Kaiserliches Säbelrasseln
"Wilhelm der Plötzliche" ging unrühmlich durch gefährliche Donnerworte und utopische Versprechungen in die Geschichte ein



Dass der Kaiser einen chinesischen Prinzen zum Kotau zwang, mag ihn befriedigt haben, kam aber in der Öffentlich nicht gut an.



Großspurig verkündete "Wilhelm Imperator" am 25. August 1910: "Als Instrument des Herrn Mich betrachtend, ohne Rücksichtnahme auf Tagesansichten und -meinungen, gehe Ich Meinen Weg, der einzig und allein der Wohlfahrt und der friedlichen Entwicklung unseres Vaterlandes gewidmet ist."



Karikaturisten hatten im Ausland keine Mühe, den deutschen Kaiser und König von Preußen als Blutsäufer darzustellen, im Inland handelte man sich damit ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung ein.



Wilhelm II., der von 1888 bis 1918 regierte, drückte einer ganzen Epoche seinen Stempel auf. Das Mosaik in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zeigt ihn rechts mit seiner Gemahlin sowie seinen Vorfahren.



Die englische Karikatur von 1890 zeigt, dass der junge Kaiser zum Entsetzen der anderen Mächte das europäische Gleichgewicht in Wanken bringt.



Das Gemälde zeigt die deutsche Kriegsmarine, für deren Aufbau sich der Kaiser stark gemacht hat, weil er zu wissen glaubte, dass Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liegt. (Foto/Repros: Caspar)

Kaiser Wilhelm II. hat durch Säbelrasseln und gefährliche Donnerworte immer wieder unangenehm auf sich aufmerksam gemacht und im In- und Ausland viel Spott geerntet. In Reden und Trinksprüchen wie "Das Pulver trocken, das Schwert geschliffen, das Ziel erkannt und die Schwarzseher verbannt" oder, an seine Soldaten gewandt, "Ihr müsst bereit sein, Tag und Nacht euer Leben in die Schanze zu schlagen, euer Blut vergießen für euren König" gab er die Richtung seiner auf Konfrontation mit den anderen Großmächten und den Kampf gegen innere Gegner ausgerichteten Politik an. Er erwarte, sagte er im Jahr 1900 anlässlich eines Streiks der Straßenbahnangestellten, "dass beim Einschreiten der Truppen mindestens fünfhundert Leute zur Strecke gebracht werden." Obwohl solche Forderungen oft in kleinem Rahmen erhoben wurden, war bei der Durchlässigkeit und Geschwätzigkeit am kaiserlichen Hof klar, dass sie schnell an die Öffentlichkeit gelangten und sofort von der Opposition mit heftigen Gegenreaktionen bedacht wurden. Das galt auch für den Standpunkt des sich gelegentlich volkstümlich gebenden, seine Untertanen stets mit "Du" statt mit "Sie" anredenden Herrscher, in Ansehung der politischen Zustände sei die "Kompottschüssel für den Arbeiter" voll". Mit anderen Worten sah der Kaiser keine Möglichkeit, deren prekäre Lage des "Volkes" durch humanitäre Zugeständnisse sowie demokratische Beteiligung an der Macht durch Reformierung des Wahlsystems zu erleichtern.

Berühmt und berüchtigt wurde der auch als "Wilhelm der Plötzliche" verulkte Monarch unter anderem durch seine am 27. Juli 1900 in Bremerhaven gehaltene Hunnenrede. Deren Wortlaut ist durch das Stenogramm eines Journalisten erhalten, während die Reichsregierung nur eine entschärfte Fassung der Ansprache an das nach China zur Niederschlagung des Boxeraufstandes entsandte deutsche Expeditionscorps verbreiten ließ. Die Boxer genanten Mitglieder des chinesischen Geheimbundes "Fäuste der Rechtlichkeit und Eintracht" hatten sich gegen die weißen Kolonialherren im Reich der Mitte verschworen und wurden von den Großmächten grausam bekämpft. Offizieller Anlass für die Entsendung deutscher Soldaten nach China war die Ermordung des Gesandten Clemens von Ketteler am 11. April 1900 in Peking. Im Krieg gegen die Boxer unterlag China. Das Reich der Mitte musste 1901 im so genannten Boxerprotokoll die Ansprüche der europäischen Mächte auf chinesisches Territorium anerkennen. Dem Deutschen Reich gelang es, einige Stützpunkte am Gelben Meer für sich zu sichern.

Chinesischer Kotau im Neuen Palais

Nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes durch die alliierten Mächte begannen in Peking langwierige Friedensverhandlungen, die am 7. September 1901 mit der Unterzeichnung des so genannten Boxer-Protokolls abgeschlossen wurden. Artikel 1 dieser Friedensvereinbarungen bestimmte, dass die chinesische Seite eine Sühnegesandtschaft nach Deutschland schickt. Geleitet von dem kaiserlichen Prinzen ersten Ranges Chun II., einem Bruder des regierenden Kaisers, wurde die Delegation von Wilhelm II. im Grottensaal des Neuen Palais zum Kotau empfangen. Die damalige Presse berichtete, dass sich der Kaiser ohne den Helm abzunehmen und mit Marschallstab in der Hand auf dem Throne niederließ und "mit tiefernster Miene" den jugendlichen Prinzen betrachtete, der sich mit tiefer Verbeugung näherte und kostbare Geschenke entgegen nahm. Wilhelm II., durch politische und militärische Meriten nicht gerade verwöhnt, durfte sich in der Sonne eines Siegers fühlen. Ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit nahm die Szene mit Entsetzen zur Kenntnis.

