"Mit Andacht und Verlangen"
In ihrer Geburtstadt Hanau unterhalten sich auf hohem Sockel die Brüder Grimm, in Berlin sind sie nebeneinander bestattet



Das Nationaldenkmal in Hanau überstand alle Luftangriffe und ist heute auch ein Kulturdenkmal nach dem Hessischen Denkmalschutzgesetz. Alle drei seinerzeit preisgekrönten Modelle des künstlerischen Wettbewerbs sind im Historischen Museum Hanau erhalten.



Eifrige Wort- und Märchensammler und Interpreten der deutschen Sprache waren die Brüder Wilhelm (links) und Jacob Grimm. Gemälde von Elisabeth Jerichau aus dem Jahr 1855.



Zu den vier historischen Grabsteinen auf dem Alten Matthäuskirchhof im Berliner Ortsteil Schöneberg kam 2016 ein fünfter hinzu, der auf lange vergessene weibliche Mitglieder der Familie Grimm aufmerksam macht.



Eröffnet wurde die Grimm-Serie 2012 mit dem Doppelporträt der Sprachforscher und Märchensammler Jacob und Wilhelm Grimm, das Zehn-Euro-Stück entstand in der Staatlichen Münze Stuttgart. Die Schneewittchen-Münze zu zehn Euro wurde 2013 in Hamburg mit dem Münzzeichen J in Kupfer-Nickel und einer silbernen Version geprägt.



Das silberne Zwanzig-Mark-Stück von 1986 mit dem gestiefelten Kater gehört ohne Zweifel zu den schönsten Gedenkstücken der 1990 untergegangenen DDR. (Fotos/Repro: Caspar)

Sie sind durch ihre Märchensammlungen berühmt geworden und werden ihretwegen verehrt und geliebt. Dabei haben die Sprachforscher Jacob und Wilhelm Grimm weitaus mehr für die deutsche Literatur und das deutsche Wort- und Kulturgut geleistet. Sie mussten 1837 aus Göttingen fliehen, weil sie gewagt hatten, die Willkür des Königs Ernst August von Hannover zu kritisieren. Die aus sieben Gelehrten bestehende Oppositionsgruppe wurde unter der Bezeichnung "Göttinger Sieben" bekannt (siehe S. 53). Die Brüder Grimm hatten Glück, denn sie wurden vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. aufgenommen und gingen nach Berlin. Als Mitglieder der Preußischen Akademie der Wissenschaften fanden sie an der Spree ein Auskommen und konnten auch an der Berliner Universität Vorlesungen halten. Ihr Familiengrab befindet sich auf dem Alten Kirchhof der St. Matthäusfriedhof in Berlin-Schöneberg.

Ihre Geburtsstadt Hanau hat den Brüdern Grimm ein Nationaldenkmal gewidmet. Die Doppelstatue wurde 1896 vor dem Neustädter Rathaus enthüllt. Zuvor gab es mehrere Versuche, die berühmten Söhne der hessischen Stadt ein solches Denkmal noch zu Lebzeiten zu errichten, was eigentlich nicht Usus war. Nach mehreren Anläufen war der Hanauer Gymnasiallehrer und Archäologe Georg Wolff erfolgreich. Er wurde von der Wetterauischen Gesellschaft für die gesamte Naturkunde und den Hanauer Geschichtsverein unterstützt. Das 1884 gegründete Denkmalkomitee setzte Hanau als Standort für das Nationaldenkmal gegenüber den konkurrierenden "Grimm"-Städten Göttingen, Kassel und Berlin durch und sammelte mit einem eigens für diesen Zweck gegründeten Grimm-Verein Spenden. Bis 1886 kamen mehr als 60.000 Mark zusammen. Der preußisch Staat, zu dem Hanau seit dem Krieg von 1866 gehörte, sagte weitere 25.000 Mark zu, freilich nur gegen die Zusicherung, dass er bei der Auswahl der Entwürfe mitsprechen kann.

Altdeutsch oder realistisch?

