Sucht nach Titeln und Orden
Wer in der Kaiserzeit scharf auf blitzende Kreuze und Sterne sowie ein Adelsdiplom war, konnte mit Geld nachhelfen







Kaiserin Auguste Viktoria, genannt "Kirchenjuste", rechts an der Seite ihres Gemahls Wilhelm II. mit ihren Kindern auf einer Postkarte um 1900, darunter Fotos des Kaisers, der einen großen Teil seiner Zeit darauf verwandte, verschiedene Uniformen und Orden, natürlich der höchsten Klassen, anzulegen.



In der Ausstellung der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche werden hohe preußische Auszeichnungen wie der 1701 gestiftete Schwarze Adlerorden gezeigt.



Dickes Konto und unumschränkte Macht im Unternehmen und der Familie waren für viele Neureiche nicht alles. Für einen wohlklingenden Titel und einen blitzenden Orden öffneten sie gern ihre Geldschränke, und der Staat ließ sich nicht lange bitten. Standesdünkel war in adligen Kreisen und der Offizierskaste bis zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland 1918 weit verbreitet und danach nicht ausgerottet. Satireblätter wie der "Simplicissimus" nahmen solche Blüten mit Wonne aufs Korn.



Die feinen Herren sind sich einig, zufällig ins Parlament geratene "Rote" aus diesem wegen Wahlterrorismus herauszuschmeißen. Am besten ist es, wenn man dem Uradel angehört, da muss man überhaupt nichts leisten, trägt rechts der Offizier der ihm ehrfürchtig lauschenden Gesellschaft vor. Die Karikaturen stammen aus dem Münchner "Simplicissimus".



Mit dem 1813 gestifteten Eisernen Kreuz sowie weiteren preußischen und deutschen Militärauszeichnungen haben sich zahllose Soldaten und auch Zivilisten geschmückt, höhere Orden wie der Pour le Mérite waren für besondere Heldentaten im Krieg bestimmt und wurden weitaus seltener verliehen.



Bis heute werden Wissenschaftler und Künstler mit der von König Friedrich Wilhelm IV. 1842 gestifteten Friedensklasse des Ordens Pour le Mérite geehrt. Das am Hals an einem schwarz-weißen Band hängende Zeichen entstammt der Ordenskette (Kollane) des preußischen Schwarzen Adlerordens. Exponat in der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums. (Fotos/Repros: Caspar)

Preußen war ein Ständestaat, wie er im Buche steht. Hier hatte jeder seinen Platz, Standesschranken konnten nur mit großer Anstrengung und vielen Opfern überwunden werden, wenn überhaupt. An erster Stelle in der Gesellschaftspyramide stand der Adel. Er war die Stütze der Monarchie, wurde gehätschelt und getätschelt, hatte viele Privilegien und musste kaum Steuern zahlen. Angehörigen adliger Familien bekamen die lukrativsten Stellen am kurfürstlichen beziehungsweise seit 1701 königlichen Hof, in der Armee und der Verwaltung. Ihnen vertraute das Herrscherhaus noch am ehesten, weil auch sie Angehörige der eigenen Kaste mit langem Stammbaum waren. Doch zu Misstrauen hatten die Kurfürsten und Könige aus der Familie, die seit 1415 die Mark Brandenburg und die anderen zum Kurstaat und Königreich gehörenden Gebiete beherrschten, gelegentlich Anlass. Sie konnten sie sich ihrer Position nie sicher sein, denn es gab Kräfte, die ihnen die Macht streitig machten. Deshalb wurde, wer der Dynastie dem Herrscherhaus gefährlich werden konnten, mit Orden und Titeln bedacht und mit Vorrechten ausgestattet, die einfache Bürger nicht hatten.