Die Forderungen des Kaisers an seine nach China entsandten Truppen fanden ein großes, für ihn aber wenig schmeichelhaftes Echo. Was er tatsächlich erklärt hat, steht nicht ganz korrekt fest, denn es gibt verschiedene veröffentlichte Versionen. Eine lautet: "Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer Euch in die Hände fällt, sei in Eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!" Unverhohlen forderte Wilhelm II. seine Soldaten auf, Chinesen zu töten, wo immer sie vor die Gewehre kommen, und auch keine Gefangenen zu machen.

Platz an der Sonne

Heute ist kaum noch bekannt, dass Wilhelm II. seine Untertanen mit verbalen Attacken ängstigte oder, je nach politischem Standpunkt und Bindung an das Herrscherhaus, begeisterte. Dem Kaiser entfuhren in seiner Rede über Deutschlands "Platz an der Sonne" hier unrealistische Verheißungen für eine Zeit in Glanz und Gloria und dort dunkle Drohungen an ausländische Mächte. Manche Aussprüche waren verbale Entgleisungen spontaner Art, bei anderen war die innen- und außenpolitische Wirkung durchaus berechnet. Wer sich ihm in den Weg stellt, der wird nichts zu lachen haben, kündigte der Kaiser 1890 in der so genannten Zerschmetterer-Rede an. Der Kernsatz daraus lautet: "Ich gedenke, nach Kräften mit dem Pfunde so zu wirtschaften, dass Ich noch manches andere hoffentlich werde darzulegen können. Diejenigen, welche Mir dabei behilflich sein wollen, sind mir von Herzen willkommen, wer sie auch seien; diejenigen jedoch, welche sich Mir bei dieser Arbeit entgegenstellen, zerschmettere Ich."

Um die zum Teil verheerende Wirkung der kaiserlichen Reden abzuschwächen, setzten offizielle Regierungsstellen redigierte Fassungen in Umlauf. Historiker haben sich die Mühe gemacht und die Versionen untereinander verglichen. Die meisten geben nur unvollständig wieder, was der Kaiser wirklich gesagt hat. Bei einer Rede in Hamburg am 18. Juni 1901, im zweihundertsten Jahr des Bestehens des preußischen Königtums, teilte er der Welt mit: "Wir haben uns, trotzdem wir noch keine Flotte haben, so wie sie sein sollte, einen Platz an der Sonne erkämpft. Nun wird es Meine Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass dieser Platz an der Sonne uns unbestritten erhalten bleibt, damit ihre Strahlen befruchtend wirken können auf Handel und Wandel nach außen, Industrie und Landwirtschaft nach innen und auch auf den Segelsport in den Gewässern, denn unsere Zukunft liegt auf dem Wasser." Unbekümmert beim Verbreiten seiner Visionen, ließ der Monarch 1892 den brandenburgischen Landtag wissen: "Brandenburger, zu Großem sind wir noch bestimmt, und herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen." Diese Worte musste sich der Kaiser vorhalten lassen, als das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg nicht mehr gewinnen konnte, das Land in Chaos zu versinken drohte und er selber seine Krone verlor.

Mit Bajonetten gegen Freche und Unbotmäßige

Bei seinen Standesgenossen eckte der Monarch immer wieder durch seine unbedachten, ja dämlichen Redereien an, und so trug er sich, wenigstens in britischen Hofkreisen, wen wenig schmeichelhaften Titel "Wilhelm the witless" (Wilhelm der Dusslige, Einfältige, Dumme) ein, was diesem natürlich hinterbracht wurde und die Abneigung gegenüber König Edward VII., seinem Neffen, steigerte. Dass man sich dessen ungeachtet besuchte, die Form beachtete und Generals- und Admiralsuniformen der jeweils anderen Seite trug, änderte nichts daran, denn einmal gesagt war gesagt.

Als 1901 die Zweihundertjahrfeier der "Erhebung" der Kurfürsten Friedrich I. zum König Friedrich I. "in" Preußen gefeiert wurde, erklärte Wilhelm II. vor dem Kaiser-Alexander-Garde-Regiment mit Blick auf die Revolution von 1848 in Berlin: "Und wenn jemals wieder in dieser Stadt eine Zeit wie damals kommen sollte, eine Zeit der Auflehnung gegen den König, dann, davon bin ich überzeugt, wird das Regiment Alexander alle Unbotmäßigkeit und Ungehörigkeit in die Schranken zurückweisen." Abweichend von dieser noch recht milden Formulierung publizierte der sozialdemokratische "Vorwärts" das, was der Kaiser so gesagt haben soll, dämlich dass er von seinen Grenadiere dazu berufen sind, mit der Spitze ihrer Bajonette "die Frechen und Unbotmäßigen zu Paaren zu treiben", womit in die Flucht treiben gemein war. Die so genannte Bürgerkriegsrede löste eine heftige Debatte aus und wurde im In- und Ausland als erbärmlich und bedauerlich kritisiert, was den kaiserlichen Redner, der sich nur von Feinden und missgünstigen Personen umgeben glaubte und davon überzeugt war, dass er nur das "Beste" für sein Land und Volk tun, nicht davon abhielt, bei der nächsten Gelegenheit ähnlich auf die Pauke zu hauen.

