Brückenschlag von Preußen und Russland
In der Kolonie Alexandrowka siedelte König Friedrich Wilhelm III. 1826 musizierende Waffenbrüder an





Der in seine Potsdamer Riesengarde vernarrte preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. trennte sich 1716 vom weltberühmten Bernsteinzimmer und einer Prunkjacht. Der preußische König bekam von Zar Peter I. 200 groß gewachsene Russen. Auf dem Havelberger Domplatz begegnen sich die beiden in Bronze gegossenen Monarchen.



Zar Alexander I. von Russland, der österreichische Kaiser Franz I. und Preußens König Friedrich Wilhelm III. waren Sieger in den Befreiungskriegen und bestimmten nach 1815 maßgeblich die Wiederherstellung der alten feudalen Verhältnisse in Europa nach Napoleon I. von Frankreich.





Die Kolonie Alexandrowka gehört wie die preußischen Schlösser und Gärten in und um Potsdam seit 1990 zum Weltkulturerbe der Unesco. Auf dem Stein ist das Wegesystem angedeutet. In der Mitte kreuzen sich die Wege in der Art des Andreaskreuzes. Nach der Legende soll der Apostel an einem Kreuz mit schrägen Balken geschlagen worden sein. Der Heilige und Märtyrer wird als Schutzpatron von Kleinasien, Konstantinopel, Russlands, Rumäniens und Schottlands verehrt.



Die freistehenden Giebelhäuser der Kolonie Alexandrowka sind ein- und zweigeschossig. Die dem Nationalheiligen Alexander Newski geweihte russisch-orthodoxe Kirche auf dem Kapellenberg nebenan ist ein kleiner, quadratischer Bau, der nach einem von Schinkel bearbeiteten Entwurf des Architekten W. P. Stassow als Teil der Kolonie Alexandrowka 1826 bis 1829 erbaut wurde und einen Ikonostas aus Bildern besitzt, die in Russland gefertigt wurden.



Die hoch über der Havel gelegene Kirche zu Nikolskoe auf einer farbigen Darstellung aus dem 19. Jahrhundert. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Hohenzollern pflegten, von feindseligen Zeiten während des Siebenjährigen Kriegs (1756-1763) und dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) abgesehen, freundschaftliche Beziehungen zu den Romanows, die 300 Jahre lang, vom frühen 17. Jahrhundert bis zum Sturz der Monarchie 1917, das Russische Reich beherrschten. Von diesem hatte man Ende des 17. Jahrhunderts schon einiges gehört, und man wusste auch in Brandenburg-Preußen, dass es nützlich ist, sich mit den Russen gut zu stellen. Noch nie hatte ein Zar sein Land verlassen und eine Tournee durch Europa unternommen, bis Peter I. mit der Großen Gesandtschaft den Weg in Richtung Westen antrat. Diese Reise vermittelte den preußisch-russischen Beziehungen manche positive Impulse. Erste Station des langen Zuges von Wagen und Schlitten war 1697 Königsberg, die Hauptstadt des Herzogtums Preußen, nach dem ab 1701 das preußische Königreich benannt wurde.

In Königsberg wurde ein brandenburgisch-russisches Bündnis abgeschlossen, das Geschichte machte. Der aus sechs Artikeln bestehende Vertrag ebnete den Boden für den Aufstieg Brandenburg-Preußens und Russlands zu wichtigen Akteuren der europäischen Geschichte. Nach der Beschwörung immerwährender Freundschaft haben Kurfürst Friedrich III. und Peter, den man später einen Großen nannte, festgelegt, dass sich Handelsleute in beiden Ländern frei bewegen sollen. Russische Gelehrte sollten von Brandenburg-Preußen mit seinen Landesuniversitäten Frankfurt an der Oder und Halle an der Saale unterstützt werden. Ferner legte der Vertrag fest, dass Verräter, Staatsfeinde und Überläufer an das jeweils andere Land ausgeliefert werden sollen. Ein Militärabkommen kam allerdings nicht zustande.

Lange Kerls im Tausch gegen Bernsteinzimmer

Zar Peter trat inkognito auf und nannte sich Peter Michailow. Seine Diplomaten wehrten Zudringlichkeiten des Kurfürsten von Brandenburg ab, einen großartigen Militärpakt abzuschließen. Zu sehr wollte sich Russland nicht an den prestigesüchtigen und prunkliebenden Hohenzollern binden, der als Herr über die "märkische Streusandbüchse" im Konzert der europäischen Mächte wenig zu melden hatte. Gleichwohl brauchte Peter I. einen freundlich gesonnenen Nachbarn, war er doch gerade dabei, die alles dominierende Herrschaft der Schweden im Ostseeraum zu brechen. Russland brauchte unbedingt einen Anschluss an die Ostsee. Der aber war in der Hand von Peters nördlichen Erzfeind Schweden. Kurfürst Friedrich III. streckte seine Hand nach der "königlichen Dignität" aus und erhielt am 18. Januar 1701 als König Friedrich I. in Preußen die ersehnte Würde.

