Stalins einsames Sterben
Nach dem Schlaganfall verweigerten vor 65 Jahren seine Getreuen dem Diktator ärztliche Hilfe



Der Kult um Stalin war in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR wichtig für den Machterhalt der SED-Führung, die lange nach Stalins Tod an ihrem "Führer" festhielt und behauptete, Stalinismus habe es im deutschen Osten nicht gegeben.



Nach den Enthüllungen auf dem XX. Parteitag der KPdSU Anfang 1956 stellte SED-Chef Walter Ulbricht lapidar fest, Stalin sei nicht mehr den Klassikern des Marxismus-Leninismus zuzurechnen.



Als Ende 1949 der 70. Geburtstag von Stalin hymnisch gefeiert wurde, ließ die SED-Führung ihre "Haus der Einheit" genannte Zentrale üppig mit einem Stalin-Bild und ebensolchen Parolen schmücken. Das Gebäude mit der Adresse Torstraße 1 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist heute ein exklusives Hotel.



Der ukrainische Parteichef Nikita Chruschtschow war als Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU einer der engsten Mitarbeiter von Stalin. Er ließ 1956 an seinem früheren Chef kaum ein gutes Haar und wurde 1964 von Leonid Breschnew gestürzt und starb 1971 in Moskau.



Zur Ausstellung über den Stalin-Kult in der DDR gab die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen dieses Andreas Engwert, Hubertus Knabe und weiteren Autoren verfasste Buch mit vielen Bildern und wichtigen Informationen über den Stalin-Terror und das Schicksal deutscher Kommunisten heraus, die nach 1933 in die Sowjetunion geflohen und dort schrecklicher Drangsalierung ausgesetzt waren. (Fotos/Repros: Caspar - siehe auch Beiträge auf dieser Internetseite/Geschichte vom 23. und 25. Januar 2018)



Bis zu seinem einsamen Tod in seiner Datsche Kunzewo bei Moskau am 5. März 1953, vor nunmehr 65 Jahren, soll der sowjetische Diktator Josef Stalin guter Dinge gewesen sein. Wie üblich hatte er seine engsten Getreuen Lawrenti Berija, Georgi Malenkow, Nikolai Bulganin und Nikita Chruschtschow zum Abendessen und ausgiebigem Trinkgelage zu sich bestellt. Weil Stalin an Arthritis, Arteriosklerose, Bluthochdruck und Schwindelanfällen leidet und seine häufigen Gedächtnislücken mit paranoiden Maßnahmen zu kaschieren sucht, haben die Ärzte ihm Mäßigung empfohlen. Umsonst, denn der Patient richtet sich nicht danach und glaubt zu wissen, dass seine Leibärzte ihm und einigen seiner engsten Genossen nach dem Leben trachten. Wer Stalin verdächtig erscheint, und das waren jüdische Ärzte, wird verhaftet und vom sowjetischen Geheimdienst NKWD unter Folter zu "Geständnissen" genötigt. Im Januar 1953 war, um Terrormaßnahmen zu rechtfertigen, eine Frau mit dem Leninorden ausgezeichnet worden, die die angebliche Ärzteverschwörung aufgedeckt hatte. An jenem 1. März 1953 mussten sich die bei Stalin versammelten Spitzenpolitiker heftige Vorwürfe anhören. Der von Verfolgungswahn befallene Diktator erregte sich darüber, dass die Untersuchungsorgane in Sachen "Jüdische Ärzteverschwörung gegen den großen Führer" nicht wie gewünscht vorankommen. Der eine oder andere Funktionär dürfte angesichts dieser Tiraden befürchtet haben, das gleiche Schicksal zu erleiden wie hochrangige, der Sabotage, des Trotzkismus, der Feindbegünstigung und Mordabsichten beschuldigte Parteifunktionäre und Militärs vor ihnen.

