Preußen existiert nicht mehr
Der Allliierte Kontrollrat setzte 1947 Schlussstrich unter wechselvolle Geschichte eines Landes und einer Idee









Das Berliner und das Potsdamer Stadtschloss (3. und 4. Bild) hätten bei gutem Willen der alles beherrschenden SED durchaus wieder aufgebaut werden können und müssen. Aber bilderstürmerische Kommunisten rächten sich an Ruinen und feudalen Herrschaftszeichen. Erst in der Endphase der DDR wurden wertvolle Zeugnisse der Geschichte und Kultur restauriert beziehungsweise nach alten Plänen neu bauen. Das Potsdamer Stadtschloss ist jetzt Brandenburgischer Landtag, das Berliner Schloss wird 2019 als Humboldt Forum eröffnet.





Von dem 1897 durch Wilhelm II. eingeweihten Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. auf der Berliner Schlossfreiheit ist bis auf geringe Reste nichts mehr übrig geblieben. Die Bronze wurde eingeschmolzen, die Steinkolonnade wurde gesprengt. Auf dem Areal soll in den kommenden Jahren ein neues Einheits- und Freiheitsdenkmal errichtet werden, im Volksmund Einheits- oder Merkelwippe genannt.





Die Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 machte den Weg frei für den konsequenten Kampf gegen den Faschismus, die Neuordnung in Mittel- und Osteuropa sowie die formale Liquidierung des "Staates Preußen". Im Schloss Cecilienhof werden Debatten und Ergebnisse der Tagung der "Großen Drei" - Stalin, Truman und Churchill - dokumentiert. (Fotos/Repros: Caspar)

Am 25. Februar 1947 beschloss der Alliierte Kontrollrat, das oberste Organ der Siegermächte über Hitlerdeutschland, das Gesetz Nr. 46 über die Auflösung des Staates Preußen, seiner Zentralregierung und nachgeordneter Organe. "Der Staat Preußen, der seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland gewesen ist, hat in Wirklichkeit zu bestehen aufgehört. Geleitet von dem Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker und erfüllt von dem Wunsche, die weitere Wiederherstellung des politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage zu sichern, erlässt der Kontrollrat das folgende Gesetz: Artikel I Der Staat Preußen, seine Zentralregierung und alle nachgeordneten Behörden werden hiermit aufgelöst. Artikel II Die Gebiete, die ein Teil des Staates Preußen waren und die gegenwärtig der Oberhoheit des Kontrollrats unterstehen, sollen die Rechtsstellung von Ländern erhalten oder Ländern einverleibt werden. Die Bestimmungen dieses Artikels unterliegen jeder Abänderung und anderen Anordnungen, welche die Alliierte Kontrollbehörde verfügen oder die zukünftige Verfassung Deutschlands festsetzen sollte. Artikel III Staats- und Verwaltungsfunktionen sowie Vermögen und Verbindlichkeiten des früheren Staates Preußen sollen auf die beteiligten Länder übertragen werden, vorbehaltlich etwaiger Abkommen, die sich als notwendig herausstellen sollten und von der Alliierten Kontrollbehörde getroffen werden. Artikel IV Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Unterzeichnung in Kraft."

Kein Platz für Differenzierung

Für die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war Preußen die Wurzel allen Übels, so wenigstens formulierte es mitten im Zweiten Weltkrieg der britische Premierminister Winston Churchill. Militarismus, Chauvinismus, Großkapital, Großgrundbesitz, Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Antiparlamentarismus wurden mit "Preußen" in Verbindung gebracht, und tatsächlich stimmte das auch, wenn auch nur zum Teil. Denn die, welche Preußen für alles Schlechte und Verbrecherische in der Welt verantwortlich machten, übersahen, dass es auch ein "anderes" Preußen gab und dass Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 sich auf beste preußische Traditionen beriefen. Aber zwei Jahre nach Kriegsende und auch lange danach war kein Platz für differenzierte Urteile. Politisches Ziel war es, einer umstrittenen Tradition und einer, wenn man so sagen will, "Haltung" den Garaus zu machen.

Der Kontrollrat hätte eigentlich auf das Gesetz verzichten können, denn den preußischen Staat gab es de facto auch ohne diesen Rechtsakt nicht mehr. Am 20. Juli 1932, ein halbes Jahr vor Hitlers "Machtergreifung", war die geschäftsführende Regierung Otto Braun (SPD) ihres Amtes enthoben worden, Reichskommissar für Preußen wurde Franz von Papen, der gleichzeitig Reichskanzler war und zu den Steigbügelhaltern Hitlers gehörte und 1933 in sein Kabinett aufgenommen wurde. In der NS-Zeit war Hermann Göring preußischer Ministerpräsident, es gab sogar einen preußischen Staatsrat, in dem Nazifunktionäre, Künstler und Wissenschaftler repräsentative Funktionen ausübten. Doch schon mit dem Gesetz über den Neuaufbau des Reiches von 1934, durch das die Landesparlamente liquidiert wurden, gingen die Hoheitsrechte der Länder an die Zentrale in Berlin über. Zwar trugen einige Institutionen noch den Namen Preußen oder preußisch, in Wirklichkeit aber wurden die Geschicke des Deutschen Reichs und seiner Länder durch den Alleinherrscher Hitler und seine Handlanger bestimmt.

