Kübel von Hohn und Spott auf den ehemaligen Kaiser
Wilhelm II. träumte nach seiner Fahnenflucht vor hundert Jahren von der Rückkehr in sein Reich





Wilhelm II. liebte Uniformen und Orden und posierte als oberster Feldherr und Sieger. Die Karikatur zeigt, wer ihm dabei liebedienerisch half.



Im Ersten Weltkrieg allerdings hatte der zwirbelbärtige Oberbefehlshaber nur noch wenig zu melden. Die eigentliche Macht lag beim hohen Militär.



Wer den Schaden hat, braucht sich nicht um den Spott zusorgen, sagt ein Sprichwort, und als Wilhelm II. sein Schloss in Berlin und sein Reich verlassen hatte, gossen viele seiner ehemaligen Untertanen Kübel von Dreck auf ihn und die Seinen.



Spötter ließen sich einiges einfallen, um Wilhelm II. als Chef der Germanen und Welteroberer zu karikieren und als Großmaul, dessen Versprechungen auf grausige Weise in Erfüllung gingen. Die Medaille von Karl Goetz zeigt, wie Friedrich der Große dem Fahnenflüchtling die Ohren lang zieht und was von diesem geblieben ist.(Repros: Caspar)

"Wohl hat es in der deutschen Vergangenheit - von den Karolingern bis zu den Staufern -sageberühmte Königsgeschlechter gegeben, die gewaltig und weltbeherrschend den deutschen Namen furchtbar gemacht haben vor allen Völkern; aber ihre Kraft erlosch jedes Mal nach kurzer Größe. Anders der Stamm der Hohenzollern, der nicht im Dunkel der Vorzeit, sondern im hellen Lichte der Geschichte seine gaben und Thaten entfalten hat. Bald sind 500 Jahre verflossen, seitdem der erste Hohenzoller vom deutschen Süden in die nordische Mark kam, seine Herrschaft sesshaft zu machen; demnächst rüstet sich das preußische Volk, den Tag zu feiern, da vor 200 Jahren aus dem Hohenzollerngeschlecht der erste Königin hervorging. Eine Reihe großer Persönlichkeiten und glänzender Heldengestalten, wagende Fürsten, sorgende Landesväter und pflichtliebende Herrscher sind im Laufe der Jahrhunderte dem Hohenzollerstamm entwachsen; enger und enger haben sich seine Zweige mit den Geschicken Preußens, Deutschlands verbunden. Stolz und herrlich steht er da, ungebrochen in den Stürmen einer gefahrvollen Zeit: kräftige Triebe entsprießen ihm und verheißen eine glückliche Zukunft. So möge denn auch weiter Preußens Königsstamm, Deutschlands Kaisergeschlecht, die Hohenzollern, blühen und gedeihen bis in die fernsten Zeiten!" Als diese Eloge in dem Bildband von Carl Röhling und Richard Sternfeld "Die Hohenzollern in Wort und Bild" im Jahr 1899 gedruckt wurde, war die Welt im deutschen Kaiserreich noch in Ordnung. Zwanzig Jahre später war die Monarchie im Deutschen Reich Geschichte, Kaiser Wilhelm II. und die deutschen Bundesfürsten hatten mehr oder weniger freiwillig abgedankt und sich auf ihre Schlösser und Güter zurück gezogen oder waren, wie der Ex-Kaiser, ins niederländische Exil geflüchtet.

Byzantinismus und Cäsarenwahn

Der am kaiserlichen Hof gepflegte Umgangston, namentlich die kritiklose, liebedienerische Unterwerfung von Kanzlern, Ministern, Hofschranzen, Militärs, Künstlern, Poeten, Geschichtsschreibern, Journalisten und anderen Personen unter den Willen des Monarchen, wurde von dessen Gegnern mit dem Begriff Byzantinismus umschrieben. Dies geschah in Anlehnung an das starre, bis ins Letzte ausgefeilte Hofprotokoll, das in nachchristlicher Zeit bei den in Konstantinopel, der Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, residierenden oströmischen Kaisern gepflegt wurde und keinen Spielraum für Kreativität und schnelles Reagieren auf unvorhergesehene Ereignisse und Gefahren erlaubte. Auch in anderen Machtzentren trieb der Byzantinismus durch kriecherisches und schmeichlerisches Verhalten seltsame Blüten, denken wir an das, was sich am Hof des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. oder unter Stalin und seinen Nachfolgern im Moskauer Kreml abspielte.

