Fürstenwillkür gegen freiheitlichen Geist
Die Karlsbader Beschlüsse vom August 1819 gaben den Weg für massive Unterdrückung von Opposition und unabhängiger Denken frei



Die Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue wurde von den Fürsten zum Anlass genommen, durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 die Zensurbestimmungen im Deutschen Bund massiv zu verschärfen.



"Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt sein" fragen Mitglieder eines Denkerklubs, in dem Schweigen das erste Gesetz ist. Karikatur aus dem frühen 19. Jahrhundert.



Der österreichische Staatskanzler Fürst von Metternich war eine besondere Hassfigur in der Periode vor der Revolution von 1848. Die Karikatur zeigt den 1848 seiner Ämter enthobenen Träger einer langen Nase auf der Flucht in Richtung England.



Theodor Hosemann zeigt auf dem Bild von 1841 Berliner Zeitungsleser. Ob sie verstanden, zwischen den Zeilen der von der Zensur genehmigten Presse Spuren von Kritik und geistiger Konterbande zu finden, bleibt ihr Geheimnis. Aber auch das hat es gegeben.



Das Berliner Satireblatt "Kladderadatsch" erschien ab Mai 1848 und profilierte sich zu einem beliebten Organ der politischen Opposition. Die erste Nummer fordert alle, die sich berufen fühlen, zur Mitarbeit auf.



Während des Bismarckschen Sozialistengesetzes von 1878 bis 1890 wurde die Presse, die nicht regimekonform war, gegängelt, zensiert und enthauptet, hier auf einer Karikatur von 1885 drastisch dargestellt.



Justiz und Polizei bestimmen, was der gefesselte Karikaturist und Mitarbeiter des "Simplicissimus" Thomas Theodor Heine zeichnen soll und was nicht. (Repros: Caspar)

Unser Grundgesetz verbietet die Zensur, doch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit indes geht nicht so weit, dass es jemandem erlaubt wäre, gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung anzukämpfen oder zu Rassenhass und zur Vernichtung von einzelnen Personen oder Minderheiten sowie zu Krieg und Gewalt aufzurufen. Wer dies tut, hat mit Strafverfolgung zu rechnen. Im 19. Jahrhundert wurde jedes geschriebene Wort, wenn es gedruckt werden sollte, der Zensur unterworfen. Vier Jahre nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 schränkten deutsche Fürsten, allen voran Franz I., Kaiser von Österreich, und Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, mit den Karlsbader Beschlüssen die Arbeit der Universitäten und der Presse massiv ein. Die im Ergebnis einer Konferenz im böhmischen Karlsbad vom 6. bis 31. August 1819 erlassenen Bestimmungen legten harte Maßnahmen gegen "revolutionäre Umtriebe" sowie zur Verfolgung von so genannten Demagogen fest und versetzten der Gedanken- und Pressefreiheit einen schweren Schlag.

Durch strikte Anwendung der Zensur sollte alles verhindert werden, was in Österreich-Ungarn, im preußischen Staat und den übrigen Mitgliedsländern des 1815 gegründeten Deutschen Bundes "Missvergnügen" erregen und gegen bestehende Verordnungen aufreizen könnte. Getrieben von der Angst vor revolutionären Unruhen wie im späten 18. Jahrhundert in Frankreich, nahmen die Regierungen die Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue am 23. März 1819 in Mannheim durch den Studenten und Burschenschafter Karl Ludwig Sand zum Anlass für die drastische Knebelung des freien Geistes und die Verfolgung und Ausschaltung oppositioneller Kräfte. Verboten war jede Kritik an der Feudalherrschaft und am fürstlichen Gottesgnadentum.

Berufsverbot und Zuchthausstrafe

Preußens König Friedrich Wilhelm III. hatte sein Versprechen während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 gebrochen, für die Ausarbeitung einer Verfassungsurkunde und die Bildung einer "Repräsentation des Volkes" zu sorgen, die über alle Gegenstände der Gesetzgebung beraten soll. Um die Monarchie und die feudalen Eliten weiter im Sattel zu halten, jede Einflussnahme der Bürger auf die Staatsgeschäfte zu verhindern und revolutionären, liberalen und sonstigen Elementen das Wasser abzugraben, bestimmte die Preußische Zensur-Verordnung, dass alle im Land der Hohenzollern herauszugebenden Bücher und Schriften einer speziellen Behörde zur Genehmigung vorgelegt und ohne deren schriftliche Erlaubnis weder gedruckt noch verkauft werden dürfen. Das war ein schwerer Schlag gegen Autoren, Professoren, Studenten und andere so genannte Freigeister sowie Drucker und Verleger, sofern sie nicht "staatstragend" waren und auch nicht die bestehende Ordnung infrage stellten. Wer in Bild und Schrift das Gottesgnadentum der nach den Befreiungskriegen wieder fest im Sattel sitzenden und an der Restaurierung der alten Feudalverhältnisse arbeitenden Fürsten in Zweifel zog, erhielt Berufsverbot, wurde von der Universität geworfen und auf andere Weise in seinem Schaffen behindert. Schlimmstenfalls wurden Zuchthausstrafen verhängt, und es wurden auch Todesurteile an besonders missliebigen Personen vollzogen. Betroffen waren in Preußen von den Einschränkungen auch die Berliner Akademie der Wissenschaften sowie einzelne Universitäten, deren Befreiung von den Zensurbestimmungen suspendiert wurde.

