Flötentöne und schmetternde Trompeten
Das Märkische Museum am Köllnischen Park lässt historische Musikautomaten zur Freude der Besucher erklingen



Anne Franzkowiak lässt historische, manchmal einmalige Musikapparate im Musiksaal des Märkischen Museums klingen.





Drehorgeln waren bis ins frühe 20. Jahrhundert sehr beliebt. Wer keinen lebendigen Spieler hatte, erfreute sich an einem solchen aus geschnitztem und bemaltem Holz.



Bunt bemalte Verkleidungen aus Holz lassen Sehnsucht nach fernen Ländern und idyllischer Natur aufkommen.





Wer möchte, kann das Innenleben der Automatophon betrachten, etwa wie Papiernotenrollen die komplizierte Mechanik eines des Orchestrions steuern und Töne erzeugen. (Fotos: Caspar)

Das Märkische Museum ist seit über einhundert Jahren am Köllnischen Park in Berlin-Mitte in einem Bauwerk zuhause, das der Berliner Stadtbaurat Ludwig Hoffmann als Konglomerat von märkischen Bauten der Gotik und Renaissance gestaltet hat. Die Ausstellung reicht mit archäologischen Ausgrabungsstücken von der frühesten menschlichen Besiedlung bis an die Gegenwart, zeigt Gemälde, Skulpturen, Dokumente, Fotografien, Möbel sowie Hausrat und andere Dinge aus dem Alltag, darunter befinden sich auch mechanische Musikinstrumente. Jeden Sonntag um 15 Uhr kann man in einem besonderen Saal und natürlich auch zwischendurch zuhören, wie man in der Kaiserzeit Musik gemacht hat, wenn man nicht selber Geige oder Klavier spielte oder die Flöte beziehungsweise Trompete blies. Vorgestellt werden mit schmetternden, schnarrenden, manchmal auch leise flötenden Tönen historische Spieluhren, Drehorgeln, Orchestrien und Grammophone.

Berlin war um 1900 ein weltbekanntes Zentrum der Musikautomaten-Fabrikation. An der Schönhauser Allee hatten sich im ausgehenden 19. Jahrhundert Italiener angesiedelt, die wie die Firmen Frati & Co. sowie Cocchi, Bacigalupo & Graffigna mechanische Musikinstrumente in großen Stückzahlen herstellten. Alte Werbeprospekte, die im Musiksaal ausliegen, zeigen, wie diese Geräte, die bis in die USA geliefert wurden und die Fabrikanten zu wohlhabenden Leuten machten, aussahen. Wie Anne Franzkowiak, die Betreuerin der Sammlung und Autorin eines gut illustrierten Begleitheftes in der "Sammlung M", erzählt, habe das Museum schon frühzeitig solche Automatophone als Zeugnisse der Berlin-Geschichte, der Kulturgeschichte und der Volkskunst erworben. Ab und zu kämen weitere Exponate hinzu, etwa alte Papiernotenrollen und Schellack-Platten mit Aufnahmen berühmter Orchester sowie von Sängerinnen und Sängern hinzu. 1960 sei im Haus am Köllnischen Park eine erste feste Ausstellung der schönsten Stücke eingerichtet worden. Dem Restaurator Horst Riesebeck sei es zu verdanken, dass alle Instrumente funktionieren und zur Freude der Besucher zum Klingen gebracht werden können.

An mein Pianola lass ich keinen ran

Die kostbaren Gehäuse für die Instrumente vermitteln einen Eindruck von der Wertschätzung, die man diesen klingenden Wunderwerken der Technik entgegen brachte. Erst der Siegeszug des Radios in den 1920-er Jahren ließ das Interesse an den nicht ganz billigen Musikautomaten schwinden. Bei Scheiben aus Pappe oder bei Notenrollen aus Papier lassen kleine Löcher gerade einmal so viel Luft hindurch, dass über einen besonderen Mechanismus Töne entstehen. Beim Pianola, das in vielen bürgerlichen Haushalten stand und äußerlich einem Klavier ähnelte, wurden und werden heute bei den Vorführungen Tasten angeschlagen. In der zeitgenössischen Werbung für das Instrument heißt es, dass feinste Nuancen, ja selbst die jedem Künstler eigenen Anschlagtechniken "genau dem Originalspiel entsprechend absolut selbsttätig zu Gehör gebracht" werden. Marlene Dietrich besang es in dem berühmten Film "Der blaue Engel" (1930) so: "Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison / Ich hab' ein Pianola zu Haus' in mein' Salon / Ich bin die fesche Lola, mich liebt ein jeder Mann / Doch an mein Pianola, da lass ich keinen ran".

