Ein Ruck ging durch das Land
Der preußische Staatsbankrott nach der Niederlage gegen Frankreich von 1806 hatte gravierende Folgen



Das kriegerische Jahr 1806 brachte für Preußen viel Unglück, der Holzstich von Adolph Menzel zeigt Borussia beim Anblick eines nur aus der Jahreszahl bestehenden Menetekels.



Die im Sommer 1807 in Tilsit zwischen Napoleon I. und Alexander I. zur Schau getragene Freundschaft hielt nicht lange. Fünf Jahre später holte sich der Kaiser der Franzosen in Russland eine blutige Nase, und schon bald begannen die Befreiungskriege.



Friedrich Wilhelm III. und Zar Alexander schwören im Beisein der Königin Luise von Preußen am Sarg Friedrichs der Großen in der Potsdamer Garnisonkirche einander unverbrüchliche Treue.



Auf dem Sockel des Stein-Denkmals vor dem Berliner Abgeordnetenhaus wird geschildert, wie der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein seine Autorität nutzt, um die preußische Landwehr auf die Beine zu stellen.



Nach Jena und Auerstedt stand der französische Feind im Land. Für die sieggewohnten Preußen war das eine ungewohnte, schlimme Erfahrung. Das Original des Vertrags von Tilsit, der Preußen erhebliche Land- und Bevölkerungsverluste eintrug, befindet sich im Besitz des Geheimen Staatsarchivs Berlin.



Friedrich Wilhelm III. von Preußen (links vorn), Stein (zweiter von rechts) und weitere Protagonisten der Erneuerung Preußens bei der Diskussion über die Militärreform, Darstellung um 1900.



Weitblickende Staatsmänner brachten Friedrich Wilhelm III. dazu, wichtige Reformen zu genehmigen, hier Titelblatt eines königlichen Edikts von 1809 über die Auflösung der persönlichen Erbuntertänigkeit. (Fotos/Repros: Caspar)

Als sich der König von Preußen, der Kurfürst von Sachsen und andere deutsche Potentaten vor 200 Jahren in eine riskanten Krieg mit Frankreich einließen und dabei auf den russischen Zaren als Verbündeten setzten, gingen sie ein hohes Risiko ein. Mit Pauken und Trompeten verloren Friedrich Wilhelm III. von Preußen und seine Verbündeten die Schlacht von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806. Er und sein Hof flüchteten nach Memel an die preußisch-russische Grenze und geboten den entsetzten Berlinern "Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht." Kommandanten preußischer Festungen wie Spandau, Magdeburg und Küstrin nahmen die Aufforderung wörtlich und streckten die Waffen, ohne dass ein Schuss fiel.

Während die Untertanen des Preußenkönigs spotteten "Unser Dämel ist in Memel" und seine Gemahlin Luise noch die leise Hoffnung hegte, dass sich alles zum Guten wendet, zog Napoleon I., der siegreiche Kaiser der Franzosen, am 27. Oktober 1806 als Triumphator durch das Brandenburger Tor nach Berlin ein und diktierte Friedrich Wilhelm III. im Jahr darauf einen harte Friedensbedingungen. Dieser Tilsiter Frieden zwang Friedrich Wilhelm III. zur Abtretung erheblicher Landesteile. Preußen, das sich so lange auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen ausgeruht hatte, war keine europäische Großmacht mehr, ja der Bestand der Monarchie stand auf der Kippe. Man wusste, wie schnell der Franzosenkaiser Königreiche von der Landkarte streichen konnte, und was hätte ihn daran hindern können, dies auch mit dem Reich der Hohenzollern zu tun.

Bevölkerung galt es mitzunehmen

Die Franzosen machten sich überall breit, schrieben den Einheimischen ihre Normen vor, setzten Beamte ab und neue ein. Französische Stadtkommandanten ließen sich riesige Summen zahlen, und zwar privat, wenn sie auf Plünderungen verzichteten. Bald nach der Besetzung Preußens wurden auf Napoleons Befehl Gemälde, Skulpturen und andere Preziosen aus den Potsdamer und Berliner Schlössern nach Paris entführt. Unter dem Beutegut war auch die Quadriga vom Brandenburger Tor, die erst 1814 unter dem Jubel der Berliner wieder zurückkehrte.

