Bildhauer gegen Kaiser
Johann Gottfried Schadow nahm mit bissigen Karikaturen gewalttätige Zeitgenossen aufs Korn



Von der Fassade des Hauses Schadowstraße 10 unweit des Brandenburger Tors schaut Johann Gottfried Schadow freundlich auf die Vorübergehenden.



Die Reliefs am Schadowhaus haben alle Stürme der Zeit überstanden. Sie weisen in klassizistischer Bildsprache darauf hin, wer hier gelebt und gearbeitet hat. Der Wohn- und Wirkungsort des Bildhauers und Direktors der Berliner Akademie der Künste ist ein es der wenigen in Berlin erhaltenen Künstlerhäuser.



Die kolorierte Radierung "Das Hallische Tor" setzt preußischen Landwehrmännern, die die Franzosen in der Schlacht von Großbeeren vor den Toren Berlins vertrieben haben, ein Denkmal. Schadow war selber Landsturmmann.



Napoleon kann noch so oft befehlen "Bemächtigt Euch Berlins", wenn ihm das Kriegsglück nicht hold ist, lässt sich am Ergebnis nicht viel ändern, lautet Schadows Botschaft.



Das "Leipziger Konzert" schildert, wie die Sieger der Völkerschlacht dem unterlegenen Kaiser aufspielen und im Hintergrund seine gekrönten Vasallen in den Kulissen eines Theaters verschwinden.



Preußens Generalfeldmarschall Blücher drischt bei der "Fechtstunde" auf Napoleon I. ein, seine Hofschranzen und Militärs schauen entsetzt zu. Die zu neuem Selbstbewusstsein gelangten Deutschen stehen abwartend und amüsiert dabei.



Der Kaiser der Franzosen bestimmt, wer Nutznießer der territorialen Veränderungen nach der Revolution von 1789 sein soll, und liebedienerisch helfen seine Marschälle und Höflinge bei der "Aufteilung der Welt".



Die kleine Figur rechts schmückt das Grab des 1850 verstorbenen Bildhauers und Grafikers auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. In der Nähe sind sein Kollege Christian Daniel Rauch und weitere Zeitgenossen bestattet.(Fotos/Repros: Caspar)

Das Schadowhaus in der Schadowstraße 10 nicht weit vom Brandenburger Tor in Berlin entfernt hat vor einigen Jahren seinen kostbaren Fassadenschmuck zurück bekommen. Der Bundestag ließ das Wohn- und Atelierhaus des berühmten Bildhauers und Grafikers Johann Gottfried Schadow (1764-1850) aufwändig sanieren und restaurieren. In dem 1805 errichteten Haus hat die oberste Volksvertretung ihr Referat "Kunst im Deutschen Bundestag" sowie das Sekretariat der "Kunstkommission des Deutschen Bundestages" eingerichtet. Ab und zu ist das klassizistische Gebäude, das zu den wenigen noch authentisch erhaltenen Künstlerhäusern in Berlin gehört und im Inneren kostbar ausgemalt ist, zu Ausstellungen und anderen Anlässen für das interessierte Publikum geöffnet. In einem Seitenflügel ist die Schadow-Gesellschaft e. V. untergebracht, die das Erbe des Künstlers pflegt und regelmäßig über ihn Publikationen heraus gibt.

Die Berliner Steinrestauratoren Ralph Spies und Sascha Howahl haben die Reliefs über der Eingangstür beziehungsweise über dem rechten Fenster in die Straßenfront eingefügt. Nach Entwürfen von Schadow, dem Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor, der Prinzessinnengruppe, mehrerer Generaldenkmäler sowie des Lutherdenkmals in Wittenberg gestaltet, machen die Supraporten darauf aufmerksam, dass hier ein bedeutender Künstler lebt, und sie zeigen, wer seine großen Vorbilder sind und aus welchen Quellen er schöpft. Dargestellt sind links über der Tür die "Hauptepochen der Kunst des Altertums" und auf der rechten Seite berühmte "Protektoren der Kunst und ihre Schützlinge".

Des Meisters berühmte Leitsterne

So kommt es, dass man, am Schadowhaus vorbeigehend, berühmte Leitsterne der klassischen Antike und der italienischen Renaissance wie Perikles, Alexander der Große, Michelangelo, Raphael, Bramante und sowie zu dem auf einem Thron sitzenden Papst Julius II. sieht, der zu den großen Mäzenen des 16. Jahrhunderts gehörte und Auftraggeber der Peterskirche in Rom war. In der Mitte der in hellem Ockerton gestrichenen Hausfassade schaut Schadow, von seinem Bildhauerkollegen Hermann Schievelbein modelliert, freundlich auf die Passanten herab. Eine Tafel erinnert daran, dass der Direktor der Berliner Akademie der Künste hier gelebt und gearbeitet hat.

