"Na warte Wittelsbach"
Wie König Ludwig II. von Bayern bewegt wurde, Wilhelm I. von Preußen die deutsche Kaiserkrone anzutragen



Die Proklamation Wilhelms I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles wurde von Anton von Werner gemalt und durch zahlreiche Reproduktionen verbreitet. Bismarck in der Mitte mit der hellen Uniform hatte im Vorfeld den Widerstand seines königlichen Herrn gegen die Annahme des kaiserlichen Titels überwunden.



Die Grafik zeigt, wie sich der Reichskanzler vor Wilhelm I. tief verbeugt. Nach dessen Tod war es um seine herausragende Position als Reichskanzler geschehen.



Der in seine Schlösser und Richard Wagners Musik verliebte "Märchenkönig" von Bayern war ein beliebter Gegenstand von Karikaturen. Auf ihr schaut der Mond mit den Gesichtszügen von Richard Wagner zu, wie sich sein Gönner auf einem von Schwänen gezogenen Boot die Harfe spielend durch sein Reich bewegt. Der Tod des von seinen Ministern für verrückt erklärten Einzelgängers am 13. Juni 1886 im Starnberger See wurde von vielen Untertanen betrauert.



Das bayerische Fünf-Mark-Stück von 1875 lässt nicht erkennen, dass der darauf dargestellte König Ludwig II. vom "Bauwurm" und "Wagnerwahn" befallen war, wie man damals sagte.



Auf der Karikatur von Bruno Paul aus dem Jahr 1903 beschwichtigt eine Mutter ihre alkoholisierte Tochter, sie habe doch nur eine Maß Bier getrunken.





Besuchern aus der bayerischen Provinz in Berlin und solche aus Preußen in München waren beliebte Spottfiguren. Das Münchner Satireblatt "Simplicissimus" stürzte sich mit Wonne auf regionale Eigenheiten und ungewohnte Redeweisen und trug damit kaum zu Ausgleich zwischen den "Nordlichtern" und dem deutschen Süden bei.



Wilhelm II. zeigt auf der Karikatur im "Simplicissimus" dem bayerischen Prinzregenten Luitpold, wo es lang geht und gibt diesem damit der Lächerlichkeit preis. (Repros: Caspar)

Wenn es gegen die kaiserliche Zentralgewalt in Wien ging, waren sich Preußen und Bayern einig. In den gegen Österreich gerichteten Schlesischen Kriegen versicherte sich Friedrich II., der Große, nach seiner Thronbesteigung im Jahr 1740 bayerischer Gunst, während er im Gegenzug dafür sorgte, dass ein Vertreter des in Bayern herrschenden Hauses Wittelsbach als Karl VII. die Habsburger als Inhaber der römisch-deutschen Kaiserwürde ablöste. Im Bayerischen Erbfolgekrieg von 1778 und 1779 wehrte sich Friedrich II. von Preußen erfolgreich gegen den Versuch des römisch-deutschen Kaisers Joseph II., sich Niederbayerns und der Oberpfalz zu bemächtigen und dessen Herrschaft im Reich zu stärken. Der Krieg, in den sich Russland einschaltete, krankte an logistischen und Versorgungsproblemen und wurde 1779 durch den Frieden von Teschen beendet.

Ungeachtet des raschen Endes dieses Krieges und der Waffenbrüderschaft in den Befreiungskriegen waren die Beziehungen zwischen Preußen und Österreich schwierig. Sie mündeten 1866 in den Deutschen Krieg, der Preußen den Weg zur Gründung des unter seiner Hegemonie stehenden Deutschen Reichs ebnete und die Position anderer Bundesstaaten schwächte, darunter auch Bayerns. Zeitweilig gab es eine Annäherung zwischen Preußen und Bayern, die in der Heirat des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.) 1823 mit der bayerischen Prinzessin Elisabeth gipfelten. Das Paar ist in der Königsgruft der Potsdamer Friedenskirche bestattet. Rivalitäten und Animositäten zwischen Preußen und Bayern kamen erst im späten 19. Jahrhundert auf.