Dabei war auch der Adel manchen Zwängen unterworfen. Geheiratet wurde meist nur innerhalb dieses Zirkels. Wer als Adliger "unterm Stand" ehelichen wollte, brauchte dazu die Genehmigung vom König, und die wurde zumeist verweigert. Der sich aufgeklärt gebende Friedrich II. von Preußen, genannt der Großen, wollte nicht, dass die Adelsgesellschaft aufgeweicht und bürgerlich unterwandert wird. Welche Konflikte sich zwischen Adligen und Bürgerlichen abspielen und welche Mauern zwischen ihnen aufgerichtet waren, hat Friedrich Schiller in seinem Drama "Kabale und Liebe" hervorragend dargestellt, und auch Theodor Fontane hat in seinen Romanen das Fortleben dieser unheilvollen Standes- und Klassenschranken thematisiert. Wie man weiß, tat die Inzucht den adligen Familien nicht gut, wo es ein schier unüberwindbares Geflecht von Verwandtschaftsgraden gab und auch schon mal Cousins und Cousinen heiraten durften. Erbkrankheiten kamen in diesen Kreisen vermehrt vor, aber auch die Dominanz bestimmter äußerer Merkmale und besonderer Begabungen. Bestes Beispiel ist die im Hause Hohenzollern weit verbreitete Musikalität.

Das begehrte "von" vor dem Nachnamen

Der Adel bildete die Spitze der Pyramide. Das war in Preußen so und in anderen feudal bestimmten Staaten nicht anders. Frankreich war vor der Revolution von 1789 bestimmt durch drei Klassen - Adel, Geistlichkeit und Bürgertum. In Preußen war die Gliederung differenzierter mit fließenden Übergängen. Vom Adel ging es über die Kaste der Geistlichkeit und der Gelehrten zu den Kaufleuten und Handwerkern hinab zu den Bauern, Tagelöhnern und anderen Gruppen. Frauen spielten in dieser von Männern bestimmten Hierarchie eine untergeordnete Rolle. Sie waren bis ins 20. Jahrhundert vor dem Gesetz nur ein "Anhängsel" ihrer Ehemänner und Väter, hatten nichts zu sagen und durften bis zum Ende der Monarchie 1918, vor nunmehr einhundert Jahren, nicht einmal wählen. Und wenn sich Frauen zu Wort meldeten und für ihre Rechte stritten, dann wurde das zumeist als ungehörig und unerhört angesehen und lächerlich gemacht.

Nur selten gelang es Leuten bürgerlichen Standes, die sich herausragende Verdienste um Thron und Armee gemacht hatten, durch Nobilitierung in diesen exklusiven Zirkel zu gelangen. Das "von" vor dem Namen war schon mancher Anstrengung wert. Wer sehr viel Geld berappen konnte und bei Hofe einen guten Stand hatte, kam in den Genuss dieses begehrten Zusatzes. Großindustrielle wie Werner Siemens wurden auf diese Weise geehrt, doch auch Gelehrte wie Hermann Helmholtz, der Generalpostmeister Heinrich Stephan und der Maler Adolph Menzel bekamen den Adelstitel. Als Kaiser Wilhelm II. Menzel den Schwarzen Adlerorden, Preußens höchste Auszeichnung, verlieh, war das mit der Anrede Exzellenz verbunden, weshalb die Berliner den kleinwüchsigen Künstler liebevoll auch "kleine Exzellenz" nannten. Der so genannte Uradel sah es ungern, dass Emporkömmlinge, und mochten sie noch so große Verdienste um Kaiser und Reich erworben haben, in seine Kreise vordringen, konnte sich dagegen aber nicht wehren. Das Nobilitierungsrecht lag bei den Fürsten, und die nahmen von diesem Privileg gelegentlich Gebrauch.

Eisernes Kreuz auch für einfache Soldaten

Die größte Chance, in der Ständegesellschaft aufzusteigen, bot sich beim Militär. Vom französischen Kaiser Napoleon I. ist der Ausspruch überliefert, jeder Soldat trage den Marschallstab im Tornister. Damit war gemeint, dass sich Anstrengung und Tapferkeit auf dem Felde und vor dem Feind lohnen. Und so kamen vor über 200 Jahren erstmals in größerer Zahl auch Bürgerliche auf preußische Offiziersstellen. König Friedrich Wilhelm III. und seinen Nachfolgern blieb nichts anderes übrig, weil das Reservoir in den eigenen Adelskreisen für solche Positionen nicht ausreichte. Im Frühjahr 1813 stiftete am Vorabend der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 der preußische König Friedrich Wilhelm III. eine der populärsten, aber auch umstrittensten Auszeichnung der deutschen Militärgeschichte - das Eiserne Kreuz. Mit ihm wurden Tapferkeit vor dem Feind und Verdienste an der Heimatfront belohnt und zu neuen Heldentaten aufrufen. Entworfen wurde die Dekoration nach Vorgabe des Königs von Preußens oberstem Baumeister Karl Friedrich Schinkel. Um das geschwärzte Eisenkreuz mit Eichenlaub, dem Monogramm FW (Friedrich Wilhelm), der Krone und der Jahreszahl 1813 ist ein silbernes Band gelegt. Getragen wurde die Dekoration am schwarzweißen Band um den Hals. Die Stiftungsurkunde ist auf den 10. März 1813 datiert, den Geburtstag der Königin Luise. Die Gemahlin Friedrich Wilhelms III. war knapp drei Jahre zuvor jung gestorben, und so sollte das Eiserne Kreuz an die beliebte und auch im Volk auch betrauerte Monarchin erinnern.

