"Im Dienst der Rassenfrage"
Topographie des Terrors zeigt Propagandafotografien im Auftrag des Reichslandwirtschaftsministers und Reichsbauernführers Darré



Das 1933 erlassene Reichserbhofgesetz bestimmte, dass Bauer nur sein kann, "wer deutschen oder stammesgleichen Blutes ist. Deutschen oder stammesgleichen Blutes ist nicht, wer unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdisches oder farbiges Blut hat." Wie die idealen Bauern und Bäuerinnen auszusehen haben, zeigen diese in der Topographie des Terrors gezeigten Bilder.





Die Wiener Fotografin Anna Koppitz und der Berliner Sportfotograf Hanns Spudich fertigten in Darrés Auftrag Aufnahmen der "Neuhäuser" an, mit denen zahllose von ihm herausgegebene und auch in der Ausstellung gezeigte Propagandaschriften illustriert wurden.



Darrés Visionen von einem fröhlichen Bauernleben wie zur Dürerzeit kollidierten mit dem Problem, die Ernährung der "deutschen Volksgenossen" in Friedens- und Kriegszeiten sicherzustellen. Bei dem geringen Grad der Mechanisierung und wegen fehlender Arbeitskräfte wurde das Ziel regelmäßig verfehlt. Im Krieg konnte die Ernährung im Deutschen Reich nur durch Ausbeutung der okkupierten Länder einigermaßen sichergestellt werden.



Richard Walther Darré war sich lange der Gunst von Hitler sicher, im Hintergrund machten sich Nazibonzen aber über den fanatischen Verfechter der Blut-und-Boden-Ideologie lustig, zumal er in Konflikt mit imperialistischen Plänen von Himmler und seinen Leuten geriet. Das Foto rechts zeigt den NS-Funktionärr während seiner Haft nach dem Krieg.(Repros: Caspar)

"Volk und Rasse, Blut und Boden, Raum, Aufrüstung, Krieg und ,Deutschland über alles'" waren zentrale Schlagwörter der NS-Ideologie, sie wurden bei zahlreichen Kundgebungen und in einschlägigen Schriften propagiert, und waren Gegenstand in der bildenden Kunst, im Film und der Literatur. Um sie kreisten sich zahlreiche Gesetze. Das Begriffspaar "Blut und Boden" wurde bereits 1922 in dem Buch von Oswald Spengler "Der Untergang des Abendlandes" verwendet und diente mehreren Büchern sowie einer "Monatsschrift für wurzelstarkes Bauerntum, für deutsche Wesensart und nationale Freiheit" als Titel. Im Sinne des Schlagworts "Volk ohne Raum" sollten unter der Parole "Blut und Boden" Territorien im Osten erobert und dort "rassenreine" Bauern angesiedelt werden. Einer der schärfsten Einpeitscher der Blut-und-Boden-Ideologie war Reichslandwirtschaftsminister und Reichsbauernführer Richard Walther Darré, der schon vor 1933 ein Buch mit dem Titel "Blut und Boden, ein Grundgedanke des Nationalsozialismus" veröffentlichte. Er trat für die "Züchtung" eines nordisch-germanischen Bauerngeschlechts und die Ausmerzung von "minderwertigen Menschen", sprich Untermenschen, ein und verlangte die Einführung erbgesundheitliche Stammbücher.

Mit seinem Plan, die Landwirtschaft auf den Stand vor der industriellen Revolution zurückzuführen, geriet Darré in Konflikt mit anderen NS-Funktionären, die die Modernisierung der deutschen Industrie und Landwirtschaft forderten, um einen großen Krieg effektiv führen zu können. In seinen Kreisen war der Reichsbauernführer und Landwirtschaftsminister umstritten, Propagandaminister Joseph Goebbels hielt ihn für eine Niete. Seine Pläne zur Förderung bäuerlicher Siedlungen im Deutschen Reich kollidierten mit den Vorstellungen des Reichsführers SS Himmler zur Ostexpansion, weshalb er 1938 sein Amt als Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS verlor. Nach Kriegsbeginn wurde der Vorkämpfer der Blut-und-Boden-Politik als Minister für Ernährung und Landwirtschaft immer unwichtiger. Am 16. Mai 1942 verfügte Hitler, dass er "mit Rücksicht auf seinen seit längerer Zeit angegriffenen Gesundheitszustand" von diesem Posten entbunden wird.

