"Unser Dämel ist in Memel"
Frankreichs Kaiser Napoleon I. dekretierte 1806 im Berliner Schloss die gegen seinen britischen Erzfeind gerichtete Kontinentalsperre



Im Triumph zog der siegreiche Kaiser nach der Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 durch das Brandenburger Tor.



Der Kaiser der Franzosen war auch König von Italien, im Napoleon-Museum in Rom wird seine Büste aus Marmor gezeigt.



Auf einem Berg voll Menschenschädeln sitzend, verteilt Frankreichs starker Mann an willfährige Fürsten Titel, Orden und Ländereien.



Von aufmerksam bis schlafend wurde der maskenhafte Kaiser im Jahr 1812 bei einem Theaterbesuch gezeichnet.





Die Spottbilder zeigen den als Ruine verfremdeten Kopf des Kaisers sowie und seinen nach den Niederlagen von 1813 bis 1815 spektakulären Sturz "in Nessel, mit dem Bloßen".



Napoleon I. unternimmt einen Sprung von der Insel Elba, wohin er 1814 verbannt worden war, nach Frankreich, das er nach der verlorenen Schlacht von Waterloo für immer in Richtung Sankt Helena verlassen musste. Europas zeitweilig mächtigster Mann starb dort im Jahr 1821, von wenigen Getreuen umsorgt. (Foto/Repros: Caspar)

Als der französische Kaiser Napoleon I. nach der verheerenden Niederlage der preußischen und sächsischen Armee in der Schlacht von Jena und Auerstedt am 27. Oktober 1806 durch das Brandenburger Tor nach Berlin einzog, wurde dieses Schauspiel von den entsetzten Bürgern mit bangen Erwartungen beobachtet. Von Potsdam über Charlottenburg kommend, war der Sieger mit glänzendem Gefolge durch das Brandenburger Tor in die preußische Haupt- und Residenzstadt eingeritten. Zuvor hatte man ihm in ehrerbietiger Form die Stadtschlüssel übergeben und die Hoffnung ausgesprochen, Berlin möge von Plünderung verschont bleiben. Die Bewohner der preußischen Haupt- und Residenzstadt ballten nur die Fäuste, wenn die Besatzer nicht hinschauten, und hielten sich an den berühmten Befehl ihres Kommandanten, General Friedrich Wilhelm Graf von der Schulenburg-Kehnert, der schon am 17. Oktober 1806 gleich nach Bekanntwerden des preußischen Desasters von Jena und Auerstedt verkündet hatte: "Der König hat eine Bataille verlohren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht. Ich fordere hierzu alle Einwohner Berlins auf. Der König und seine Brüder leben!"

Während der König von Preußen seinen Untertanen gebot, sich ruhig zu verhalten, entzog er sich dem französischen Zugriff durch Flucht an die preußisch-russische Grenze, worauf die Berliner spotteten "Unser Dämel ist in Memel". Der Krieg wurde erst im Sommer 1807 durch den Frieden von Tilsit beendet. Sachsen war ausgeschieden und sein Kurfürst Friedrich August III. mit dem Königstitel belohnt worden, Russland hielt noch eine Zeitlang zu Preußen und einigte sich, als nichts mehr zu retten war, mit dem Kaiser der Franzosen. Klarer Kriegsverlierer war Friedrich Wilhelm III. Er musste von 55 70 Quadratmeilen seines Reiches 2693 abtreten und verlor von 9,7 Millionen Untertanen 4,8 Millionen. Das halbierte Preußen sank für ein paar Jahre zu einer Mittelmacht herab, raffte sich aber unter dem Druck der Verhältnisse zu segensreichen Reformen auf und schnitt feudale Zöpfe ab. Nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 war der Hohenzollernstaat mächtiger denn je.

Wendehälse, Opportunisten, Kollaborateure

Von Beruhigung konnte bei jenem triumphalen Einmarsch in die Haupt-, Residenz- und Garnisonstadt nicht die Rede sein, auch nicht angesichts der Paraden, die der Kaiser im Lustgarten abhielt. "Kein Preußen konnte diese Dinge mit ansehen, ohne sich schmerzlich bewegt zu fühlen", schrieb der Geograph und Historiker Karl Friedrich von Klöden in seinen Jugenderinnerungen. Der altpreußische Staat lag in Trümmern, und der König musste damit rechnen, dass er Krone und Land verliert. Beispiele dafür, dass Monarchien von der Landkarte gestrichen und deren Oberhäupter gefangen genommen oder degradiert werden, gab es bereits. In zeitgenössischen Berichten heißt es, bei den Staatsbeamten und in der Armee habe heillose Verwirrung geherrscht, und die Menschen auf der Straße hätten heiße Tränen vergossen und seien in Wehklagen ausgebrochen.