Diskussionen gab es um die Form des Denkmals. Die einen favorisierten ein Doppelstandbild wie Rietschels Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar aus dem Jahr 1857 (siehe S. 1), andere hätten lieber einen Brunnen oder ein Werk in "altdeutschem", das heißt neogotischen Stil gesehen. Gewonnen hat den Wettbewerb nicht der erste Preisträger Max Wiese, sondern der Bildhauer Syrius Eberle, der den dritten Preis gewonnen hatte. Für ihn hatte sich Hermann Grimm, der Sohn von Wilhelm Grimm, eingesetzt. Der Kunst- und Literaturhistoriker sagte aus eigener Erinnerung, Eberles Modell würde das Wirken seines Vaters und seines Onkels am besten repräsentiere. Da das Denkmalkomitee mit dem ersten Preisträger Max Wiese uneins war, erging der Auftrag an Eberle. Weil sich aber der preußische Staat in seinem Mitwirkungsrecht beschnitten glaubte, zog er seine Finanzierungszusage zurück, was weitere Bitten um Spenden nach sich zog.

Die überlebensgroße hohe Doppelstatue zeigt die Gelehrten überlebensgroß und einander zugewandt. Wilhelm Grimm sitzt mit einem dicken Buch auf den Knien, sein Bruder Jacob steht und schaut in den Folianten. Bekleidet sind die beiden in langen Mänteln, auf dem Boden sind weitere Bücher aufgeschichtet. Die Monumentalität der Statue verlangte einen gegenüber dem Entwurf größerer Sockel, der einschließlich der dort eingelassenen Reliefs von dem Architekten Friedrich von Thiersch zusammen mit einem Ziergitter gestaltet wurde. Eberle stellte 1894 das Modell im Maßstab 1:1 fertig, doch da es ihm nicht gefiel, fertigte er neues Modell an, das dann als Vorlage für den Bronzeguss diente. Am 18. Oktober 1896 konnte das Denkmal feierlich enthüllt werden. Das Datum war nicht zufällig ausgewählt worden, denn es war der Gedenktag der Völkerschlacht von Leipzig am 18. Oktober 1813. Im Deutschen Reich wurde dieser Tag gern für Denkmalweihen genutzt.

Von Luther bis Goethe

Auch Kassel besitzt ein Grimm-Denkmal. Von Erika Maria Wiegand geschaffen, steht die Doppelstatue aus dem Jahr 1985 vor dem Hessischen Landesmuseum auf dem Brüder-Grimm-Platz. Sie erinnert daran, dass die Sprach- und Literaturwissenschaftler längere Zeit in Kassel gelebt haben und hier ab 1812 ihre Kinder- und Hausmärchen heraus gegeben haben. Eine der wichtigsten Quellen für die national und international überaus erfolgreiche Sammlung waren die Märchen, die ihnen die aus hugenottischer Familie stammende Dorothea Viehmann erzählt hatte, doch nutzten sie auch andere Geschichten sowie weitere literarische Befunde. Das war die eine berühmte Seite ihres Lebens und Schaffens. Überdies widmeten sich die Brüder mit aller Hingabe dem Sammeln von Zeugnissen der deutschen Sprachgeschichte vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Ihr Ziel war es, anhand ausgewählter Belege aus Schriften von Luther bis Goethe und aus älteren Quellen Herkunft, Bedeutung, Gebrauch und Verbreitung des deutschen Wortschatzes auf den Grund zu gehen. Während sie sich bei der Aufbereitung der in riesigen Mengen anfallenden Belege noch durch riesige Papierberge quälen mussten, stehen ihren Nachfolgern heute dafür modernste Speicher- und Bearbeitungstechniken zur Verfügung. Natürlich haben die beiden Gelehrten nicht alle Wörter und Wendungen selber gesammelt. Ihnen zur Seite standen etwa hundert Helfer. Einer der Brüder schilderte die Arbeit in der charakteristischen Schreibweise mit kleinen Buchstaben so: "wie wenn tagelang feine, dichte flocken vom himmel nieder fallen, bald die ganze gegend in unermeszlichem schnee zugedeckt liegt, werde ich von der masse aus allen ecken und ritzen auf mich andringender wörter gleichsam eingeschneit".