So weit kam es aber nicht, denn der vierundsiebzigjährige Stalin erlitt in derselben Nacht einen Schlaganfall und war damit außer Gefecht gesetzt. Ein Sicherheitsmann entdeckte den Hilflosen in Pyjamahose und Unterhemd auf dem Fußboden liegend. Stalin war bei Bewusstsein, aber er konnte nicht sprechen. Man hob ihn auf ein Sofa, wo er alsbald sein Bewusstsein verlor. Die sowjetische Führungsspitze war aufs Höchste alarmiert. Über alles, was in Stalins streng von der Öffentlichkeit abgeschirmten Residenz vorging, wurde eine Nachrichtensperre verhängt. Jetzt begannen die Diadochenkämpfe um die Nachfolge des Schwerkranken. Das Interesse von Berija, Chruschtschow und anderen war gering, das Leben des, wie man immer sagte, größten Führers des Weltproletariats und Kämpfers für den Weltfrieden durch ärztliche Maßnahmen zu retten und ihm wenigstens ein würdiges Ende zu gewähren. Geheimdienstchef Berija verbot Leibwächtern und Hausbediensteten, nach draußen zu telefonieren. Gleichgültigkeit und die Erwartung, über kurz oder lang den Henker im Rang eines Generalissimus los zu sein, waren kaum zu übersehen. Niemand getraute sich, nach Stalin zu sehen, es hätte ja passieren können, dass er plötzlich die Augen öffnet und Todesurteile murmelt. Sich ohne Aufforderung ins Allerheiligste, also Stalins Gemächer, zu begeben, war ein Sakrileg, das blutige Folgen haben konnte. So schickten die vor Angst schlotternden Politbürokraten eine Haushälterin hinein. Sie befand, dass es sich bei Stalin um "keinen normalen Schlaf" handelt.

Faustdicke Lügen

Die im Vorzimmer versammelten Funktionäre mussten handeln und ließen, viel zu spät bei einem Schlaganfall, Mediziner kommen. Allerdings waren das nicht Stalins Leibärzte, sondern nur zweitklassiges Personal, das sich nicht getraute, den mit dem Tod kämpfenden, im Urin liegenden Diktator anzurühren, zu untersuchen und medizinische Maßnahmen zu ergreifen. Am 4. März 1953 sah sich die staatliche Nachrichtenagentur TASS genötigt, eine "ganz oben" formulierte, mit Lügen gespickte Mitteilung über die Erkrankung des Kreml-Chefs zu veröffentlichen. "Das ZK der KPdSU und der Ministerrat der UdSSR machen Mitteilung von dem Unglück, das unsere Partei und unser Volk getroffen hat - von einer schweren Erkrankung des Genossen Stalin." Demnach habe Stalin in der Nacht zum 2. März in seiner Moskauer Wohnung eine Hirnblutung erlitten und leide unter Herz- und Atmungsstörungen. Zur Behandlung des Erkrankten würden die besten Ärzte herangezogen. Dass sich diese um Stalin kümmern, war eine faustdicke Lüge, denn die Elite der sowjetischen Medizin befand sich in der Gewalt des von Berija geleiteten Geheimdienstes.

Stalins Tod wurde am 5. März 1953 um 21:50 Uhr amtlich festgestellt, und schon rollte eine Welle von Beileidsbekundungen an, und zwar von echten wie auch von scheinheiligen. Im Gedränge bei der Beisetzung auf dem Roten Platz in Moskau am 9. März 1953 gab es Tote. Stalins Leiche wurde einbalsamiert und im Mausoleum neben Lenins Leiche zur Schau gestellt. Diejenigen Funktionäre, die die Totenwache hielten, überlegten derweil, welche Rolle sie in der Zeit nach Stalin spielen würden und wie sie den einen oder anderen Konkurrenten ausschalten können. Nach und nach kristallisierte sich Nikita Chruschtschow, als Stalin-Intimus einer der hochrangigen Totenwächter, als der neue starke Mann heraus. Er war es, der drei Jahre später auf dem XX. Parteitag der KPdSU mehr oder weniger deutlich die Verbrechen seines Ziehvaters zur Sprache brachte. Die ostdeutschen Zuhörer mit SED-Chef Walter Ulbricht an der Spitze nahmen die Geheimrede ungerührt zur Kenntnis, lobten Stalin weiter und behaupteten, mit dem Stalinschen Terror und dem widerwärtigen Personenkult um ihn nichts zu tun zu haben, weshalb in der DDR auch nichts zu bereuen ist.

