Saufen, schmausen, rauchen
Glaubt man den Chronisten, dann gab es im alten Berlin schlimme Alkoholexzesse und Kleiderprunk





Mit drastischen Worten und Bildern gingen Moralisten aller Art gegen um sich greifende Saufexzesse und Hosenteufeleien vor. Genutzt haben sie wenig, sonst hätte man dagegen gerichtete Edikte nicht immerzu neu erlassen müssen.



Dass die Hurerei ein gutes Geschäft sein kann, schildert dieser Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.





Deftig ging es bei Sauf- und Rauchgelagen im 17. und 18. Jahrhundert zu. Beim Tabakskollegium des Soldatenkönigs fühlte sich Friedrich Wilhelm I. als gleicher unter gleichen, die Prinzen mussten antreten und wurden, wie der Holzstich von Adolph Menzel rechts zeigt, hinaus geschickt. Der spätere König Friedrich II. behielt diese Zusammenkünfte Zeit seines Lebens in unangenehmer Erinnerung.

Das Saufen muss weit verbreitet gewesen sein, die Obrigkeit war offenbar machtlos, wollte vielleicht auch nichts unternehmen, weil sich ihre Vertreter selber an den Trinkgelagen beteiligten. Als im Jahre 1505 der Humanist Johannes Tritheim am kurfürstlichen Hof zu Cölln an der Spree weilte, fiel ihm folgendes auf; "Die Einwohner sind gut, aber zu rau und ungelehrt, sie lieben mehr die Schmausereien und den Trunk als die Wissenschaften. Selten findet man einen Mann, der die Bücher liebt, sondern aus Mangel der Erziehung und der Lebensart ziehen sie die Gesellschaft, den Müßiggang und die Pokale vor. Indessen gefällt mir ihre Fröhlichkeit und Religion, in der sie eifrig und andächtig sind. Sie gehen fleißig in die Kirche, feiern die Feste der Heiligen mit Ehrfurcht, sie halten ihr Fasten streng und sind in der Religion um so viel eifriger, da bekannt ist, dass sie unter allen deutschen Völkern die letzten gewesen sind, die den christlichen Glauben angenommen haben. Die Ausschweifung im Trinken wird von ihnen nicht als Laster gehalten; doch gibt es auch viele unter ihnen, die sich dessen enthalten, und die Einzöglinge aus Franken und Schwaben, wie ich oft bemerket, sind mehr dem Soff ergeben als die Landeseinwohner."

Mit den aus Franken und Schwaben zugezogenen Personen waren offensichtlich die von dort stammenden Hohenzollern und ihr Anhang gemeint. Sie machten vor, was von Tritheim, seines Zeichens Abt zu Sponheim, am Gebaren der Berliner so unangenehm auffiel. Mangelnde Gelehrsamkeit und geringer Gebrauch von Büchern war nicht auf die kurfürstliche Residenzstadt beschränkt, sondern resultierte aus dem weit verbreiteten Analphabetismus. Öffentliche Schulen gab es noch nicht, schon gar nicht eine Schulpflicht. Diese wurde erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. eingeführt, aber nur unzureichend durchgesetzt. Nur die wenigsten Leute konnten lesen und schreiben, und wenn ausnahmsweise Frauen und Mädchen Unterricht bekamen, wurde dies von Beobachtern als lobenswerte Besonderheit hervorgehoben. Wer es sich leisten konnte, stellte für seine Kinder Hauslehrer an.

Öffentliche Ausfahrten mit Dirnen

Nachrichten aus der Zeit um 1500 lassen ahnen, dass es mit der Sittsamkeit im alten Berlin nicht weit her gewesen ist. Eine Synode hielt es für notwendig, ausdrücklich den Mönchen und Geistlichen den Besuch von Wirtshäusern, das Trinken um die Wette und öffentliche Ausfahrten mit Dirnen zu untersagen. Da solche Verbote immer wieder erneuert wurden, kann man darauf schließen, dass sie wenig fruchteten. Außerdem konnte man sich durch Bußübungen und noch bis zum frühen 16. Jahrhundert durch den Kauf von Ablassbriefen von begangenen Sünden und solchen, die man zu begehen beabsichtigte, freikaufen, und alles war wieder im Lot.

Es nutzte wenig, wenn Geistliche gegen die Pflege leiblicher Genüsse wetterten. Das Saufen und - nach der Entdeckung Amerikas - auch das Rauchen ließen sich allen Vorhaltungen und Drohungen zum Trotz nicht eindämmen. Nachdem in der Mark Brandenburg der Tabakanbau heimisch geworden war, war das duftende Kraut auch für ärmere Schichten und die Soldaten preiswert erreichbar. Nicht jedem gefiel der Tabaksqualm. Eiferer und Moralisten verglichen ihn mit höllischem Feuer. Dessen ungeachtet gaben sich bessere Stände dem Laster in so genannten Tabagien hin, die anderen qualmten in Spelunken oder zuhause, was das Zeug hielt. Auf der Straße zu rauchen, war wegen der Brandgefahr verboten. Erst nach der Revolution von 1848/49 wurde das gestattet, und böse Zungen behaupten, das Zugeständnis sei die einzige Errungenschaft der nach dem "Berliner Unwillen" von 1448 ersten großen Erhebung gegen landesherrliche Willkür gewesen.

