Wo Hitlers Blutrichter wüteten
Topographie des Terrors berichtet, wie der Volksgerichtshof in der Zeit des Nationalsozialismus "Recht" gesprochen hat



Gegen Entscheidungen des 1934 von Hitler gegründeten Volksgerichtshofs konnten keine Rechtsmittel eingelegt werden, ist in der neuen Ausstellung der Topographie des Terrors zu erfahren. Seine Todesurteile wurden in den Zuchthäusern Berlin-Plötzensee, Brandenburg, Dresden, München und in anderen Städten vollstreckt.



Gerichtspräsident Roland Freisler, zugleich Staatssekretär im Reichsjustizministerium, war von seiner Mission restlos überzeugt und tat alles, um seinem obersten Befehlshaber zu gefallen. Nach dem Ende der NS-Diktatur ist den wenigsten Personen, die Regimegegner im Namen des Rechts verurteilten und ermordeten, etwas geschehen, im Gegenteil konnten sie ihre Karrieren ungehindert fortsetzen oder fette Pensionen einstreichen.



Die Karikatur aus der im Exil herausgegeben Arbeiter Illustrierten Zeitung von 1934 schildert, welchen qualvollen Weg Regimegegner von den Schlägern der SA und der Polizei über die Richter und Geistlichen bis zum Henker durchlaufen müssen. Ausgegeben wurde der Polizei- und Justizterror als "Markstein in der Geschichte der Strafverfolgung".



Im Kammergerichtsgebäude an der Potsdamer Straße ist der Saal erhalten, in dem die Verfahren gegen die Verschwörer vom 20. Juli 1944 unter Hakenkreuzfahnen und vor einer Hitlerbüste stattfanden. Durch einen kleinen Spalt in der Hakenkreuzfahne hinter Freisler wurde das Gerichtsverfahren im Kammergerichtsgebäude am Kleistpark gegen die "Verschwörer vom 20. Juli 1944" heimlich gefilmt. Die Naziführung traute sich nicht, die Aufnahmen öffentlich zu machen.





In der Gedenkstätte Plötzensee ist der Hinrichtungsraum erhalten, im Hintergrund sind die Eisenträger mit den Haken zu erkennen, an dem Mitwisser des gescheiterten Attentats vom 20. Juli 1944 auf Hitler erhängt wurden. Im Raum nebenan werden Schicksale von Menschen geschildert, die hier ihr Leben verloren.

Die bis zum 21. Oktober 2018 laufende Ausstellung "Volksgerichtshof 1934-1945. Terror durch ,Recht'" in der Topographie des Terrors widmet sich einem brisanten Thema, das eigentlich nur Historiker kennen - das Wüten des Volksgerichtshofs und seiner Blutrichter. Nach dem Ende der Nazidiktatur gelang es vielen von diesen Juristen, in der Bundesrepublik weiter Karriere zu machen. Angeblich könne nicht Unrecht sein, was "damals Recht war", hieß es landauf landab. Der Volksgerichtshof wurde 1934 nach dem für die Nazis unbefriedigenden Ausgang des Gerichtsverfahrens über den Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude von Hitler zur "Bekämpfung von Staats- und Volksfeinden" gegründet. Bis Kriegsende standen mehr als 16.700 Menschen vor dem obersten politischen Gericht des NS-Staates, das ab 1942 jeden zweiten Angeklagten zum Tode verurteilte. Laut Ausstellungskuratorin Claudia Steur sind das nur die dokumentarisch belegten Urteile, die Zahl könne aber noch höher sein.

Die Ausstellung und das dazu gehörige Buch mit deutschen und englischen Texten informieren über die Entstehung, Zielrichtung und Struktur des meist in Berlin und manchmal auch an anderen Orten tagenden Tribunals. Sie beleuchtet anhand einzelner Schicksale die tägliche Urteilspraxis und informiert über das fröhliche Fortleben des ehemaligen Gerichtspersonals nach dem Ende der NS-Diktatur. In der Dokumentation spielt Roland Freisler eine große Rolle. Der Präsident des Volksgerichtshofs schickte tausende Widerstandskämpfer aufs Schafott, nachdem er sie auf schlimme Weise erniedrigt hatte. Oftmals reichten eine regimekritische Bemerkung, ein Flüsterwitz, eine an die Wand gemalte Parole, das Abhören eines ausländischen Senders, die kritische Nachfrage nach dem fortwährend versprochenen "Endsieg" oder das Verstecken von Juden und anderen Personen vor der Gestapo, um vor das Volksgericht gestellt zu werden.

