"Die Würde des Menschen ist unantastbar"
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat um Vergebung für das Schwulen und Lesben vor und nach 1945 angetane Unrecht



Es dauerte Jahrzehnte, bis in der Bundesrepublik Deutschland die Würde der Schwulen und Lesben geachtet wurde. Das Schild weist darauf hin, dass der Bau des Denkmals für die verfolgten und ermordeten Homosexuellen im Berliner Tiergarten 2003 vom Deutschen Bundestag beschlossen wurde.



Ungeachtet guter Politikerworte und auch der Existenz des Denkmals ist in unsere Gesellschaft noch nicht überall angekommen und Praxis, dass niemand das Recht hat, Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung auszugrenzen und zu benachteiligen.



Die Videos im Inneren des Denkmals wird von Zeit zu Teit ausgetauscht, aktuell lösen sich Bilder sich küssenderf Männer und Fraen ab.







Rund um das Brandenburger Tor erinnern weitere Mahnmale an Naziterror und das Sterben unzähliger Menschen - das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das Denkmal für die Sinti und Roma und ganz unten das Denkmal für die nach 1933 ermordeten Reichstagsabgeordneten. (Fotos: Caspar)

Anlässlich des 10. Jahrestags der Weihe des so genannten Schwulendenkmals im Berliner Tiergarten hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 3. Juni 2018 eine wichtige Rede gehalten. Darin bat er die bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg in beiden deutschen Staaten verfolgten Homosexuellen für das ihnen zugefügte Leid und Unrecht und das über sie verbreitete Schweigen um Vergebung. Das nach einem Entwurf des norwegisch-dänischen Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset gestaltete Mahnmal erinnert an die Verfolgung und Ermordung von Schwulen in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch dass diese in der Bundesrepublik und der DDR kriminalisiert, ausgegrenzt und zu Gefängnisstrafen verurteilt worden sind. Trotz des am Anfang unseres Grundgesetzes festgelegten Satzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt" wurden nach dem Ende der Nazidiktatur zehntausende Männer aufgrund des aus der Kaiserzeit stammenden, nach 1933 weiter verschärften Strafrechtsparagraphen 175 verhaftet, verurteilt und eingesperrt.

Das Ende 2003 vom Bundestag beschlossene Denkmal wurde Ende Mai 2008 eingeweiht. In den grauen, etwas schief stehenden Betonkubus kann man durch ein kleines Fenster hinein schauen und ein Video mit zwei sich küssenden Männern sehen. Material und Farbe des Homosexuellen-Denkmals sind dem Holocaust-Denkmal auf der anderen Seite der Ebertstraße angeglichen. Das Video wird alle paar Jahre gewechselt. Seit der Feierstunde läuft als nunmehr dritter Film ein Schwarz-Weiß-Video der israelischen Multimediakünstlerin Yael Bartana. Ihre Aufnahmen waren von einem internationalen Gutachtergremium aus elf Vorschlägen ausgewählt worden. Sie zeigen jetzt zwei sich küssende Frauen und zwei sich küssende Männer.