Nach Stalins Tod gab es Gerüchte, der Diktator sei von seinen eigenen Leuten vergiftet worden. Einige der laut Bulletin "angesehensten und bekanntesten Mediziner der Sowjetunion" können an dem Mordkomplott nicht beteiligt gewesen sein, wenn es denn dieses überhaupt gegeben hat. Gegen die jüdischen Ärzte war bereits ein Schauprozess geplant, der dann aber nicht mehr stattfand. In der DDR wurde Anfang 1953 ausführlich mit Nennung zahlreicher Namen über die Ärzteverschwörung berichtet, ohne dass jemand gewagt hätte, die Anschuldigungen und ihre antisemitische Stoßrichtung zu hinterfragen. Kaum war Stalin tot, wurden die betroffenen Mediziner freigelassen und die Verdächtigung als haltlos bezeichnet. Der Fall wurde am 31. März 1953 von Lawrenti Berija niedergeschlagen. Jetzt wurde dem Chef der Untersuchungskommission, Michail Rjumin, vorgeworfen, für die Erfindung der Verschwörung verantwortlich zu sein. Er wurde verhaftet und hingerichtet.

Abrechnung mit Berija

In seinem Buch "Stalin. Am Hof des Roten Zaren" (Frankfurt/M. 2006, ISBN 3-596-17251-9) hat der britische Historiker Simon Sebag Montefiore das lange Sterben des Diktators und Massenmörders rekonstruiert und dargelegt, dass keiner von seinen angeblich Getreuen daran interessiert war, dass ihm nach dem Schlaganfall vom 1. März 1953 ärztliche Hilfe zuteil wird, von menschlicher Hinwendung ganz abgesehen. Stalins Genossen bedeckten den "teuren Toten" noch mit ein paar Küssen und weinten Krokodilstränen, wandten sich dann aber ihren Geschäften und ihrem eigenen Überleben zu. Als erster musste Berija dran glauben, im Politbüro nach Malenkow kurzzeitig die Nummer Zwei. Um zu verhindern, dass Stalins Exekutor die Macht in der Sowjetunion ergreift, wurde er in der Sitzung des Zentralkomitees der KPdSU unter Vorsitz von Nikita Chruschtschow am 26. Juni 1953 verhaftet. Vor dem Obersten Gericht der Sowjetunion wegen Spionage für Großbritannien in den 1920er Jahren und des Versuchs der Beseitigung der Sowjetmacht, nicht aber wegen massenhaft vollstreckter Todesurteile angeklagt, haben die geheim tagenden Richter ihn am 23. Dezember 1953 zum Tod verurteilt und noch am gleichen Tag erschießen lassen.

Dieser Version steht die Behauptung von Berijas Sohn entgegen, sein Vater sei bereits am 26. oder 27. Juni 1953 in seiner Dienstwohnung erschossen worden. Er selbst habe den Abtransport der Leiche gesehen, Verhaftung und Prozess seien nur inszeniert gewesen. 2010 bestätigte der Stabschef der russischen Luftstreitkräfte, Generalleutnant Wadim Wolkowizki, dass Berija am 23. Dezember 1953 hingerichtet wurde und dass Generaloberst Pawel Batizki persönlich das Urteil vollstreckt hat. So gibt es um Berijas Ende wie um den einsamen Tod seines Chefs Josef Stalin manche Legenden. Was stimmt und was erfunden ist, wird sich erst herausstellen, wenn die Moskauer Archive geöffnet werden. Doch davon ist im Moment angesichts der Machtverhältnisse im Kreml kaum auszugehen.

6. Februar 2018

Zurück zur Themenübersicht "Geschichte, Zeitgeschichte, Ausstellungen"