Viele Berliner fügten sich in ihr Schicksal, manche fühlten Erleichterung angesichts der aufgehen "französischen Sonne" und setzten große Erwartungen in die angekündigten Umwälzungen. Angeblich soll Napoleon gesagt haben, er wolle "diese preußischen Junker" so klein machen, "dass sie ihr Brot auf den Straßen erbetteln müssen", und das kam vielen entgegen, die unter der noch von Friedrich dem Großen geprägten Adelsherrschaft litten und sich ihretwegen nicht entfalten konnten. Es gab natürlich auch Wendehälse, Opportunisten, Kollaborateure und Konjunkturritter, die sich in Erwartung handfester Vorteile den Franzosen andienten und mit ihnen von der Bildfläche verschwanden und zur Rechenschaft gezogen wurden, als die Franzosenherrschaft ins Wanken geriet.

Nach seinem Einzug in das Berliner Schloss dekretierte Ende 1806 Napoleon I. die gegen seinen Erzfeind, den König von England und sein Reich, gerichtete Kontinentalsperre. Nachdem die Invasion der britischen Insel nicht gelungen war, versuchte der Kaiser der Franzosen, ihnen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen und Sperrung der über die Nord- und Ostsee verlaufenden Verbindungswege großen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen und ihm, dem mächtigsten Mann in Kontinentaleuropa, hörig zu machen. Der Wirtschaftskrieg hatte für deutsche, englische und weitere Hafenstädte sowie Kaufleute und Produzenten verheerende Wirkungen. In den von Frankreich erst besetzten, dann zu Departements umgewandelten Gebieten wurde alles beschlagnahmt, was irgendwie wie britische Erzeugnisse aussah, und wer mit ihnen erwischt wurde, hatte schwere Strafen zu erwarten.

Der Kaiser beließ es nicht bei dem im Dezember 1806 veröffentlichten Dekret, sondern weitete in den folgenden Jahren die Kontinentalsperre auf die neutrale Schifffahrt aus und ließ ab 1810 einen fünfzigprozentigen Zoll auf sämtliche Importprodukte erheben, wobei ihre Herkunft gleichgültig war. Die französischen Zwangsmaßnahmen fügten der britischen Wirtschaft keinen entscheidenden Schaden zu, die sich neue Absatzmärkte erschloss, insbesondere solche in Nordamerika. Schweren Schaden erlitt dagegen die kontinentale Wirtschaft, vor allem in Frankreich selbst und seinen Vasallenstaaten. Lediglich profitierte die deutsche Textilindustrie im französisch besetzten und auch in Sachsen von der Ausschaltung der britischen Konkurrenz. Im Schatten der Kontinentalsperre entwickelte sich der Schmuggel zu ungekannter Größe, denn die Überwachung der Häfen und Küsten war nicht lückenlos. Deshalb konnten englische und andere Waren heimlich hin- und her geschickt werden. Um die Verbindungslinien ein für allemal zu unterbrechen, nahm Napoleon die ganze Nordseeküste "unter seine Aufsicht". Er annektierte die Gebiete an den Mündungen der Ems, Weser und Elbe sowie die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck sowie verschiedene norddeutsche Fürstentümer, die erst im Laufe der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 das französische Joch abschütteln konnten. In den Städten brach der Handel mit Holz und Getreide völlig zusammen, was zur Verarmung und zu sozialen Unruhen führte. An den Folgen von Ausbeutung und Unterdrückung hatten die betroffenen Städte und Territorien noch jahrzehntelang zu leiden.

Angst vor den Besatzern

Mit der verheerenden Niederlage im Krieg von 1806 und 1807 hatten die führenden Kreise in Preußen nicht gerechnet, als sie sich in einen Krieg mit Frankreich einließen, und sie hatten auch keine Vorkehrungen getroffen, wertvolle Besitztümer vor Verlust und Vernichtung zu bewahren. Die Bestürzung war unbeschreiblich, und die königliche Familie verließ fluchtartig beim Herannahen des Siegers die Haupt- und Residenzstadt Berlin, um sich nach Ostpreußen zu begeben. Preußische Beamte hatten Angst, von den Besatzern dafür bestraft zu werden, dass sie Kostbarkeiten verstecken. Dennoch wurden Bestände der Silberkammer in die Festung Spandau gebracht. Der Stadtkommandant von Berlin ließ die kostbaren Tabakdosen Friedrichs des Großen einpacken und auch wertvolle Staatspapiere sicherstellen. Schwierigkeiten gab es mit der reichen Gemäldesammlung der Hohenzollern. Lediglich 68 Bilder aus dem Berliner Schloss und weitere aus der Gemäldegalerie im Potsdamer Park Sanssouci sowie dem Marmorpalais im Neuen Garten wurden "transportable" gemacht und in die östlichen Regionen der Monarchie geschafft. Neben dem wertvollsten Kunstbesitz der Hohenzollern wurde auch deren Weißzeug, also Wäsche, auf die Reise an die weit entfernte preußisch-russische Grenze geschickt.