Verfolgt, gedemütigt, ermordet

Für all diejenigen, deren Sexualität schon vor 1945 unter Strafe stand, sei der 8. Mai 1945 nicht wirklich ein Tag der Befreiung gewesen, sagte der Bundespräsident in der mit einer Kranzniederlegung verbundenen Feierstunde, an der auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, sowie weitere Politprominenz und Vertreter von Opferverbänden und anderen Vereinigungen teilnahmen. Sie äußerten sich positiv, dass sich der erste Mann in unserem Land klar und unmissverständlich zur Schuld gegenüber den Schwulen, Lesben und anderen Gruppen bekennt. "Wir gedenken der über 50.000 Männer, die nach dem nationalsozialistisch verschärften Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches verfolgt wurden. Sie wurden eingesperrt. Sie wurden vorgeführt. Ihre Existenzen wurden vernichtet. Man hat sie gefoltert, in Zuchthäuser und in Konzentrationslager geschickt. Tausende dieser Männer kamen ums Leben. Ihrer gedenken wir heute. Wir gedenken auch den anderen Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität von den Nazis verfolgt und schikaniert wurden. Manche litten unter dem allgemeinen Klima aus Hass und Verachtung, weil sie zum Beispiel lesbisch waren, inter- oder transsexuell. Andere kamen aus anderen Gründen ins Visier: als Juden, als sogenannte Asoziale, als Teil der Swingjugend, als Sozialisten und als Kommunisten - und doch auch aufgrund ihrer Sexualität. Ihnen allen wurde Leid zugefügt. All ihrer gedenken wir heute. […] Mit ihrem Hass wollten die Nationalsozialisten auch jene vielfältige Szene aus der deutschen Geschichte schneiden, die unser Land gerade im Berlin der Weimarer Jahre schon einmal bereichert hatte. Mehr als 20 Jahre lang wurden zehntausende Männer in der Bundesrepublik noch nach dem Paragraphen 175 verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Sie mussten sich weiter verstecken, wurden weiterhin bloßgestellt, haben weiterhin ihre wirtschaftliche Existenz riskiert. Oft genügte schon ein Ermittlungsverfahren. Die neue freiheitliche Ordnung in unserem Land, sie blieb über viele Jahre sehr unvollkommen. Die Würde dieser Männer, sie blieb antastbar. Zu lange hat es gedauert, bis auch ihre Würde etwas gezählt hat in Deutschland. Und die Jahre bis dahin, sie waren für Opfer und Aktivisten ein langer Weg, mit mühseligen Auseinandersetzungen."

Mantel des Schweigens an deutschen Abendbrottischen

Indirekt auf empörende, geschichtsvergessene Behauptungen von Vertretern der Alternative für Deutschland eingehend, wonach wir kein "Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt" (der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke 2017 über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas) bräuchten und die Zeit des Nationalsozialismus sei nur ein "Vogelschiss" in tausend Jahren deutscher Geschichte (ganz aktuell der Partei- und Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland Anfang Juni 2018 beim Jahrestreffen der Jungen Alternative in Thüringen) betonte der Bundespräsident, wer den einzigartigen Bruch mit der Zivilisation leugnet, klein redet oder relativiert, "der verhöhnt nicht nur die Opfer, sondern der will alte Wunden aufreißen und sät neuen Hass. Dem müssen wir uns gemeinsam entgegen stellen. […] Deutsche haben millionenfach in Deutschland und in ganz Europa Menschen verschleppt und ermordet. Deutsche haben ganze Landstriche verheert und dabei tiefe Wunden im Gesicht Europas hinterlassen. Unser Land hat in diesen zwölf Jahren schwere Schuld auf sich geladen. Es ist wahr: Das aufrichtige Erinnern an diese schreckliche Zeit, vor allen Dingen an die Opfer und ihr Leid, das ist uns Deutschen nie leicht gefallen, weder im Osten noch im Westen. Es war ein langer Weg. Der Mantel des Schweigens lag jahrzehntelang über den Abendbrottischen und erstickte jede notwendige Diskussion. Und ja: Irgendwann kam die Erinnerung dann doch nach Deutschland. Aber sie kam langsam. Sie kam etappenweise. Sie kam verspätet, oft viel zu spät." Heute sei die aufrichtige Erinnerung ein Eckstein unserer Identität. Leicht falle sie uns trotzdem nicht. Viele Wunden von damals müssten noch weiter heilen, so Steinmeier. Viel zu oft gebe es auch heute wieder Anlass zur Wachsamkeit, erinnern heiße auch wach zu bleiben. Auch unter dem Grundgesetz seien Schwule und Lesben weiterhin dem Paragraphen 175 ausgeliefert gewesen, wie auch in der DDR. In der Bundesrepublik habe er sogar "ganz bewusst, ganz mit Absicht" noch mehr als 20 Jahre in der gleichen scharfen Form fortbestanden, die ihm die Nationalsozialisten 1935 gegeben hatten. "Mehr als 20 Jahre lang wurden zehntausende Männer in der Bundesrepublik noch nach dem Paragraphen 175 verhaftet, verurteilt und eingesperrt. Sie mussten sich weiter verstecken, wurden weiterhin bloßgestellt, haben weiterhin ihre wirtschaftliche Existenz riskiert. Oft genügte schon ein Ermittlungsverfahren. Die neue freiheitliche Ordnung in unserem Land, sie blieb über viele Jahre sehr unvollkommen. Die Würde dieser Männer, sie blieb antastbar. Zu lange hat es gedauert, bis auch ihre Würde etwas gezählt hat in Deutschland. Und die Jahre bis dahin, sie waren für Opfer und Aktivisten ein langer Weg, mit mühseligen Auseinandersetzungen. Der deutsche Staat hat all diesen Menschen schweres Leid zugefügt. Vor allen Dingen unter den Nationalsozialisten, aber auch danach noch, in der DDR und viel zu lange auch unter dem Grundgesetz. An ihr Leid erinnern wir uns heute. Sich zu korrigieren, sich ehrlich an die Geschichte zu erinnern - und sich nötigenfalls auch zu entschuldigen, wenn Unrecht geschehen ist: das sind große Stärken der Demokratie."

