Hunger führte zur Kartoffelrevolution
Versorgungskrisen wurden im 19. Jahrhundert nur mit unzureichenden Mitteln bewältigt



Am Vorabend der Revolution von 1848 kam es in Berlin und anderen Städten zu Hungerkrawallen, die von Soldaten gewaltsam niedergeschlagen wurden.



Während es sich reiche Leute gut gehen ließen, hungerte der große Rest der Bevölkerung. Illustration aus einem Buch des Berliner Satirikers Adolf Glaßbrener.



Preußens König Friedrich Wilhelm IV., genannt Romantiker auf dem Thron, war es egal, wie es seinen Untertanen wirklich geht. Die Büste steht im Schinkelpavillon des Schlosses Charlottenburg.



Gegen die hungernden und verzweifelten schlesischen Weber setzte der König seine Soldaten in Marsch.



Mit ergreifenden Grafiken hat Käthe Kollwitz dem Aufstand der schlesischen Weber 1844 ein Denkmal gesetzt.



Der Grafiker Ludwig Richter schuf mit diesem Holzstich ein Lob der Kartoffel", doch war auch sie für die Ärmsten der Armen nur ein Traum. (Foto/Repros: Caspar)

Der französischen Königin Marie Antoinette wird der zynische Ausspruch nachgesagt, wenn sich die armen Leute kein Brot leisten könnten, mögen sie doch Kuchen essen. Nichts kennzeichnete so sehr die Unwissenheit und Überheblichkeit höherer Stände über die soziale Lage wie dieser provokative Satz. Die Königin und ihr Gemahl Ludwig XVI. wurden 1793, im Verlauf der französischen Revolution, hingerichtet. Dieses Schicksal blieb dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. vor 170 Jahren, in der Revolution von 1848, erspart. Viel wusste auch er nicht und es war ihm auch egal, wie prekär die Lage war und warum hungernde Leute auf die Straßen gingen. Um sozialen Unruhen vorzubeugen und die Lebenslage seiner Untertanen zu verbessern, die ja auch tüchtige Arbeiter und gestählte Soldaten stellen sollten, setzte König Friedrich Wilhelm III. im frühen 19. Jahrhundert eine Agrarreform in Gang.

So klug und weitblickend die Neuerungen von dem Agrarreformer Daniel Thaer und seinen Schülern geplant und ansatzweise auch realisiert wurden, ereichten sie nicht das Ziel einer stabilen Versorgung der Menschen mit Grundnahrungsmitteln. Feudale Strukturen auf dem Lande, veraltete Anbau- und Erntemethoden, ungeeignete Vorratshaltung und andere missliche Faktoren sorgten dafür, dass grundlegende Verbesserungen auf diesem Gebiet erreicht wurden. In den Städten sah es auch nicht viel besser aus. Neu eingeführte Maschinen sorgten dafür, dass Handwerker und Tagelöhner ihre Arbeit verloren und es zur berüchtigten Maschinenstürmerei kam. Ein Aufstand, mit dem sich 1844 die schlesischen Weber gegen Lohndrückerei und den Vormarsch der Maschinenarbeit zur Wehr setzten, wurde auf befehl Friedrich Wilhelms IV. blutig niedergeschlagen.

Niemand darf den König kritisieren

Berlin hatte sich im 19. Jahrhundert von einer mittelgroßen Residenzstadt zu einer Weltmetropole entwickelt. Zwischen 1800 und 1870 stieg die Einwohnerzahl von 180 000 auf eine Million. Da war es schwer, die Versorgung von so vielen Menschen zu sichern. "Bessere Kreise" merkten kaum etwas von den sich ständig wiederholenden Versorgungskrisen. Der "Romantiker auf dem Thron" genante König und sein Hof dürften kaum gewusst haben, was sich in den dunklen und verseuchten Quartieren am Rand der Gesellschaft abspielt. Die mit Zahlen und Fakten unterlegten Anklagen der Schriftstellerin Bettina von Arnim und ihr berühmtes Königs-Buch mit Beschreibungen von Not und Elend im Berliner "Voigtland" und an anderen Orten hat die Regierung nicht zur Kenntnis genommen. Der von seinem Gottesgnadentum überzeugte Friedrich Wilhelm IV. war empört, dass eine seiner Untertanen es wagte, ihm ungefragt Ratschläge zu erteilen und an seiner geheiligten Person Kritik zu üben.

