Bundesjustizministerium stellt sich seiner Vergangenheit
Ausstellung im Leipziger Bundesverwaltungsgericht dokumentiert, wie nach 1945 ehemalige Nazijuristen weiter Karriere machen konnten





Das 1885 bis 1895 als Reichsgericht erbaute heutige Bundesverwaltungsgericht war in DDR-Zeiten Georgi-Dimitroff-Museum zur Erinnerung an den Reichstagsbrandprozess und das mutige Auftreten des bulgarischen Kommunisten Dimitroff 1934 sowie Museum der Bildenden Künste.



In der Haupthalle ist bis zum 20. September 2018 die Ausstellung über das Weiterwirken von NS-Juristen im Bundesjustizministerium zu sehen.





Was sich nach 1949 der eine Burg gestalteten Bonner Fabrikantenvilla nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der Naziherrschaft zutrug, ist Gegenstand einer kritischer Bestandsaufnahme sowie aktuell einer Wanderausstellung des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz. Das unter Denkmalschutz stehende Anwesen wird heute nach etlichen Umbaumaßnahmen als Wohnanlage genutzt



Eifrige, auf ihre Karriere bedachte Helfer der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz stellten sich der jungen Bundesrepublik zur Verfügung und wurden gern als Fachleute eingestellt. Nur in wenigen Fällen hat das Volk sie nicht gerichtet, schon garnicht wie auf dem Plakat von John Heartfield mit dem Henkerbeil, unter dem viele Antifaschisten und sonstige "Unliebsame" sterben mussten.



Während die Freien Demokraten einen Schlussstrich unter die Vergangenheit forderten, versprach Bundeskanzler Konrad Adenauer bei einer Bundestagswahl, dass es unter seiner Regierung keine Experimente geben wird. (Fotos/Repros: Caspar)

Leipzig besitzt viele imposante Bauwerke, so die Nikolai- und die Thomaskirche, zahllose Bürger- und Messehäuser mit herrlichen Passagen, das 1913 eingeweihte Völkerschlachtdenkmal und den ebenfalls aus der Kaiserzeit stammenden Bahnhof, das Alte und das Neue Rathaus, die Deutsche Bücherei und nicht zuletzt das heutige Bundesverwaltungsgericht. In der Haupthalle des nach Plänen von Ludwig Hoffmann und Peter Dybwad errichteten, innen und außen üppig dekorierten Justizpalastes wird bis zum 20. September 2018 die Wanderausstellung "Die Rosenburg - Das Bundesjustizministerium im Schatten der NS-Vergangenheit" ist Teil der vom Ministerium mit großem Nachdruck seit einigen Jahren betriebenen Aufarbeitung seiner nationalsozialistischen Vergangenheit.

Das Ministerium, damals von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) geleitet, hatte 2012 eine Unabhängige Wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die den Umgang der Behörde mit seiner NS-Vergangenheit in den Anfangsjahren der Bundesrepublik erforschte und ungeheuerliche Tatsachen ans Tageslicht brachte. Vier Jahre später erschien der von dem Historiker Manfred Görtemaker und dem Juristen Christoph Safferling verfasste Abschlussbericht "Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit". Das Buch und die Ausstellung im Bundesverwaltungsgericht legen mit Namen und Fakten, dass Führungspositionen des Ministeriums sowie Abteilungs- und Referatsleiterposten mit tiefbraunen, in einigen Fällen nachweisbar blutbesudelten Juristen besetzt waren. 76 Prozent des in der Bonner Rosenburg tätigen Führungspersonals gehörten der NSDAP an, und 20 Prozent waren SA-Mitglieder.

Kein demokratischer Aufbruch

Justizministerin Katarina Barley stellt in der Broschüre zur Ausstellung fest, die in der "Akte Rosenburg" vorgelegten Ergebnisse seien erschreckend und beschämend. "Die Wiedererrichtung des Rechtsstaates und der Schutz der Verfassung wurden Juristen anvertraut, die mehrheitlich in das NS-Regime verstrickt waren. […] Zahlreiche frühere NS-Funktionäre setzten auf der Rosenburg ihre Karrieren ohne Schwierigkeiten fort, weil sie sich als unpolitische Rechtstechniker verstanden und auch als solche akzeptiert wurden. Ihre Vergangenheit wurde kollektiv beschwiegen. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie fand nicht statt. Von diesen Beamten ging kein demokratischer Aufbruch aus. Vielfach bestimmte rückwärtsgewandtes Denken ihr Wirken."

