Bettler wurden zu Millionären
In der Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg wurden Geldscheine mit immer höheren Zahlen gedruckt



Das habe er nicht gewollt, stöhnt Johannes Gutenberg auf der Karikatur des "Simplicissimus" vom 12. November 1923 angesichts der riesigen Papiergeldmengen, die aus der Druckmaschine fallen.



Auf der Karikatur im "Simplicissimus" vom 23. Juli 1923 klagen zwei Bettler "Früher, wenn d' um a Geld ‚bettelt hast, hast bloß a Brot ‚kriegt, wenn d' um a Brot bettelst, kriegst bloß a Geld."



Die galoppierende Inflation produzierte Geldscheine mit immer höheren Werten, die am Ende dann im Ofen verfeuert wurden, wie ein Exponat im Bunker der Berlin-Story zeigt.



Da man mit der Produktion neuer Scheine nicht hinterher kam, hat man sie überdruckt, um sie höherwertig erscheinen zu lassen.



Städte warben auf ihren Notgeldscheinen mit Bildern aus ihrer Geschichte. Die Stadt Vohwinkel schildert auf dem 500-Millionen-Schein mit Datum vom 15. Oktober 1923, wie der Tod wertloses Geld ausstreut, die von den Bürgern begierig aufgesammelt werden.



Nach dem Ende der unseligen Inflation wurden die wertlosen Geldscheine bergeweise geschreddert, eingestampft oder verbrannt. Was übrig geblieben ist, erfreut heute den einen oder anderen Sammler.

Weil die Deutsche Reichsbank im Ersten Weltkrieg die Druckerpressen immer schneller laufen ließ und es Städten und Fabriken gestattet wurde, große Mengen an Notgeld in Form von Scheinen und Münzen herauszugeben, ist vor hundert Jahren das Tempo der Geldentwertung über alle Maße beschleunigt worden. Während immer mehr Banknoten mit immer höheren Zahlen ausgegeben wurden, schritt die Verelendung der Deutschen in der bis zum Herbst 1923 währenden Inflationszeit weiter voran. Für Lebensmittel, Kleidung und andere Dinge des täglichen Bedarfs mussten sie weitaus mehr bezahlen als in der Vorkriegszeit, bekamen aber nicht im gleichen Maß mehr Lohn, Gehalt und Renten. Bettler wurden über Nacht zu Millionären, aber für das bunt bedruckte Papier konnten sie kaum etwas kaufen. Die Massenverelendung machte rasante Fortschritte, und mit ihr wurde das innenpolitische Klima immer gefährlicher.

Für die Aufblähung, Anschwellung und Entwertung des Geldes es viele Erklärungen - erst schleichende Preiserhöhungen bei gleichzeitiger Verknappung des Warenangebots und dann Freigabe der Preise, denen Löhne und Gehälter hinterher hinkten. Hinzu kamen aufgrund des Versailler Friedensvertrags von 1919 immense Zahlungen und Reparationsleistungen des Deutschen Reiches an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs Das alles heizte den Geldumlauf an und ließ den Wert der Mark von Tag zu Tag verfallen. Entsprach zu Kriegsbeginn 1914 ein US-Dollar noch 4,20 Mark, so wurde sein Wert im August 1923 mit 4,62 Millionen Mark und am 15. November 1923, auf dem Höhepunkt und am Ende der Inflation, mit 4,20 Billionen Mark angegeben. Im Deutschen Reich waren in der Inflationszeit rund 30 000 Menschen allein mit der Herstellung von Banknoten erst zu 500 und 5000 Mark, dann zu 10 000 und 50 000 Mark, schließlich im Nennwert von Millionen, Milliarden und Billionen beschäftigt. Allein 1923, dem Annus horribilis (Schreckensjahr) der Inflation, wurden etwa zehn Milliarden Geldscheine im Wert von 3877 Trillionen Mark produziert (1 Trillion = 1 mit 18 Nullen).

