Eulenburg-Affäre erschütterte das Kaiserreich
Wilhelm II. zeigte seinem der Homosexualität beschuldigten Freund von einem zum anderen Tag die kalte Schulter



Als Gerüchte über die angebliche Homosexualität des Fürsten Philipp zu Eulenburg aufkamen, ließ Wilhelm II. seinen langjährigen Freund fallen wie eine heiße Kartoffel. Die Anschuldigungen konnten nicht gerichtsfest untermauert werden. Prozesse gegen Harden wegen Beleidigung wurden genutzt, um den Kaiser und seine Kamarilla bloßzustellen.



Die Enthüllungen des streitbaren Publizisten Maximilian Harden waren für die etablierten Mächte und die Clique um den Kaiser ein ständiges Ärgernis. Karikaturisten schildern, wie Germania schmutzige Wäsche aus dem Hause Eulenburg wäscht.



Wenn ein Mann einen anderen auf der Toilette fixiert, also komisch oder ein-zweideutig anschaut, konnte das schon die Forderung zu einem Duell bedeuten. So wenigstens wollte es die Satirezeitschrift "Simplicissimus" wissen. Das gleiche Blatt macht sich auf einer anderen Karikatur Gedanken darüber, dass das unattraktive Aussehen deutscher Frauen Männer schon mal zu Schwulen machen kann.



Wie es am kaiserlichen Hof zugeht und sich Wilhelm II. inszeniert, war ebenfalls Gegenstand beißender Satire.



Die massenhafte Ermordung von SA-Leuten im Sommer 1934 wurde von Hitler damit begründet, dass er Schaden vom deutschen Volk und der NSDAP abwenden wollte.





Homosexuelle waren in den Nazi-Konzentrationslagern am rosa Winkel auf der gestreiften Kleidung zu erkennen (3. von rechts) und standen in der Lagerhierarchie ganz unten. Zu Tausenden wurden sie von den SS-Wachmannschaften gequält und zu Tode geschunden. (Repros: Caspar) Die Berliner Geschichte kennt unendlich viele Justiz- und Polizei- sowie Finanz-, Wirtschafts-, Bau-, Sex- und andere Skandale. Einer rankte sich um den Diplomaten und Großgrundbesitzer Fürst Philipp zu Eulenburg und Hertefeld. Der Publizist Maximilian Harden behauptete 1906, der Freund und Vertraute von Kaiser Wilhelm II. sei in eine Homosexuellen-Affäre verwickelt, ja der Monarch werde von "unmännlichen Männern" beherrscht. Da der Monarch nicht direkt angegriffen werden konnte, um nicht wegen Majestätsbeleidigung ins Gefängnis zu kommen, richteten sich Hardens Giftpfeile gegen Personen in seiner Umgebung. Ihnen unterstellte der streitbare und umstrittene Publizist, eine gegen die Interessen des Reiches gerichtete Politik zu betreiben und sich dabei des Monarchen zu bedienen.

Maximilian Harden hieß eigentlich Arnold Witkowski und war Herausgeber der renommierten Zeitschrift "Zukunft". Er nahm mit ätzender Polemik die so genannte Liebenberger Tafelrunde aufs Korn, benannt nach dem märkischen Schloss Liebenberg, in dem der musisch interessierte und musikalisch tätige Fürst Eulenburg seinen kaiserlichen Freund und weitere Mitglieder der Berliner High Society großzügig beherbergte und bewirtete. Harden behauptete, in Liebenberg gehe es unmännlich und verweichlicht zu, und außerdem besäßen Homosexuelle, allen voran der Berliner Stadtkommandant Graf Kuno von Moltke, schlechten Einfluss auf den Kaiser. Genährt wurde Hardens Kampagne durch Hinweise und Verdächtigungen aus hochgestellten Kreisen, die Wilhelm II. etwas am Zeug zu flicken versuchten, dies aber nur verdeckt tun konnten.

Ein unappetitliches Thema

Reichskanzler Fürst Bülow riet dem ins Zwielicht geratenen Eulenburg, sich für einige Zeit aus der Öffentlichkeit zurück zu ziehen, und als der dieser nach einiger Zeit wieder in der Berliner Gesellschaft erschien, veröffentlichte Harden in der "Zukunft" eine Liste von Aristokraten, die sich des Vergehens gegen den Strafrechtsparagraphen 175 schuldig gemacht hatten. Nach damaligen Gesetzen war sexueller erkehr unter Männern streng verboten und wurde mit Gefängnis und Verlust der bürgerlichen Rechte bestraft. Auf der Liste standen außer Eulenburg und Moltke weitere Größen der Berliner Militär- und Zivilgesellschaft. Der von seiner Umgebung über die Anschuldigungen informierte Kaiser reagierte entsetzt, wollte sich aber mit dem unappetitlichen Thema nicht näher befassen und befahl, ihm übermittelte Dokumente über Schwule in den höchsten Kreisen an den Polizeipräsidenten weiterzuleiten.

Obwohl Wilhelm II. den Gerüchten keinen Glauben schenkte, rückte er, um sein Renommee besorgt, von Eulenburg ab und riet ihm, gegen Harden einen Verleumdungsprozess anzustrengen. Im Falle des Stadtkommandanten Kuno von Moltke ging die Sache zu Hardens Gunsten aus. Hingegen musste Eulenburg eine Schlammschlacht ohnegleichen über sich ergehen lassen, denn natürlich war das Thema für die Presse ein gefundenes Thema. Zur Verhandlung kam es wegen des schlechten Gesundheitszustandes des Fürsten nicht, der Prozess wurde ausgesetzt. Echte oder vermeintliche Zeugen, die über die verbotene Beziehung mit Eulenburg hätten aussagen können, wurden nicht angehört. Der Skandal heizte die Stimmung gegen Homosexuelle im Deutschen Reich in einer Zeit an, da Sozialdemokraten, Freidenker, Mediziner und andere Personen sich gerade für die Aufhebung jenes Paragraphen 175 bemühten.

