Parteiauftrag "Gebildete Nation"
SED schrieb Schriftstellern und bildenden Künstlern den "Bitterfelder Weg" vor und fand dabei nicht immer Gegenliebe



Mit Hilfe des Bitterfelder Wegs wollte man erreichen, dass Kunst- und Kulturschaffende in die Betriebe gehen, wo sie die Lebensweise und das Denken der Arbeiter und Bauern studieren sollen. Zur Legitimierung und Verherrlichung des Sozialismus gehörte auch die Darstellung seiner Schutz- und Sicherheitsorgane, hier das Gemälde "Fahneneid" von Harald Thiel aus dem Jahr 1962.







Gemälde (oben Willy Colbert, 1954), Skulpturen wie das Thälmann-Denkmal in Ostberlin (Mitte: Nikolai Tomski, 1986) und Filme (unten rechts mit Günther Simon in der Hauptrolle) befassten sich mit dem Leben und Kampf von Ernst Thälmann, dem, Sohn und Führer (!) seiner Klasse, so die Untertitel von zwei über den grünen Klee gelobten Defa-Filmen von 1954 und 1955 in der Regie von Kurt Maetzig.



Sozialistische Menschen brauchen das sozialistische Kollektiv, das keinen zurück lässt, lautet die Botschaft des Bildes von Heinrich Witz "Der neue Anfang" von 1959.



Wenn Mutti nach Hause kommt, wird sie vom Sohn freudig begrüßt. So malte es Fritz Skade 1964.



Die seinerzeit zu den Helden der Arbeit gezählten Mitglieder der Brigade Mamai im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld wurde 1961 von Walter Dötsch liebevoll porträtiert.



Häftlinge des KZ Sachsenhausen wurden im April 1945 von der Roten Armee befreit und schwören auf dem Glasfenster in der Gedenkstätte nördlich von Berlin "Nie wieder Faschismus". (Fotos/Repros: Caspar)

In den frühen DDR-Jahren gab es eine von der SED in der Tradition des in der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution von 1917 gepflegten Proletkults geförderte Bewegung, um schriftstellerische und andere künstlerische Talente in der Arbeiterklasse und bei den werktätigen Bauern, wie man sagte, zu entdecken und zu fördern. Die Suche nach schreibenden Arbeitern und Bauern ging von einer Konferenz aus, die 1959 im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld veranstaltet wurde, mitten im Chemiebezirk Halle. Die Festlegungen dieser "Bitterfelder Konferenz" wurden bis in die 1960-er Jahre in weiteren Veranstaltungen unter Federführung der SED und des Ministeriums für Kultur als "Bitterfelder Weg" präzisiert.

Die Kampagne war ein Versuch in den 1960-er Jahre, das Leben und Tun der Künstler, Schriftsteller und anderen Kulturschaffenden in der DDR mit den politischen Zielen von Partei und Staat zu verbinden und Kunst und Kultur als Mittel für den Lobpreis des Sozialismus und die Formung der "Gebildeten Nation" zu nutzen. Abgeleitet ist der Begriff von Konferenzen, die im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld vom ZK der SED und dem Ministerium für Kultur veranstaltet wurden. Er fasst Forderungen des damaligen Partei- und Staatschefs Walter Ulbricht zusammen, die Werktätigen unter der Losung "Sozialistisch arbeiten, lernen und leben" zu mehr Anstrengungen zur Erfüllung und Übererfüllung der Pläne, aber auch für ein kulturvolles Leben zu gewinnen und mit einer breit angelegten Wettbewerbsbewegung das SED-Regime zu stärken. Der zweite deutsche Staat, der sich durch den Mauerbau am 13. August 1961 gegenüber dem Westen abgeschottet hatte, stellte sich als Krone und Sieger der deutschen Geschichte dar, als Hort der Humanität und des Antifaschismus und wirkte mit diesem Anspruch auch in den Westen hinein, nicht ohne in linken Kreisen eine gewisse Resonanz zu finden.

Sozialistisch arbeiten, lernen und leben

Ausgangspunkt der Bewegung waren Forderungen des damaligen SED-Chefs Walter Ulbricht, die Werktätigen unter der Losung "Sozialistisch arbeiten, lernen und leben" für mehr Anstrengungen zur Erfüllung der Pläne, aber auch für ein kulturvolles Leben zu gewinnen und das System mit einer breit angelegten Wettbewerbsbewegung auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet zu stärken. Mit Hilfe des Bitterfelder Wegs sollte die, wie man sagte, Trennung von Kunst und Leben aufgehoben und die Entfremdung zwischen Künstler und Volk überwunden werden. Arbeiter sollten zu Künstlern werden, Künstler sollten in Produktionsbetrieben und auf dem Lande Lebens- und Arbeitswirklichkeiten studieren und dort Themen und Motive für eigene Werke gewinnen.