Mit der Stiftung des auch für einfache Soldaten bestimmten Eisernen Kreuzes wollte der König von Preußen patriotische Gefühle und Leistungen für das Vaterland stimulieren. Das lag im Trend der Zeit, hatte Preußen doch bedeutende Reformen im militärischen, wirtschaftlichen und kommunalpolitischem Bereich hinter sich und befand sich in einer bis dahin nicht gekannten Aufbruchstimmung, die das ganze Volk erfasste. Die Stiftung des Eisernen Kreuzes markierte eine Wende im Ordens- und Auszeichnungswesen. Um die Auszeichnung verliehen zu bekommen, musste man nicht adliger Herkunft sein, auch einfache Soldaten, ja selbst Zivilisten konnten sie bekommen. Ein ähnliches Ziel verfolgte die von Napoleon Bonaparte (ab 1804 Kaiser Napoleon I.) im Jahr 1802 gestiftete französische Ehrenlegion, in die auch einfache Leute bei gehörigem Verdienst aufgenommen werden konnten, verbunden mit der Verleihung von Ordenskreuzen und -sternen. Dass das 1870, 1914 und 1939 erneuerte und im Design veränderte "EK", so die allgemeine Abkürzung für das Eiserne Kreuz, geradezu inflationär verliehen wurde, steht auf einem anderen Blatt. Nach dem Zweiten Weltkrieg schmückten sich Träger des von Hitler persönlich verliehenen Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes, einer Art Pour le Mérite des Nationalsozialismus, mit der entnazifizierten Fassung, die auf das Hakenkreuz verzichtete.

Wer in der deutschen Kaiserzeit etwas darstellen wollte, musste mindestens ein Leutnant, ein Geheimrat, ein Kommerzienrat und sonst wie ein Titelträger sein. Vorteile hatten es Leute, die von Geburt der Adelskaste und noch besser einer fürstlichen Dynastie angehörten. Um ihren Aufstieg musste sich niemand Sorgen machen, dieser war von der Wiege bis zur Bahre genau vorgezeichnet, vorausgesetzt, die betreffende Person, ganz gleich ob Mann oder Frau, ließ sich nichts zuschulden kommen oder ging eine unstandesgemäße Liaison ein. Die altpreußische Ständegesellschaft wurde offiziell nach dem Sturz der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 abgeschafft. Laut Weimarer Verfassung war ab jetzt jeder vor dem Gesetz gleich. Aufgehoben wurde auch das Dreiklassenwahlrecht, das die Wähler nach ihrem Einkommen und gesellschaftlichen Stand unterteilte und damit auch diskriminierte, abgeschafft. De facto aber blieben die Standesgrenzen bestehen und sind, seien wir mal ehrlich, auch heute gelegentlich spürbar.

Walther Rathenaus deutliche Worte

Was aber machten Menschen, die zu viel Geld gekommen waren und unbedingt einen Titel oder Orden oder beides haben wollten? Sie kauften sich einen in der Hoffnung, am kaiserlichen Hof und in der High Society empfangen und dadurch gesellschaftlich aufgewertet zu werden. Selbstverständlich konnte man nicht bei der Generalordenskommission in Berlin und anderen Behörden den Antrag für Titel und Orden stellen, mit denen man sich über seinesgleichen erheben und herumprotzen konnte. Man brauchte Gönner und Fürsprecher, und man musste tief in die Tasche greifen. Geld öffnete manche Türen und half, Standesschranken zu überwinden. Ob ein Kohlenhändler, der sich für große Summen einen Titel und/oder Orden verschafft hatte, tatsächlich von der Berliner Crème de la Crème ästimiert wurde, muss bezweifelt werden, denn diese blieb gern unter sich und nahm die Gegenwart eines reichen "Koofmich", also Kaufmanns, mit blitzendem Ordensstern auf dem Frack oder einem goldenem Kreuz am Hals nur knurrend hin, wenn überhaupt.

