"Material für den Ofen"
Denkmal der grauen Busse erinnert seit wenigen Tagen in Hadamar an tausende von den Nationalsozialisten ermordete Männer, Frauen und Kinder



Horst Hoheisel und Andreas Knitz gewannen 2005 den künstlerischen Wettbewerb mit dem "Denkmal der Grauen Busse". Ob es dauerhaft im hessischen Hadamar bleibt und nicht mehr an einen anderen, ebenfalls durch die Euthanasie-Morde belasteten Ort umzieht, wird sich zeigen. Foto: Ludger Fittkau/Deutschlandfunk





Ahnungslose Menschen warten vor einem rot angestrichenen Bus auf die Abfahrt, begleitet und beruhigt vom medizinischen Personal in weißen Kitteln. Die Aufnahme oben entstand in der Klink Schloss Liebenau, wo am 1. Juli 1940 die ersten Patienten zum "Gnadentod" abgeholt. 501 Menschen mit Behinderung kamen in den Gasmordanstalten Grafeneck und Hadamar im Rahmen der Aktion T4 ums Leben. Als Mahnung dafür, dass dies nie mehr geschehe, setzte die Stiftung Liebenau am 1. Juli 2010 einen "Liebenauer Stolperstein" an markanter Stelle auf dem Gelände.



Wenn schwarzer Rauch über der psychiatrischen Klinik in Hadamar aufstieg, wusste man, dass im Krematorium durch Giftgas getötete Patienten verbrannt werden. Vor und nach 1945 hat man ungern darüber gesprochen. Nach und nach erinnerte sich die Stadt der Opfer der NS-Krankenmorde und widmete ihnen Gedenkorte.



Mit solcher Propaganda machten die Nationalsozialisten Stimmung gegen "minderwertige" Mitbürger und entfachten auf perfide Weise Hass auf kranke, schwache und andere als "Ballastexistenzen" verunglimpfte Menschen.





Das 2008 und 2009 in Berlin und Brandenburg an der Havel aufgestellte "Denkmal der grauen Busse" kam danach in andere Orte des nationalsozialistischen Krankenmordes und wurde jetzt in Hadamar neu aufgestellt.





Auf dem Platz neben der Philharmonie erheben sich zwei Stahlplatten zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Medizinverbrechen, die an diesem Ort geplant, organisiert und überwacht wurden. Die Bild-Text-Tafel links und rechts einer blauen Glaswand schildern, was "T 4" bedeutet und was aus den Tätern wurde. In der früheren Villa Tiergartenstraße 4 wurde der Mord an den Kranken und Schwachen von SS- und anderen Spezialisten generalstabsmäßig vorbereitet, gesteuert und überwacht. (Fotos/Repros: Caspar)

Der hippokratische Eid, mit dem Ärzte versichern, stets zum Wohle ihrer Patienten zu arbeiten, war in der Nazizeit keinen Pfifferling wert. Braune Mörder in weißen Kitteln unternahmen vor allem während des Zweiten Weltkriegs unmenschliche Versuche an Häftlingen in Konzentrationslagern. Stundenlang mussten Häftlinge in eiskaltem Wasser zubringen, um das Funktionieren von Schwimmwesten und Schutzanzügen zu testen. Anderen Gefangenen wurden Gifte und Bakterien beigebracht, um die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten zu überprüfen. Rassenkundler ließen Gefangene töten und nahmen an ihnen Schädel- und Skelettmessungen vor. So fielen viele Tausend Menschen pseudowissenschaftlichen Versuchen zum Opfer. Wer überlebte, hatte mit bleibenden Schäden zu kämpfen. Nach dem Krieg gelang es im deutschen Westen und zum Teil auch im Osten etlichen Propagandisten der Beseitigung "unwerten Lebens" sowie in Krankenanstalten tätigen Mördern, ihre Karrieren fortzusetzen. Während des Nürnberger Ärzteprozesses 1946/7 zeigte kein Angeklagter Mitleid mit den Opfern und Reue. Im Gegenteil behaupteten sie, der Menschheit einen Dienst getan zu haben, indem sie nicht nur mit Tieren, sondern auch mit Menschen experimentierten und so zu "nützlichen" Erkenntnissen kamen.

