Kritik an barbusiger Europa
Bundespräsident Theodor Heuss fand neuen Fünf-Mark-Schein von 1948 alles andere als anziehend



Bundespräsident Theodor Heuss konnte den Umlauuf des Fünf-DM-Scheins von 1948 nicht verhindern.



Die griechischen Euromünzen von 2002 laden zu einer Reise in die Antike ein.



Der Name unseres Kontinents taucht erstmals rechts auf der Rückseite des Schautalers von 1509 des römisch-deutschen Kaisers Maximilian auf. (Fotos: Caspar)

Wir erleben gerade eine Zeit neuer Prüderie. Fotos, Gemälde und Skulpturen mit unbekleideten Menschen werden aus Ausstellungen entfernt und verschwinden in den Depots, weil sie angeblich das Schamgefühl der Betrachter beleidigen und der allgemeinen Sittlichkeit widersprechen, was immer man darunter versteht. In der Renaissance verlangte Papst Pius IV., dass Michelangelos berühmte Fresken in der Decke der Sixtinischen Kapelle zu Rom so "bearbeitet" werden, dass er und seine Kardinäle sie betrachten können, ohne rot zu werden, wenn sie den Blick gen Himmel richten. Die Ausführung eines diesbezüglichen Erlasses von 1564 brachte dem mit der Übermalung von weiblichen und männlichen Geschlechtsteilen betrauten Maler Daniele da Volterra den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Braghettone" (Hosenmaler) ein. Der als "unsittlich" verschmähte Urzustand der Fresken wurde erst bei der großen Restaurierung zwischen 1980 und 1994 wiederhergestellt. Kaiser Wilhelm II. und seine Sittenpolizisten spürten allen möglichen Verfehlungen nach und setzten sogar ein Gesetz durch, das, streng angewandt, sogar den herrlichsten Antiken der Berliner Museen ein "Schürzchen" verpasst hätte. Versteht sich, dass es dagegen in der deutschen Öffentlichkeit und der Künstlerszene heftigen Widerstand gab.

Ob sich der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss bewusst war, dass er sich mit seiner Kritik an einem für die Bank deutscher Länder gedruckten Fünf-DM-Schein von 1948 mit der barbusigen Europa auf dem Stier lächerlich macht? Der schwäbische Protestant fühlte sich in einem Schamgefühl verletzt und schrieb empört an den katholischen Bundeskanzler Konrad Adenauer, er habe eine unerfreuliche Begegnung mit dem Fünfmarkschein gehabt, "der als erste graphische Leistung für die Bundesrepublik Deutschland Zeugnis ablegen soll. Man kann wahrscheinlich tiefe Symbolik treiben - oder nennt man diese Verfahren Allegorik, daß der Stier wohl von den Weiden aus Texas die Europa als leichte Last (oder Beute) auf seine Hörner genommen hat. Aber das ganze ist für mein Gefühl schauderhaft, ich sehe schon, wie die Klagen der Künstler und anderer Leute bei mir eindringen. Wir haben zwar, glaube ich, noch kein Bundeskriminalamt, aber Sie könnten doch wohl feststellen lassen, wer an diesem Verbrechen wider die Menschlichkeit die Schuld trägt."

Es ist nicht überliefert, ob der Bundeskanzler der Bitte des Bundespräsidenten entsprach, eher dürfte ihn dessen übertriebene Prüderie amüsiert haben. Fest steht, dass der von dem Grafiker Max Bittorf entworfene und in der Londoner Firma Thomas De La Rue gedruckte Geldschein in Umlauf kam. Ob er auch außerhalb der des Bundespräsidialamtes Anstoß erregte, ist unbekannt. Die Leute hatten damals, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und der elenden Naziherrschaft, wahrlich andere Sorgen, als sich über die recht freizügig dargestellte, von dem in einen Stier verwandelten Zeus entführten phönizischen Königstochter Europa zu erregen. Sie waren froh, wenn sie einen solchen Schein in der Hand hatte, der eine erhebliche Kaufkraft besaß und ab 1951 durch ein Silberstück mit "dünnem" Bundesadler ergänzt wurde. Im Übrigen hätte Theodor Heuss gut daran getan, wirkliche Verbrechen wider die Menschlichkeit anzuprangern und von Konrad Adenauer zu verlangen, dass er und die bundesdeutsche Justiz konsequent gegen große und kleine Naziverbrecher vorgehen, die nach dem Krieg frech ihr Haupt erhoben und sich überall im Lande breit machten, als sei nichts geschehen.

Das Beispiel, das wir einem Artikel von Frank Berger, als Kurator am Historischen Museum Frankfurt am Main für Münzen und Medaillen zuständig, in der Zeitschrift "Geldgeschichtliche Nachrichten" (Heft 299, September 2018) entnehmen, zeigt, dass es auch in der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie Versuche gab, künstlerische Prozesse zu reglementieren und zu zensieren, ein Verfahren, das man nur aus Monarchien und Diktaturen kennt.

Zu numismatischen Ehren kam die sagenhafte Europa auf dem Stier 2002 in Griechenland, das sich auf seinen Euromünzen als uralte Kultur- und Schifffahrtnation präsentiert. Weit in die Geschichte reichen die Bilder auf den Münzen zu einem und zwei Euro zurück. Auf dem Ein-Euro-Stück erkennt man ein Tetradrachmon von Athen mit der heiligen Eule darauf. Von diesen berühmten Silbermünzen wurden in der Antike so viele Stücke geprägt, dass "Eulen nach Athen tragen" als Synonym für selbstverständlich und überflüssig, weil bereits vorhanden, sprichwörtlich wurde. Die Zwei-Euro-Münze führt in die Mythologie und zeigt die schöne Europa, die auf dem Stier entführt wird, selbstverständlich "oben ohne", wie es unzählige antike Kunstwerke und solche neueren Datums vorgemacht haben. Der von der Prinzessin abgeleitete Name unseres Kontinents kam erstmals auf einem Schautaler von 1509 des römisch-deutschen Kaisers Maximilian vor, doch das ist eine andere Geschichte.

20. August 2018

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