Von der Wirkung ihres Wörterbuchs hatten die Brüder die romantische Vorstellung, es könne "mit andacht und verlangen" als eine Art Hausbuch gelesen werden. "warum sollte nicht der vater ein paar wörter ausheben und sie abends mit dem knaben durchgehend zugleich (auf) ihre sprachgabe prüfen und die eigene auffrischen? die mutter würde gern zuhören". Der Fall dürfte kaum eingetreten sein, wohl aber haben Generationen von Sprachwissenschaftlern, Autoren und Übersetzern das Nachschlagewerk für eigenen Arbeit genutzt und es dann und wann mit eigenen Wortschöpfungen weiter bereichert. Das Autorenpaar schaffte entgegen ihrer optimistischen Prognose nur die ersten sechs Buchstaben des Alphabets. Wilhelm starb 1859, Jacob legte 1863 beim Artikel "Frucht" die Feder für immer aus der Hand. Als das 1854 begonnene Monumentalwerk 1960 abgeschlossen wurde, war die Arbeit nicht beendet. Das über hundert Jahre alte Lexikon rief geradezu nach einer Neubearbeitung. Denn die Sprachwissenschaft hatte sich seit Grimm weiter entwickelt. Unzählige Wörter und Wendungen waren hinzu gekommen. Manche ursprünglichen Bewertungen oder Zuordnungen der Brüder erwiesen sich als subjektiv oder schlicht falsch. Ganze Bereiche, etwa Eindeutschungen oder die Umgangssprache, waren nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden.

Nachlässe in guten Händen

Der Alte Matthäusfriedhof an der Großgörschenstraße im Berliner Ortsteil Schöneberg ist zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Im Jahr 1856 eingeweiht, gehört er zu der im südlichen Tiergartenviertel gelegenen Sankt-Matthäus-Gemeinde. Unlängst wurde auf dem Friedhof an der Großgörschenstraße eine ungewöhnliche Grabstele aufgestellt. Aus hellem Stein gefertigt, steht sie neben den Grabmalen aus schwarzem Marmor, die sich über den Gräbern der Sprachforscher und Märchensammler Brüder Jacob und Wilhelm Grimm sowie von Hermann Grimm erheben, der ein Sohn von Wilhelm Grimm und als Schriftsteller und Kunsthistoriker bekannt wurde, ein viertes Grabmal. Es ist Rudolf Grimm gewidmet und erinnert an Auguste Grimm, eine Tochter von Wilhelm Grimm. Sie wurde 1919 in einer Urne im Grab ihres Vaters beigesetzt, doch erinnerten bisher keine Inschrift und kein Stein an sie. Dabei hatte sie sich große Verdienste um das Erbe ihres Vaters Wilhelm und ihres Onkels Jacob Grimm erworben. Zugleich ehrt der Gedenkstein Augustes Mutter Henriette sowie Gisela Grimm, die Frau von Hermann Grimm, und ein weitere Verwandte namens Albertine Plock. Die Aufstellung des Grabsteins 97 Jahre nach dem Tod von Auguste Grimm holt verdienstvolle Frauen aus der Familie Grimm ins öffentliche Bewusstsein, die bisher viel zu wenig beachtet wurden.

Mit ihrem Testament hatten Jacob und Wilhelm Grimm einander ihr Habe vererbt. Nach ihrem Tod 1859 und 1863 und bald dem Tod der Witwe von Wilhelm Grimm fiel der Nachlass an dessen Kinder Herman, Rudolf und Auguste Grimm. Herman und Auguste Grimm ist es zu verdanken, dass die größten Teile des wissenschaftlichen Nachlasses der berühmten Brüder Grimm in die Königliche Bibliothek zu Berlin, die heutige Staatsbibliothek, zu guten Händen uzgelangten. Hingegen wurde ihre Privatbibliothek der Berliner Universitätsbibliothek überlassen. Die letzten Schreibtische der Brüder Grimm mit allen darauf befindlichen Gegenständen vermachte Herman Grimm dem Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg.

4. Februar 2018



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