Eine Villa an der Tiergartenstraße 4 in Berlin war in der Nazizeit Zentrum des planmäßigen Mordes an behinderten Menschen und so genannten Erbkranken. Der vornehme Bau aus der Kaiserzeit steht nicht mehr, auf dem Grundstück nahe der Philharmonie befindet sich heute eine Straße. Eine Bronzeplatte im Boden, eine aufrecht stehende Stahlskulptur sowie Bild- und Texttafeln einlang einer Wand aus blauem Glas erinnern an die Verbrechen an den Schwächsten und Hilfebedürftigsten und erklären. dass die wenigsten für den systematischen Krankenmord verantwortlichen Ärzte, Krankenhelfern und Schwestern angeklagt und verurteilt wurden. Mitarbeiter der in der Villa Tiergartenstraße 4 untergebrachten "Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege" planten und realisierten unter dem Decknamen T 4 die euphemistisch Euthanasie genannten Massenmorde, für die ein spezieller Auftrag von Hitler persönlich vorlag. Dem in verschiedenen Anstalten quer durch das Deutsche Reich beigebrachten "schönen Tod", wie die deutsche Übersetzung lautete, fielen rund 200 000 Menschen zum Opfer.

Alle haben es gewusst, alle haben geschwiegen

Allein in Psychiatrischen Anstalt Hadamar haben die Nazis 15.000 kranke und behinderte Menschen durch Giftgas ermordet. Die Bedienung des Gashahns hier und an anderen Orten oblag den so genannten Vergasungsärzten. Allerdings kam es im Laufe der Aktion auch vor, dass bei ihrer Abwesenheit oder aus anderen Gründen der Gashahn auch vom nichtärztlichen Personal bedient wurde. Alle Ärzte traten im Schriftverkehr nach außen nicht mit ihrem richtigen Namen auf, sondern verwendeten Tarnnamen. Zum Gedenken an die Opfer wurde am 29. Mai 2018 mitten in der Stadt im Landkreis Limburg-Weilburg das "Denkmal der grauen Busse" eingeweiht. Die Teilnehmer der Gedenkstunde berichteten, dass jeder, der hier während der NS-Zeit gelebt hat, wusste, was in der Anstalt geschieht. Man habe den Rauch aus dem Krematorium gesehen und gerochen, und man habe auch mitbekommen, wer mit der Bahn und in Bussen herbei gefahren und nicht mehr gesehen wurde. Alle hätten etwas über die Vorgänge in der Anstalt gewusst, doch keine habe sich getraut, darüber zu sprechen, während der Nazizeit nicht und danach auch nicht.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Alliierten einige Täter hingerichtet. Ein Todesurteil wurde 1946 auch am Oberpfleger Heinrich Ruoff vollstreckt, der in Hadamar an den Krankenmorden sowie an der Tötung von 600 Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen beteiligt war. Sein Enkel Michael Ruoff ist heute Bürgermeister der Stadt. Bei der Einweihung des Mahnmals betonte er die enorme Bedeutung dieses aus der Nachbildung eines beim Transport der Todgeweihten eingesetzten Omnibusses bestehenden Euthanasie-Denkmals nicht irgendwo in Hadamar, sondern für jeden sichtbar und erlebbar im Zentrum der Stadt. "Dieses Denkmal soll uns für immer die Erinnerung bewahren an Täter und auch Opfer. Die Erinnerung bewahren daran, dass wir im Rahmen unserer Erinnerungsverantwortung dafür sorgen müssen, dass solche Verbrechen nie mehr passieren. Dieses Denkmal soll uns für immer ermahnen, dass es keine freie Verfügbarkeit gibt von menschlichem Leben."

"Wohin bringt ihr uns?"

Der Entwurf für das Denk- und Mahnmal stammt von Horst Hoheisel und Andreas Knitz, die 2005 einen Wettbewerb gewannen. Hadamar war einer von sechs zentralen Orten im Deutschen Reich, in dem das sogenannte Euthanasieprogramms der Nazis exekutiert wurde. Das "Denkmal der grauen Busse" mit der inwendigen Inschrift "Wohin bringt ihr uns?" sollte ursprünglich nur bis 2019 in Hadamar bleiben. Bei der Einweihung sprachen sich Kommunalpolitiker dafür aus, es dauerhaft dort zu belassen. Würde das Mahnmal in Hadamar dauerhaft bleiben, wäre das eine erinnerungspolitische Wende in der Stadt, die sich bisher mit ihrer schrecklichen Vergangenheit schwer getan hat, wurde bei der Weihe betont. Am Gestalter Horst Hoheisel soll dieser Wunsch, so hört man, nicht scheitern.