Den Karlsbader Beschlüssen vorangegangen war am 1. August 1819 die Teplitzer Punktation zwischen Österreich und Preußen gegen "staatsgefährdende Bestrebungen" sowie für die Einführung von Zensur und Überwachungsmaßnahmen und die Bekämpfung des Liberalismus und Nationalismus im Deutschen Bund. Der Kaiser von Österreich wurde bei der Übereinkunft durch seinen Außenminister Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich und der König von Preußen durch dessen Staatskanzler Karl August Fürst von Hardenberg vertreten. Die bilateralen Abmachungen zwischen den beiden Führungsmächten des Deutschen Bundes bildeten die Grundlage für die Karlsbader Beschlüsse, die daraufhin im Deutschen Bund, dem von Österreich angeführten Zusammenschluss der souveränen Königreiche, Großherzogtümer, Herzogtümer und Fürstentümer und Freien Städte. Staatskanzler und Außenminister war das Haupt der Reaktion im Deutschen Bund sowie Mitverfasser der in Teplitz und Karlsbad festgelegten Zwangsmaßnahmen. Er drängte darauf, dass die Beschlüsse in aller Brutalität verwirklicht werden und richtete ein engmaschiges Spitzelsystem ein, um jederzeit zu wissen, ob und wie die Maßnahmen greifen und wer gegen sie opponiert.

Das System Metternich

Das nach ihm benannte "System Metternich" hatte das Ziel, das monarchische System in das 19. Jahrhundert zu retten und nichts zuzulassen, was die Legitimität der Fürsten auf den Prüfstand mit dem Ziel der Herstellung republikanischer Verhältnisse stellt. Allein dem Adel sollte die Ausübung der Macht vorbehalten bleiben, auf keinen Fall sollten Verfassungen gewährt werden. Schließlich sollten die Zustände in der Zeit vor 1789, also vor der Revolution in Frankreich, wiederhergestellt, also restauriert werden. Das hätte bedeutet, dass all die positiven Veränderungen von der Abschaffung der Leibeigenschaft bis zur Selbstverwaltung der Kommunen abgeschafft werden.

Im Protokoll der Konferenz wird aus einer Erklärung zitiert, die Metternich am Beginn des Treffens in Karlsbad abgab. "Die hiesige Anwesenheit mehrerer Minister und Gesandten von deutschen Bundesstaaten gebe ihm die erwünschte Veranlassung, sich mit ihnen ungesäumt über die Besorgnisse und Gefahren vertraulich zu berathen, in welche sowohl der ganze Bund, als auch die einzelnen Bundesstaaten durch die revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen, welche man in der letzten Zeit entdeckt habe, versetzt würden." Die aus verschiedenen Ländern zugegangenen Informationen hätten den Kaiser von Österreich als Mitglied des Bundes verpflichtet, "Ihrerseits die Sache in Anregung zu bringen. Sie könnten Sich aber auch für Ihre eigenen Staaten nicht dabei beruhigen, wenn durch dergleichen Umtriebe die Grundfeste aller bürgerlichen Ordnung erschüttert werden sollte. Seine Kaiserliche Majestät wünschten dieserhalb die Ansichten der übrigen Bundesglieder zu kennen, um über die erforderlichen Maaßregeln sich gemeinschaftlich zu verständigen, und diesfallsige Anträge an den Bundestag zu bringen." Nach den Anzeigen und Nachweisungen seien zur Sicherstellung des Gesamtwesens der einzelnen Staaten "die ernstesten und dringendsten Maaßregeln" nötig.

Prominentes Opfer der nach den Karlsbader Beschlüssen einsetzenden so genanten Demagogenverfolgungen war Ernst Moritz Arndt, der als Professor und Freiheitskämpfer einen hervorragenden Ruf genoss und wegen seiner sytemikritischen Äußerungen am 10. November 1820 sein Lehramt an der eben erst gegründeten Universität in Bonn verlor. Ein Verfahren wegen "demagogischer Umtriebe" endete ohne Ergebnis. Bei Weiterbezug seines Gehaltes wurde ihm die Erlaubnis entzogen, an der Universität Vorlesungen zu halten. Erst 1840 wurde Arndt durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. rehabilitiert. Die auf diesen anlässlich des Regierungswechsels gerichteten Hoffnungen und die Erwartung, dass der "Romantiker auf dem Thron" das Verfassungsversprechen seines Vaters Friedrich Wilhelm III. verwirklicht, erfüllten sich nicht.