Den meisten Blutrichtern ist nichts geschehen

1942, als die Mordmaschine auf vollen Touren lief, versicherte Freisler seinem Führer: "Der Volksgerichtshof wird sich stets bemühen, wie er glaubt, dass Sie, mein Führer, den Fall selbst beurteilen würden." Wider besseren Wissens schrieb der Völkische Beobachter, das Zentralblatt der NSDAP, am 4. November 1938: "Im Ausland beschimpft man den Volksgerichtshof. Er gehört zum ständigen Paradestück der Hetzpresse. Man malt Richter in blutrünstigen Farben, man faselt von Schauprozesse und Scheinverfahren". Doch genau das waren die besonderen Charakteristika dieses blutbefleckten Tribunals. Reichsjustizminister Franz Gürtner wies 1936 an: "Die Todesstrafe ist im gesamten Reichsgebiet mittels des Fallbeils zu vollziehen, sofern die Reichsregierung nicht im Einzelfall anordnet, dass das Urteil durch Erhängen zu vollziehen ist." In der Ausstellung kann man auf einem Foto dem Scharfrichter Johann Reichhart in die Augen schauen, der bis Kriegsende 2951 Exekutionen durchgeführt hat und danach noch eine Weile für die amerikanische Besatzungsmacht tätig war. Viel geschehen ist dem Henker nicht, ebenso wenig den Blutrichtern, die die Todesurteile ausgesprochen haben und/oder deren Anzeige bei der Geheimpolizei zu Verhaftung und Verurteilung führten.

Die Ausstellung zeigt Beispiele für die erbarmungslosen Gerichtsentscheidungen und zitiert aus diesen. Die Angeklagten werden als schamlose Verräter am Führer und Vaterland, als skrupellose Kollaborateure und Helfer des Feindes und als diejenigen denunziert, die jede Gnade verwirkt haben. In der Regel standen die Urteile schon fest, bevor die Verfahren eröffnet wurde. Wenn Hitler ein Urteil missfiel, sorgte er dafür, dass es verschärft wurde, und er drängte auf schnelle Vollstreckung. In seinem Abschiedsbrief schrieb der zum Tod verurteile Karikaturist Erich Ohser am 8. April 1944: "Sie können stolz sein, der Mörder von ,Vater und Sohn' zu sein […] So wahr mir Gott helfe, dieser Unrat von Anklage ist erlogen und erstunken. Aber ich sehe und ich kenne die Methoden des deutschen Volksgerichtshofes und weiß, dass ich nicht entkomme." Bevor Ohser wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung aufs Schafott geführt wurde, erhängte er sich in seiner Zelle.

"Gemeines Hetzmachwerk gegen unseren Führer"

Witze über Hitler und seine mörderischen Helfer zu machen, konnte einem den Kopf kosten. Zahlreiche Todesurteile wurden unter dem Vorwurf des Hochverrats, der Wehrkraftzersetzung und der Herabwürdigung von Politikern und Politik ausgesprochen und vollzogen. Die Ausstellung über das Wüten des Volksgerichtshof schildert als Beispiel den Fall von drei Mitarbeitern des Reichsrundfunks in Berlin, die ein für Hitler wenig schmeichelhaftes "Deutsches Gebet" verfasst hatten und angezeigt. Freislers Volksgerichtshof verurteilte Max Knopf, Kurt Brüggen und Otto Hemmerling für diese Reime zum Tode. "Komm Adolf und sei unser Gast / und gibt uns die Hälfte von dem, /was Du uns versprochen hast. / Nicht Stammgerichte und Hering, nein, / was Goebbels isst und Göring. / Erst nahmst Du uns Schmalz und Butter; / und auch noch den Zucker. / Feste feiern und hohe Steuern, / das nanntest Du Deutschland erneuern. / Volk ohne Butter, Vieh ohne Futter, / Führe ohne Frau, zehn Schlächter auf eine Sau, / das ist Deutschlands Wiederaufbau. / Komm, komm Hindenburg, alter Streiter weiter, / und hilf dem kleinen Gefreiten weiter. / Der russisch regiert, Napoleon markiert, / den Bart englisch geschoren, dazu noch / in Österreich geboren, und italienisch grüsst, / der Frauen das Kinderkriegen versüsst, / selber aber keine machen kann, / das ist sicher ein deutscher Mann." Bruggen war Kellner in der Rundfunkkantine, sein Kollege Hemmerling arbeitete als Tontechniker. Sie hatten das "gemeine Hetzmachwerk gegen unseren Führer", wie es im Urteil heißt, vervielfältigt und in einer nahe gelegenen Kneipe Gäste zum Lesen gegeben, worauf sie denunziert wurden. Während Knopfs Todesstrafe in eine zwölfjährige Haft verwandelt wurde, hat man seine Kollegen im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. Für vier der sechs in der Kantine arbeitenden Frauen wurden Zuchthaus- und Gefängnisstrafen ausgesprochen, zwei wurden freigesprochen.

