Ut mine Festungstid
Fritz Reuter kam in Stavenhagen, Neubrandenburg und Eisenach auf hohe Sockel





Vor dem ihm gewidmeten Literaturmuseum am Markt in Stavenhagen schaut Fritz Reuter interessiert in ein dickes Buch. Zu der Anlage gehören kleine Reliefs mit Szenen aus dem Leben und Werk des niederdeutschen Dichters. Dieses zeigt ihn während seiner Festungshaft und wie der Kerkermeister, kenntlich an den Schlüsseln in der Hand, den Gefangenen Fritz Reuter behandelt.





Auch in Neubrandenburg hat Fritz Reuter auf einem hohen Sockel Platz genommen. Dort zeigt der Brunnen von 1923 aus Muschelkalkstein, wie sich eine resolute Frau mit Herzog Adolf Friedrich IV., genannt Dörchläuchting, anlegt, der ihr noch Geld schuldet. (Fotos: Caspar)

Mit der Enthüllung des Fritz-Reuter-Denkmals am 12. Juli 1911 in Stavenhagen wurde ein Künstler rehabilitiert, der in jungen Jahren als Rebell gegen die feudale Ordnung in Preußen zum Tode verurteilt, jedoch begnadigt und zu einer hohen Zuchthausstrafe wurde. Das Denkmal ehrt zugleich einen Mecklenburger, der in jungen Jahren unter der Enge und Bevormundung in der eigenen Familie litt und im Alter als erfolgreicher Schriftsteller verehrt wurde. Erstaunlich ist, dass sich auch führende Kreise in beiden mecklenburgischen Großherzogtümern für das Denkmal einsetzten, obwohl sich Reuter mit seiner schwierigen politischen Vergangenheit kritisch und satirisch mit den Verhältnissen seiner Heimat auseinandergesetzt und einen der Herzöge, Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz, der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Der aus Plau am See stammende Bildhauer Wilhelm Wandschneider stellt seinen Landsmann Fritz Reuter in nachdenklicher Pose sitzend mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Schoß dar. Der Sockel ist mit Reliefplatten mit Szenen aus Reuters dichterischem Werk geschmückt. Zu erkennen sind Szenen aus Läuschen un Rimels, Reis' nah Belligen, Kein Hüsung, Hanne Nüte, Festungstid, Stromtid und Dörchläuchting.

Aufgestellt ist das Bronzedenkmal vor dem Rathaus von Stavenhagen Hier wurde der niederdeutsche Dichter im Jahr 1810 als Sohn eines ebenso strengen wie tüchtigen Bürgermeisters geboren wurde, und hier ist seit 1949 das Fritz-Reuter-Literaturmuseum untergebracht. Da Reuters Vater die musischen Ambitionen seines Sohnes gegen den Strich gingen, der gern Maler geworden wäre, blieben Konflikte nicht aus. Der Junge erhielt eine gediegene Ausbildung erst auf der Gelehrtenschule in Friedland und dann auf dem Gymnasium in Parchim. 1831 musste Fritz Reuter in Rostock ein Jurastudium aufnehmen, doch wich er alsbald nach Jena aus, weil er die Beobachtung und Bevormundung durch seinen Vater nicht mehr ertrug.

Läuschen un Rimels

Da sich der Student der damals als aufrührerisch eingestuften Burschenschaft anschloss, bekam er es mit der feudalen Obrigkeit zu tun. 1833 wurde der Dreiundzwanzigjährige in Berlin als "Demagoge" und wegen angeblicher staatsfeindlicher Tätigkeit angeklagt und zum Tode verurteilt, nicht aber hingerichtet, weil der preußische König Friedrich Wilhelm III. die Strafe in eine dreißigjährige Festungshaft umgewandelt hatte. Davon saß Reuter an verschiedenen Orten sieben Jahre ab, wurde im Jahr 1840 von Friedrich Wilhelm IV. anlässlich seiner Thronbesteigung amnestiert und aus der Festung Dömitz entlassen. Hier erinnern eine Gedenkhalle und ein mit einer Inschrift versehener Findling an den berühmten Gefangenen, der sich nach seiner Freilassung als Landwirtschaftsgehilfe und Privatlehrer in Altentreptow durchschlug. In dieser Zeit veröffentlichte er seinen ersten Schriften im "Mecklenburgischen Jahrbuch für alle Stände" und schrieb in hochdeutscher Sprache die Erzählung "Herr von Hakensterz und seine Tagelöhner".