Zeit ist Geld

Nie galt das geflügelte Wort "Zeit ist Geld" so sehr wie in jenen Jahren. Am 3. Januar 1923 kostete in Berlin ein Kilogramm Roggenbrot 163 Mark, am 1. September 9,4 Millionen und am 19. November, auf dem Höhepunkt der Inflation, 233 Milliarden Mark, für ein Kilogramm Rindfleisch musste man an den gleichen Stichtagen 1800, 80 Millionen und 4 Billionen 800 Milliarden Mark bezahlen, umgerechnet gut einen Dollar, und für ein Zentner Briketts wurden zu Jahresbeginn 1865 Mark, am 1. September 1923 82,4 Millionen und am 19. November 1 Billion 372 Milliarden Mark verlangt. Leute, die für ihr Alter ein wenig Geld gespart hatten, verloren die Reserve im Krieg und der Inflation. Sie mussten sich in die Schlange der Sozialhilfeempfänger einreihen, waren zum Verkauf von Wertgegenständen gezwungen, sofern vorhanden, und mussten den Gürtel so eng schnallen, bis es nicht mehr ging.

Das Geld, das man heute bekam, war schon morgen wertlos. Lohn- und Gehaltsempfänger bekamen riesige Geldberge und mussten sich beeilen, sie so schnell wie möglich in Waren umzusetzen. Nach dem Ende der Inflation begann eine kurze Periode wirtschaftlicher Erholung. Zur Schaffung einer neuen, stabilen Währung wurden Industriebetriebe und der landwirtschaftliche Grundbesitz mit Rentenbankbriefen belastet. Dadurch erhielt die neue Rentenbank ein Kapital von 32 Milliarden Rentenmark, von denen 24 Milliarden Rentenmark in Form eiligst gedruckter Noten gegen das alte Inflationsgeld umgetauscht wurden. Eine Rentenmark entsprach einer Billion Papiermark.

Wenn von der Inflation vor hundert Jahren die Rede ist, denken wir zuerst an die Geldentwertung im Deutschen Reich. Meist wird übersehen, dass parallel zur der deutschen Inflation eine ähnliche Katastrophe auch in Deutschösterreich, wie die Alpenrepublik damals offiziell hieß. Sie dauerte bis 1924 und damit etwas länger als die Geldentwertung im Deutschen Reich. Beide Länder hatten mit ihren Verbündeten den Ersten Weltkrieg verloren. Das Deutsche Reich wurde von den Siegermächten durch den Versailler Vertrag und Österreich durch den Vertrag von St. Germain zu Gebietsabtretungen an Nachbarstaaten sowie zu erheblichen, ihre Möglichkeiten übersteigernde Reparationsleistungen gezwungen. Verboten war der Beitritt Österreichs zum Deutschen Reich. Erst 1938 setzte sich Hitler über diese Bestimmung hinweg, als er Österreich mit jubelnder Zustimmung der meisten Bewohner dem Großdeutschen Reich zuschlug und seine Diktatur auf die so genannte Ostmark ausdehnte. Der so genannte Anschluss war ein blendendes Geschäft für den NS-Staat, denn er beschlagnahmte den Gold- und Devisenschatz der Österreichischen Nationalbank und füllte die erschöpften eigenen Devisenreserven wieder auf. Nicht weniger als 78,3 Tonnen Feingold im Wert von 467,7 Millionen Schilling sowie Devisen und Valuten im Wert von 60,2 Millionen Schilling wurden zur Reichsbank nach Berlin geschafft. Das Wiener Hauptmünzamt musste für das nunmehr Großdeutsche Reich mit dem Kennbuchstaben B produzieren.

Welt von Gestern

Noch nie hatte man nach dem Ersten Weltkrieg auf österreichischen Banknoten solche Zahlen gelesen - erst 5000, dann 50 000, 100 000, 500 000 Kronen und höhere Werte. Auf dem Höhepunkt der Inflation waren neun Billionen Papier-Kronen im Umlauf. Die sorgfältig mit der Austria, der Symbolfigur des Landes, dem einköpfigen Adler und weiteren Motiven geschmückten Scheine täuschen ihren Wert nur vor. Waschkorbweise wurde das Papiergeld von der Druckerei zu den Ausgabestellen getragen, doch hatte es in der Zeit dazwischen bereits an Wert verloren. Derweil konnte sich der Staat auf billige Weise seiner Schulden etwa in Form von Kriegsanleihen entledigen. Wer clever war und vor nichts Ehrfurcht hatte, verdiente an der Währungskatastrophe.

