

Unklar ist für viele Zuschauer des mit hervorragenden Schauspielern besetzten und auch mit gut nachempfundenem DDR-Design ausgestatteten Films, warum sich die beiden Familien auf ihr Himmelfahrtskommando einlassen. Dem Elektrotechniker und Bastler Peter Strelzyk und seiner Familie sowie den Freunden geht es gut, doch sie leiden offensichtlich unter ideologischer Bevormundung und den Grenzen ihrer Bewegungsfreiheit. Wenn Auslandsreisen unternommen werden, dann nur in den Ostblock, der Westen ist ihnen und Millionen anderen DDR-Bewohnern verschlossen. Peter und seine Frau Doris können sich damit nicht abfinden, sie wollen nichts als raus.

Kinder in Freiheit erziehen

Indem Peter seinen Plan geradezu fanatisch und auf keine Warnungen hörend verfolgt, gefährdet er sich und andere. Die Kinder haben Angst, verplappern sich aber nicht. Sie in Freiheit aufziehen zu wollen, wird im Film als Begründung für das Risiko für sich sowie Familienangehörigen und Freunde genannt, doch kann das nicht ausreichen, da hätten der Drehbuchschreiber Thilo Röscheisen und der Regisseur Michael Herbig mehr und besser argumentieren müssen. Dass Flüchtlinge erschossen oder zumindest ins Gefängnis geschickt werden, ja dass sie ihre Kinder verlieren, dürfte auch in Pösneck bekannt gewesen sein, doch spielt das alles im Film keine Rolle.

Nach dem Scheitern der ersten Ballonfahrt wenige hundert Meter vor der Grenze und der Entdeckung der im Wald zurückgelassenen Hülle und weiterer verdächtiger Gegenstände sucht die Stasi die Gegend intensiv ab und engt den Kreis der Verdächtigen immer weiter ein. Ein finster dreinblickender Oberstleutnant macht den Fall zu seiner persönlichen Sache und setzt mutmaßliche Mitwisser mit Lockangeboten und Drohungen unter Druck. Einen Untergebenen provoziert der Stasimann mit der Frage, ob es ihn nicht gefallen könne abzuhauen. Doch bekommt er keine Antwort. Sogar Kinder werden nach Berufen und Tätigkeiten ihrer Eltern ausgefragt. Als ein kleiner Junge berichtet, sein Vater sei Näher, sagt die Kindergärtnerin einem Stasimann, er fertige nur Fahnen und Wimpel zum 30. Jahrestag der DDR an. Der Spitzel nicht weiter nach. Auf der Suche nach den Empfängern eines im Wald verloren gegangenen Medikaments sind Mielkes Männer ebenfalls nicht erfolgreich. Auch die Spur mit den Stoffbahnen, die in größeren Mengen überall in der DDR gekauft und dann in Pösneck zusammengenäht werden, bringt nicht viel.

In ihrer Verzweiflung versuchen die Strelzyks, Kontakt mit der in Ostberlin befindlichen US-Botschaft aufzunehmen. Die Mühen und Ängste sind vergeblich. Überall fühlen sie sich von Stasileuten umgeben. Der Stasi-Mann von gegenüber schöpft keinen Verdacht und bekommt, als die spektakuläre Ballonaktion geglückt ist und im Westen großes Aufsehen, große Probleme. Mielkes Männer stehen wie begossene Pudel da und sinnen auf Rache. Was mit Verwandten, Freunden und Arbeitskollegen der beiden geflüchteten Familien passierte, ist im Film nicht mehr zu sehen. Auch nicht, wie ihr Neustart im Westen gelingt. Denn wo das Drama mit Jubel auf der einen Seite und Frustration in Stasikreisen auf der anderen endet, ging die Geschichte weiter. Das SED-Regime und sein sich als "Schutz und Schild der Partei" gerierender Geheimdienst hatte auf spektakuläre Weise eine Niederlage hinnehmen müssen. Während die Flucht im Westen bejubelt und die todesmutigen Ballonfahrer als Helden des Tages gefeiert werden, gab es im Osten Strafverfahren wegen Fluchthilfe sowie Bespitzelung der Geflüchteten im Westen durch Stasi-Agenten, was einen weiteren Film wert wäre.

Operativer Vorgang Birne

Günter Wetzel erinnert sich, dass seine Familie Besuch aus dem Osten bekam. Ein Rentnerehepaar behauptete, eine Freundin aus der alten Heimat habe sie geschickt. "Unser Haus in Thüringen gibt es noch, ihr könnt jederzeit dort wieder einziehen. Außerdem bekommt ihr ohne Probleme wieder unsere Arbeit in der DDR", lautete das Lockangebot. Dass Wetzel mit seiner Vermutung richtig lag, dass es sich bei den freundlichen Leuten aus der DDR um Abgesandte der Stasi handelt, konnte er 1993 in seiner Stasi-Akte nachlesen. Drei Inoffizielle Mitarbeiter waren auf ihn und seine Familie angesetzt. "Das Ziel war klar: Unsere reumütige Rückkehr hätte man in der DDR groß ausgeschlachtet, nämlich dass man im Westen nicht glücklich wird und sich eine Flucht nicht lohnt." Die Stasi schleuste außerdem einen Freund von Peter Strelzyk in den Westen aus, der zuvor wegen so genanter Fluchthilfe im Gefängnis saß und nun als IM Diener für das MfS arbeitete. Ahnungslos, wie er war, stellte Strelzyk 1984 den vermeintlichen Freund ein, machte ihn gar zum Geschäftsführer seines Ladens. IM Diener informiert die Stasi nicht nur über das Leben der Familie im Westen. Er hatte zudem noch einen Spezialauftrag, wie der SPIEGEL 1999 berichtete. Danach sollte der IM "auf die Geschäftstätigkeit der Firma des Strelzyk derartig Einfluss nehmen, dass es spätestens im Jahre 1985 zum Konkurs mit den ungünstigsten Bedingungen für Strelzyk kommt". Ganz nach Plan ging das Geschäft pleite und wurde von dem zum Stasispitzel umgewandelten ehemaligen Freund übernommen. Peter Strelzyk las nach dem Ende der DDR sieben Stasi-Aktenordner zum "Operativen Vorgang Birne" und erkannte, dass Mielkes Geheimdienst nicht nur einen Freund, sondern auch seine Schwester und seinen Bruder auf ihn angesetzt hatte, ob unter Druck oder freiwillig ist nicht klar.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2017 litt Strelzyk an der traurigen Erkenntnis, dass die Stasi alles versuchte, sein Leben und das seiner Familie kaputt zu machen. Doris und Peter Strelzyk kehrten nach dem Ende der DDR in ihr altes Haus nach Pößneck zurück und beschrieben ihre Lebensgeschichte in dem Buch "Schicksal Ballonflucht". Die Frage, ob sie heute eine Flucht noch einmal wagen würden, antworteten sie mit "uneingeschränkt Ja". Ihr Freund Günter Wetzel, der den Ballon aus Dutzenden Stoffbahnen zusammengenäht hatte, war nachdenklicher. "Ein Stoffsack, heiße Luft rein, und auf geht's. Ich bin froh, dass wir uns damals entschieden haben, aber mit dem Wissen von heute würde ich es nicht mehr machen, weil es zu gefährlich war."

7. Oktober 2018

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