Berühmt und berüchtigt war das Tabakskollegium, zu dem der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. vertraute Offiziere sowie prominente Gäste einlud. Für ein paar Stunden wurden Standesschranken aufgehoben, der Monarch fühlte sich als gleicher unter gleichen. Ein keckes Wort wurde nicht auf die Goldwaage gelegt. Beim Saufen und Rauchen wurde auch Politik gemacht. Man heckte neue Edikte und Verordnungen aus, und deren gab es im Reiche des schwarzen Adlers so viele, dass niemand mehr eine Übersicht hatte. Natürlich wurde ein einer solchen Männergesellschaft kräftig getrunken. In vorgerückter Stunde waren Hofnarren bevorzugtes Spiel derber Scherze und sogar von Stockschlägen. Aus dieser Zeit ist im Berliner Kunstgewerbemuseum ein riesiges Bierfass erhalten, aus dem der schmackhafte Gerstensaft gezapft wurde. Das Besondere an diesem Gefäß ist, dass es von oben bis unten mit brandenburgischen Silbertalern und Medaillen besetzt ist. Solche Gefäße gehörten zum preußischen Staatsschatz und wurden in Not- und Kriegszeiten eingeschmolzen. Zahllose Meisterwerke der Gold- und Silberschmiedekunst wurden so in klingende Münze verwandelt. Dem Talerfass blieb dieses Schicksal erspart.

Unterschiede zwischen Hoch und Niedrig

Kleiderordnungen schrieben in früheren Jahrhunderten vor, wer was anziehen durfte. Bessere Stände trugen teure Mäntel, Röcke, Hosen und Hüte, prunkten mit kostbarem Schmuck und edlen Pelzen. Wer aber in der gesellschaftlichen Hierarchie unten stand, hatte sich mit billiger, strapazierfähiger Kleidung zu begnügen. Auch bei Festlichkeiten und bei Begräbnissen wurden deutliche Unterschiede zwischen Hoch und Niedrig gemacht. Natürlich galten die strengen Regeln für den Gebrauch von kostbaren Stoffen nicht für diejenigen, die sie dem Volk aufzwangen. Am kurfürstlichen und königlichen Hof zu Berlin konnten, abgesehen von der Zeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I., die Roben der Damen und die Kostüme der Herren nicht glänzend und weit genug sein. Man suchte einander durch goldenes Geschmeide, Perlen und Edelsteine zu übertrumpfen, und da spielte es keine Rolle, dass man sich für die Zurschaustellung von Reichtum und gesellschaftlichem Ansehen auch in Schulden stürzte.

Die Sucht, sich vor anderen durch eine auffällige Kleidung hervorzutun, rief schon im 16. Jahrhundert zahlreiche Kritiker hervor. In Druckschriften und Predigten wetterten sie gegen den "Hosenteufel" und drohten Trägern "pluderichter" Kleider, für deren Anfertigung hunderte Ellen feiner, aus dem Ausland importierter Stoffe verbraucht wurden, ewige Verdammnis an. In der Barockzeit, als man das Leben am Hof des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. nachäffte, wetteiferte, wer es sich leisten konnte, auch mit turmhohen Perücken. Während Kurfürst Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I., den Berlinern Zurückhaltung bei allem, auch in Bezug auf die Kleidung, befahl und strenge Strafen bei Zuwiderhandeln androhte, gab er immense Summen für die eigene Ausstattung und die seiner Höflinge bis hin zu den Lakaien aus.

Mit einer Reihe von Edikten und Verordnungen versuchte der Monarch, den die Berliner wegen eines Haltungsschadens den "schiefen Fritz" nannten, des kostspieligen und natürlich wegen der Importe auch die Landeskasse belastenden Übels Herr zu werden, sah aber nicht ein, mit gutem Beispiel voranzugehen. In einem Edikt von 1699 warnte er, dass viele Familien ungeachtet der heutigen kümmerlichen und nahrungslosen Zeiten durch Kleiderpracht sowie durch Ausrichtung von Familienfesten und Gastereien verarmen und sich zugrunde richten. Solange sich aber der Hof keine Zügel anlegte, sahen die Untertanen keinen Grund, dies selber zu tun, wenn sie denn überhaupt zu den Gutbetuchten gehörten und nicht durch eine Vielzahl von Steuern ausgesaugt wurden.

Teure Begräbnisse bei Kerzenschein

Obrigkeitliche Verordnungen verboten den Berlinern nicht nur üppige Kleidung und ausgiebige Schmausereien, sondern auch teure Begräbnisse. Nach dem Vorbild in Adelskreisen bestatteten wohlhabende Bürger ihre Toten unter dem Klang der Kirchenglocken in kostbar dekorierten Grüften und beeindruckten die Mitwelt durch zahlreiche Mietkutschen ohne Insassen, die dem Sarg hinterher fuhren. Der Brauch sollte die Bedeutung und das Ansehen des oder der Verstorbenen unterstreichen. 1693 wurden die besonders aufwändigen Begräbnisse verboten, durch die sich Familien in stürzten. Natürlich fand man einen Ausweg in Form von "heimlichen Leichenbegängnissen", die nächtens im Schein von Fackeln und Kerzen stattfanden. Da Wachskerzen damals sehr teuer waren und auch die Kirchen hell erleuchtet werden mussten, kosteten die Trauerfeiern am Ende noch mehr als wenn sie am Tage stattgefunden hätten.

Erst unterm Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. wurde der Unfug mit all diesen Kleidern, Perücken, Saufereien und Fressereien beendet. Der Herr über ein hochverschuldetes Land ließ seinen Vater Friedrich I. nach alter Sitte zwar noch in einem vergoldeten Sarkophag bestatten, der von Andreas Schlüter gestaltet wurde, doch dann war auch in Bezug auf Perücken, Hoftrachten und Leichenfeiern Schluss. Männer trugen jetzt einfaches blaues Tuch wie der König und seine Soldaten, und die Frauen wollnes, warmes Zeug. Wehe wenn der Landesherr bemerkte, dass sein Sparzwang umgangen wurde. Dann hagelte es Maulschellen, Stockschläge und Prügel, wobei er sogar Mitglieder der eigenen Familie nicht ausnahm.



11. Januar 2018 Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"