Rachefeldzug gegen alle und jeden

Unter dem Rachefeldzug litten auch Familienangehörige sowie Freunde und Kollegen der Angeklagten und Hingerichteten. Die Ausstellung berichtet, dass die Angeklagten nichts zu ihren Gunsten vorbringen konnten, ja dass Verteidiger nur Staffage waren. Wenn sie nicht so arbeiteten, wie es Freisler und seine Kumpanen erwarteten, wurden sie zur Rechenschaft gezogen. Der damalige Oberleutnant und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt, der an einer Gerichtsverhandlung gegen Beteiligte am Attentat vom 20. Juli 1944 teilnehmen musste, schrieb 1946: " Die Prozedur war ausschließlich auf menschliche Entwürdigung und seelische Vernichtung abgestellt. […] Dass diese Verhandlung aller Prozessordnung hohnsprach; dass keine Zeugen da waren; dass die Offizialverteidiger ganz offenbar erst in der voraufgegangenen Nacht bestimmt worden waren; dass die Angeklagten kaum einen Satz vollenden konnten, ohne unterbrochen zu werden; dass nur verhandelt wurde, was nicht in den Freislerschen Plan passte. Es war so bedrückend, dass ich es nicht vermochte, auch den zweiten Tag wieder hinzugehen."

Obwohl die Angeklagten von Freisler niedergeschrien und eingeschüchtert wurden, fanden manche Mut, ihm wie der noch am 20. Juli 1944 nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler festgenommene General Erich Fellgiebel todesmutig ins Gesicht zu sagen: "Dann beeilen Sie sich mit dem Aufhängen, Herr Präsident, sonst hängen Sie eher als wir." Dieses Zitat kann im Entree zur Ausstellung in weißer Schrift auf blutrotem Grund nachgelesen werden. Der aus der Wehrmacht ausgestoßene Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, der nach dem erfolgreich ausgegangenen Anschlag vom 20. Juli 1944 das Oberkommando der Wehrmacht hätte übernehmen sollen, wurde von Freisler auf besonders widerliche Weise als Lump, Mörder, Verräter, Esel und Jammerlappen gedemütigt. Man hatte Witzleben Gürtel und Schnürsenkel abgenommen, so dass er seine viel zu weite Hose festhalten musste, worauf sich Freisler, auf jede Form von richterlicher Neutralität verzichtend, wie es im Text zu einem Foto heißt, zu anzügliche Bemerkungen veranlasst sah. Seinen sicheren Tod vor Augen, sagte der ehemalige Generalfeldmarschall zu Freisler: "Sie können uns dem Henker überantworten. In drei Monaten zieht das empörte und gequälte Volk Sie zur Rechenschaft und schleift Sie bei lebendigem Leib durch den Kot der Straßen." Da Freisler Anfang 1945 bei einem Bombenangriff tödlich verletzt wurde, blieb ihm ein Verfahren vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg erspart. Witzlebens Mitangeklagter Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld nannte als Motiv für sein Handeln "die vielen Morde, die im In- wie Ausland passiert sind". Worauf Freisler ihn anbrüllte und einen "schäbigen Lump" nannte.

Film wurde unter Verschluss gehalten

Hitler ließ die Gerichtsverfahren und die Exekutionen filmen und weidete sich an den Demütigungen, die die zuvor gefolterten und in schäbiger Kleidung vorgeführten, als Jämmerlinge, Würstchen und Ratten bezeichneten Angeklagten erleiden mussten. Aus Angst vor der eigenen Bevölkerung wurden die Aufnahmen, ein Extrakt von 50 Kilometern Filmmaterial, unter Verschluss gehalten. Es sollte nicht bekannt werden, welchen Umfang die Widerstandsbewegung selbst in hohen und höchsten Kreisen angenommen hatte und unter welchen Bedingungen die Schauprozesse abliefen. Als "Geheime Reichssache" deklariert, wurden die wegen des brüllenden Gerichtspräsidenten Freisler vielfach kaum verständlichen Aufnahmen nur einem ausgewählten Kreis von NS-Funktionären vorgeführt und zeigten eine verheerende Wirkung. Auf einem Monitor sind in der Topographie des Terrors Ausschnitte aus diesem Filmdokument zu sehen.

Vielen Angehörigen der von Hitlers Henkern ermordeten Männer und Frauen wurde nach dem Krieg das Leben schwer gemacht, weil man sie für nach wie vor für Verräter am Vaterland hielt und ihnen auf perfide Weise so etwas wie Wiedergutmachung vorenthielt. Im letzten Abschnitt der Ausstellung wird auch diese beschämende Art der "Vergangenheitsbewältigung" thematisiert, und es wird auch gezeigt, wie in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise nach 1949 in der DDR mit Naziverbrechern umging. Bei Erich Geißler, einem Angehörigen des Volksgerichtshofs, wurde die DDR-Justiz erst aktiv, als 1979 in Westberlin Ermittlungen gegen den Volksgerichtshof aufgenommen wurde. Flugs wurde der Ermittlungsrichter in Ostberlin vor Gericht gestellt, obwohl die Stasi bereits seit Jahren von seiner Tätigkeit in der Nazijustiz wusste. Es sollte kein Schatten auf das Image des zweiten deutschen Staates als Hort des Antifaschismus fallen. Warum es so lange gedauert hat, bis man Geißler auf die Spur kam, blieb in der damaligen Berichterstattung unerwähnt.

1. Juni 2018

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