Bis zu seinem Tod 1725 traf sich Peter I. mehrfach mit Friedrich I. und seinem Sohn, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Das berühmte "Bernsteinzimmer" sowie eine Prunkjacht wurden Peter I. 1716 durch eine zwischen ihm und Friedrich Wilhelm I. in Havelberg geschlossene Konvention vermacht. Im Gegenzug erhielt der preußische Soldatenkönig 200 Lange Kerls für seine Potsdamer Riesengarde. Im 19. Jahrhundert waren die Hohenzollern und die Romanows seit 1817 durch die Heirat der Prinzessin Charlotte, einer Tochter Friedrich Wilhelms III., mit dem Großfürsten Nikolaus familiär verbunden, der nach dem Verzicht seines Bruders Konstantin als Nikolaus I. den Zarenthron bestieg.

Heute Feind, morgen Freund

Solange es politisch opportun war, pflegten einige Jahrzehnte später Kaiser Wilhelm II. und Nikolaus II. einen freundschaftlichen Briefwechsel, in dem sich die beiden duzten und einander Willy und Nicki nannten. Im Ersten Weltkrieg waren sie Todfeinde, und als 1917 der letzte Herrscher aller Reußen abdanken musste und ein Jahr später von den Bolschewisten ermordet wurde, zeigte der deutsche Kaiser wenig Mitgefühl.

Dass sich Kurfürst Friedrich III. 1701 just an der gleichen Stelle, wo er 1697 mit dem Zaren gefeiert hatte, die Königskrone aufsetzen konnte, ist nicht zuletzt auch ausgeklügelter Bündnispolitik mit den Habsburgern und den guten Beziehungen nach Russland zu verdanken. Diese hielt bis zum Siebenjährigen Krieg, als sich Kaiserin Maria Theresia, Zarin Elisabeth und Friedrich II. von Preußen bekriegten und österreichische und russische Truppen sogar Berlin besetzten und plünderten. Doch das war eine Episode in den sonst bis zum Ersten Weltkrieg relativ ungetrübten Beziehungen zwischen Preußen und - ab 1871 - dem deutschen Kaiserreich und dem Zarenreich.

Die mit brachialer Gewalt durchgesetzte "Perestroika Peters des Großen", um einen modernen Begriff auf die Geschichte Russlands anzuwenden, hatte das Ziel, dort die Verkrustungen aufzubrechen und das Land zu modernisieren, koste es, was es wolle. Dabei spielte Brandenburg-Preußen als "Tor nach Europa", als Entree in den Westen eine große Rolle. Vom blühenden Manufakturwesen vor allem in protestantischen Ländern - Brandenburg-Preußen, Niederlande, England - fasziniert, strebte Peter für sein Reich gleiches an, heftig befehdet von altgläubigen Geistliche und unbeweglichen, um ihre Privilegien besorgte Bojaren. Deutsche Techniker, Handelsleute, Militärs, Gelehrte und Diplomaten wurden nach Russland geholt und fanden bessere Entfaltungsmöglichkeiten als im alten römisch-deutschen Reich mit seinen 300 Kleinstaaten. Der Berliner Akademiegründer Gottfried Wilhelm Leibniz gab darüber hinaus Ratschläge für die Petersburger Akademie, der Architekt und Bildhauer Andreas Schlüter schloss an der Newa seine Augen und Otto von Bismarck, der spätere "eiserne Kanzler", hielt als preußischer Gesandter Verbindung zwischen Berlin und Sankt Petersburg. Beide Einigungen Deutschlands - die von 1871 und die von 1990 - geschahen mit russischer Duldung und Hilfe, ein Faktum, das beim Blick auf die frühen Beziehungen beider Länder nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Bleibendes Denkmal der Freundschaft

Dies sei in aller Kürze als Vorgeschichte für die Gründung der als Brückenschlag zwischen Preußen und Russland gedachten Kolonie Alexandrowka im Norden der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam berichtet. König Friedrich Wilhelm III., als Verbündeter des Zaren Alexanders I. und einer der Sieger der Befreiungskriege von 1813 bis 1815, ließ die aus zwölf Gehöften bestehende Siedlung 1826/27 für die letzten zwölf Sänger eines ehemaligen russischen Soldatenchores anlegen. Mit dem Bau der russischer Bautradition verpflichteten Häuser setzte der Monarch der preußisch-russischen Freundschaft und Waffenbrüderschaft ein eindrucksvolles Denkmal. Benannt ist die Kolonie nach Zar Alexander I., der 1825 starb und nach dem auch der Berliner Alexanderplatz heißt. In seiner Kabinettsordre bestimmte der König am 10. April 1826: "Es ist Meine Absicht, als ein bleibendes Denkmal der Erinnerung an die Bande der Freundschaft zwischen Mir und des Hochseeligen Kaisers Alexander von Rußlands Majestät, bei Potsdam eine Colonie zu gründen, welche ich mit den, von Seiner Majestät mir überlassenen Russischen Sängern als Colonisten besetzen und Alexandrowka benennen will." Ein Jahr später zogen die ersten Bewohner. Die Häuser in Blockbauweise und Grundstücke durften von ihnen weder verkauft, verpachtet noch verpfändet, jedoch an männliche Nachkommen vererbt werden.

