Litfaß' dicke Kinder
In Berlin wurden jetzt 24 historische Anschlagsäulen unter Denkmalschutz gestellt





Berlins älteste Litfaßsäule steht auf dem Hackeschen Markt, das Baujahr wird mit um 1900 angegeben. Wenige Schritte weiter steht auf dem Litfaßplatz eine große Säule mit dem Namen des berühmten Außenwerbers.



In der Berliner Almstadtstraße ehrt eine mit Reliefs und Inschriften geschmückte Bronzesäule an den innovativen Unternehmer und Musensohn.







Wandplatten im U-Bahnhof Weberwiese rufen berühmte Berliner Erfinder in Erinnerung, unter ihnen ist auch Ernst Litfass. Dessen Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof wurde im Auftrag der mit der Aufstellung von Toilettenhäuschen, Haltestellen, Uhren und anderen Stadtmöbeln befasstem Wall AG restauriert.



In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Litfaßsäulen in Berlin besondere Attraktionen und beliebte Treffpunkte, manche dienten auch als Wasserpumpe und sogar als Toilette.



Mit dem Satireblatt "Berliner Krakeeler" griff Litfass den Volkszorn in Revolutionstagen auf und machte sich bei der Obrigkeit unbeliebt, die ihm aber später verzieh.





Die Bildseite der von der Berliner Künstlerin Susanne Jünger gestalteten 20-Euro-Gedenkmünze von 2016 versetzt den Betrachter zurück ins Berlin des 19. Jahrhunderts. Neben einer klassischen Litfaßsäule ist, einem zeitgenössischen Foto nachempfunden, der Verleger und Erfinder der Litfasssäule zu sehen. Die Medaille aus Bronzeguss greift das Thema auf andere, nicht weniger charmante Weise auf. (Fotos/Repros: Caspar)

Das Berliner Landesdenkmalamt hat die in der Hauptstadt stehenden 2.548 Litfaßsäulen auf ihren Denkmalwert überprüft. Nur 24 wurden als Zeugnisse der Stadt- und Kulturgeschichte unter Denkmalschutz gestellt und sollen an Ort und Stelle erhalten werden. Laut Landeskonservator Christoph Rauhut war die aufwändige Recherchearbeit wegen der Neuordnung des Berliner Werbemarktes und eines Wechsels der Betreiber nötig. Aktuell werden alte Anschlagsäulen durch neue ersetzt, und es muss dabei Sorge getragen werden, dass historisch interesante Objekte nicht im Orkus der Geschichte verschwinden. Die Litfaßsäulen sind Teil historischer Denkmalbereiche wie Siedlungen und Wohnanlagen etwa auf dem Gendarmenmarkt und dem Hackeschen Markt sowie an der Karl-Marx-Allee und der Reichsbanksiedlung Schmargendorf. Manche Säulen sind wie die auf dem Mexikoplatz Bestandteile schützenwerter Gartendenkmale. Viele Säulen stammen aus der Nachkriegszeit. Sie waren damals ein wichtiger Informationsträger für Bekanntmachungen der Besatzungsmächte oder der Verwaltung. Neben kulturellen Veranstaltungen wurde auf den Säulen für Lebensmittel und andere Erzeugnisse des täglichen Bedarfs geworben. 1954 gab es noch 2024 Litfaßsäulen allein im Westteil der Stadt, doch verschwanden diese mit dem Aufkommen der Fernsehwerbung und anderer Medien.

Im Einzelnen verteilen sich die als denkmalwert erklärten Litfaßsäulen auf die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf (6), Kreuzberg-Friedrichshain (5), Mitte (4), Pankow (3), Reinickendorf (3), Steglitz-Zehlendorf (2) und Treptow-Köpenick (1). Wie weiter aus dem Denkmalamt zu hören ist, dass sich in Berlin nur noch vereinzelt die ursprünglichen Anschlagsäulen aus Eisen finden lassen, denn die meisten Säulen schon vor dem Zweiten Weltkrieg aus Beton hergestellt. Manchmal handelt es sich um ehemalige Transformatorensäulen, die umgestaltet und auch versetzt wurden. Herstellungsdaten lassen sich meist nur annähernd schätzen, da Bauunterlagen fehlen. Die vermutlich älteste der denkmalgeschützten Litfaßsäulen aus Blech steht auf dem Hackeschen Markt und stammt aus der Zeit um 1900. Die jüngste ist ein historisierender Nachbau zur Ausstattung des 1987 im Rahmen der Siebenhundertfünfzigjahrfeier neu gebauten Nikolaiviertels in Berlin-Mitte.

Privileg vom 1. Juli 1855

Wildes Bekleben von Wänden und Zäunen ist keine Erfindung unserer Tage. Manchmal sind die bunten Papierschichten zentimeterdick zugekleistert und blättern unter ihrem eigenen Gewicht ab. Niemand findet sich, sie wieder zu entfernen, schon gar nicht diejenigen, die ihre Ankündigungen und Suchmeldungen angebracht haben. Schon vor über 150 Jahren gab es in der preußischen Hauptstadt mit unkontrolliert angeschlagenen Zetteln und Plakaten viel Aufregung. Stadtverwaltung und Hausbesitzer ärgerten sich über Verschandelung ihrer Gebäude. Hilfe kam von dem Berliner Druckereibesitzer Ernst Theodor Amandus Litfaß und den nach ihm benannten Anschlagsäulen. Der auf zahlreichen Auslandsreisen gebildete Drucker und Verleger ließ am 1. Juli 1855 nach Pariser Vorbild die ersten von 150 runden Plakat- und Zettelsäulen aufstellen. Dazu hatte er eine amtliche Genehmigung erhalten. "Dem Buchdrucker Ernst Litfaß, allhier ansässig in der Adlerstraße 6, wird auf dero persönliches Ersuchen hin gestattet, auf fiskalischem Straßenterrain Anschlagsäulen zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen zu errichten. Alles andere Plakatieren von Zetteln ist künftig verboten", gab Polizeidirektor Karl Ludwig von Hinkeldey am 5. Dezember 1854 bekannt und erteilte dem Druckereibesitzer ein diesbezügliches Monopol.

