"Fühl in des Thrones Glanz, die hohle Wonnegans"
Warum die altehrwürdige Kaiserhymne in ein Spottlied gegen Wilhelm II. umgedichtet wurde



Man könnte ihn lieben, wenn er nur kein Preuße wäre, kommentierte auf der volkstümlichen Postkarte links der sprichwörtliche Herr Huber 1906 den Besuch Wilhelms II. in München.



Wilhelm II. war ein ausgesprochener Flottennarr und zog gelegentlich eine Admiralsuniform an, die in anderen, zeitweilig mit dem Deutschen Reich befreundeten Staaten verwendet wurde, wie die seine Eitelkeit betonende Karikatur zeigt.



Der deutsche Kaiser und König von Preußen wird unsanft aus der St. George's Chapel in London geworfen, in der die Träger des Hosenbandordens und also auch der Enkelsohn von Queen Victoria geehrt werden. Nach Kriegsbeginn im August 1914 ließ sich der Kaiser nicht mehr mit der höchsten Auszeichnung der britischen Monarchie ablichten, das englische Königshaus verzichtete auf den Familiennamen Sachsen-Coburg und Gotha und heißt seither Windsor.



Von der Karikatur aus der von Heinrich Zille geschaffenen Serie "Kriegsmarmelade" gibt es zwei Versionen, links bedeckt ein Lakai des Kaisers Geschlechtsteil, das rechts unbedeckt zu sehen ist. Als Wilhelm II. noch an der Macht war, hätte sich der Zeichner des Berliner Proletariats für diese Frechheit eine schwere Gefängnisstrafe eingehandelt. (Repros: Caspar)

Vor hundert Jahren ging im Deutschen Reich die Monarchie unter, Fürsten büßten nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg im Verlauf der Novemberrevolution von 1918 ihre Kronen ein. Deutschland wurde Republik und hatte mit den Folgen des Krieges zu kämpfen, während es sich auf beiden Seiten die Verursacher und -gewinnler gut gehen ließen. Kaiser Wilhelm II. ging ins Exil, doch seine Generäle blieben. Er trauerte im holländischen Exil herrlichen Zeiten nach, während die Leute auf den Straßen und im Kabarett Spottlieder sangen, und Karikaturen den ruhmlosen Abgang des Monarchen mit viel Spott und Häme aufs Korn nahmen.

Als der letzte deutsche Kaiser und preußische König noch fest im Sattel saß, war er per Gesetz vor Kritik geschützt. Man musste sie vorsichtig vortragen, wollte man nicht der Majestätsbeleidigung angeklagt werden. Einen Ausweg gab es, indem man den Reichskanzler und andere Vertraute des Monarchen sowie ganz allgemein Hofschranzen und zackig sich gebende Offiziere und Beamte anging oder sich an der kaiserlichen Kunstförderung und den protzigen Staatsbauten rieb. Hin und wieder wurde mit kritischem Unterton über spektakuläre Auftritte des Herrschers berichtet, und in den Satireblättern tauchten Gestalten auf, die dem sich im Glanz seiner Uniformen und Orden spreizenden Kaiser nicht unähnlich waren. Mit seinen Donnerworten, seinen prätentiösen Auftritten bei Staatsempfängen, Hoffesten, Schiffstaufen, Denkmalweihen, Parlamentseröffnungen und den mit viel Getöse um die eigene Person verbundenen Auslandsreisen und Stippvisiten bei den Untertanen draußen im Lande machte sich wegen seiner spontanen Ausbrüche berüchtigte "Wilhelm der Plötzliche" nicht unbedingt Freunde. Zumal sich Untertanen in anderen Regionen des Deutschen Reichs durch den Hohenzollernstaat überfremdet fühlten und das Übermäßig-Preußische heftig ablehnten.