Bismarck verfasste 1870 den Kaiserbrief

Während des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 trug König Ludwig II. von Bayern seinem Onkel König Wilhelm I. von Preußen im Namen der deutschen Fürsten die deutsche Kaiserkrone an. Zu diesem Zweck hatte der damalige preußische Ministerpräsident und spätere Reichskanzler Otto von Bismarck den so genannten Kaiserbrief verfasst, den der gerade an heftigen Zahnschmerzen leidende Bayernkönig willig unterschrieb. Bismarck wusste, dass sich der vom "Bauwurm" befallene König von Bayern wegen seiner Märchenschlösser und Theaterleidenschaft in großen Geldverlegenheiten befindet. "Sechs Millionen Gulden würden ihm sehr angenehm sein, vorausgesetzt, dass die Minister nichts erfahren. Für diese Summe würde er sich auch zur Kaiserproklamation und Reise nach Versailles entschließen", wurde dem Politiker vertraulich mitgeteilt.

An König Wilhelm I. von Preußen gerichtet, heißt es in dem Kaiserbrief: "Nach dem Beitritt Süddeutschlands zu dem deutschen Verfassungsbündnis werden Eurer Majestät übertragenen Präsidialrechte über alle deutschen Staaten sich erstrecken. Ich habe mich zu deren Vereinigung in einer Hand in der Überzeugung bereit erklärt, dass dadurch den Gesamtinteressen des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem Vertrauen, dass sie dem Bundespräsidium nach der Verfassung zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines deutschen Reiches und der deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche Euer Majestät im Namen des gesamten deutschen Vaterlandes aufgrund der Einigung seiner Fürsten ausüben. Ich habe mich daher an die deutschen Fürsten mit dem Vorschlage gewendet, gemeinschaftlich mit mir bei Eure Majestät in Anregung zu bringen, dass die Ausübung der Präsidialrechte des Bundes mit Führung des Titels eines deutschen Kaisers verbunden werde. Sobald mir Eure Majestät und die verbündeten Fürsten Ihre Willensmeinung kundgegeben haben, würde ich meine Regierung beauftragen, das Weitere zur Erzielung der entsprechenden Vereinbarungen einzuleiten." Der Brief wurde im Reichstag am 5. Dezember 1870 verlesen. Für Wilhelm I. war es wichtig, dass ihm die Kaiserwürde von den deutschen Bundesfürsten angetragen wird und nicht wie 1849 seinem Bruder Friedrich Wilhelm IV. vom deutschen Volk, vertreten durch die in Frankfurt am Main tagende Nationalversammlung. Nur unter dieser Bedingung war der standes- und traditionsbewusste, in der Kaiserfrage ausgesprochen zögerliche Monarch gewillt, sich auf diesen Deal einzulassen.

Ein lohnendes Geschäft

Für den sonst auf Autonomie bedachten Schöngeist Ludwig II., der erst 1866 als Bundesgenosse des Kaisers Franz Joseph von Österreich den Deutschen Krieg gegen Preußen verloren hatte, bedeutete die Initiative sowohl eine große Überwindung, mehr aber ein ausgesprochen lohnendes Geschäft. "Er weinte und nahm", hieß es über den finanziell klammen Bayernkönig. Er ließ sich sein Entgegenkommen von Bismarck mit einer Millionen-Zahlung vergolden, um diesen Geldsegen für seine Schlossbauten zu verwenden. Die Angaben über die Höhe der Zuwendung schwanken, sie könnten sich auf fünf bis sechs Millionen Reichsmark belaufen haben und wurden insgeheim über Schweizer Banken direkt auf das Privatkonto Ludwigs II. überwiesen. Der Vorgang wurde erst nach Bismarcks wenig ehrenvoller Entlassung als Reichskanzler durch Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1890 öffentlich und erregte große Verwunderung. Noch heute danken die Bayern ihrem "Kini" seinen Bauwahn, bringen die für ihn erbauten Schlösser wie Herrenchiemsee, Neuschwanstein, Linderhof und das Königshaus am Schachen unendlich viele Touristen und damit viel Geld in die Kassen des Freistaats Bayern.