Wie in dieser schier aussichtslosen Situation ging ein "Ruck" durch Preußen. Kluge Reformpolitiker versuchten, die Staatskrise durch "Mitnahme" der Bevölkerung zu überwinden. Preußen befand sich in einer prekären Finanzsituation, denn nach dem verlorenen Krieg mussten der Staat und seine Bürger Kontributionsleistungen an Frankreich in der unvorstellbaren Höhe von 140 Francs leisten. Dabei waren die Reserven waren bereits durch die vorausgegangene Kriege gegen das revolutionäre Frankreich erschöpft. In der nunmehr um die Hälfte geschrumpften Monarchie brachen die Haupteinnahmequellen aus den königlichen Domänen beziehungsweise aus Steuern und Akzisen in sich zusammen. Außerdem bedienten sich die Besatzer zum großen Teil aus den ohnehin geringen Staatseinnahmen und schröpften die Staatskasse sowie einzelne Bürger.

In dieser Situation gelangten Reformpolitiker wie Karl August von Hardenberg, Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, Wilhelm von Humboldt und andere an die Schaltstellen der Macht. Die Visionäre konnten den zögerlichen König von der Notwendigkeit überzeugen, das Land an Haupt und Gliedern zu erneuern. Das war schneller erwünscht als verwirklicht, denn es standen sich Kräfte der Beharrung, die nichts von ihren Pfründen abgeben wollen, solchen gegenüber, die im Interesse des Landes und natürlich auch in ihrem eigenen angesichts der drohenden Staatsauflösung alte Zöpfe abzuschneiden bereit waren. Kernpunkte des Stein-Hardenbergschen Erneuerungsprozesses waren die Zentralisierung der Verwaltung, die Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit, eine Reform der Armee und des gewaltigen Militärapparats. Ziel war das Aufbrechen der erstarrten ständischen Gesellschaft, die Steigerung des allgemeinen Wohlstands und damit letztlich auch die Verbesserung der Staatseinnamen. Dazu bediente man sich auch ungewöhnlicher Mittel wie den Druck von Geldscheinen, mit deren massenhafter Herausgabe sich die Regierung auf finanziellem Gebiet Luft zu verschaffen suchte, damit aber bei der nur an Silber- und Goldmünzen gewohnten Untertanen Friedrich Wilhelms III. auf wenig Gegenliebe stieß.

Begeisterung und Unmut

Bei der Verwirklichung der Stein-Hardenbergschen Reformen gab es viel Begeisterung, aber es sammelten sich auch viel Unmut und Sprengstoff an. Letztlich hatten die Reformer von ihren Maßnahmen mehr erwartet, und auch die Hoffnungen der zwar persönlich befreiten, aber dennoch auf vielfältige Weise an ihre alte Herrschaft gebundenen Bauern gingen nicht immer und überall in Erfüllung. Auf lange Sicht aber trugen jene Neuerungen im ländlichen Bereich oder bei der ebenfalls mit vielen Querelen behafteten Verwirklichung der Gewerbefreiheit Früchte. Da viele im Geheimen Staatsarchiv liegende Akten noch nicht geöffnet seien, erwarten Historiker und Archivare von weiteren Forschungen neue Erkenntnisse.

Als König Friedrich Wilhelm III., von klugen Beratern gedrängt, 1813 in schwierigster Situation seine Untertanen direkt ansprach und sie zur tätigen Mithilfe bei der Befreiung von den Franzosen aufrief, war das Echo gewaltig. Zum erstenmal hatte sich ein Herrscher an "sein Volk" gewandt. Bisher kannten die Untertanen der Hohenzollern nur, dass der König befahl und alle anderen gehorchen mussten. Die so angesprochenen und zur Rettung des Vaterlandes entschlossenen Preußen opferten unter dem Motto "Gold gab ich für Eisen" ihre letzten Groschen. Der König loste sein Versprechen am Beginn der Befreiungskriege nicht ein, das Volk an den "öffentlichen Dingen" zu beteiligen und eine Verfassung zu erlassen. Stattdessen wurden im Inneren die Schrauben angezogen und freiheitliche Bestrebungen brutal unterdrückt.

1. August 2018

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"