Die Sucht nach Titeln und Orden war in der regierungskritischen Presse der Kaiserzeit sowie in Erzählungen und Romanen ein beliebtes Thema, dessen sich auch Satirezeitschriften wie der Münchner "Simplicissimus" mit Wonne annahmen. Eine glaubhafte Schilderung seiner Zeit hat Walther Rathenau, Industrieller und Außenminister der frühen Weimarer Republik, in seinem Buch "Der Kaiser" aus dem Jahr 1919 verfasst. Darin beschreibt er den ersten Mann des Deutschen Reichs als Bezauberer und Gezeichneten, als zerrisse Natur, die den Riss nicht spürt, und als einen, der dem Verhängnis entgegen geht. Er, Rathenau, habe Wilhelm II. als einen Mann erlebt, der mit sich selbst kämpft, als "eine ahnungslos gegen sich selbst gerichtete Natur." Der 1922 von Rechtsextremen ermordete Industrielle und Politiker schrieb an anderer Stelle, man hatte gelernt, den Smoking zu tragen, doch der sei auch nur eine Uniform gewesen. Man wollte mehr, man wollte sich von der Masse, vom Mittelstand und den Kleinbürgern unterscheiden und verlangte nach Titeln und Orden. "Wilhelm II. machte, um Museen zu füllen, Ausgrabungen ermöglichen und Laboratorien einrichten zu können, das Großkapital mobil. Er zog, oft mit kräftig nachhelfendem Zerren, Stifter und Mäzene herbei", was Rathenau dankbar registriert. Man müsse es loben, "dass er rührig und ungeniert, um ideelle Zwecke zu fördern, hartnäckig Geldschränke zu öffnen verstand. Aber die Widerspenstigen wurden mit Hilfe von allerlei Verlockungen gezähmt, erzwungenes Mäzenatentum wurde mit Titeln und Ehren bezahlt."

In Deutschland habe es kaum noch einen Titel gegeben, der nicht käuflich war, schrieb Rathenau weiter. Vor den mit Geld beladenen Eseln öffnete sich das Tor. Für den Titel eines preußischen Kommerzienrats habe man 75 000 Mark zahlen müssen, kleinere Einzelstaaten hätten mit 30 000 Mark weniger verlangt. "Die Ernennung zum Hofrat, zum Baurat, zum Professor, alles war zu haben, alles wurde angeboten, für jeden Geschmack war gesorgt, jedes Stück in diesem Bazar hatte seine Liebhaber, und gewandte Vermittler beschäftigten sich mit dem Vertrieb der Ware, setzten die Bittschriften auf und regelten den Barverkehr. Marie von Bunsen, gewiss keine perfide Umstürzlerin, erzählt in ihren Erinnerungen, die unter dem Titel "Die Welt, in der ich lebte" erschienen, dass eine einflussreiche Palastdame, eine kleine verwachsene Person, blutarm zur damaligen Prinzessin von Preußen kam und am Ende ihres Lebens ein beträchtliches Vermögen besaß. Sie ,befürwortete Adels- und Ordensauszeichnungen sowie Kommerzienratstitel', und vor allem ,blühte ihr Weizen am Rhein, dort war sie eine Macht'".

Aus anderen Schilderungen wissen wir, dass Kaiserin Auguste Viktoria, die Gemahlin Wilhelms II., nicht wählerisch war, wenn es darum ging, Geld für ihr Hobby, den Kirchenbau, zu aquirieren. Für "Kirchenjuste", wie sie im Volksmund hieß, war es uninteressant, woher die "Spenden" kamen, Hauptsache sie waren groß. Je nach Höhe konnten ebenso reiche wie eitle Katholiken, Protestanten oder Juden mit wohlklingenden Titeln und Orden, ja manchmal auch mit einem Adelsdiplom rechnen. Selbstverständlich wurden die Hintergründe solcher Ehrungen nicht erwähnt, jedoch gelegentlich in den damaligen Medien süffisant kommentiert.

1. Mai 2018

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