Kaiser sieht sich von Feinden umstellt

Der Kaiser ließ seinen besten Freund fallen wie eine heiße Kartoffel. Er war in höchstem Maße aufgebracht, weil es die Justiz nicht vermochte, ihn und seine Freunde vor Gerüchten und Unterstellungen zu schützen. Mit Blick auf den Prozess in Moabit erklärte er, dieser zeige, "dass wir Oberen und Monarchen heute vogelfrei sind und in der Justiz nicht den leisesten Schutz haben! [...] Wir werden in Zukunft zum Degen und zur Kugel greifen! Die Justiz möge es sich selbst zuschreiben, wenn die Zustände ,mittelalterlich' werden". Der Ruf des Fürsten Eulenburg, der zu den wenigen Menschen gehört hatte, zu denen Wilhelm II. inniges Vertrauen gefasst hatte und bei dem homosexuelle Neigungen niemals nachgewiesen werden konnte, war ein für allemal dahin. Er musste sogar den Hohen Orden vom Schwarzen Adler, Preußens vornehmste Auszeichnung, zurück geben. Der in der Novemberrevolution 1918 entmachtete Kaiser schrieb im Rückblick über Eulenburg: "Wenn er in unser Potsdamer Heim trat, war es stets, als flute Sonnenschein in den Alltag. Der Freund, der er mir damals war, ist er Jahrzehnte hindurch in Treue geblieben. Was an den Anklagen verschiedenster Art ist, die gegen ihn erhoben werden, darüber wird ereinst die Geschichte ihr Urteil fällen. Ich meinerseits werde ihm stets ein dankbares Andenken bewahren". Die tröstlichen Worte erreichten den Gefeuerten nicht mehr, denn er war, verbittert und einsam, 1921 in Liebenberg gestorben, ohne rehabilitiert worden zu sein.

Mit der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur am 30. Januar 1933 waren alle Hoffnungen vorbei, den Paragraph 175 des Strafgesetzbuches, der sexuellen Verkehr zwischen Männern - Frauen wurden nicht erwähnt - unter Zuchthausstrafe stellte, zu liberalisieren oder ganz abzuschaffen. Jetzt kamen Schwule unter dem Vorwand, sie müssten aus Gründen der Volksgesundheit und zum Schutz der Jugend "separiert" werden, in Gefängnisse und Konzentrationslager, wo sie in der Häftlingshierarchie ganz unten standen und schreckliche Qualen erleiden mussten. Viele Gefangene gingen elend zugrunde. In Berlin und anderen Städten wurden einschlägige Lokale und andere Treffpunkte geschlossen, und wer in Verdacht geriet, homosexuell zu sein, wurde verhaftet, angeklagt und kam ins Zuchthaus. Manche Betroffene gingen Scheinehen ein und bekamen Kinder. Das half, um irgendwie aus dem Blickfeld der Polizei und Justiz zu kommen. Heinrich Himmler lebte wie kaum ein anderer seine Homophobie aus und fand Rückendeckung bei Hitler. Der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei richtete ein spezielles Amt zur Verfolgung von Homosexuellen ein, das lange Listen von Verdächtigen anlegte. Auf ihrer Grundlage konnte die Gestapo jederzeit zuschlagen, Razzien veranstalten, Verhaftungen vornehmen, Anklage erheben und Einweisungen in die KZ vornehmen.

Nacht der langen Messer

Blutig rechnete Hitler am 30. Juni 1934 mit SA-Führern ab und ließ bei dem so genannten Röhm-Putsch nicht nur den SA-Chef Ernst Röhm und weitere Funktionäre, sondern auch andere auf Schwarzen Listen stehende Personen ermorden. Um die Nacht der langen Messer politisch und juristisch zu rechtfertigen, wurde die Parole ausgegeben, Hitler habe in Staatsnotwehr gehandelt und die deutsche Jugend vor homosexuellen Sittenstrolchen bewahrt. Dabei hatte die Säuberungswelle das klare Ziel, Versuche innerhalb der vier Millionen Mitglieder umfassenden paramilitärischen Organisation zur Ausweitung der nationalsozialistischen Revolution einen Riegel vorzuschieben und die sich als Staat im Staate empfindenden Sturmabteilungen (SA) zu bändigen und gleichzeitig mit Blick auf einen künftigen Krieg die Rolle der Reichswehr zu stärken und auf Hitlers Kurs zu ziehen. Im Reichstag erklärte Hitler am 13. Juli 1934: "Wenn mir jemand den Vorwurf entgegenhält, weshalb wir nicht die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung herangezogen hätten, dann kann ich ihm nur sagen: in dieser Stunde war ich verantwortlich für das Schicksal der deutschen Nation und damit des deutschen Volkes oberster Gerichtsherr. […] Es soll jeder für alle Zukunft wissen, dass, wenn er die Hand zum Schlag gegen den Staat erhebt, der sichere Tod sein Los ist."

Bis zu den Morden an etwa 200 Personen war die Homosexualität des SA-Führers Röhm und einiger seiner Kumpane für Hitler und seinesgleichen kein Problem. Jetzt aber wurde diese Ausrichtung in den gleichgeschalteten Medien als Argument für rigoroses Vorgehen "in Staatsnotwehr" verwendet, und Reichsführer SS Heinrich Himmler konnte nun endlich seine Homophobie mit allen ihren blutigen Konsequenzen ausleben.

25. April 2018



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