Der Bayernkönig war sich der Tragweite seines Schreibens durchaus bewusst. Er und seine fürstlichen Standesgenossen erkannten mit dem König von Preußen eine Autorität über sich an und gaben wichtige Souveränitätsrechte an das neue Deutsche Reich ab. "Wehe, dass ich gerade in solcher Zeit König sein musste, selbst genöthigt war und gerade in bayerischem Interesse jenes schmerzliche Opfer zu bringen", klagte Ludwig II. und fügte sich in sein Schicksal. Er ließ sich vor der Kaiserproklamation einige Sonderrechte politischer, militärischer, wirtschaftlicher und münzpolitischer Art zusichern. Dazu gehörten die Posthoheit, eigene Gesandtschaften an europäischen Höfen und weiterhin in Friedenszeiten der Oberbefehl über die bayerische Armee. Außerdem brauchte das Königreich keine Bier- und Branntweinsteuer an das Reich abzuführen und behielt damit eine wichtige Einnahmequelle.

Schönster Stern meines Lebens

Trotz solcher Separatabmachungen spielte Bayern im neuen Deutschen Reich nur noch eine Statistenrolle, dies sicher auch deshalb, weil an seiner Spitze politisch und persönlich schwache Herrscher standen. Natürlich erkannte man diesen Bedeutungsverlust im agrarisch geprägten Bayern, und so entwickelte sich dort sehr schnell eine starke antipreußische Stimmung. Die Kritik an ihm war vielfältig und rankte sich vor allem um seine teuren Schlossbauprojekte. Sie betraf aber auch die merkwürdige Beziehung zu Richard Wagner, der die Gunst des Königs in klingende Münze und eine starke Stellung am Münchner Hof umzuwandeln verstand. "Mein König, mein höchstes Glück, hoher Engel, schönster Stern meines Lebens, mein heiliger Parzifal" und ähnlich lauteten die ganz unehrerbietigen Anreden in Briefen, die Wagner seinem Gönner schrieb. Dergleichen blieb nicht geheim, und so warfen regimekritische Kreise dem König vor, die unverschämten Geldforderungen des wegen eines luxuriösen Lebensstils stets klammen und bei der Regelung seiner finanziellen Verhältnisse wohl auch ziemlich laxen Komponisten ohne Bedenken zu erfüllen und sich in eine emotionale Abhängigkeit zu diesem seinen Günstling und zu seiner Musik zu begeben. Als ziemlich "unnatürlich" wurde registriert, dass der Monarch Vorstellungen von Wagner-Opern nur für sich allein veranstalten ließ. Wer das tut, konnte nicht ganz richtig im Kopf sein, tuschelte man in München.

Otto von Bismarck erwies sich gegenüber Ludwig II. Zeit seines Lebens dankbar und versuchte, seine wegen der unmäßigen Ausgaben für prunkvolle Schlösser angekratzte Reputation zu stärken. Das hatte einen politischen Hintergrund, denn dem Reichskanzler konnte nicht daran gelegen sein, dass der Wittelsbacher abdankt und möglicherweise ein preußenfeindlicher Nachfolger den Thron besteigt, was die latenten Gegensätze zwischen München und Berlin nur noch weiter vertieft hätte. Nach dem mysteriösen Tod des in seiner Traumwelt lebenden und daher regierungsamtlich für "wahnsinnig" erklärten Ludwig II. am 13. Juni 1886 im Starnberger See trat dessen Bruder Otto I. formal die Nachfolge an. Doch da er an einer Geisteskrankheit litt, konnte er die Regierungsgeschäfte nicht ausüben und lebte isoliert im Schloss Fürstenried bei München. Das Regieren wurden von seinem zum Prinzregenten ernannten Onkel Luitpold wahrgenommen. Als dieser 1912 starb, übernahm dessen Sohn Ludwig die Amtsgeschäfte und machte sich 1913 als Ludwig III. zum König, obwohl Otto I. noch bis 1916 lebte. Demzufolge gab es in Bayern für kurze Zeit formal zwei Könige.