Der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig hat in seinem Buch "Die Welt von Gestern" mit Zorn und Ekel beschrieben, wie reich gewordene Aufsteiger in mehr oder weniger vornehmen Clubs und Nachtlokalen feiern und prassen und sich in teuren Autos mit Halbweltdamen durch Wien und andere Städte kutschieren lassen. Derweil sich der große Rest der Bevölkerung in die lange Schlange der Sozialhilfeempfänger einreihen und den Gürtel so eng schnallen musste, bis es nicht mehr ging. Das Geld, das man heute bekam, war schon morgen wertlos. Nie galt das geflügelte Wort "Zeit ist Geld" so sehr wie in jenen Jahren. Kein Wunder, dass in den Inflationsjahren die Selbstmordrate rasant anstieg. Zweig urteilte den "Hexensabbat der Irrsinnszahlen" mit den Worten "Nichts hat das deutsche Volk so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation. Denn der Krieg, so mörderisch er gewesen, er hatte immerhin Stunden des Jubels geschenkt mit Glockenläuten und Siegesfanfaren" und meinte damit die Verhältnisse sowohl im Deutschen Reich als auch in seiner österreichischen Heimat. Zehn Jahre später war Hitler an der Macht.

Stefan Zweig schildert in seinem Erinnerungsbuch, wie er die österreichische Inflation erlebte. Angesichts der immer wertloser werdenden Krone ging man zum Tauschhandel über. "Von Woche zu Woche wurde das Chaos größer, die Bevölkerung aufgeregter. Denn von Tag zu Tag machte sich die Entwertung des Geldes fühlbarer. Die Nachbarstaaten hatten die alten österreichisch-ungarischen Noten durch eigene ersetzt und dem winzigen Österreich mehr oder minder die Hauptlast der alten ,Krone' zur Einlösung zugeworfen. Als erstes Zeichen des Misstrauens in der Bevölkerung verschwand das Hartgeld, denn ein Stückchen Kupfer oder Nickel stellte immerhin ,Substanz' dar gegenüber dem bloß bedruckten Papier. Der Staat trieb zwar die Notenpresse zur Höchstleistung an, um möglichst viel solchen künstlichen Geldes nach Mephistopheles' Rezept zu schaffen, kam aber der Inflation nicht mehr nach; so begann jede Stadt, jedes Städtchen und schließlich jedes Dorf sich selbst ,Notgeld' zu drucken, das im Nachbardorf schon wieder zurückgewiesen und später in richtiger Erkenntnis seines Unwerts meist einfach weggeworfen wurde".

Bald habe niemand mehr gewusst, berichtet Zweig weiter, was etwas kostete, die Preise seien willkürlich gesprungen, und es wurde alles gekauft, was irgendwie Geld einbrachte. "Selbst ein Goldfisch oder ein altes Teleskop war immerhin ,Substanz', und jeder wollte Substanz statt Papier. Am groteskesten entwickelte sich das Missverhältnis bei den Mieten, wo die Regierung zum Schutz der Mieter (welche die breite Masse darstellten) und zum Schaden der Hausbesitzer jede Steigerung untersagte. Bald kostete in Österreich eine mittelgroße Wohnung für das ganze Jahr ihren Mieter weniger als ein einziges Mittagessen; ganz Österreich hat eigentlich fünf oder zehn Jahre (denn auch nachher wurde eine Kündigung untersagt) mehr oder minder umsonst gewohnt." Wer vierzig Jahre gespart und überdies sein Geld patriotisch in Kriegsanleihe angelegt hatte, wurde zum Bettler, und wer Schulden besaß, war ihrer ledig. Wer sich korrekt an die Lebensmittelverteilung hielt, verhungerte, und wer sie frech überschritt, aß sich satt. "Es gab kein Maß, keinen Wert innerhalb dieses Zerfließens und Verdampfens des Geldes; es gab keine Tugend als die einzige: geschickt, geschmeidig, bedenkenlos zu sein und dem jagenden Ross auf den Rücken zu springen, statt sich von ihm zertrampeln zu lassen."

4. Januar 2018

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