Beim Anblick des Schadowhauses wird nicht jedem bekannt sein, dass der Namensgeber auch ein großartiger Zeichner war. Unter den mehr als tausend Blättern von seiner Hand sind einige, mit denen der Künstler Ereignisse und Gestalten seiner Zeit, der Epoche der Französischen Revolution von 1789, der Napoleonischen Kriege sowie der politischen, territorialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwälzungen davor und danach, auf bissige Weise karikierend aufs Korn genommen hat. Der Diplomat, Sammler und Kunstschriftsteller Athanasius Graf von Raczynski, ein Zeitgenosse von Schadow, bemerkte über den großen Meister: "Seine Feder- und Bleistiftzeichnungen, einfarbige und bunte, seine kleinen radierten Blätter, alle diese Spiele seiner heiteren Laune und Einbildungskraft zeugen von seiner Beobachtungsgabe, von seinen epigrammatischen, einer feinen,. mitunter auch etwas derben Ironie geneigten Geiste und von großer Leichtigkeit, die eigentümliche und pikante Seite einer Person oder Sache aufzufassen." Er selber textete seine Bildsatiren und bemerkte dazu: "Wie bei den bunten Holzschnitten in unseren Landen sind derbe Sprüche angebracht."

Schranzen, Satrapen und Speichellecker

Als während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 der Stern des französischen Kaisers Napoleon I. sank, war es auch in deutschen Landen nicht mehr lebensgefährlich, in Bild und Schrift gegen den bis dahin gefürchtetsten Mann in Europa zu polemisieren. In England, dem mächtigsten Feind des Kaisers der Franzosen, gingen bereits unzählige gegen ihn und sein Reich gerichtete Karikaturen von Hand zu Hand. Sie zeigen den von der Insel Korsika stammenden Emporkömmling als Wicht und Wichtigtuer, umgeben von aufgeblasenen, wie blöde dreinschauenden Günstlingen, Marschällen und Hofbeamten, die sich im Glanze ihrer Orden und goldstrotzenden Uniformen spreizen. Auf den Blättern wimmelt es von Schranzen, Satrapen und Speichelleckern, die es sich am kaiserlichen Hof gut gehen lassen und die Staatskasse nach Strich und Faden plündern. Schadow schildert, wie der Kaiser Länder von der Karte streicht und seine Verwandten in neu etablierten Monarchien als Könige und Großherzöge installiert. Die Karikaturen schildern, wie der Kaiser der Franzosen versucht, mit einem gewaltigen Schritt den Ärmelkanal zu überwinden, um dem König von England den Garaus zu machen. Als dann die von ihm geführte Grande Armée im vereisten Russland ein militärisches Desaster ohne Ende erlitt, war auch das für englische Karikaturisten ein gefundenes Fressen.

Überliefert aber ist, dass der beleidigte Kaiser all dieses "Karikaturistengeschmeiss" am liebsten an der nächstbesten Laterne aufgeknüpft hätte. So sehr ärgerten ihn die Bilder. Zu ihrem Glück aber lebten die englischen Karikaturisten George Cruishank, James Gillray, Thomas Rowlandson und weitere außerhalb seiner Reichweite, so dass sie ungehindert Kübel von Hohn und Spott über den so sehr verhassten Kaisers gießen konnten, vermischt mit zotigen und makabren Anspielungen und deftigen Drohungen für Rache und ein unrühmliches Ende.

Dem Fach des Scherzes zugewandt

Im Falle von Johann Gottfried Schadow war die Sache anders. Nachdem im Oktober 1806 die nach der Schlacht von Jena und Auerstedt siegreichen französische Truppen mit ihrem Kaiser an der Spitze durch das Brandenburger Tor marschiert waren, musste er auf der Hut sein, um nicht ins Visier der Besatzerjustiz zu geraten. Schadow hatte eine besondere Wut auf die Franzosen, hatten sie doch auf des Kaisers Befehl seine erst wenige Jahre zuvor auf dem Brandenburger Tor stehende Quadriga abgebaut, um sie nach Paris zu entführen, wo sie das Musée Napoléon schmücken sollte. Alles Bitten und Betteln half nicht, das wegen des dünnen Kupferblechs empfindliche Bildwerk wurde entführt. Der Kunstraub trug dem Kaiser den Spitznamen "Pferdedieb" ein. Der berühmte Bildhauer musste französische Einquartierung ertragen, und er sah, dass sich die Besatzer in Berlin "wie die Axt im Walde" benehmen. Da sich der Bildhauer als Zeichner seiner Karikaturen nicht zu erkennen geben wollte, wählte er den Namen Gilrai und Paris als Herkunftsort. Das Pseudonym gilt als Reverenz an James Gillray, hat aber auch die Bedeutung der französischen Wörter "gilles" für Hanswurst oder Gimpel sowie "roi" für König, was zusammengenommen einen Gimpelkönig ergibt. In seinem Erinnerungsbuch "Kunstwerke und Kunstansichten" aus dem Jahr 1850 ging Schadow auf diese Seite seines Schaffens leider nur am Rande ein. Schadow, der von sich in seinem Erinnerungsbuch in der dritten Person schrieb, notierte in seinem Tagebuch lediglich in den ereignisreichen Wochen des Jahres 1813, er habe sich dem Fach des Scherzes zugewandt, "nachdem er bisher im Ernste, wie der Skulptur es fordert, sich beschäftigt hatte."