Napoleon I. besichtigte im Spätherbst 1806 die Schlösser der Hohenzollern in Potsdam, Charlottenburg und Berlin. Ihm auf den Fuß folgte sein Museumsdirektor Denon, der in seinem Auftrag für den Pariser Louvre Gemälde, antike und moderne Plastiken, Münzen und andere Kunstgüter auswählte und auch Teile eines in Küstrin liegen gebliebenen Transports in die französische Hauptstadt schickte. Ziel war es, mit den Beutestücken das im Aufbau befindliche Musée Napoléon auszustatten. Napoleon I. ließ nicht nur königlichen Besitz requirieren, um damit auch seine Rolle als Sieger zu unterstreichen, auch Untergebene bedienten sich nach Kräften an fremdem Eigentum. Vor allem General Vandamme stahl ungeniert, was ihm unter die Finger kam. Da das dem Kaiser unangenehm war, befahl er die Rückgabe. Wenn sich einer etwas unter den Nagel riss, dann durfte es nur er tun, der Kaiser.

Napoleons Kunsträuber und Auge

Der mit dem Kunstraub beauftragte Sammler und Schriftsteller Baron Dominique-Vivant Denon, auch Auge Napoleons genannt, ließ nicht nur Gemälde der damals beliebten Franzosen, Italiener und Holländer einpacken, sondern auch die zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch als "unmodisch" geltenden altdeutschen Meister. Dazu kamen Gemälde, auf sein kaiserlicher Herr wegen ihres geschichtlichen Inhalts Wert legte. Dass er an Darstellungen aus dem Leben Friedrichs des Großen interessiert war und nach ihnen fahnden ließ, wissen wir von dem über diese Vorgänge erzürnten Bildhauer Johann Gottfried Schadow, dem Schöpfer der von den Franzosen nach Paris entführten Quadriga auf dem Brandenburger Tor.

Eine Auswahl der auf zwei Schiffen nach Paris gebrachten Kunstwerke wurde bereits 1807 im Louvre ausgestellt. Ein Beobachter beschrieb, die kolossale Bronzebüste Napoleons I. sei zwischen zwei aus dem Park von Sanssouci stammenden Victorien aufgestellt worden. Daneben dabei habe man ein ebenfalls geraubtes Gemälde von Rubens und weitere Beutestücke ausgestellt. Währenddessen ließ der im fernen Ostpreußen weilende König Friedrich Wilhelm III. ermitteln, wer durch Nachlässigkeit und Pflichtverletzung den Raubzügen der französischen Besatzer Vorschub geleistet haben könnte. Offensichtlich war niemand zu finden, im Gegenteil erklärten die Betroffenen, alles getan zu haben, um königliches Eigentum zu retten. Man habe immer nur "das Beste des Königl. Interesses beabsichtigt". Die Untersuchungen verliefen im Sande. Die von den Beamten angefertigten Verlustlisten leisteten knapp zehn Jahre später, als Napoleon I. geschlagen und ins Exil vertrieben war, nützliche Dienste, als preußische Emissäre mit dem neuen Regime in Frankreich über die Rückgabe der Beutekunst verhandelten. Die wieder auf den Thron gelangten Bourbonen zeigten geringes Interesse, das Kunstgut zurückzugeben, und wenn ja, dann würden sie es als "Geschenk" des Königs von Frankreich an den König von Preußen tun. Tatsache ist, dass manches Beutestück in Frankreich geblieben war.

Königliches Museum am Berliner Lustgarten

Als 1815 ein Teil der zurückgeführten Kunstwerke in Berlin ausgestellt wurde, war die Freude groß. Bei der Gelegenheit wurde die Idee erörtert, die in königlichem Besitz befindlichen Gemälde, Skulpturen und anderen Preziosen künftig in einem großen öffentlichen Museum zu zeigen. Ausgehend von dem Wirbel um die entführten und heimgeholten Schätze schlug Jahre später die Geburtsstunde der Königlichen und heutigen Staatlichen Museen zu Berlin, die 1830 in ein eigenes, nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel gebautes Haus, das Alte Museum am Lustgarten, einziehen konnten. Bliebe zu sagen, dass Dominique-Vivant Denon nach der Entmachtung des Kaisers und seiner Verbannung zunächst nach Elba (1814) und nach einem kriegerischen Zwischenspiel und der Entscheidungsschlacht von Waterloo (1815) nach Sankt Helena, einen Karriereknick erlebte. Er organisierte zwar noch die Rückgabe geraubter Kunstgüter, darunter auch die Heimkehr der kupfernen Quadriga vom Brandenburger Tor in Berlin. Von den wieder in ihre königlichen Rechte eingesetzten Bourbonen nicht mehr gebraucht, reichte der Chef der ehemaligen kaiserlichen Kunstsammlungen und der Pariser Medaillenmünze seinen Rücktritt ein, widmete sich seinen privaten Sammlungen und pflegte die Erinnerung an frühere, für ihn bessere Zeiten.

28. Juni 2018



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