Wut auf die Saupreußen

Erst im der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Veränderung in der preußisch-bayerischen Stimmungslage. Münchner Medien schürten Wut auf die "Saupreußen", kenntlich an verbaler oder gezeichneter Hetze gegen "kleindeutsche Antichristen", preußischen Zentralismus und schnurrbärtige Militärherrlichkeit. Da man Kaiser Wilhelm II. und sein imperiales Gehabe nicht direkt angreifen konnte, nahm man seine Offiziere und Beamten aufs Korn, äffte ihren abgehackten Kasinoton nach, warf alle "Preußen" als überhebliche, gottlose Kreaturen in einen Topf. Im Gegenzug wurden die früher so berechnend umgarnten Bayern von den "Nordlichtern" als hinterwäldlerisch und bäurisch verunglimpft, als lederhosenbekleidete Raufbolde und Biersäufer bar jeder feinen Lebensart. Den als täppisch und unbeholfen karikierten Besuchern aus der bayerischen Provinz wurde unterstellt, sich in der Millionenstadt Berlin nicht zurechtzufinden und auch der hochdeutschen Sprache nicht mächtig zu sein. Der aus Bayern stammende Markgraf Otto der Faule, der im 14. Jahrhundert für ein paar Jahre mehr schlecht als recht die Geschicke in Brandenburg bestimmte, stand, in Marmor gehauen auf der Berliner Siegesallee und war mit seinem müden Gesichtsausdruck und den schlaffen Waden beliebtes Ziel von Schülerspott.

Großen Wirbel löste Kaiser Wilhelm II. im Jahre 1891 aus, als er sich anlässlich eines Staatsbesuchs in München ins Goldene Buch der Stadt mit dem Satz "Suprema lex regis voluntas" eintrug. Die Behauptung, höchstes Gesetz sei der Wille des Königs, rief in Bayern große Empörung hervor. Sie wurde als Provokation und Ausdruck kaiserlichen Machtanspruchs gegenüber der Souveränität Bayerns als einem der wichtigsten deutschen Bundesstaaten empfunden. Man konnte die Formulierung aber auch anders verstehen, denn der seit 1886 als Nachfolger des im Starnberger Sees ertrunkenen "Märchenkönigs" Ludwig II. nominell regierende, de facto aber von allen politischen Angelegenheiten abgeschnittene König Otto war dem Wahnsinn verfallen. Danach würde, wenn man Wilhelms II. Äußerung wörtlich nimmt, ein Irrer oberster Gesetzgeber in Bayern sein. Außerdem hatte der Kaiser die in Bayern fest geschriebene konstitutionelle Monarchie angegriffen und kundgetan, dass für ihn das Wort der gewählten Volksvertreter nichts wert ist.

Natürlich war der Vorstoß kalkuliert, denn der von seiner göttlichen Berufung überzeugte Kaiser wollten die unbotmäßigen, zudem noch meist katholischen Bayern demütigen. "Na warte, Wittelsbach! Du sollst noch das Reich achten und kennenlernen", schrieb der Kaiser im Jahr 1900 an den Rand eines Gesandtschaftsberichts. Selbstverständlich haben es die Bayern dem Kaiser heimgezahlt, indem sie sich vom fernen München aus über sein großpreußisches Säbelrasseln und seine theaterhafte Selbstdarstellung lustig machten. Wie weit die Abneigung gegen alles, was nach "Saupreußen" riecht, in Süddeutschland und speziell in Bayern ging, zeigt die Anfertigung von Schießscheiben. Sie erlaubten es, ungestraft auf die ungeliebten, dazu noch protestantischen Konkurrenten zu feuern, was eigentlich alles sagt.

13. August 2018

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"