Für seine figurenreichen, als Radierungen in Umlauf gebrachten Karikaturen wie "Aufteilung der Welt", "Rückzug der Berühmtheit", "Anfang vom Ende", "Blücher und Napoleon", "Das Leipziger Konzert", "Das Hallische Tor" oder "Fechtstunde" hat Schadow mancherlei Vorstudien gezeichnet. Fast ist es so, als würde ein kleiner Film vor dem Auge des Betrachters ablaufen. Das Blatt "Gabelfrühstück" schildert das grausige Ende der französischen Heerscharen, die 1812 zwar bis nach Moskau kamen, die russische Hauptstadt aber nach dem großen Brand verlassen mussten und beim Rückzug schreckliche Verluste hinnehmen musste. In der öden Winterlandschaft stillen frierende Soldaten ihren Hunger, indem sie das Fleisch eines toten Pferdes essen und einen Hund sowie Ratten auf dem Feuer braten. Mit der vielgepriesenen französischen Küche hat das nichts mehr zu tun, will Schadow mit dieser drastischen Momentaufnahme sagen. Auf einem anderen Blatt zeigt, wie der sieggewohnte Kaiser auf einem Feldherrnhügel steht und seinen Marschällen befiehlt "Bemächtigt Euch Berlins". Dass das ein aussichtsloses Unterfangen ist, unterstreicht das grinsende Gesicht eines durch die gespreizten Beine des Empereurs schauenden Jungen. Die Figuren im Vordergrund sehen nicht so aus, als würden sie sich große Mühe geben, den Befehl ihres am Zweispitz sofort zu erkennenden obersten Kommandeurs unverzüglich auszuführen.

Szenen aus dem Berliner Volksleben

Wie die Schadows gegen Napoleon I. und seinen geld- und machtgierigen Anhang gerichteten auf die Zeitgenossen des Bildhauers und Grafikers gewirkt haben, kann ich nicht sagen. Sie dürften auf fruchtbaren Boden gefallen sein, die Stimmung war angespannt, solange Gefahr bestand, dass die Franzosen nach dem Aufruf von König Friedrich Wilhelm III. "An Mein Volk" und der allgemeinen Volksbewaffnung blutige Rache nehmen und das Reich der Hohenzollern liquidieren werden. Das ist zum Glück nicht geschehen, die Befreiungskriege endeten mit der Entmachtung des Kaisers der Franzosen und seiner Verbannung erst 1814 auf die Mittelmeerinsel Elba und dann 1815 ein für allemal auf die ferne Insel Sankt Helena, wo er bereits 1821 starb. Johann Gottfried Schadow, der nach 1800 nicht mehr mit so vielen Staatsaufträgen bedacht wurde wie davor, hätte allen Grund gehabt, kritisch die weitere Entwicklung in Berlin und Preußen zu begleiten. Stoff für weitere Karikaturen hätte er gehabt, denn es begann nach 1815 die Phase der Restauration, der Wiederherstellung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zeit vor 1789. In den Blick der politischen Polizei und der Justiz gerieten Burschenschaftler und Turner sowie Menschen, die vom König das gegebene Verfassungsversprechen einforderten und von widerwärtigen Zensurbestimmungen betroffen waren.

Dass sich Schadow mit Zeichnungen ähnlich denen gegen Napoleon I. gegen die Unterdrückung des freiheitlichen Geistes zur Wehr gesetzt hätte, ist nicht bekannt. Er setzte witzig und treffend das Berliner Volksleben in Szene und schuf wunderbare Zeichnungen mit tanzenden Männern und Frauen. Es gehört zu den großen Paradoxien der Geschichte des 19. Jahrhunderts, dass sich einerseits politische Friedhofsruhe über Preußen und die anderen Länder des Deutschen Bundes und darüber hinaus breitete und andererseits Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur zu ungeahnter Blüte gelangten.

Johann Gottfried Schadows Sache war es nicht gegeben, die gravierenden sozialpolitischen Probleme seiner Zeit, die Unterdrückung durch die Geheimpolizei und Zensur, die Maßnahmen zur Wiederherstellung der alten Feudalgesellschaft, die riesige Schere zwischen Arm und Reich und das elende Leben der Tagelöhner und Dienstboten, die schrecklichen Wohnverhältnisse und die Ausbeutung in den Fabriken aufzuspießen und zu kommentieren. Diese Aufgabe übernahmen andere, mutigere Künstler in der Zeit des Vormärz, der Revolution von 1848/49, der Reichseinigung von 1871 und der Kaiserzeit, allen voran Glaßbrenner und später Heinrich Zille.

9. August 2018

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