1953 wurde in der Eingangshalle des Psychiatrischen Krankenhauses Hadamar ein Wandrelief angebracht, 1964 hat man den Friedhof, auf dem die sterblichen Überreste der 1942 bis 1945 ermordeten Menschen verscharrt wurden, umgestaltet und vom Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Martin Niemöller, der Öffentlichkeit übergeben. Ein Mahnmal mit der Inschrift "Menschen achtet Menschen" sowie symbolische Grabsteine erinnern hier an die Opfer. 1983 haben Studenten der Fachhochschule Frankfurt am Main eine erste Ausstellung über die Krankenmorde erarbeitet. Eine Gedenkstätte umfasst neben der Ausstellung ein Archiv, eine Bibliothek und Seminarräume, unterstützt von einem Förderverein. Zur Gedenkstätte gehört eine Holzbaracke, in der seinerzeit die Transportbusse untergestellt wurden. Bild- und Schrifttafeln informieren über den grauenvollen Missbrauch des hippokratischen Eids.

Grauenvoller Missbrauch des hippokratischen Eids

Lange war das Thema tabu. Ärzte, die unter dem Deckmantel der Wissenschaft morden - ein unmöglicher Gedanke! Das kratzte am Image der ganzen Zunft. Dass auch berühmte Charité-Ärzte an Menschenversuchen beteiligt waren, gehört zu den dunklen Kapiteln in der Geschichte der 1710 vom ersten preußischen König Friedrich I. gegründeten Kranken- und Forschungsanstalt. Wenn von den Krankenmorden im Zeichen des Hakenkreuzes die Rede ist, darf nicht die beschämende Tatsache verschwiegen werden, dass diejenigen, welche die menschenverachtenden Experimente überlebten und nicht in die Fänge der Euthanasie-Ärzte gerieten, lange um Renten und Entschädigungen kämpfen mussten, wenn ihnen überhaupt welche zugesprochen wurde.

An eine über Jahrzehnte weitgehend vergessene Opfergruppe der nationalsozialistischen Diktatur, die zu Hunderrausenden zählenden Kranken und Schwachen vom Kind bis zum Greis, erinnert eine Gedenkstätte an der Tiergartenstraße unweit der Berliner Philharmonie. Die von der Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters und dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit eingeweihte Gedenk- und Informationsstätte steht am Ort der früheren Planungszentrale für den organisierten Krankenmord zwischen 1933 und 1945. Die Aktion hatte den Tarnnamen T 4 nach der aus der Kaiserzeit stammenden hochherrschaftlichen Villa mit der Adresse Tiergartenstraße 4. "An die vom NS-Regime ermordeten Opfer der sogenannten ‚Aktion T4' zu erinnern heißt auch, der so unfassbar menschenverachtenden Unterscheidung zwischen ‚lebenswertem' und ‚lebensunwertem' Leben entgegenzutreten", erklärte die Staatsministerin bei der Übergabe der Gedenkstätte an die Öffentlichkeit und betonte, jedes menschliche Leben sei es wert, gelebt zu werden. Der Gedenkort T4' konfrontiere uns heute mit der grauenvollen NS-Ideologie, die sich anmaßte, das einzelne Leben nach "Nützlichkeit" und "Brauchbarkeit" zu werten und zu behandeln.

Die nach Entwürfen von Ursula Wilms und Nikolaus Koliusis gestaltete Gedenkstätte besteht aus einer 24 Meter langen und 2,6 Meter hohen Wand aus Glas. Vor ihr wird auf Monitoren und mit Reproduktionen von Dokumenten aus der NS-Zeit geschildert, was sich hinter der Aktion T 4 verbarg und wer die Vordenker und Vollstrecker der NS-Vernichtungsbürokratie waren. Die Dokumentation schildert an einzelnen Schicksalen, wer die Opfer des Vernichtungswahns waren und in welchen Krankenanstalten und so genannten Kinderfachabteilungen sie verhungerten, vergiftet und vergast oder verhungerten. Den Angehörigen wurde vorgespiegelt, dass die in die tiefe Provinz des Deutschen Reiches sowie die von der Wehrmacht besetzten Länder verschleppten Kranken eines natürlichen Todes gestorben seien.