Als der Historiker, Publizist, Pazifist und Friedensnobelpreisträger von 1927 Ludwig Quidde den unter römischen Kaisern verbreiteten Cäsarenwahnsinn analysierte, machte er sich mit seinen Analysen am kaiserlichen Hof ausgesprochen unbeliebt. Zwar meinte Quidde mit seiner 1894 veröffentlichten und danach immer wieder neu aufgelegten Streitschrift Kaiser Caligula. Doch wurde seine Kritik an maßloser Selbstüberschätzung und dem Glauben an die eigene Göttlichkeit sowie Verschwendungssucht, Grausamkeit, Willkür und krankhaftem Bedürfnis, durch militärische Erfolge zu glänzen, auf die Person Wilhelms II. übertragen. Zwar ließ sich gegen das Buch "Caligula. Eine Studie über römischen Cäsarenwahnsinn" fachlich nichts einwenden, doch handelte sich der Verfasser wegen anderer regimekritischer Äußerungen einen Prozess wegen Majestätsbeleidigung ein. Der zu dreimonatiger Haft verurteilte Historiker war gesellschaftlich erledigt, doch da er nicht unvermögend war, konnte seine Kraft der aufstrebenden Friedensbewegung widmen und sich als Publizist und Zeitungsherausgeber ganz diesem Thema widmen.

Als Landesvater und Feldherr kläglich gescheitert

Die Novemberrevolution von 1918 hatte das monarchistische System zu Fall gebracht. Deutschland wurde Republik. Für Kaiser Wilhelm II., der als Feldherr und Landesvater so kläglich gescheitert war, und seinen Anhängern und Kostgängern stand außer Frage war klar, dass die anderen an der Niederlage des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten am Desaster des Ersten Weltkriegs Schuld hatten. Skrupel quälten den im Exil weiter in Saus und Braus lebenden Monarchen nicht, eher schon die Frage, wie er wieder in Besitz der Macht als deutscher Kaiser und König von Preußen gelangen könnte. Wie eine Seifenblase war Kaisers Hoffnung zerplatzt, an der Spitze seiner Truppen ins revolutionäre Berlin, die Hauptstadt der Weimarer Republik, einzumarschieren, um dort "Ruhe und Ordnung" zu schaffen. Da er von sich aus nicht seinen Thronverzicht erklärte, tat dies Reichskanzler Prinz Max von Baden in eigener Verantwortung mit dem Hintergedanken, die Monarchie zu retten. "...wurde von Max v. Baden gestürzt", notierte Wilhelm II. am 9. November 1918. "Gänzlicher Zusammenbruch zu Hause. Unlust des zersetzten und erschöpften Heeres weiterzukämpfen u. gegen den Aufruhr der Heimath zu gehen."

Die Monarchie ließ sich nicht halten, und so rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann in der Mittagsstunde des 9. November von einem Fenster des Berliner Reichstagsgebäudes die "Deutsche Republik" aus, während kurz darauf der Führer der Linken und spätere Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Karl Liebknecht, Deutschland zur "freien sozialistischen Republik" erklärte. Der Kaiser reagierte mit Wutausbrüchen und tiefer Niedergeschlagenheit. Da niemand mehr Angst haben musste, wegen Majestätsbeleidigung belangt zu werden, ergossen sich über ihn Kübel von Hohn und Spott. Der ehemals mächtigste Mann im Reich wurde militärischen Unvermögens und des Landesverrats beschuldigt. Erboste Berliner zogen zum Schloss und griffen es an. Jahre später erst wurden die Schäden am Bau behoben.

Herrliche Zeiten waren vorbei

Der Kaiser war angreifbar geworden und musste sich beim Wort nehmen lassen. Wer sich ihm in den Weg stellt, wird nichts zu lachen haben, hatte er 1890 gedroht: "Ich gedenke, nach Kräften mit dem Pfunde so zu wirtschaften, dass Ich noch manches andere hoffentlich werde darzulegen können. Diejenigen, welche Mir dabei behilflich sein wollen, sind mir von Herzen willkommen, wer sie auch seien; diejenigen jedoch, welche sich Mir bei dieser Arbeit entgegenstellen, zerschmettere Ich". Und 1892 versprach der Monarch im brandenburgischen Landtag: "Brandenburger, zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen." Diese wurden dem Kaiser vorgehalten lassen, als der Erste Weltkrieg verloren war, Millionen und Abermillionen Männer gefallen oder verwundet waren und das Land in Chaos zu versinken drohte.

Nach seiner Fahnenflucht hatte der Ex-Kaiser viel Zeit, über sich und seine ehemaligen Untertanen nachzudenken. Selbstkritik war nicht seine Sache, und so kam er lediglich zu dem Schluss: "Was richtig war, muss richtig bleiben, womit ich nicht sagen will, dass alles richtig war, wie auch nicht alles falsch sein kann, was ich in 30 Jahren meiner Regierung getan habe." Während der Entmachtete in den Niederlanden Sicherheit suchte, hatte man für ihn daheim, wenigstens im linken Lager, nur Spott übrig. Die Konservativen und Kaisertreuen hingegen erhofften sehnlichst die Wiederkehr ihres Kaisers und wünschten dem verhassten "Weimarer System" die Pest an den Hals. "Reich mir die Hand mein Leben! komm aus dem Schloss mit mir" heißt es auf einer Karikatur zum schmachvollen Abgang des Kaisers. Gezeigt wird der aus seiner Berliner Residenz flüchtende Monarch, wie er aus einem voll mit Lebensmitteln beladenen Auto verächtlich auf die Menge schaut, während Diener ihm schwere Pakete hinterher tragen.

12. Juni 2018

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