Eitel und selbstherrlich

Da aber Wilhelm II. und seine fürstlichen Standesgenossen persönlich über jede Kritik erhaben waren und die von willfährigen Juristen besetzten Gerichte peinlich darauf achteten, dass das so bleibt, mussten Journalisten, Schriftsteller, Zeichner und andere vorsichtig vorgehen. Immer wieder haben sie versucht, am aufgeblasenen Image des Reichsoberhaupts zu kratzen und zu zeigen, dass es sich um einen "Kaiser ohne Kleider" handelt. Manchmal wurden die Verfasser und Zeichner ins Gefängnis gesteckt und freche Journale eine Zeitlang verboten. Dem Münchner Satireblatt "Simplicissimus" ist das mehrfach passiert, und jedes Mal steigerte die öffentliche Aufmerksamkeit dessen Auflage.

Gründe, sich über den Kaiser zu ereifern, fanden sich immer. Denn im Vollgefühl seiner angeblich von Gott ihm übertragenen Macht und Unantastbarkeit, aber wohl auch weil Diplomatie und Geschmeidigkeit nicht seine Sache war, nahm Wilhelm II. kein Blatt vor den Mund und provozierte seine Untertanen und das Ausland mit seiner Eitelkeit und Selbstherrlichkeit, seinem verbalen Säbelrasseln und kriegerischen Sprüchen. Jedoch erwiesen sich viele seiner Ankündigungen und Drohgebärden als hohles Geschwätz, denn Wilhelm II., der 1888 den Thron erklommen hatte, war kein absoluter Herrscher wie Ludwig XIV. von Frankreich und Preußens König Friedrich II., genannt der Große, sondern musste sehr zu seinem Ärger Rücksicht auf die Reichsverfassung, den Reichstag und dann und wann sogar auch auf Volkes Meinung nehmen.

Liebling des Volks zu sein

Um dem Monarchen etwas am Zeug zu flicken und sein provozierendes Tun ins Lächerliche zu ziehen, wurde die schon 1795 in Berlin gesungene, dann aber nach der Reichseinigung von 1871 auf Wilhelm I., den Sieger dreier Einigungskriege von 1864, 1866 und 1870/71, gemünzte Kaiserhymne umgedichtet. Das laut gedrucktem Notenblatt mit "frischem Schwung" zu singende Lied beginnt mit diesen Worten: "Heil dir im Siegerkranz, / Herrscher des Vaterlands! / Heil, Kaiser, dir! / Fühl in des Thrones Glanz / Die hohe Wonne ganz, / Liebling des Volks zu sein! / Heil Kaiser, dir!" und beschreibt weiter, dass die Liebe des Vaterlandes und die Liebe des freien Mannes den Herrscherthron "wie Fels im Meer" gründen. Die Hymne endet mit dem Wunsch, Kaiser Wilhelm möge lange seines Volkes Zier und Stolz der Menschheit sein.

Die Zeile mit der Formulierung "hohe Wonne ganz" hatte es in sich, denn Spötter machten daraus eine "hohle Wonnegans", und so erhielt Wilhelm II. neben den Spottnamen Reisekaiser oder Denkmalwilly wegen seiner vielen Reisen und der überall aufgestellten Denkmäler, die er in Auftrag gegeben und eingeweiht hat, den wenig schmeichelhaften Titel "Wonnegans". Ob der Monarch davon erfuhr, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass man am Hof in Berlin und Potsdam alles tat, dass dem hohen Herrn solche Schmähungen nicht zu Ohren oder unter die Augen kamen. Als er entmachtet war, mag der eine oder andere Spott zu ihm ins Exil nach Holland gelangt sein. Tief beleidigt und auf Rache sinnend, betrieb die kaiserliche "Wonnegans" ihren Rückflug auf den Thron. Anbiederungen des Ex-Kaisers an die Nazis nach 1933 hatten keinen Erfolg, denn Hitler ließ sich von den Hohenzollern und den anderen Herrscherhäusern nichts vorschreiben. Als Wilhelm II. 1941 in Haus Doorn starb, schickte der "Führer" einen Kranz und ließ eine Ehrenwache an den Sarg aufstellen.

10. Juli 2017

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