Ausgangspunkt für den Bau der Holzhäuser war eine Zeichnung des italo-russischen Architekten Carlo Rossi, der 1815 für die Mutter von Alexander I. ein "typisch russisches" Dorf für den Park von Pawlowsk entworfen hatte und dem preußischen König durch eine Skizze von 1818 bekannt war. Militärhandwerker aller preußischen Garderegimenter errichteten die Fachwerkhäuser mit vorgesetzten halbrunden Holzstämmen, die äußerlich den Eindruck russischer Blockhäuser erweckten. Die Idee für diese Sparmaßnahme hatte der Kommandeur der Garde-Pionierabteilung Kapitän Snethlage, der bereits bei einem früheren, echten Blockhaus Rossis Entwurf - dem Blockhaus Nikolskoe - die Bauleitung innehatte.

Eigentlich hätten die Dächer der Häuser in der Kolonie Alexandrowka nach russischem Vorbild mit Stroh gedeckt werden müssen. Doch hat man sich bei der Potsdamer Variante für eine Holzverbretterung entschieden, die Ende des 19. Jahrhunderts wegen der Brandgefahr durcheine Schieferdeckung ersetzt wurde. Jedes Gehöft besteht aus einem Wohnhaus mit Balkon und vorgelagerter Loggia, das durch eine überdachte Toreinfahrt mit einem kleinen Stallgebäude verbunden ist.

Die von Peter Joseph Lenné entworfene Gartenanlage versetzte die Sänger in eine besondere Stimmung und bot eine günstige Atmosphäre für Musik und Muße. Die Häuser sowie zahlreiche einheimische und aus der Heimat übernommene Obstsorten trösteten die Bewohner über die Trennung von Russland, dienten aber auch örtlichen Landwirten zu Lehr- und Anschauungszwecken. Das Ensemble ist, wie die preußischen Schlösser und Gärten in und um Potsdam, seit 1990 Bestandteil des Weltkulturerbes der Unesco, was zu besonders sorgsamem Umgang mit der historischen Substanz verpflichtet. In der Vergangenheit wurde das Wegenetz nach den Plänen Lennés wieder neu bepflanzt und die historischen Obstsorten vervollständigt.

Kleines Museum im Haus Nummer 2

Bis zur Fürstenenteignung war die Kolonie Alexandrowka 1926 Privatbesitz des Hauses Hohenzollern und wurde militärisch durch das 1. Garderegiment zu Fuß verwaltet. Bis 1945 blieben die königlichen Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Bewohner in Kraft. Grundlegende Änderungen im Rechtsstatus der Kolonie und ihrer Bewohner erfolgten nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute befinden sich die meisten Häuser in Privatbesitz. Im Haus Nr. 1 befindet sich ein russisches Restaurant, in dem Pelmeni, Borschtsch, Kwas und andere russische Spezialitäten serviert werden. Im Januar 2005 wurde im Haus Nummer 2 der Russischen Kolonie das privat geführte Museum Alexandrowka eröffnet, das den Besuchern einen Einblick in die Geschichte und die Architektur der kleinen Siedlung ermöglicht. Dieses Museum zeigt die Bauweise der Häuser und erläutert die wechselvolle Geschichte dieser einmaligen Siedlung. Man kann eine Küche und eine Stube betrachten und sich ein Bild von den einfachen Lebensumständen der ursprünglichen Bewohner machen. Dokumente in den Vitrinen berichten von den engen Beziehungen zwischen dem preußischen und dem russischen Herrscherhaus.

Mit ihrem Zwiebelturm erinnert die Kirche in Nikolskoe (auch Nikolskoje oder Nikolskö gesprochen) nur äußerlich an russisch-orthodoxe Gotteshäuser. Sie ist eine protestantische Kirche und unterscheidet sich in der Struktur von orthodoxen Kirchenbauten wie der Alexander-Newski-Kirche in der Kolonie Alexandrowka. Friedrich Wilhelm III. hatte die kleine Kirche auf Anregung seiner Tochter, der mit Nikolaus I. verheirateten Zarin Alexandra Fjodorowna, für die Bewohner von Klein Glienicke und der Pfaueninsel an einem Steilufer der Havel von Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow errichten lassen. Die Kirche gehört zum Evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, hat aber keine Kirchengemeinde. Der Bau ist dringend sanierungsbedürftig ist, deshalb ist es zurzeit nicht möglich, ihn offen zu halten und parallel zu den Handwerkern auch Kirchenbesuchern den Zutritt zu ermöglichen. Ab 23. April 2019 sind die Kirche und die angrenzende Küsterei geschlossen, doch besteht berechtigte Hoffnung, sie nach grundlegender Sanierung und Restaurierung bald wieder zu öffnen.

3. Juli 2019

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