Was sie dort erlebten, sollte ihren Niederschlag in künstlerischen Werken, in Romanen und Erzählungen, in Filmen und in der bildenden Kunst finden. Den tristen Alltag, das ärmliche Leben der Arbeiter und Bauern, die zerstörten Städte, die von Umweltgiften gefährdete Natur abzuschildern, war nicht erwünscht. Vielmehr forderte die allmächtige Partei geschönte Bild von lachenden, heldenhaft arbeitenden und fürs Vaterland kämpfenden Menschen. Diese Vorgaben wurden vielfach mit Inbrunst erfüllt und vom Staat mit Preisen und Lob bedacht. Doch gab es auch Schriftsteller, Maler, Bildhauer und andere Künstler, die tiefer blickten und genauer darstellten, was sie sehen und empfinden. Sie taten das nicht gegen, sondern für den Sozialismus, den sie im Unterschied zum Kapitalismus für den besseren Gesellschaftsentwurf hielten. Indem sie für einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" stritten, kamen sie in einen schwerwiegenden Konflikt mit der SED- und Staatsführung, die genau dies ablehnten. Wer nicht parierte, bekam "Liebesentzug" zu spüren, das heißt, er oder sie wurde aus dem Künstlerverband geworden, bekam keine Aufträge und verlor damit seine oder ihre Lebensgrundlage. Wer viel Mut und Glück hatte, verließ die DDR und baute sich im Westen eine neue Existenz auf. Nur wenigen Prominenten gelang dieser vielfach purer Verzweiflung geschuldete Schritt.

Die DDR definierte sich als antifaschistisch-demokratischer Staat, dessen oberstes Ziel das Wohl des Volkes ist. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, hieß es. Der Marxismus-Leninismus war oberste Doktrin, seinen Geist zu kennen und zu leben, wurde den Menschen tagtäglich eingebläut. Marx und Engels, Lenin und - zeitweilig auch Stalin - sowie Helden und Märtyrer der Arbeiterbewegung wie Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und der von den Nazis elf Jahre lang gefangen gehaltene und im August 1944 im KZ Buchenwald ermordete Vorsitzende der KPD Ernst Thälmann wurden fast wie Heilige verehrt. Kaum eine Rede, kaum ein politischer Artikel, in denen sie nicht zitiert und als Verkünder ewiger Wahrheiten gepriesen wurden.

Ulbricht gab das Ziel vor, und alle sollten parieren

Wie so vieles ging auch die dann in vielen Varianten propagierte Kampagne "Greif zur Feder, Kumpel, die sozialistische deutsche Nationalkultur braucht dich!" vom Parteichef Walter Ulbricht aus, der sich wie weiland Kaiser Wilhelm II. zum obersten Kunstrichter des Landes aufschwang und von seinen Untertanen forderte, dass sie ohne Murren parieren. In Staat und Wirtschaft sei die Arbeiterklasse der DDR bereits Herr, gelte der Grundsatz "Erstürmt die Höhen der Kultur und greift von ihnen Besitz". Ulbricht. Der gewiefte Agitator und Propagandist rief auf, Zirkel schreibender und malender Arbeiter, Bauern, Soldaten usw. zu gründen und dort entstehende Werke öffentlich zu präsentieren. Viele etablierte Schriftsteller, Maler und Bildhauer sahen der Bewegung mit gemischten Gefühlen zu, führte sie doch oft zu wenig ansehnlicher, platter Partei- und Staatspropaganda. Auf der anderen Seite bot der Bitterfelder Weg eine Möglichkeit, unentdeckte Talente zu finden und zu fördern. Die damals in jeweils anderen Städten gefeierten Arbeiterfestspiele, aber auch Kunstausstellungen, Lesungen, Publikationen und Konzerte boten dafür eine gute Plattform. Wie sich der sprichwörtliche kleine Moritz die Welt des Sozialismus vorstellte, wurde gelegentlich in dem Satireblatt "Eulenspiegel" grinsend aufs Korn genommen, ohne dass Parteizensoren, die überall ihre Augen und Finger hatten, der Hintersinn aufgefallen wäre.

Wer sich dem Bitterfelder Weg verschrieb und seine Kunst in den Dienst von Partei und Staat stellte, wurde bevorzugt mit Aufträgen vom Staat sowie den Parteien und Massenorganisationen bedacht, erhielt den Nationalpreis und andere hoch dotierte Auszeichnungen, war in Ausstellungen zu sehen, erhielt Publikationsmöglichkeiten und bekam freundliche Besprechungen in der Presse, ja manchmal ein lobendes Wort aus dem Mund von Funktionären auf Parteitagen. Wer sich hingegen sich nicht vereinnahmen ließ, sich der Bewegung verschloss und gar gegen sie steuerte, hatte Nachteile aller Art zu gewärtigen, ging, wenn es garnicht mehr auszuhalten war, in den Westen oder in die innere Emigration. Viele Erzeugnisse des Bitterfelder Wegs und anderer Kampagnen fristen heute in Kunstdepots und Bibliotheken ein unbeachtetes Dasein, und wenn man sie in Museen zeigt, werden sie als Kuriositäten einer schon sehr fernen Zeit belächelt. 1. Oktober 2018

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