Artgemäße Fortpflanzung und Aufnordung

In der Topographie des Terrors an der Niederkirchnerstraße im Berliner Bezirk Kreuzberg, auf dem ehemaligen Gelände der SS-Führung und Gestapo, wird bis zum 8. April 2018 die Sonderausstellung "Im Dienst der Rassenfrage' - Propagandafotografien im Auftrag des Reichsministers R. Walther Darré" gezeigt. Die von diesem propagierte Blut-und-Boden-Ideologie stellte Bauern in den Mittelpunkt, angeblich weil sie sich wie niemand anderes zur "artgemäßen" Fortpflanzung der Deutschen und ihrer "Aufnordung" eignen. Um die "rassischen Aufgaben des deutschen Bauergeschlechts" zu popularisieren, schufen und publizierten Darré und seine Leute positive Identifikationsbilder. Der Minister und Reichsbauernführer gründete die Reichsschule für Leibesübungen des Reichsnährstandes Burg Neuhaus. Dort, in einem Stadtteil von Wolfsburg gelegen, nahmen zwischen 1936 und 1939 rund 950 Mädchen und Jungen aus ausgesuchten Bauernfamilien an mehrwöchigen Kursen mit Sportübungen und Volkstänzen teil. Die Teilnehmer galten als Elite der "nordischen Rasse" und wurden ideologisch geschult und vormilitärisch von SS-Leuten gedrillt.

Darrés Ziel war es, ein neues germanisches Bauernbild zu etablieren und die Landbevölkerung vom Image des Einfältigen, Hinterwäldlerischen, Eintönigen und Unbeweglichen zu befreien und sie als innovativ, beweglich, positiv, gegenwartsbezogen und natürlich ganz und gar der Naziideologie erlegen darzustellen, als diejenigen, die das deutsche Blut rein halten, wie man damals sagte. Die mit zahlreichen Dokumenten, Fotografien und Zeichnungen ausgestattete Ausstellung über die "neuen Menschen" untersucht den Einsatz von Fotografien lachender, zupackender, tanzender und körperlich gestählter Männer, Frauen und Jugendlicher sowie von pathetischen Reportagen in Büchern, Zeitungen und Magazinen, die in Darrés Verlag und seinem Umfeld erschienen. Sie belegen das systematische Vorgehen des Naziführers bei der Schaffung einer eigenen Bildsprache und sind das Ergebnis enger Zusammenarbeit zwischen ihm und der Wiener Fotografin Anna Koppitz und des Berliner Sportfotografen Hanns Spudich. Sehr gekonnt verstand es wie der NS-Bauernführer und Chefideologe die Mittel der Fotografie zur Untermauerung und Verbreitung seiner abstrusen Thesen einzusetzen. Bei den Bildern drängen sich unweigerlich Parallelen zu den Parteitagsfilmen der Regisseurin Leni Riefenstahl auf.

Menschen zwischen Gott und Erde

In Darrés Monatsschrift für Blut und Boden "Odal", nicht zu verwechseln mit dem Mundwasser "Odol", wurde dieses Bild vom Bauern gezeichnet: "Der Mensch, der noch zwischen Gott und Erde steht, trägt den untrüglichen Spiegel seines Lebens im Antlitz. Seele und Geist, Gemüt und Verstand, Kraft und Temperament haben mit ihren Runen sein Gewicht geprägt. Die bäuerliche Welt ist etwas unvergleichliches. Im Kampf um Saat und Ernte, Geburt und Tod, Naturgewalten und Menschenschwächen hat der Bauer, König im eigenen Reich. Ein Leben zu leben, das ihm seine ewigen Spuren hinterlässt." Darré und seine Komplicen glaubten, dass das Blut der nordischen Rasse in allen Stämmen zu finden ist, und um diese Vorstellung zu untermauern, ließen sie Fotografen, Zeichner und Maler Gesichter studieren und darstellen, auf dass Rassekundler daraus ihre Schlüsse ziehen und bestimmen, wer wertvoll ist und wer nicht. Die Ausstellung in der Topographie des Terrors zeigt zahlreiche Beispiele für derartige Bemühungen. Der Name "Odal" von Darrés Hauszeitschrift bezog sich auf ein altgermanisches Wort, das "den Stammsitz einer Familie als erblichen und unveräußerlichen Gemeinschaftsbesitz" bezeichnet, so eine Definition in der Ausstellung.

Nach seiner Entlassung aus dem Ministeramt zog sich Darré auf sein Anwesen in der Schorfheide zurück. Nach dem Ende der Naziherrschaft stand er im Wilhelmstraßen-Prozess vor Gericht und wurde am14. April 1949 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Plünderung und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zu sieben Jahren Haft verurteilt. Bereits im August 1950 kam er aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg frei. Der Pensionär starb 1953 in München. Darré war Ehrenbürger der "Reichsbauernstadt" Goslar. Obwohl diese Würde vermutlich durch seine Verurteilung aufgrund der Kontrollratsdirektive Nr. 38, spätestens mit seinem Tod automatisch erloschen war, wurde sie ihm 2013 von der Stadt Goslar noch einmal und ausdrücklich aberkannt. Die Direktive erklärte als Zweck, für ganz Deutschland gemeinsame Richtlinien zu schaffen betreffend: "a) die Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, welche das nationalsozialistische Regime gefördert und gestützt haben; b) die vollständige und endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus durch Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung von bedeutenden Teilnehmern oder Anhängern dieser Lehren; c) die Internierung von Deutschen, welche, ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein, als für die Ziele der Alliierten gefährlich zu betrachten sind, sowie die Kontrolle und Überwachung von Deutschen, die möglicherweise gefährlich werden können."

31. März 2018



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