Versuchsfeld für Hitlers Machteroberung
Gegen den Staatsstreich in Preußen am 20. Juli 1932 regte sich kaum Widerstand / Aktionseinheit als es zu spät war



Bei der preußischen Landtagswahl am 24. April 1932 kämpfte jeder gegen jeden, ein paar Monate später waren alle Parteien außer der NSDAP verboten und Hitler gerierte sich als Retter des deutschen Volkes aus höchster Not.



Sichtlich angewidert müssen Otto Braun und seine Frau am 24. April 1932 auf dem Weg zum Wahllokal Werbeplakate der Nazis (Liste 8) passieren. Versuchsfeld für Hitlers Machteroberung - Gegen den Staatsstreich in Preußen am 20. Juli 1932 regte sich kaum Widerstand



Die Büste ehrt unweit des Palastes Barberini und des Preußischen Landtags im Herzen von Potsdam den am 20. Juli 1932 abgehalfterten SPD-Politiker Braun, der angesichts der faschistischen Gefahr in die Schweiz fliehen konnte und dort in dürftigen Verhältnissen lebte, aber wenigsten im Unterschied zu anderen den Nazis verhassten Persönlichkeiten am Leben blieb.



Die Nazipropaganda zog eine direkte Linie von Friedrich dem Großen über Otto on Bismarck und Paul von Hindenburg zu dem sich jung, dynamisch und entschlossen gebenden Hitler.



Die Übergabe der Regierungsgewalt am 21. März 1933, dem Tag des Frühlingsanfangs, wurde sogar mit einer Gedenkmünze mit der Ansicht der Potsdamer Garnisonkirche gefeiert



Der Potsdamer Garnisonkirche hing in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR der Ruf an, Symbol des preußischen Militarismus und deutschen Faschismus zu sein, weshalb die Ruine 1968 auf Befehl des SED-Chefs Walter Ulbricht gesprengt und abgetragen wurde. Der Wiederaufbau zunächst des stadtbildprägenden Turms ist geplant. (Foto/Repros: Caspar)

Ein wichtiger Markstein auf dem Weg in die NS-Diktatur war der sogenannten Preußenschlag vom 20. Juli 1932. Mit dem Staatsstreich setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg per Notverordnung den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun und die preußische Landesregierung ab, die seit der Landtagswahl vom 24. April 1932 nur noch geschäftsführend tätig war. Als Rechtfertigung für die handstreichartig durchgeführte Amtsenthebung der in Berlin amtierenden Regierung des größten deutschen Flächenstaats diente der Altonaer Blutsonntag vom 17. Juli 1932, in dessen Verlauf 18 Menschen bei Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten ums Leben gekommen waren. Der Regierung Braun wurde vorgeworfen, nicht mehr ausreichend für Ruhe und Ordnung sorgen zu können. Ihr Widerstand gegen die Anschuldigung war schwach und unbeholfen, die Ankündigung, sie weiche nur der Gewalt, war ein leeres Wort.

Der zum Reichskommissar ernannte parteilose "Herrenreiter" Franz von Papen bot sich an, die Ruhe und Ordnung in Preußen wiederherzustellen. Indem er sozialdemokratische Politiker und Beamte absetzte und in die Wüste schickte, schwächte er die letzte demokratische Bastion der Weimarer Republik und wurde ein paar Monate später vom neu ernannten Reichskanzler Adolf Hitler mit dem einflusslosen Posten eines Vizekanzlers belohnt. Wie sehr die Vorgänge im Sommer 1932 das Versuchsfeld für die Machteroberung durch Adolf Hitler und die Nazipartei am 30. Januar 1933 war, schildert in allen Einzelheiten das Buch "Preußen zwischen Demokratie und Diktatur. Der Freistaat, das Ende der Weimarer Republik und die Errichtung der NS-Herrschaft, 1932-1934", das im Sommer 2018 im be.bra wissenschaftsverlag GmbH Berlin-Brandenburg erschienen ist (ISBN 978-3-8-95410-104-7, 24,95 Euro).