Ausgestattet mit Walzen, gelochten Papierbändern beziehungsweise Scheiben aus Pappe oder Metall und versehen mit mechanischen oder pneumatischen Steuerungen, erlaubten die Automaten auch Laien in Zeiten, als es noch kein Radio gab und man selber kein Instrument spielte, zuhause Musik zu machen. "Man musste nicht erst mühevollen Unterricht absolvieren, denn die Musikautomaten waren leicht bedienen und jederzeit verfügbar", sagt die aus Frankfurt an der Oder stammende Kulturwissenschaftlerin, die seit 1988 für die Musikalien des Märkischen Museums zuständig ist. "Wir können auf ein breites Repertoire von großer Oper und Operette über Volkslieder, Militärmärsche, Tanzmusik und Schlager bis zu Weihnachtsliedern und Nationalhymnen verschiedener Länder zurückgreifen und demonstrieren, wie man vor hundert Jahren die Besucher am heimischen Herd, auf Rummelplätzen oder in Tanzpalästen unterhielt."

Drehorgeln, von denen das Märkische Museum einige interessante Exemplare besitzt, erklangen vor hundert Jahren auf Berliner Straßen und Plätzen und in Hinterhöfen, wie durch Fotografien, aber auch Zeichnungen von Heinrich Zille überliefert ist. Dienten solche Drehorgeln vor allem der Volksbelustigung oder in seltenen Fällen dem Amüsement "besserer Kreise", so standen kostbare Flötenuhren und raffiniert konstruierte Chronometer mit Glockenspielen in vornehmen Haushalten. Eine solche Berliner Flötenuhr mit astronomischem Werk aus der Zeit um 1810 gehört zu den besonders wertvollen Exponaten der Ausstellung und wird ebenfalls von Zeit zu Zeit zum Klingen gebracht. Und dann gibt es noch verschiedene Grammophone mit großen Schalltrichtern, aber auch Geräte, die mit dem typischen Rauschen und Knacken Hartgusswalzen alle möglichen Töne und sogar die menschliche Stimme entlocken.

Veredelnde Wirkung der mechanischen Musik

Das auffälligste Instrument im Musiksaal des Märkischen Museums ist ein Orchestrion, das um 1891 wahrscheinlich von der Berliner Firma Cocchi, Bacigalupo & Graffigna in der Schönhauser Allee 78 gebaut wurde und bis 1960 im Lokal "Genua" in der Schönhauser Allee 51 stand und spielte. Mit Hilfe von Blasebälgen und gelochten Papierrollen wurden hinter einer reich geschnitzten, bunt bemalten Vorderfront nicht weniger 28 Instrumente zum Klingen gebracht. Wenn man genau hinhört, kann man Violinen, Celli, Klarinetten, Flöten und diverse Schlaginstrumente unterscheiden. Das "Fratihymnia" genannte Orchestrion ersetzte ein ganzes Salonorchester und war zu jeder Tages- und Nachtzeit einsatzbereit. Seit 1962 im Besitz des Märkischen Museums, ist es, wie Anne Franzkowiak nicht ohne Stolz sagt, das einzige weltweit noch im Original erhaltene Instrument dieser Bauart.

Als im Jahr 1900 Vertreter des Vereins Brandenburgia die Firma Bacigalupo besuchte, sagte Ernst Friedel, einer der Gründer des Märkischen Provinzialmuseums, selbstredend sei die mechanische Musik keine Kunstmusik, so wie die Reproduktion eines Ölgemäldes das Original nicht ersetzen kann. Dennoch wirke sich gute mechanische Musik veredelnder auf das Volk aus als die elenden Gassenhauer trunksüchtiger Bierfiedler. Wenn, wie es der Pflegschaft des Märkischen Provinzial-Museums bei ihren zahlreichen Wanderschaften auf dem Lande während der letzten Jahre wiederholt passiert ist, in kleinen Dorfwirtshäusern Musikwerke vorgefunden wurden, welche Choräle, gute Volkslieder, klassische Opernmusik usw. spielten, so könne sich der Musikfreund darüber nur freuen und auch in diesem Sinne der Familie Bacigalupo auch fernerhin nur den besten Erfolg wünschen. Die Firma existierte bis 1978 und war zum Schluss mit Reparaturarbeiten befasst. Das Märkische Museum ist stolz, einige dieser Meisterwerke zu besitzen und vorspielen zu können.

16. April 2018

Zurück zur Themenübersicht "Ausstellungen, Museen, Denkmalpflege"