Verbotene Gedankengänge

In Berlin wurde als letzte Instanz ein Ober-Zensur-Kollegium eingerichtet, das über Beschwerden von Verfassern und Verlegern befand und die Ausführung der Zensurgesetze überwachte. Außerdem verfolgte die Behörde Versuche, die bedrückenden Zensurbestimmungen trickreich zu umgehen. Heikle Texte wurden vorsichtshalber umgeschrieben, manche Autoren bedienten sich einer Art Sklavensprache, die von den Zensoren nicht, wohl aber von den Lesern verstanden wurde. Der Berliner "Immediat-Untersuchungskommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe" gehörte der Berliner Kammergerichtsrat E. T. A. Hoffmann an. Er bekam die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit aufgrund der Karlsbader Beschlüsse am eigenen Leibe zu spüren und war wider Willen in das System der geistigen Unterdrückung involviert. Der vielseitig tätige, von missgünstigen Kollegen verbotener "Gedankengänge" bezichtigte Jurist schrieb sich seinen Frust unter anderem in dem Märchen "Meister Floh" von der Seele. Vorsichtshalber ließ er die Geschichte "in sieben Abenteuern zweier Freunde" in der damaligen Freien Stadt Frankfurt erscheinen. Doch sein Vorgesetzter, der mit der Verfolgung von "Demagogen" und anderen aufrührerischen Personen befasst war, bekam Wind von der Satire und strengte eine Untersuchung gegen den Autor im eigenen Haus an. Hoffmann ahnte Ärger und versuchte vergeblich, zwei besonders verfängliche Stellen auszumerzen. Es nutzte nicht, er bekam Ärger mit der Zensurbehörde und sollte sich für seine verklausulierten Angriffe auf übereifrige Bürokraten und miesepetrige Moralapostel rechtfertigen. Als pflichtvergessener, höchst unzuverlässiger, gefährlicher und hochverräterischer Staatsdiener abgestempelt und wegen seines Lebenswandels und seiner Zechgewohnheiten ohnehin in Verruf geraten, wollten seine Widersacher ihn in die Provinz abschieben. Gegen ihn wurden inquisitorische Ermittlungen aufgenommen, aber 1822 eingestellt, nachdem der unter den bedrückenden Zensurbedingungen leidende Erzähler gestorben war.

Trickreich gegen Zensurbestimmungen

Um die Öffentlichkeit zu besänftigen, behauptete die Verordnung: "Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern, noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auflegen, noch den freien Verkehr des Buchhandels hemmen. Ihr Zweck ist, demjenigen zu steuern, was den allgemeinen Grundsätzen der Religion, ohne Rücksicht auf die Meinungen und Lehren einzelner Religionspartheien und im Staate geduldeter Sekten zuwider ist, zu unterdrücken, was die Moral und gute Sitten beleidigt." Die Verordnung behauptete, die Zensur wolle dem "fanatischen Herüberziehen von Religionswahrheiten in die Politik" ebenso wie der dadurch entstehenden "Verwirrung der Begriffe" entgegen arbeiten. Auch sollte die Verletzung der Würde und Sicherheit des preußischen Staates sowie der übrigen Bundesstaaten verhindert werden. Alle auf "Erschütterung der monarchischen Verfassungen abzweckende Theorien" sowie jede Verunglimpfung der mit Preußen befreundeten Regierungen waren bei schwerer Strafe verboten.

Die Karlsbader Beschlüsse wurden als so diskriminierend empfunden, dass ihre Abschaffung bei immer wiederkehrenden Protesten gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und dann auch in der Revolution von 1848/49 auf der Tagesordnung standen. Zwar wurde die Zensur in der Kaiserzeit nach 1871 gelockert, doch der Tatbestand der Majestätsbeleidigung, der Gotteslästerung und der revolutionären Agitation, was immer man darunter verstand, war weiter mit hohen Strafen belegt, wurden aber von gewitzten Autoren und Verlagen trickreich umgangen. Kaiser Wilhelm II. hielt "Socialdemokraten" für seine ärgsten Feinde und denunzierte sie als Zerstörer des Reichs und des inneren Friedens. "Merke Ich daher, dass sich socialdemokratische Tendenzen in die Bewegung mischen und zu ungesetzlichem Widerstande anreizen, so würde Ich mit unnachsichtlicher Strenge einschreiten und die volle Gewalt, die Mir zusteht - und die ist eine ganz große - zur Anwendung bringen", drohte er und befahl seinen Rekruten nach dem Hinweis auf den ihm geschworenen Treueid: "Es gibt für Euch nur einen Feind, und das ist auch mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen - was ja Gott verhüten möge - aber auch dann müsst Ihr meine Befehle ohne Murren befolgen." Wiederholt kündigte der Kaiser an, er werde diejenigen, die sich ihm entgegenstellen, zerschmettern. Doch musste er zusehen, dass die ihm so verhassten "Sozis" nach und nach an Einfluss gewannen und seinem selbstherrlichen Regiment Zügel anlegten und es im Ergebnis des Ersten Weltkriegs in den Orkus der Geschichte schickten.

5. August 2018

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"