Hitler ließ sich nicht bändigen und einrahmen

Herausgegeben von Michael C. Bienert und Lars Lüdicke, vereint die Publikation des Berliner Landesarchivs, des Stadtarchivs Magdeburg und der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv in deren Schriftenreihe "Zeitgeschichte im Fokus" Beiträge, die 2013 anlässlich einer Tagung anlässlich des Berliner Themenjahrs "Zerstörte Vielfalt" stattfand. Es stand ganz im Zeichen der Errichtung der NS-Diktatur 80 Jahre zuvor und machte mit Ausstellungen und Tagungen sowie in Bild und Schrift mit roten Litfaßsäulen quer durch die Stadt auf den braunen Terror nach dem 30. Januar 1933 und die Verluste unter Politikern, Künstler und Wissenschaftlern aufmerksam, die den Sondergesetzen und rassistischen Bestimmungen der Braunhemden zum Opfer fielen.

Zwölf Artikel setzen sich mit dem Ende der "Weimarer Koalition" und dem Staatsstreich vom 20. Juli 1932 sowie der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten und der systematischen Verfolgung der Opposition und der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung auseinander. Sie verschweigen nicht, dass es ungeachtet einer breit angelegten Forschungs- und Publikationsarbeit noch manche weiße Flecken bei der Aufarbeitung der Geschehnisse gibt, etwa was die Vernichtung demokratischer Strukturen in den einzelnen Ländern des Deutschen Reiches betrifft. Deutlich wird, dass Hitler der eigentliche Entscheider und Gestalter dieser Entwicklung war, keineswegs jemand, der sich von konservativen Kräften und den Mitgliedern der von ihm am 30. Januar 1933 gebildeten Reichsregierung einrahmen oder bändigen ließ. Das Buch schildert, wie KPD und NSDAP mit taktischen Bündnissen, ja wie "Schwestern im Geiste" wesentlich dazu beitrugen, das ihnen aus unterschiedlichen Gründen so sehr verhasste parlamentarische System zu Fall zu bringen.

In der Propaganda der Nazis und ihnen verwandten Kreisen hatte der Begriff "Demokratie" einen ausgesprochen negativen Klang und wurde mit "Bolschewismus" in einen Topf geworden. Die mit perfiden Mitteln geschürte Angst vor dem Kommunismus, vor einem "Sowjetdeutschland" nach Stalinschem Vorbild trieb viele Deutsche in die Arme der Nazis. Die beiden Arbeiterparteien unterstellten einander, rot lackiert Faschisten (KPD) beziehungsweise Arbeiterverräter und Lakaien der Großindustrie (SPD) zu sein, und lieferten sich Straßenkämpfe und Redeschlachten in den Parlamenten. Erst als alles zu spät war, verständigten sich die in die Illegalität getriebene KPD und SPD zur Aktionseinheit und vereinten ihre Kräfte im Untergrund für den antifaschistischen Widerstand, große Opfer an Blut und Freiheit zahlend. Weitere Beiträge legen in dem Sammelband dar, wie die Nazis die Reichsgründung von 1871 und den Tag ihrer so genannten Machtergreifung bewerteten und wie "Preußen" von unterschiedlichsten Kräften und Ideologien ge- und missbraucht wurde und in den Dienst der neuen Machthaber gestellt wurde. Dass nach dem Krieg und dem Ende der Naziherrschaft alles, was mit Preußen zu tun hatte, von den Siegermächten und demokratischen Kräften im besetzten und geteilten Deutschland verboten und verachtet wurde, ist eine Folge auf den Missbrauch "preußischer Werte." Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass sich die SED und DDR aus dem mit diesen gefüllten Topf das herausnahm, was ihr zur Erreichung ihrer Ziele passend erschien, so Vaterlandsliebe, Heimatverbundenheit, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Treue und Ehre, alles Eigenschaften und Haltungen, die in der NS-Zeit schamlos missbraucht wurden.