In der Ausstellung sowie den Büchern und Dossiers, die ihr als Grundlage dienten, werden als Beispiele die Diskriminierung und Verfolgung von Homosexuellen sowie von Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland genannt. Der Bundesgerichtshof lehnte 1956 die Entschädigung von verfolgten und ermordeten Sinti und Roma beziehungsweise ihrer Familienangehörigen ganz in der Diktion der nationalsozialistischen Rassegesetze und der Befehle von Reichsführer SS Heinrich Himmler mit dieser Begründung ab: "Da die Zigeuner sich in weitem Maße einer Sesshaftmachung und damit der Anpassung an die sesshafte Bevölkerung widersetzt haben, gelten sie als asozial." Wie primitiven Urmenschen sei ihnen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen. Die Gesellschaft müsse vor ihren sozialschädlichen, auf eigentümlichen Gruppeneigenschaften beruhenden Handlungen geschützt werden. Es dauerte lange, bis sich die Bundesdeutsche von dieser "Rechsprechung" distanzierte. An die Leiden und den Tod unzähliger Homosexueller sowie Sinti und Roma erinnern mittlerweile im Berliner Tiergarten zwei Denkmäler.

Rückendeckung von ganz oben

Die Ausstellung schildert, mit welch perfiden Methoden und von "ganz oben", das heißt von der Bundesregierung ermuntert und gedeckt, versucht wurde, über die Vergangenheit den Mantel der Nächstenliebe, Milde und Nachsicht zu breiten und einen Schlussstrich zu ziehen, mit anderen Worten Nazi- und Kriegsverbrechen zu amnestieren. Bundeskanzler Konrad Adenauer, der vom NS-Regime seines Amtes als Kölner Oberbürgermeister enthoben und von ihm verfolgt, wenn auch nicht vor Gericht gestellt wurde, sagte in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949: "Niemand kann bei uns, wie das im nationalsozialistischen Reich der Fall war und wie es jetzt noch in weiten Teilen Deutschlands, in der Ostzone, zu unserem Bedauern der Fall ist, durch Geheime Staatspolizei oder ähnliche Einrichtungen der Freiheit und des Lebens beraubt werden. Diese Güter: Rechtsschutz, Schutz der persönlichen Freiheit, die wir lange Jahre nicht besaßen, sind so kostbar, dass wir trotz allem, was uns noch fehlt, uns darüber freuen müssen, dass wir diese Persönlichkeitsrechte wieder besitzen. […] Wir werden das Beamtenrecht neu ordnen müssen. Wir stehen grundsätzlich und entschlossen auf dem Boden des Berufsbeamtentums. Durch die Denazifizierung ist viel Unglück und viel Unheil angerichtet worden. Die wirklich Schuldigen an den Verbrechen, die in der nationalsozialistischen Zeit und im Kriege begangen worden sind, sollen mit aller Strenge bestraft werden. Aber im Übrigen dürfen wir nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland unterscheiden: die politisch Einwandfreien und die Nichteinwandfreien. Diese Unterscheidung muss baldigst verschwinden. Der Krieg und auch die Wirren der Nachkriegszeit haben eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, dass man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen muss. Es wird daher die Frage einer Amnestie von der Bundesregierung geprüft werden, und es wird weiter die Frage geprüft werden, auch bei den Hohen Kommissaren dahin vorstellig zu werden, dass entsprechend für von alliierten Militärgerichten verhängte Strafen Amnestie gewährt wird. Wenn die Bundesregierung so entschlossen ist, dort, wo es ihr vertretbar erscheint, Vergangenes vergangen sein zu lassen, in der Überzeugung, dass viele für subjektiv nicht schwerwiegende Schuld gebüßt haben, so ist sie andererseits doch unbedingt entschlossen, aus der Vergangenheit die nötigen Lehren gegenüber allen denjenigen zu ziehen, die an der Existenz unseres Staates rütteln, mögen sie nun zum Rechtsradikalismus oder zum Linksradikalismus zu rechnen sein."