"Wir haben uns durchgebissen"

Den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung und allen Landsleuten versicherte der Bundespräsident: "Ihnen allen hier am Denkmal, und allen Schwulen, Lesben und Bisexuellen, allen Queers, Trans- und Intersexuellen in unserem Land, Ihnen allen rufe ich heute zu: Auch Ihre sexuelle Orientierung, auch Ihre sexuelle Identität stehen selbstverständlich unter dem Schutz unseres Staates. Auch Ihre Würde ist so selbstverständlich unantastbar, wie sie es schon ganz am Anfang hätte sein sollen. Wir alle wissen: Es gibt noch einiges zu tun. Wir können uns nicht zufrieden zurücklehnen, wenn homophobe Beleidigungen heute wie selbstverständlich auf dem Schulhof zu hören sind. Wenn wir mit trauriger Regelmäßigkeit engagierte Menschen aus anderen Ländern auszeichnen müssen, die für ihr Ringen um elementare Menschen- und Bürgerrechte Leib und Leben riskieren. Auch deshalb ist und bleibt es wichtig, dass wir immer wieder an unsere Gedenkorte kommen, dass wir hierherkommen, uns erinnern und im Erinnern unsere Verantwortung für das Heute erkennen. Wir sind es der Würde des Menschen schuldig."

Günter Dworek vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) sagte unter dem Applaus der Gäste, was der Bundespräsident gesagt habe, bedeute den Betroffenen "sehr, sehr viel". Erstmals habe mit Steinmeier ein deutsches Staatsoberhaupt an dem vor zehn Jahren eingeweihten Denkmal gesprochen. Schwule und Lesben hätten es auch nach der NS-Zeit alles andere als leicht gehabt. Der Rechtlosigkeit sei eine lange Phase widerwilliger Duldung gefolgt. "Aber wir haben uns durchgebissen, Schritt für Schritt mehr Akzeptanz und Rechte erkämpft. Das hat unsere ganze Gesellschaft freier und unser Land lebenswerter gemacht." Allerdings könne trotz der vor einem Jahr beschlossenen Ehe für alle und der rechtlichen Gleichstellung ein Kuss in der Öffentlichkeit auch heute noch gefährlich sein. Woche für Woche gebe es homophobe und transfeindliche Übergriffe. "Das darf eine demokratische Gesellschaft nicht kalt lassen." Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) äußerte sich besorgt über steigende Zahlen homophober Angriffe. Dagegen müsse die "Regenbogenhauptstadt" Berlin klare Position beziehen.

4. Juni 2018

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