Die Roten schäumen vor Wut

Was sich rund um den 20. Juli 1932 in Berlin und dem Freistaat Preußen abspielte, versetzte die Nazis in großes Entzücken. Berlins Gauleiter Joseph Goebbels beschrieb in seinem 1935 veröffentlichten Tagebuch "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei" geradezu euphorisch im Juli 1932, wie die "Kommune" niedergeschlagen wurde. "Alles rollt programmmäßig ab. Bracht wird als Reichskommissar eingesetzt. Severing erklärt, nur der Gewalt weichen zu wollen. Ein leiser Druck mit dem Handgelenk genügt. Ausnahmezustand über Berlin und Brandenburg. […] SPD. und Gewerkschaften rühren nicht einen Finger. Die Reichswehr steht bereit, aber braucht nicht unmittelbar einzugreifen. […] Die Roten sind beseitigt. Ihre Organisationen leisten keinen Widerstand. Das ,8-Uhr-Abendblatt' verboten. Einige Polizei- und Oberpräsidenten abgesetzt. Der Generalstreik unterbunden. Es laufen zwar Gerüchte von einem bevorstehenden Reichsbanneraufstand um, aber das ist ja alles Kinderei. Die Roten haben ihre große Stunde verpasst. Die kommt nie wieder. […] Die Roten sind ganz zahm. Aber innerlich schäumen sie vor Wut. […] Liste aufgestellt, was an Kroppzeug in Preußen alles beseitigt werden muss." Solche Schwarzen Listen gab es tatsächlich, und als die Nazis dann wirklich an der Macht waren, setzten sie konsequent den ein halbes Jahr zuvor von Papen und seinen Leuten beschrittenen Weg mit Sondergesetzen fort, die die in der Weimarer Verfassung verankerten demokratischen Rechte mit einem Federstrich beseitigten und den Weg in den Führerstaat mit all seinen schrecklichen Konsequenzen frei machte.

Am 21. März 1933 inszenierte der mittlerweile zum Propagandaminister ernannte Goebbels den auch im Rundfunk landesweit übertragenen Tag von Potsdam, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg in einer feierlichen Zeremonie in der Garnisonkirche die Regierungsgewalt an Reichskanzler Adolf Hitler übergab. Die von Goebbels gleichgeschaltete und kommandierte Presse beschwor mit markigen Worten und martialischen Bildern von Ansprachen und Paraden die Einheit von alter Kraft und neuer Größe. Zu dem Staatsakt waren Hohenzollernprinzen und hochrangige Militärs als Vertreter des altpreußischen Systems und zur Legitimierung der lange von den damaligen bürgerlichen und adligen Eliten nicht als satisfaktionswürdig belächelten Nazis erschienen. Deren Beteiligung an dem Spektakel kam Hitler und seinen Gefolgsleuten gelegen, denn sie konnten damit der ganzen Welt zeigen, dass Gottvertrauen, Treue zu Volk und Staat, Verlässlichkeit, Ordnung, Pünktlichkeit und weiteren preußischen Werten verpflichtet sind und sich damit fundamental von der Weimarer Republik zu unterscheiden, die sie als chaotisch, marxistisch verseucht und durch und durch volksfeindlich verteufelten.

Goebbels jubiliert

In seinem Tagebuch notierte Goebbels am 20. März 1933, die Regierung beschließe harte Strafen für Provokateure in Uniform, womit Einheiten der KPD, SPD und Gewerkschaften gemeint waren. "Wir dürfen am Ende nicht vor der Todesstrafe zurückschrecken, da sonst die Gefahr besteht, dass die Revolution, die unentwegt weitergehen muss, den Händen des Führers entrissen wird." Hitler erklärte später in internem Kreis, er habe am 21. März 1933 die Potsdamer Garnisonkirche eigentlich nur als Kulisse gebraucht. Während die Abgeordneten zum Gottesdienst in die Potsdamer Kirchen waren, seien er und Goebbels zu den Gräbern der "alten Kämpfer" gegangen, zu den Blutzeugen der NS-Bewegung. An der Bahre des unsterblichen Friedrich (II.) beginne er das neue Werk des Wiederaufbaues, versprach Hitler bei dem Staatsakt und meinte die unbarmherzige Verfolgung jedweder Opposition und die Errichtung seines Führerstaates. "Die Regierung der nationalen Erhebung ist entschlossen, ihre von dem deutschen Volke übernommene Aufgabe zu erfüllen. Sie tritt daher heute hin vor den Deutschen Reichstag mit dem heißen Wunsch, in ihm eine Stütze zu finden für die Durchführung ihrer Mission. Mögen Sie als gewählte Vertreter des Volkes den Sinn der Zeit erkennen, um mitzuhelfen am großen Werk der nationalen Wiedererhebung", sagte Hitler und verbeugte sich vor dem greisen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, den die eigene Propaganda erst ein paar Monate zuvor noch als Repräsentant des Weimarer "Systems" angegriffen hatte. Goebbels fand in seinem Tagebucheintrag vom 22. März 1933 pathetische Jubelworte: "Ein geschichtlicher Augenblick. Das Schild der deutschen Ehre ist wieder reingewaschen. Die Standarten mit unseren Adlern steigen hoch." .

15. August 2018

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