Oberflächliche Entnazifizierung

Bereits 1951 wurde Adenauers Ziel umgesetzt, die Beamten und Angestellten des NS-Staats in die neue Verwaltung zu integrieren. Ihnen wurde der Anspruch zugesichert, wieder beschäftigt zu werden, ausgenommen so genannte Hauptschuldige und Schuldige. Dafür, dass sie einen Anteil von nur 1,4 Prozent der überprüften Personen ausmachten, sorgten die laschen Gesetze und das nachsichtige Prozedere dieser Nachforschungen. Die personelle Kontinuität bei der Besetzung von wichtigen Posten in dem Ministerium, aber auch die Arbeit ehemaliger Nazijuristen hat bis heute fatale Folgen. Viele Gesetze wurden nur oberflächlich "entnazifiziert", was dazu führte, dass dort bis heute Formulierungen und Ideen zu finden sind, die aus der NS-Zeit stammen. Oft waren die Verfasser in der jungen Bundesrepublik auch diejenigen, die an den Texten und Kommentaren ihnen schon während der Nazizeit gearbeitet haben. Das bekannteste Beispiel ist der im Bundeskanzleramt tätige Staatssekretär Hans Globke, der als Kommentator der Nürnberger Rassegesetze unrühmlich in Erscheinung trat und in den sechziger Jahren Ziel heftiger Angriffe in beiden deutschen Staaten war.

Bei Beförderungen und Neueinstellungen hat man in der Nachkriegszeit vor allem auf vermeintlich unpolitische Juristen und die bürokratische Effizienz der "Rechtstechniker" gesetzt. Offenkundig bewertete die Leitung des Bundesjustizministeriums den in der Nazijustiz gesammelten "Erfahrungsschatz" ihrer Beamten höher bewertet als eine konsequente rechtsstaatliche und antifaschistische, als irgendwie suspekt empfundene Haltung. Nicht nur hatten "alte Kameraden" wichtige Posten bei der Justiz besetzt, und nicht nur dort. Nach Nazi-Gegnern, die aus dem Exil zurückkehrten, wurde aktiv nicht gesucht, und es wurde vermieden, jüngere, weniger belastete Juristen einzustellen. Statt dessen setzte man unbekümmert auf die "Erfahrungen" der alten NS-Kader und lieferte sich ungewollt der DDR und SED aus, die mit verschiedenen "Braunbüchern" nachwies, wo Altnazis in der Bundesrepublik Deutschland an Schaltstellen der Politik, Verwaltung, Wirtschaft sowie im Kultur- und Geisteslebens sitzen. Im Westen wurden diese Bemühungen als "typisch kommunistische Propaganda" abgetan, doch als sich zeigte, dass an den meisten Fakten nichts zu rütteln ist, nahm die eine oder andere Person ihren Hut und versank im Orkus der Geschichte, eine fette Pension gern mitnehmend.

Das Thema Rosenburg ist nicht neu, bereits in früheren Publikationen haben Journalisten und Buchautoren wie Ralph Giordano und Jörg Friedrich die "kalte Amnestie" angeprangert. Ein Artikel im SPIEGEL Nummer 16/1968, den die Ausstellungsbroschüre im Faksimile abbildet, listete Naziverbrecher und ihre Untaten auf und schildert, wie bundesdeutsche Behörden an Vertuschungen und Verdrehungen der klar auf der Hand liegenden Tatsachen beteiligt sind. Niemand bei einigermaßen Verstand konnte angesichts der Enthüllungen behaupten, von nichts zu wissen. Als das Bundesjustizministerium 1973 die Bonner Rosenburg verließ und nach Bad Godesberg umzog, war das NS-belastete Personal weitgehend aus Altersgründen bereits ausgeschieden. Doch die Schatten der Vergangenheit existierten noch immer, wie die Diskussionen um Wiedergutmachung für die die wenigen noch lebenden Opfer von Zwangsarbeit und NS-Unrechtsjustiz beweisen. Dass am Ende die traurigen Tatsachen ans Tagesicht kamen, natürlich auch weitere Vorgänge ähnlicher Art in anderen Bundes- sowie in Landes- und kommunalen Behörden, ist unermüdlicher Forschung- und Aufklärungsarbeiten zu verdanken. Alle Beteiligten leisten einen wichtigen Beitrag zur vielzitierten Bewältigung der Vergangenheit. Der eingangs erwähnten Wanderausstellung darf man viel Erfolg und weiterhin ein großes Echo wünschen.

24. August 2018

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