Das Nahrungsmittelangebot, zum Teil über viele Kilometer aus der Provinz auf unsicheren Straßen mit dem Pferdewagen oder auf dem Wasserweg herbeigeschafft, manchmal auch mühsam auf dem Rücken von Bauern und Tagelöhnern angeschleppt, reichte vorn und hinten nicht. Viele Menschen konnten sich bei den geringen Löhnen gerade mal Brot, Kohlsuppe und Kartoffeln leisten. Fleisch und Butter waren Luxus, ebenfalls Milch, die kleinen Kindern und alten Leuten als eine Art Medizin verabreicht wurde. Da viele landwirtschaftliche Erzeugnisse auf dem langen Wegen in die Stadt verdarben, war das Angebot nicht gerade üppig. Möglichkeiten, Fleisch, Milch und andere Produkte zu kühlen, waren begrenzt und wurden erst im späten 19. Jahrhundert durch Erfindung von Eis- und Kühlschränken breiter genutzt.

Der Revolution in Berlin vom 18. März 1848 ging der so genannte Kartoffelkrieg voran, bei dem sich die Stadtarmut mit der Polizei erbitterte Straßenschlachten lieferte. Ausgelöst wurde die Revolte durch die Missernte von 1846, durch die die Preise für Grundnahrungsmittel, vor allem für Kartoffeln und Roggen, also für Brot, stark anstiegen. Hinzu kam als Folge einer Wirtschaftskrise Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Das Maß der Unzufriedenheit war voll, als Händler am 21. April 1847 auf dem Molkenmarkt und dem Gendarmenmarkt die ohnehin schon gepfefferten Preise weiter nach oben trieben und sich außerdem noch erdreisteten, die aufgebrachten Kunden zu verspotten. Das sprach sich schnell herum, und so kam es auf Märkten, aber auch vor Bäcker- und Fleischerläden zu Unruhen.

Militär marschiert gegen Barrikaden

An der Spitze der Tumulte standen ausgehungerte Frauen, die ihre Kinder nicht mehr versorgen konnten. Da und dort wurden Barrikaden errichtet, um die schnell herbeigerufene Polizei und das Militär am Einschreiten zu hindern, und es kam auch zu Angriffen auf Palais und Villen der preußischen Oberschicht. Der Kartoffelkrieg dauerte drei Tage und wurde gewaltsam beendet. Die Staatsmacht war stärker und rächte sich an Rädelsführern und Aufrührern, wie man sagte, mit hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Eine Antwort der Regierung auf die Hungersnot war unter anderem die Öffnung von Lebensmittelmagazinen und die Einrichtung von Pferdeschlächtereien, und auch die Festsetzung von Höchstpreisen für Lebensmittel. Außerdem wurde eine Steuer auf Wildfleisch erhoben, deren Erlös der Armenkasse zugewiesen wurde. Schließlich wurde armen Berlinern die Möglichkeit gegeben, auf städtischen Ländereien Gemüsegärten und kleine Kartoffeläcker anzulegen. Generell konnte die Versorgungsfrage damit nicht gelöst werden, von sozialen und politischen Fragen ganz zu schweigen.

Kirchgemeinden sowie mildtätige Vereine und einzelne Bürger kümmerten sich um Arme und Schwache, doch reichten ihre Mühen nicht aus. Weitblickende Leute wie der Arzt Rudolf Virchow setzten sich unter dem Eindruck immer wiederkehrender Versorgungsprobleme für den Bau von Markthallen ein, um den unhygienischen Verkauf von Lebensmitteln unter freiem Himmel einzuschränken und so auch das Angebot an "sicheren" Erzeugnissen zu verbessern. In dieser Zeit wurde in Berlin ein Kanalisationssystem gebaut, mit dessen Hilfe stinkende Abfälle aller Art entsorgt und auf die Rieselfelder rund um Berlin geleitet werden konnten. Von weitem konnte man schon riechen, wo sich diese bis fast in unserer Zeit noch benutzten Flächen befanden. Heute werden die Abwässer der Stadt besser und effektiver in Klärwerken gereinigt und wieder in den Kreislauf geleitet.

30. März 2018

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