Besucher des Gedenk- und Informationsortes erfahren darüber hinaus, dass Geistlichen Widerstand gegen die Mordaktionen leisteten, und sie lernen, dass den wenigsten Mördern in weißen Ärztekittel und schwarzen SS-Uniformen nach dem Zweiten Weltkrieg etwas geschehen ist, von einigen hochrangigen Medizin-Funktionären abgesehen. Einer von ihnen, der Kinderarzt Prof. Dr. Werner Catel, war als Leiter der Universitätskinderklinik Leipzig Obergutachter für den organisierten Krankenmord. Nach 1945 machte er Karriere als Leiter einer Kinderheilstätte im Taunus und lehrte als Ordinarius für Kinderheilkunde in Kiel. In einem als Reproduktion abgebildeten Interview mit dem "Spiegel" sprach sich Catel dafür aus, der Gesetzgeber sollte in gewissem, genau definiertem Umfang die Tötung "vollidiotischer Kinder" freigeben. "Freilich trifft auf die Maßnahmen, die ich für richtig halte, der Begriff ,Euthanasie' eigentlich garnicht zu. Und das, was ich fordere, hat auch mit dem, was die Verantwortlichen im Dritten Reich als Euthanasie ausgaben, nichts zu schaffen. [...] Zunächst muß ärztlich festgestellt sein, daß bei dem betreffenden Kinde keine seelische Regung vorhanden ist. Solche Feststellungen sind bei der Geburt häufig noch nicht möglich". In ihrer Todesanzeige lobte die Universität Kiel 1981 den uneinsichtigen Mediziner so: "Durch seine wissenschaftlichen und publizistischen Aktivitäten hat er weit über den engen Wirkungskreis der Klinik hinaus in vielfältiger Weise zum Wohle kranker Kinder beigetragen".

Schwunghafter Handel mit Leichenteilen

In seinem Tagebuch notierte Prof. Dr. Hermann Voß, Anatom an der "Reichsuniversität" Posen, geradezu begeistert am 24. Mai und 15. Juni 1941: "Ich denke, dass man die polnische Frage ohne Gefühl sehen muss, rein biologisch. Wir müssen sie vernichten, anderenfalls vernichten sie uns. Und deshalb freue ich mich über jeden Polen, der nicht mehr lebt. […] Fast täglich kommt jetzt das graue Auto mit den grauen Männern, d. h. SS-Männern von der Gestapo und bringt Material für den Ofen. Da er gestern nicht in Betrieb war, konnten wir hinschauen. Es lag drin die Asche von vier Polen. Wie wenig doch von einem Menschen übrigbleibt, wenn alles Organische verbrannt ist. Der Blick in einen solchen Ofen hat etwas sehr Beruhigendes." [zitiert nach Götz Aly/Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Frankfurt am Main 1993, S. 206]. Voß "verwertete" die Körper von hingerichteten Polen und betrieb einen schwunghaften Handel mit Skeletten und so genannten Judenschädeln. Nach dem Ende der Nazidiktatur ist man in der DDR mit dem Mörderarzt respektvoll umgegangen. Er hatte Professuren in Halle, Jena und Greifswald inne und war publizistisch tätig. Zahlreiche Ärzte wurden von ihm ausgebildet. Obwohl intern die blutige Vergangenheit des berühmten Anatomen bekannt war, wurde er 1959 mit dem Ehrentitel "Hervorragender Wissenschaftler des Volkes" ausgezeichnet. In der DDR durfte allerdings nicht offen über den beschämenden Fakt gesprochen werden, der so gar nicht zu dem antifaschistisch-demokratischen Image passte, mit dem sich der zweite deutsche Staat schmückte. Voß starb 1987 in Hamburg. Der Dramaturg und Regisseur Hannes Hametner hat 2016 das die Verbrechen des Mediziners behandelnde Ein-Personen-Drama "Der Biedermann"" am Theater Vorpommern aufgeführt.

31. Mai 2018



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