"Macht doch euern Dreck alleene!"
Deutsche Landesfürsten verabschiedeten sich vor hundert Jahren wenig würdevoll aus der Geschichte



Am wohlsten und sichersten fühlte sich Wilhelm II. im Kreise seiner Generale, aber nicht er war der wahre Oberbefehlshaber. Die Chefs der Obersten Heeresleitung, Hindenburg und Ludendorff, und andere Militärs und Politiker hatten ihm schon lange das Heft des Handelns aus der Hand gerissen.



Spottpostkarten fanden vor 100 Jahren guten Absatz, sie zeigen, wie sich der abgehalfterte Kaiser in einem wackligen Segelboot aus dem Staub macht.



Kronen und andere Insignien werden 1918 von einer großen Welle erfasst und fortgespült. Im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland standen in der DDR die Kieler Matrosen und ihr Beitrag für die Novemberrevolution hoch im Kurs. Erst 2018, einhundert Jahre nach dem Aufstand in Kiel und anderen Städten hat man im vereinigten Deutschland die lange Zeit als eidbrüchige Verräter gebrandmarkten Matrosen als diejenigen gewürdigt, die das Signal für die Volkserhebung gegen den Kaiser und seine Generale gaben.



An den Aufstand der Roten Matrosen erinnert in Rostock unweit der Warnow ein großes Denkmal.



Bunte Postkarten ließen den Ersten Weltkrieg als eine Art Kinderspiel erscheinen, machten aber auch Lust aufs Abschlachten der gegnerischen Truppen.



Ludwig III. von Bayern hatte nach dem 7. November 1918 nichts mehr zu melden. Die Medaille feiert ihn als Landesvater und hohen Militär.



König Friedrich August III. war mehr Zivilist als schneidiger Militär. Lässig grüßt der volksnahe Sachsenkönig 1910 vor dem Dresdner Hauptbahnhof. (Foto/Repro: Caspar)

In der Novemberrevolution 1918 purzelten im Deutschen Reich die Kronen. Mit seinen Verbündeten und Kriegsgegner hatte es furchtbare Verluste an Menschen und Gütern erlitten. Die Spanische Grippe raffte zuzüglich zu Millionen Kriegstoten weitere an Hunger und Entkräftung leidende Menschen dahin. Den angeblichen Heldentod an allen Fronten starben nach einer Aufstellung des Deutschen Historischen Museums mehr als neun Millionen Soldaten. Darunter stammten über zwei Millionen aus dem Deutschen Reich, fast 1,5 Millionen aus Österreich-Ungarn, über 1,8 Millionen aus Russland und annähernd 460.000 aus Italien. Frankreich hatte über 1,3 Millionen und Großbritannien rund 750.000 militärische Todesfälle zu beklagen. Hinzu kamen etwa 78.000 Tote aus den französischen und 180.000 Tote aus den britischen Kolonien. Die USA verloren nach ihrem Kriegseintritt im April 1917 rund 117.000 Soldaten. An den Folgen der Pandemie sollen zwischen 25 und 50 Millionen in ihrem Immunsystem geschädigte Menschen jeden Alters gestorben sein.

Das Deutsche Reich, das mit ihm verbündete Donaumonarchie Österreich-Ungarn und weitere Länder hatten den Ersten Weltkrieg verloren und erlebten einen Umsturz ohnegleichen, durch den diese Monarchien zu Republiken wurden. Während im Sommer 1918 in Russland die Zarenfamilie von den Bolschewiki ermordet wurden, bangten in anderen Ländern die bisherigen Eliten um ihr Leben, so auch Kaiser Wilhelm II., der sich Anfang November 1918 in die Niederlande absetzte und damit seine Untertanen schmachvoll im Stich ließ. Das trug ihm die Verachtung vieler Landsleute ein, über den Fahnenflüchtigen ergossen sich Kübel von Hohn und Schmutz. Andere ehemalige Untertanen sahen den Abgang ihres obersten Landes- und Kriegsherrn weitaus milder und sehnten seine triumphale Rückkehr an der Spitze seiner Truppen herbei.

Matrosen der Kriegsflotte gehorchen nicht mehr

Lange hatte die regierungsamtliche Propaganda den Deutschen vorgegaukelt, der Krieg gegen Frankreich, England, die Vereinigten Staaten und Russland bis zum Sturz der Zarenherrschaft 1917 könne mit Gottvertrauen und harten Anstrengungen an den Fronten und in der Heimat gewonnen werden. Das war eine handfeste Lüge, an die kaum jemand, von Wilhelm II. und seinen Hofschranzen abgesehen, noch zu glauben wagte. Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage wurden ab Sommer 1918 die Rufe nach dem Ende des Krieges sowie nach demokratischen Verhältnissen immer lauter, die diese Bezeichnung verdienen.