Indem Fritz Reuter die Laufbahn eines dann fast ausschließlich in niederdeutscher Sprache publizierenden Schriftstellers einschlug, brachte er es bald zu Ruhm und Wohlstand. Endlich konnte er sich von seinem eigenen "Übervater" lösen. Die Gedichtsammlung "Läuschen un Rimels" erschien 1853 im Selbstverlag und wurde ein großer Erfolg. Der Autor wurde wirtschaftlich unabhängig und ließ sich 1856 als freier Schriftsteller in Neubrandenburg nieder. In den Neubrandenburger Wallanlagen nicht weit vom Bahnhof steht seit 1893 ein von Martin Wolff geschaffenes Reuter-Denkmal. Der Schriftsteller ist sitzend und als freundlicher und kritischer Beobachter der Menschen zu seinen Füßen dargestellt. Das Denkmal erinnert daran, dass der niederdeutsche Dichters von 1856 bis 1863 in Neubrandenburg gelebt hat. Hier entstanden Bücher wie "Kein Hüsung" (1857) und "Ut de Franzosentid" (1859), in denen die zum Teil erdrückenden Zustände in seiner mecklenburgischen Heimat eindrucksvoll geschildert werden, ferner "Hanne Nüte un de lütte Pudel" (1860) und "Schurr Murr" (1861). In den autobiographischen Romanen "Ut mine Festungstid" (1861) und "Ut mine Stromtid" (Teil 1, 1862) verarbeitete Reuter seine Erlebnisse als Festungssträfling beziehungsweise während seiner unruhigen Wanderjahre als junger Mann. Der Dichter bezeichnete seine Neubrandenburger Jahre als die glücklichsten seines Lebens ungeachtet heftiger Angriffe auf sein literarisches Schaffen. So wurde ihm mit Blick auf "Kein Hüsung" unterstellt, eine gottlose Gesinnung zu haben und der menschlichen und göttlichen Autorität Hohn zu sprechen.

Der 1923 von Wilhelm Jäger geschaffene Mudder-Schulten-Brunnen aus Muschelkalk dem Neubrandenburger Reuter-Denkmal gegenüber bezieht sich auf eine Episode in Reuters Humoreske "Dörchläuchting", in der die resolute Neubrandenburger Bäckersfrau Mudder Schulten den von Angst und Aberglauben gepackten Herzog Adolf Friedrich IV. von Mecklenburg-Strelitz auffordert, die Rechnung für Backwaren zu bezahlen, die sie zwei Jahre lang dem Hof geliefert hat. Da sich aber die "kleine Durchlaucht" beim Bau eines Palais in Neubrandenburg verausgabt hatte, war er nicht mehr imstande, Mudder Schulten zu bezahlen, worauf es auf offener Straße zu einem, durch die Brunnenfiguren dargestellten heftigen Wortwechsel kam. Die Inschrift "Impertinentes Frauensmensch! Rep hei un stödd ehr de Reknung ut de Hand" (hochdeutsch etwa "Impertinentes Frauensmensch, rief er aus und riss ihr die Rechnung aus der Hand") ist ein Zitat aus Reuters Roman. Ursprünglich stand der Brunnen vor dem Neubrandenburger Marktplatz vor dem Rathaus, nach dessen Zerstörung am Ende des Zweiten Weltkriegs kam er an seinen jetzigen Platz. Auch Rostock besitzt an der Goerdelerstraße/Reuterpassage ein Fritz-Reuter-Denkmal aus Bronze. Von Thomas Jastram gestaltet und 1992 aufgestellt, zeigt es den Dichter stehend mit einer selbstbewusst in die Seite gestemmten linken Hand.

Übersiedlung nach Eisenach

Nach seiner Übersiedlung 1863 nach Eisenach vollendete Reuter den dritten Teil seines Buches "Ut mine Stromtid" (1864) und brachte 1866 die schon erwähnte Satire "Dörchläuchting" heraus. Der Schriftsteller war nun ein gemachter Mann, besaß sogar eine Villa unterhalb der Wartburg und konnte sich seiner Verehrer kaum erwehren. Das repräsentative Wohnhaus ist Gedenkstätte und Museum sowohl für Fritz Reuter als auch für Richard Wagner, und zwar deshalb, weil Reuters Nachlassverwalter auch ein großer Verehrer des Komponisten war. Reuters in Eisenach verfasstes Fragment "De Urgeschicht von Meckelnborg" wurde 1874 nach seinem Tod veröffentlicht, eine Satire des Doktors h. c. der Universität Rostock auf die hinterwäldlerischen Zustände in Mecklenburg.

Erwähnt sei, dass in Jena mit einer von Ernst Paul geschaffenen Büste in der Goetheallee an Fritz Reuter erinnert wird, allerdings nicht mit einem Bildnis als Burschenschafter, sondern mit einer repräsentativen Darstellung als bereits arrivierter Schriftsteller. Zwar erinnert ein von Adolf von Donndorf geschaffenes und 1883 aufgestelltes Burschenschaftsdenkmal im Jenaer Fürstengraben nicht ausdrücklich des Dichters, doch sollte man beim Anblick des eine Fahne haltenden Studenten in "altdeutscher" Tracht auch an den rebellischen Studenten aus Stavenhagen denken.

18. Januar 2018



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