Mitunter hatte der Monarch Anlass, sich über die innere Sicherheit Sorgen zu machen. Die Sozialdemokratie machte mobil und forderte eine strikte Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der zum Teil bedrückenden Lebensverhältnisse des Proletariats. Indem er seine Soldaten auf unbedingte Treue und Gehorsam einschwor, forderte er von ihnen: "Es gibt für Euch nur einen Feind, und das ist auch mein Feind. Bei den jetzigen sozialistischen Umtrieben kann es vorkommen, dass ich Euch befehle, Eure eigenen Verwandten, Brüder, ja Eltern niederzuschießen - was ja Gott verhüten möge - aber auch dann müsst Ihr Meine Befehle ohne Murren befolgen."

Kampf gegen Rinnsteinkunst

Da sich der Kaiser als oberste Instanz in Sachen Kunst und Architektur verstand und mit breitem Stift und schwungvoller Handschrift bestimmte, was gemalt und gebaut wurde, nimmt es nicht Wunder, dass er mit seinen Befehlen daneben lag. Bei der Fertigstellung der die Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preußen sowie Kaiser Wilhelm I. verherrlichenden Berliner Siegesallee erklärte er: "Die Pflege der Ideale ist zugleich die größte Kulturarbeit, und wenn wir hierin den anderen Völkern ein Muster sein und bleiben wollen, so muß das ganze Volk daran mitarbeiten, und so soll die Kultur ihre Arbeit voll erfüllen, dann muß sie bis in die untersten Schichten des Volkes hindurchgedrungen sein. Das kann sie nur, wenn die Kunst die Hand dazu bietet, wenn sie erhebt, statt dass sie in den Rinnstein niedersteigt." Die der Moderne verpflichteten Künstler nahmen die auch in regierungsamtlichen Verlautbarungen verbreitete Kritik wörtlich und bezeichneten sich selbstbewusst als Rinnsteinkünstler.

Am Beginn des Ersten Weltkriegs gab der Kaiser die Parole "Ich kenne keine Parteien mehr, kenne nur noch Deutsche" aus. Als Freund markiger Worte sorgte er dafür, dass dieses in schwungvoller Handschrift verfasste Zitat in der Presse und auf Postkarten, verbunden mit seinem Bildnis, bis in den letzten Winkel des Reiches verbreitet wurde. Mit der Losung wollte der machtbewusste Herrscher sagen, dass von jetzt ab Schluss ist mit Opposition im Reichstag und Kritik an seiner Politik. Der Spruch kam überwiegend gut an. Viele Menschen im Reich unterdrückten ihre Abneigung gegenüber allem, was nach "Preußen" roch und stellten sich hinter ihr Oberhaupt. In Berlin nahm der in Feldgrau gekleidete Monarch die Huldigungen seiner Untertanen mit den Worten entgegen "Nun empfehle Ich Euch Gott, geht in die Kirchen, kniet nieder und bittet um Hilfe für unsere Soldaten".

Vom Erhabenen zum Lächerlichen

Auf Wilhelm II. trifft das Wort von Napoleon I. nach dem Desaster seiner Grande Armée im eiskalten Russland (1812/13) "Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein kleiner Schritt" zu. Freunde und Mitarbeiter des deutschen Kaisers hatten Mühe, ihn vor sich selbst, vor Lächerlichkeit und vor den Fettnäpfchen zu bewahren, die überall aufgestellt waren und in die er mit schlafwandlerischer Sicherheit trat. Der von seinem Gottesgnadentum überzeugte Monarch war felsenfest der Meinung, dass sein Wille oberstes Gesetz ist. Gern zitierte er die Großen der Geschichte, Bismarck etwa, den er 1890 aus dem Amt des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten gedrängt hatte, weil der dem "persönlichen Regiment" des zwei Jahre zuvor nach dem Tod Friedrichs III. gelangten Kaisers im Wege stand. In einem Trinkspruch betonte Deutschlands oberster Repräsentant frei nach Otto von Bismarck "Wir Deutsche fürchten Gott und sonst absolut nichts und niemanden auf der Welt". Der Reichskanzler hatte am 6. Februar 1888 im Reichstag betont: "Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst niemand auf der Welt, und diese Gottesfurcht ist es, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt". In der kaisertreuen Propaganda und Huldigungen, die man Bismarck zukommen ließ, wurde der zweite, auf die Pflege friedlicher Beziehungen unter den Völkern zielende Teil des Ausspruchs weggelassen.

3. August 2018



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