Als Anfang November 1918 die auf den so genannten Siegfrieden hoffende, in einer jenseits jeder Realität lebende Seekriegsleitung Matrosen zwingen wollte, zur letzten großen Seeschlacht gegen englische Schiffe auszulaufen, war das Maß voll. Nachdem sich tausende Marinesoldaten geweigert hatten, die Fahrt in den sicheren Tod anzutreten, wurden zahlreiche von ihnen wegen Meuterei verhaftet. Nach dem Kriegsrecht mussten sie mit ihrer Hinrichtung rechnen. Bei einer Massenkundgebung für die Freilassung der Gefangenen erschoss eine Militärpatrouille am 3. November 1918 in Kiel sieben Demonstranten, was die angespannte Stimmung weiter aufgeheizte. Mit dem Aufstand der Kieler Matrosen begann die Novemberevolution, in deren Verlauf das Deutsche Reich zur Republik erklärt wurde.

Die dramatischen Nachrichten von der Küste machten ihre Runde, die Protestaktionen griffen auf das Binnenland über und ereichten sehr schnell die Reichshauptstadt Berlin und weitere große und kleine Städte. Die Demonstrationen der kriegsmüden Bevölkerung ließ die Mächtigen um ihr Leben zittern, dies umso mehr, weil sich die zur Niederschlagung der regionalen Protestaktionen beorderten Soldaten mit den revolutionären Matrosen verbündeten. Zwar gelang es dem Beauftragten der Reichsregierung Gustav Noske (SPD), die Kieler Matrosen durch Amnestieversprechen zu beruhigen, aber der Stein war ins Rollen gekommen und war nicht mehr aufzuhalten.

Wir sind das Volk

Eine Rebellion wie die der Kieler Matrosen hatte es im obrigkeitshörigen, befehlsergebenen Deutschen Reich noch nie gegeben. Sie zeigte unübersehbar, wie brüchig die alte Ordnung ist. Überall forderten Arbeiter-und-Soldaten-Räte die Abdankung des Kaisers, der jeden Kredit verloren hatte, aber nicht wahr haben wollte, dass seine Zeit und die seiner Dynastie abgelaufen ist, 500 Jahre nachdem sich die ersten Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern die Herrschaft in Berlin und der Mark Brandenburg angetreten hatten. Über die Abdankung des Reichsoberhaupts und der anderen deutschen Bundesfürsten vor und nach dem 9. November 1989 hinaus verlangten die aufgebrachten Massen das schnelle Ende des elenden Krieges und die Umgestaltung des Deutschen Reiches in eine demokratische Republik.

Unter der Losung "Wir sind das Volk" rief der Arbeiter- und Soldatenrat in Wilhelmshaven am 10. November zu einer Kundgebung auf, um die Revolution zu vollenden und den Frieden herbeizuführen. Der Rat erklärte Großherzog Friedrich August von Oldenburg für abgesetzt und rief die Sozialistische Republik Oldenburg aus. Der Großherzog wird als typischer Repräsentant des Wilhelminischen Zeitalters geschildert, als ein unter alldeutschem Einfluss stehender Landesfürst, der einen annexionistischen Siegfrieden anstrebte. Das ehemalige Großherzogtum Oldenburg bestand als Freistaat in der Weimarer Republik weiter und ging 1946 im Niedersachsen auf.

Bereits am 7. November 1918 hatte in München eine Gruppe von Linksoppositionellen um Kurt Eisner den bayerischen König Ludwig III. vom Thron gejagt. Zwei Tage später erklärte Reichskanzler Prinz Max von Baden, ein Vetter Wilhelms II., aus eigener Machtvollkommenheit die Abdankung des Kaisers. Erst zwei Wochen später vollzog der über diese Eigenmächtigkeit entsetzte Monarch mit seiner Unterschrift für sich und seinen Sohn Wilhelm die Abdankung als deutscher Kaiser und König von Preußen. Max von Baden hatte zuvor vergeblich versucht, sich zum Verweser für einen minderjährigen Kaiserenkel ins Spiel zu bringen, um damit die Monarchie zu retten. Das Ansehen des uralten König Ludwig III. hatte im Ersten Weltkrieg stark gelitten. Man warf ihm vor, er habe sich allzu willig in die Kriegspolitik des wegen seiner Hochnäsigkeit bei den Bayern unbeliebten Kaisers Wilhelm II. eingelassen und nichts gegen das Massensterben auf den Schlachtfeldern unternommen. Dem König und seiner Regierung wurde angelastet, annexionistische Forderungen auf fremde Gebiete erhoben zu haben, wohl um Bayerns Stellung im Deutschen Reich zu heben und sein Königreich besser an den Welthandel anzubinden.