Nicht allen gefiel die Novität. So las man 1856 in einem Berliner Reiseführer: "Alles, was irgend einen Unrath los werden will, preist sich und seine Sachen hier in der lächerlichsten, marktschreierischsten Weise an", um dann einzuräumen: "Eine gewisse malerische Liederlichkeit, die in dem wirren Durcheinander der Zetteln an Häusern und Bäumen lag, muss der Sucht weichen, alles in spanische Stiefel zu schnüren." Trotz alledem war der Siegeszug der Litfaßsäule in Berlin und danach in anderen Städten war nicht mehr aufzuhalten. Auf den über drei Meter hohen Zylindern aus Gusseisen verbreiteten der Berliner Magistrat und die Polizei amtliche Verlautbarungen, die bei Litfaß, wie sollte es anders sein, gedruckt wurden. Außerdem warben zahlreiche Unternehmen für ihre Erzeugnisse und Dienstleistungen.

Amtliches, Reklame, Suchmeldungen

Zum Repertoire gehörten ferner Theaternachrichten, Produktreklame und private Suchmeldungen aller Art. Ernst Litfaß nutzte einige Säulen als öffentliche Toiletten und half damit ein zusätzliches Bedürfnis zu befriedigen. Andere Eisenzylinder besaßen inwendig eine Wasserleitung und dienten als Brunnen. Da "Wasser aus der Wand" Mitte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend unbekannt war, erfreuten sich Litfaß' Brunnen als Treffpunkt der Bevölkerung großer Beliebtheit. Hier konnten sie private Nachrichten austauschen und Neuigkeiten aller Art schnell weitergeben.

Litfaß' dicke Kinder, wie man zur Erbauungszeit sagte, war eine wichtige ordnungspolitische Maßnahme, durch die man in Berlin das wilde Plakatieren eindämmen wollte. Litfaß selber sprach von einer "Hautkrankheit der Städte", die er mit seinen Anschlagsäulen eindämmen wollte. Anfangs hielt sich die Begeisterung der Berliner in Grenzen, manche fanden, die neuen Möbel würden das Stadtbild verschandeln. Doch dauerte die Skepsis nicht lange an, und außerdem half Litfaß, der nicht nur ein innovativer Unternehmer, sondern auch ein dichtender Musensohn, mit seiner "Annoncier-Polka" nach, um die öffentliche Akzeptanz zu fördern. Da man sich dort schnell über amtliche Verlautbarungen, Veranstaltungen, Produktreklame und verlorene Sachen informieren konnte, avancierten sie zu unerlässlichen Stadtmöbeln.

Der Säulenheiliger genannte Drucker wurde als König der Reklame gefeiert und fand überall begeisterte Nachahmer. Um nicht nur auf die Säulen angewiesen zu sein, wurde Litfass auch gestattet, Brunnen mit Holz zu umhüllen und dort ebenfalls Plakate anzukleben. Bereits zehn Jahre nach der Premiere wurden in Berlin fünfzig weitere Anschlagsäulen aufgestellt. Auch andere Städte waren bei der Übernahme der Anschlagsäulen nicht faul und machten damit den Namen des innovativen Druckers weithin bekannt, was dessen Geschäften natürlich nützlich war.

"Berliner Krakeeler" und Kriegsnachrichten

Der gelernte Buchhändler war ein vielseitig interessierter und auch musisch veranlagter Mann. Als Schauspieler und Gründer des Berliner Theater Lätitia, des späteren Vorstädtischen Theaters, hatte er jedoch bei weitem nicht so viel Erfolg wie mit seiner Arbeit als Drucker sowie als Verleger von Zeitungen und Almanachen. Dass sich Litfaß mit den preußischen Behörden gut verstand, ist verwunderlich, denn in der 1848er Revolution hatte er sich bei diesen als Liberaler und Herausgeber von Flugschriften und des regimekritischen Satireblattes "Berliner Krakeeler" unbeliebt gemacht. Immer auf der Suche nach Neuem, war er es, der erstmals in Deutschland großformatige Plakate herstellte. Ungewöhnlich war ferner, dass Litfaß Grafiker und Schriftkünstler für die Plakatwerbung beschäftigte. 1863 zum Hofdrucker ernannt, betätigte er sich als Mäzen und Gastgeber von Wohltätigkeitsveranstaltungen, deren Ertrag er für soziale Zwecke stiftete. Aufgrund eines königlichen Privilegs verbreitete er in den preußisch-deutschen Kriegen von 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich offizielle Kriegsnachrichten und Siegesmeldungen.

In den vergangenen Jahrzehnten verschwanden die Litfaßsäulen aus dem Berliner Stadtbild. Schautafeln und andere Webeträger übernahmen ihre Aufgaben. Neuigkeiten aller Art gibt's in den Zeitungen, Fernsehen, Radio und im Internet. Um die originalen Säulen nicht ganz aus dem Gedächtnis verschwinden zu lassen, hat die Wall AG vor einiger Zeit eine nach alten Vorlagen neu gebaute Litfaßsäule auf dem Gendarmenmarkt aufstellen lassen, nicht weit vom Französischen Dom entfernt. Aufgeklebte Plakate werben hier stilgerecht für Veranstaltungen in Berlins Mitte und erinnern damit auch an einen innovativen Drucker.

9. Juli 2019

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