Aufgeteilte Erbmasse

Durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 wurden die östlichen Landesteile des früheren preußischen Staates jenseits der Oder der Sowjetunion und Polen zugeschlagen, was mit einer riesigen Aus- und Umsiedlung der dort lebenden Deutschen verbunden war, denen Millionen Menschen aus Osteuropa nachrückten. Zum früheren Preußen gehörende Territorien diesseits der Oder sollten, soweit sie nicht direkt der Oberhoheit des Kontrollrats unterstanden, in selbständige Länder umgewandelt beziehungsweise in bereits bestehende eingegliedert werden. Weitere Stücke der Erbmasse lagen in den Westzonen und gingen in den dort gebildeten Ländern auf. Der Kernbereich des ehemaligen brandenburgischen Kurstaates gehörte zur Sowjetischen Besatzungszone, aus denen die Länder Brandenburg und teilweise Sachsen-Anhalt gebildet wurden, während kleinere preußische Gebiete Sachsen und Mecklenburg zugeschlagen wurden.

Mit der Auflösung der bisherigen Länder 1952 in der DDR und der Bildung der besser von der SED und Regierung zu kontrollierenden Bezirke wurde der letzte Bezug zum ehemaligen brandenburg-preußischen Staat getilgt. Erst mit der Wiedergründung der Länder 1990 in der noch existierenden DDR konnte der historische Faden aufgenommen werden, und so stellt sich das Land Brandenburg als das Kernland dar, aus dem Preußen vor 300 Jahren hervor ging. Im öffentlichen Bewusstsein existiert Preußen heute eigentlich nur als Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, in denen das in Berlin befindliche museale Erbe beziehungsweise die baulichen und künstlerischen Hinterlassenschaften der Hohenzollern bewahrt werden. Während die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Verwalterin der in Westberlin befindlichen Kunstschätze und Einrichtung der Länder der Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, hießen die Parallelinstitutionen in Ostberlin Staatliche Museen und Deutsche Staatsbibliothek, in Potsdam kümmerten sich die Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci um die früheren Residenzen der Hohenzollern und ihre Parkanlagen. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, bis 1990 Akademie der Wissenschaften der DDR genannt, trägt, ein wenig verschämt, den Zusatz "vormals Preußische Akademie der Wissenschaften".

Zerstörte Denkmäler

Die 1947 angeordnete Zerschlagung des nicht mehr existierenden preußischen Staates hatte praktische Folgen. Denn der Kontrollrat befahl den deutschen Behörden, Denkmäler und Symbole zu beseitigen, die als militaristisch und faschistisch eingestuft wurden. Natürlich waren schon 1945 Hitlerbilder und Hakenkreuze entfernt und Straßen umbenannt worden, doch jetzt ging vor allem in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der 1949 gegründeten DDR den Herrschermonumenten und Kriegerdenkmälern an den Kragen. Während im Berliner Tiergarten die stark zerschossene Siegesallee abgebaut wurde, drang die französische Besatzungsmacht darauf, auch die Siegessäule am Großen Stern wegen ihrer gegen das 1871 im deutsch-französischen Krieg unterlegene Frankreich gerichteten Kriegspropaganda zu beseitigen. Zwar blieb das bekannte Kriegerdenkmal aus der Kaiserzeit stehen, wohl aber wurden die anstößigen Sockelreliefs nach Frankreich als Kriegsbeute mitgenommen und erst Jahrzehnte später peu à peu an den Westberliner Senat zurück gegeben und wieder an ihrer alten Stelle eingefügt.

Eingeschmolzen wurden in Ostberlin das Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms I. und andere Herrschermonumente. Die Sprengung der Ruinen des Berliner Schlosses 1950 und des Potsdamer Stadtschlosses waren nicht der letzte Racheakt an Preußen. Indem 1980 SED- und Staatschef Honecker die Rückkehr des Reiterdenkmals Friedrichs II., des Großen, auf die Straße Unter den Linden gestattete, setzte in der DDR eine viel beachtete Preußenrenaissance ein, die das "andere Preußen" für die Zwecke der SED zu instrumentalisieren versuchte, wie man weiß mit geringem Erfolg. Politisches Ziel war es, unliebsamen Traditionen den Garaus und eine "progressiven Haltung" hoffähig zu machen.

17. August 2018

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