Ludwig III. von Bayern muss gehen

Hintergrund dieser für die damalige Zeit nicht untypischen Bestrebungen waren offenbar Befürchtungen, dass die Wittelsbacher sowie andere deutsche Bundesfürsten nach einem unter der Führung der Hohenzollern errungenen "Siegfrieden" noch mehr als bisher unter der Dominanz der in Berlin residierenden "Saupreußen" leiden müssten. Die Entmachtung des greisen Königs Ludwig III. von Bayern vollzog sich relativ unspektakulär. Die Wittelsbacher und die anderen Dynastien hatten nun nichts mehr zu sagen, im öffentlichen Leben waren sie aber in der Weimarer Republik als Vertreter der angeblich guten alten Zeit präsent. Irgendwelche Gerichtsverfahren gegen sie gab es nicht, im Gegenteil hat man ihnen in der Fürstenabfindung große Teile ihrer Immobilien, Güter und Kunstschätze zugesprochen, was ihnen ein standesgemäßes Leben ermöglichte.

Die Proklamation des Freistaats Bayern am 7. November 1918 durch den Journalisten und Theaterkritiker Kurt Eisner, einem Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), machte aus König Ludwig III. einen Privatmann. Bis zu letzten Minute hatten er und seine Höflinge gehofft, durch politische Manöver und kleine Zugeständnisse an die aufgebrachten Volksmassen das Blatt wenden zu können und seine Krone zu retten. Ludwig III. ging am 7. November 1917 im Englischen Garten spazieren als sei nichts geschehen. Doch als ihn Arbeiter erblickten, rieten sie ihm, er möge schleunigst heimgehen, sonst sei es mit ihm aus. Der König zog sich in die Münchner Residenz zurück und wartete ab. Als erboste Rufe in seine Gemächer drangen, erkannte er den Ernst der Lage und dankte ab.

Zwar entband Ludwig III. seine Beamten von dem Treueid, den sie ihm 1913 geleistet hatten, doch gab er, wie Kaiser Wilhelm II. und die anderen Bundesfürsten später auch, nie die Hoffnung auf, eines Tages auf den Thron seiner Väter zurückkehren zu können. Mit seiner Familie floh der letzte Bayernkönig nach Österreich, wo er im Schloss Anif bei Salzburg Asyl fand. Ludwig III. starb am 18. Oktober 1921 im ungarischen Exil. Als er am 5. November 1921 in der Münchner Frauenkirche bestattet wurde, gaben ihm tausende ehemalige Untertanen das letzte Geleit.

In exilio bene

Dem letzten Wettiner auf dem sächsischen Thron, König Friedrich August III., wird bei seinem Verzicht auf seine Krone am 13. November 1918 der Satz zugeschrieben "Macht doch euern Dreck alleene!". Zwar soll der volksnahe und wohl auch etwas schrullige Monarch das zum geflügelten Wort avancierte Zitat stets bestritten haben, seiner laxen Einstellung zu den dramatischen Ereignissen um ihn herum würde der Ausspruch aber gut zu ihm passen. Ob echt oder nicht, das Zitat machte die Runde und wurde zum Inbegriff für die in ihr Schicksal ergebene Haltung von gekrönten Häuptern, Politikern und Wirtschaftskapitänen gegenüber Gegebenheiten, an denen man nichts mehr ändern kann. 1919 sprach Kurt Tucholsky dem Ex-Monarchen seinen Dank in dem Gedicht "Das Königswort" mit diesen spöttischen Worten aus: "Edler König! Du warst weise! / Du verschwandest still und leise / in das nahrhafte Zivil. / Das hat Charme, und das hat Stil. / Aber, aber unsereiner! / Sieh, uns pensioniert ja keiner! / Und wir treten mit Gefühle / Tag für Tag die Tretemühle. / Ach, wie gern, in filzenen Schuhen / wollten wir gemächlich ruhen, / sprechend: ,In exilio bene! / Macht euch euern Dreck alleene!'"

Die Weimarer Republik war so kulant, dem ehemaligen König von Sachsen und seiner Familie, aber auch anderen Dynastien große Teile ihrer Besitztümer zu lassen. So konnten die Wettiner bis zu ihrer Enteignung nach dem Zweiten Weltkrieg komfortabel im Barockschloss Moritzburg bei Dresden wohnen bleiben. Als sie in Geldschwierigkeiten kamen, haben sie Juwelen und Kunstgegenstände aus dem Erbe ihrer Vorfahren verkauft. Andere Herrscherfamilien taten es ihnen gleich. Niemand musste auf ein standesgemäßes Leben verzichten, keiner von den Prinzen und Prinzessinnen musste darben wie die Millionen ihrer ehemaligen Untertanen, die ihr Leben in Elend, Not und Krankheit fristen und die Suppe auslöffeln mussten, die ihnen die sich wie Halbgötter gebärdenden Bundesfürsten und ihre Schranzen eingebrockt hatten.

8. November 2018

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